Evangelische Kirchenverträge: Unterschied zwischen den Versionen

K (Evangelische Kirchenverträge)
K (Evangelische Kirchenverträge)
Zeile 105: Zeile 105:
 
</p>
 
</p>
 
</div>
 
</div>
 +
{{ #staatslexikon_license: }}
 
</div>
 
</div>
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 +
[[Category:Rechtswissenschaft]]

Version vom 14. November 2022, 05:55 Uhr

1. Begriffsbestimmung

Der Begriff der e.n K. kann in einem weiten und in einem engeren Sinne verstanden werden: Im weiteren Sinne werden darunter alle Vereinbarungen eines staatlichen Vertragspartners mit der (verfassten) evangelischen Kirche verstanden, d. h. v. a. mit den Landeskirchen, aber auch mit ihren nationalen (z. B. EKD) und sogar internationalen Zusammenschlüssen (z. B. Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen). Im engeren Sinne werden als e. K. die umfassenden, das Grundverhältnis festlegenden Verträge zwischen den evangelischen Landeskirchen und den Bundesländern in Deutschland bezeichnet; die gängigere Bezeichnung hierfür dürfte „Evangelischer Staatskirchenvertrag“ sein. Sie werden nach Art der völkerrechtlichen Verträge feierlich unterzeichnet, vom Parlament in einfaches Gesetzesrecht umgesetzt und anschließend ratifiziert. Der Begriff des e.n K.s wird zumeist – so auch hier – in diesem Sinne gebraucht.

2. Historie

Bereits vor der Trennung von Staat und Kirche (Kirche und Staat) durch die WRV finden sich erste vertragsähnliche Abkommen zu Einzelfragen als „In-Sich-Geschäfte“ zwischen weltlichem Herrscher und Summus Episcopus, meist über finanzielle Fragen (z. B. sog.e Bauschsummenabkommen im Großherzogtum Oldenburg 1870 und 1883).

Echte e. K. wurden aber erst in der Weimarer Republik geschlossen. Dieses Vertragscorpus ist zu einem großen Teil heute noch gültig bzw. wurde lediglich modifiziert (so in Baden, Bayern, NRW und Saarland) oder kommt subsidiär zur Anwendung, wenn neuere Verträge lückenhaft sind. Die Inhalte ähneln bereits stark denen der heutigen Verträge.

Nach 1945 übernehmen die e.n K. eine Vorreiterrolle: Der erste Staatskirchenvertrag der BRD, der Evangelische Kirchenvertrag Niedersachsen („Loccumer Vertrag“) von 1955, entwickelt sich zur Schablone für alle nachfolgenden evangelischen, katholischen und auch jüdischen Staatsverträge bis in die heutige Zeit hinein. Bald existierte in Deutschland ein nahezu flächendeckendes Vertragssystem.

Auf Bundesebene bestehen auf Seiten der evangelischen Kirchen nur Einzelvereinbarungen zu Gegenständen, die in die Bundeskompetenz fallen (z. B. Militärseelsorgevertrag zwischen Bund und EKD von 1957).

Nach der Wiedervereinigung erlebte das Staatskirchenvertragsrecht eine neue Blüte: Es entstand eine neue Vertragsgeneration in den neuen Bundesländern, die als Ausdruck des Willens der Fortführung einer Tradition und der Anpassung der Rechtslage an Westdeutschland, aber auch der Wahrnehmung der Kirchen als intakte gesellschaftliche Institution und Anerkennung für die Unterstützung der friedlichen Revolution verstanden werden kann.

In Reaktion darauf wurden auch im Westen (Berlin [2006], Bremen [2002], Hamburg [2006]) einige neue e. K. geschlossen. Möglicherweise haben auch erst der Abschluss jüdischer Staatsverträge und das Paritätsgebot zum Vertragsschluss auch mit den christlichen Kirchen verholfen.

