Evolution: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 05:55 Uhr

  1. I. Naturwissenschaftliche Perspektiven
  2. II. Philosophische und theologische Aspekte

I. Naturwissenschaftliche Perspektiven

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E. bedeutet Entwicklung. Es gibt verschiedene Bereiche, in denen Entwicklungsprozesse stattfinden, so im Kosmos, in der Chemie, in der Biologie oder in der Gesellschaft. Hier geht es nur um die biologische E. Diese hat zwei Hauptaspekte, die Entwicklung des einzelnen Individuums während seiner Lebenszeit (Individualentwicklung, Ontogenese) und die Entwicklung der Arten (Stammesentwicklung, Phylogenese). Zu unterscheiden ist die biologische E. als beobachtbare Tatsache von der E.s-Theorie, welche zur Aufgabe hat, die E. zu deuten und zu erklären.

1. Evolution als Tatsache

Eine direkte Beobachtung der E. ist wegen der langen Zeiten zwischen den Generationen im Allgemeinen nicht möglich. Die Verwandtschaft der Arten von Lebewesen wurde jedoch auf Grund ihres Aussehens mit den Mitteln der Morphologie festgestellt. Der Stammbaum der Lebewesen wurde so bis in die Mitte des 20. Jh. rekonstruiert. Mit dem Aufkommen der Molekularbiologie konnte dann auch die genetische Information der heute lebenden Organismen verglichen und damit ein genetischer Stammbaum erstellt werden. Der morphologische und der molekulargenetische Stammbaum stimmen bis auf wenige Ausnahmen überein. Eine direkte Beobachtung der E. ist bisher nur bei Bakterien, Viren und RNA-Molekülen im Labor wegen der kurzen Generationszeiten möglich. Unter experimentellen Bedingungen lassen sich die Einflüsse von E.s-Dynamik und Umwelt klar trennen.

2. Theorie der Evolution

Die Vermutung, dass die Lebewesen durch E. entstanden sind und die Arten sich im Laufe der Zeit ändern können, findet sich schon bei den vorsokratischen Philosophen Anaximander und Empedokles. Bei Aristoteles, im Mittelalter und in der Neuzeit bis hin zu Carl von Linné herrschte die Auffassung vor, dass die Arten konstant seien. Erst gegen Ende des 18. Jh. traten Zweifel an der Konstanz der Arten auf, so bei C. von Linné in der letzten Auflage von „Systema naturae“ (Linné 1766). In der Kritik der Urteilskraft äußert Immanuel Kant die Vermutung einer „wirklichen Verwandtschaft“ der Arten durch die „Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter“ (Kant 1790: B368/9). Jean-Baptiste de Lamarck war der erste, der eine Theorie der Abstammung konsequent vertrat. Er behauptete die Vererbung erworbener Eigenschaften, welche in der Folge zu Veränderungen der Generationen führen würden. Sein Gegenspieler war Georges Baron de Cuvier. Er hielt an der Konstanz der Arten fest. Fossilien hielt er für Reste ausgestorbener Arten, die durch Katastrophen zugrunde gegangen seien.

Der Theorie von Charles Darwin waren Veröffentlichungen von Thomas Robert Malthus und Charles Lyell vorausgegangen. Gemäß der Doktrin von T. R. Malthus vermehren sich die Menschen in geometrischer Progression, während die Nahrungsmittelproduktion nur linear zunimmt. Wenn das Bevölkerungswachstum nicht eingedämmt wird, müssen große Teile der Gesellschaft den Hungertod sterben. Der Geologe C. Lyell hatte gezeigt, dass die Erde sich ständig verändert, die Veränderungen aber in kleinen Schritten erfolgen. C. Darwin war beeindruckt von diesen Veröffentlichungen. Auf seinen ausgedehnten Forschungsreisen, insb. zu den Galapagos Inseln, erhob er zahlreiche Befunde, die ihn zu der Auffassung brachten, dass die Arten nicht konstant sind, sondern sich wandeln. Die Individuen unterscheiden sich in zahlreichen Merkmalen (Variabilität). Im Kampf ums Dasein (struggle for life) überleben nur die am besten angepassten Individuen und Arten (survival of the fittest), da sie mehr Nachkommen hinterlassen als die schlechter angepassten. Damit war die Selektionstheorie formuliert, die besagt, dass bei begrenzten Umweltressourcen eine Auslese der Individuen erfolgt. Die Selektion führt dazu, dass die Populationsdichte entgegen der Doktrin von T. R. Malthus konstant bleibt. Ein Artenwandel vollzieht sich im Laufe vieler Generationen in kleinen Schritten, ähnlich wie dies von C. Lyell für die Veränderungen in den geologischen Formationen festgestellt worden war. Aus dem Artenwandel schloss C. Darwin ferner, dass die Arten sich aus Urformen entwickelt haben und letztlich von gemeinsamen einzelligen Urwesen abstammen (Abstammungslehre, Deszendenztheorie).

Alfred Russel Wallace kam bei seinen Forschungen zum gleichen Ergebnis wie C. Darwin. Beide stellten ihre Theorie in zwei Aufsätzen vor, die 1858 vor der Linnean Society in London verlesen wurden. Der Begriff E. kam in diesen Aufsätzen noch nicht vor. 1859 stellte C. Darwin seine Abstammungslehre in umfassender Weise dar in dem Buch „On the origin of species by means of natural selection“ (Darwin 1859). Dieses Datum gilt als Anfang der wissenschaftlichen Abstammungslehre. Obwohl A. R. Wallace zu denselben Ergebnissen gekommen war, anerkannte er den Publikationsvorsprung von C. Darwin und nannte die Abstammungslehre Darwinismus. C. Darwin wandte seine Lehre auch auf den Menschen an. In seinem Buch „The descent of man, and selection in relation to sex“ (Darwin 1871) folgerte er aus seinem Material, dass Menschen und Menschenaffen von gemeinsamen Vorfahren abstammten.

Die wesentlichen Aussagen der Darwin’schen Theorie lassen sich in den folgenden vier Hauptthesen zusammenfassen:

a) Die verschiedenen Arten stammen aus einer gemeinsamen Wurzel.

b) Der Artenwandel vollzieht sich in kleinen Schritten (Gradualismus).

c) Im Verlaufe der Erdgeschichte wurde die Zahl der Arten vervielfacht.

d) Die natürliche Selektion bewirkt den Artenwandel. Sie wurde von C. Darwin und A. R. Wallace als der wichtigste Faktor für die E. angesehen.

C. Darwin hatte falsche Vorstellungen über die Vererbung. Er unterschied nicht zwischen Körper- und Keimbahnzellen und glaubte wie J.-B. de Lamarck an die Vererbung erworbener Körpereigenschaften. Grundlegende Erkenntnisse über die Vererbung sind Gregor Mendel zu verdanken. Er hatte mit seinen Experimenten gezeigt, dass vererbbare Eigenschaften nicht durch „Mischen“ des väterlichen und mütterlichen Erbmaterials weitergegeben werden, sondern in Form von „Erbpaketen“, die heute Gene heißen. Veränderungen im Erbgut kommen auf zwei verschiedene Weisen zustande:

a) Die Gene werden verschieden rekombiniert. Dadurch entstehen neue Kombinationen mit neuen Eigenschaften für den Träger.

b) In den einzelnen Genen treten Veränderungen auf, die wir heute Mutationen nennen.