Ein absolutes Novum und, soweit ersichtlich, den einzigen e.n K. mit einem internationalen kirchlichen Zusammenschluss stellt der Vertrag der BRD mit der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen aus dem Jahr 2014 anlässlich deren Umzugs nach Deutschland (Hannover) dar. Das Abschlussprozedere und seine Umsetzung in einfaches Gesetzesrecht folgen der Tradition der klassischen K.

3. Inhalte

Die früh etablierte klassische Trias der K. besteht aus Präambel, materiellen Regelungen und Schlussvorschriften zur Kooperation und Konfliktbeilegung.

3.1 Präambeln

Die Präambeln sind Ausdruck und Zeitzeugnis des in der jeweiligen Epoche vorherrschenden Verhältnisses von Staat und Kirche, des Selbstverständnisses der Kirche, des jeweiligen juristischen Stils. Die Weimarer e.n K. besitzen extrem nüchterne Präambeln. Offenbar bestand trotz der unmittelbar vorausgehenden massiven Umwälzung durch die Abschaffung des Staatskirchentums keine Erklärungsnot. Der Loccumer Vertrag setzt einen neuen Trend mit recht ausführlicher Prosa in der Präambel. Noch umfangreicher werden die Verträge nach der Wiedervereinigung. Die Präambel wird mit zunehmender Säkularisierung von Gesellschaft und Politik bemerkenswerterweise immer länger und detailreicher.

3.2 Materielle Inhalte

Die materiellen Regelungen der e.n K. lassen sich im Wesentlichen zwei Kategorien zuordnen: Wiederholungen und Konkretisierungen der grund- und staatskirchenrechtlichen Garantien des GG und spezielle Einzelregelungen. Letztere bilden den Kern der e. K. V. a. geht es dabei um die Höhe und Auszahlungsweise der Staatsleistungen, um die Gewährung sonstiger finanzieller Zuschüsse, um denkmalpflegerische Absprachen (Denkmal), kirchliche Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Hochschultheologie, Ausbildung der Geistlichen und Religionslehrer, Eigentumsfragen, Ausgestaltung des Religionsunterrichts, der Kirchensteuererhebung (Kirchensteuer) und der kirchlichen Ämterbesetzung (Amt), Beteiligung am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Spendensammlungen (Spende).

Es besteht ein eindeutiges Übergewicht auf Seiten staatlicher Verpflichtungen; die Verpflichtungen für die Kirchen sind demgegenüber eher rar.

3.3 Kooperationsklauseln

Von bes.r Bedeutung sind im neutralen Staat und angesichts der Trennung von Staat und Kirche die meist am Ende, teilweise aber auch am Anfang des Vertrags stehenden Kooperationsklauseln. Fast immer findet sich die Freundschaftsklausel (amicabilis compositio), der zufolge die Vertragsparteien sich verpflichten, „Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise bei[zu]legen“ (z. B. Art. 22 Abs. 1 Evangelischer Kirchenvertrag Bremen), und die clausula rebus sic stantibus (z. B. Art. 22 Abs. 2 Evangelischer Kirchenvertrag Bremen). Ebenfalls häufig sind Kooperationsklauseln, häufig verbunden mit der Verabredung, eine Kontaktstelle einzurichten (z. B. Art. 2 Loccumer Vertrag), und Gleichbehandlungsklauseln, die der vertragschließenden Kirche zusichern, bei Besserstellung einer anderen Religionsgemeinschaft eine Vertragsanpassung zu prüfen (z. B. Art. 27 Evangelischer Kirchenvertrag Berlin; Art. 23 Evangelischer Kirchenvertrag Hamburg).

4. Rechtliche Einordnung

4.1 Rechtsnatur

Die e.n K. sind Staatsverträge (so ausdrücklich [nur] Art. 182 BayVerf) eigener Art.

Mangels Völkerrechtlichkeit des kirchlichen Vertragspartners handelt es sich nicht um völkerrechtliche Verträge. Das staatskirchenrechtliche Pendant zum e.n K. auf katholischer Seite ist der Staatskirchenvertrag mit den Bistümern, nicht das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl.

Die Verträge sind auch nicht dem Verwaltungsrecht zuzuordnen, weil sie Gegenstände behandeln, die aufgrund der Wesentlichkeitstheorie der Regelung durch die Legislative vorbehalten sind. Aber auch ansonsten wird der Vertragsinhalt durch den Vertragsschluss und die anschließende Zustimmung im Parlament nach dem Willen des staatlichen Vertragspartners dem Verwaltungsrechtsregime enthoben.

4.2 Rang; gerichtliche Durchsetzbarkeit

Durch die Zustimmung des Parlaments erhält der Inhalt des e.n K.s den Rang einfachen Gesetzesrechts. Gegen vertragswidriges späteres Recht kann die Kirche deshalb nur in Einzelfällen bei Vorliegen eines bes.n Vertrauensschutzes mittels Verfassungsbeschwerde gerichtlich vorgehen. Anders ist dies nur aufgrund verfassungsrechtlicher Rangerhöhung des Umsetzungsgesetzes in Baden-Württemberg (Art. 8 BadWüVerf), Hessen (Art. 67 Abs. 2 HessVerf) und NRW (Art. 23 Abs. 2 NRWVerf). Eine Rangerhöhung über die Landesverfassung hinaus, wie in Art. 8 BadWüVerf vorgesehen, ist demgegenüber jedoch grundgesetzwidrig. Dem e.n K. selbst kommt daneben nach hiesiger Ansicht kein Rang im Rechtssystem zu, er wirkt nur inter partes. Pflichtverletzungen der Verwaltung aus dem e.n K. können durch die vertragschließende Religionsgemeinschaft vor den Verwaltungsgerichten (Verwaltungsgerichtsbarkeit) geltend gemacht werden, ebenso umgekehrt Pflichtverletzungen der Kirchen.

4.3 Legitimation

Das GG kennt weder ein Ge- noch ein Verbot zum Abschluss von e.n K. Da sie den Schöpfern des GG jedoch als Regelungsinstrument bekannt waren, darf davon ausgegangen werden, dass sie ihre Legitimität voraussetzten. Dafür sprechen auch Art. 123 Abs. 2 GG, welcher hiesigen Ermessens auch das Reichskonkordat mit umfassen sollte, und der Wortlaut von Art. 138 Abs. 1 S. 1 WRV.

Einige Landesverfassungen gehen demgegenüber ausdrücklich von der Existenz und vom Abschluss von e.n K. aus (Art. 50 Abs. 1 HessVerf [„Vereinbarung“]; Art. 9 Abs. 2 MVVerf; Art. 23 Abs. 2 NRWVerf; Art. 109 Abs. 2 S. 3 SächsVerf; Art. 32 Abs. 4 LSAVerf).

Der e. K. ist v. a. ein optimales, wenn auch nicht das einzig denkbare, Instrument zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen materiellen Mitwirkungsvorbehalts im Bereich der res mixtae, z. B. beim Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 3 GG).

5. Würdigung der Kirchenverträge

Die e.n K. als Teil des staatskirchenrechtlichen Vertragskorpus sind ein bewährtes Instrument der Koordination, Befriedung und der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit. Sofern ersichtlich, ist es jedenfalls in der BRD (anders als bei der römisch-katholischen Kirche [ Katholische Kirche ] mit dem Konkordatsstreit, BVerfGE 6, 309) kaum zu größeren Rechtsstreitigkeiten um die e.n K. gekommen.

Das Vertragsregime überdauerte mehrere Staatsformen, Diktaturen und Ideologien und kann, bisher Ausnahmeinstrumentarium, heute angesichts stärkerer koordinativer Tendenzen im öffentlichen Recht eine Vorreiterrolle beanspruchen. Die extreme wenn nicht rechtliche, so doch faktische Bestandskraft der religionsverfassungsrechtlichen Verträge ist freilich bei jedem neuen Vertragsschluss zu bedenken.