Die Varianten in den Veränderungen werden heute als Allele bezeichnet. August Weismann gelang es zu zeigen, dass die wichtigste Quelle der biologischen Variabilität in der sexuellen Fortpflanzung und der damit verbundenen Rekombination der Gene besteht. Diese erweiterte Version der Abstammungslehre, die auch von A. R. Wallace unterstützt wurde, wird Neodarwinismus (1890–1910) genannt. Durch die Molekularbiologie wurden die Vorstellungen C. Darwins bzgl. Vererbung widerlegt und die Befunde von G. Mendel und A. Weismann bestätigt.

Bis zur Mitte des 20. Jh. waren „Evolutionstheorie und Genetik unversöhnlich zerstritten hinsichtlich der Bedeutung von kontinuierlicher Selektion und sprunghaften Mutationsschritten“ (Schuster 2007: 29). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang eine Synthese der Vererbungslehre von G. Mendel, der Chromosomentheorie der Vererbung und der E.s-Theorie zur synthetischen Theorie der biologischen E. (Synonym: Moderne E.s-Theorie). Diese Synthese ist in erster Linie Theodosius Dobzhansky, Ernst Mayr und Julian Huxley zu verdanken. Nach 1950 wurde die synthetische Theorie mit weiteren Disziplinen erheblich ausgebaut zur erweiterten synthetischen Theorie der biologischen E. Die Erweiterung wurde v. a. durch den Einbezug der Molekularbiologie möglich, welche die Struktur der DNA und die Weise der Übertragung der Information auf die Synthese der Proteine entdeckte. Die erweiterte synthetische Theorie wird heute auch einfach E.s-Biologie genannt. „Eine in wenigen Worten zusammen zu fassende ‚Evolutionstheorie‘ gibt es daher heute nicht mehr.“ (Kutschera 2009: 268).

Mit dem Einbezug der Molekularbiologie ist es auch möglich geworden, Mutationen (Veränderungen am Genom) besser zu verstehen und zu charakterisieren. Mutationen können als Fehler beim Kopieren der genetischen Information, aber auch durch externe Einflüsse (Strahlung, chemische Substanzen etc.) auftreten. Sie können auftreten, wenn einzelne Nukleotide der DNA verändert werden (Punktmutation) oder wenn ein Abschnitt der DNA mehrfach kopiert (Insertion) oder nicht kopiert wird (Deletion).

Im Neodarwinismus und in der synthetischen Theorie geht man davon aus, dass Mutationen nicht zielgerichtet sind. Veränderungen und Anpassungen erscheinen nur im Nachhinein als zweckdienlich. Die Zielgerichtetheit ist nicht Triebkraft der E., sondern kann nur als Ergebnis festgestellt werden.

3. Ungelöste Probleme der Evolutionstheorie

Die Thesen der E.s-Theorie können viele, aber nicht alle Vorgänge der Phylogenese erklären. Es bleiben noch etliche Fragen offen. Somit hat die E.s-Theorie trotz des Einbezugs vieler zusätzlicher Disziplinen noch nicht den Stand einer vollständigen Theorie erreicht.

In der Theorie der E. ist immer wieder vom Zufall die Rede. Es bleibt aber ungeklärt, was damit gemeint ist. Viele verstehen darunter wie Jacques Monod den blinden oder reinen Zufall. Der reine Zufall soll „Grundlage des wunderbaren Gebäudes der E.“ (Monod 1971: 141) sein. Wenn damit gemeint ist, dass aus Nichts durch Zufall etwas entsteht, dann ist die Aussage sinnlos, weil „jede Definition von Zufall einen bestimmten Zustand, ein Ereignis oder einen Prozess voraussetzt.“ (Weingartner 2002: 252) Die Entstehung der Welt aus Nichts ist Thema der Schöpfungstheologie. Wenn mit Zufall nicht berechenbare Ereignisse wie etwa der radioaktive Zerfall oder die eingeschränkte Information infolge von quantenmechanischer Unschärfe gemeint sind, dann handelt es sich um einen objektiven Zufall. Bei der E. geht es aber meist um den subjektiven Zufall. Für den Beobachter erscheint ein Ereignis als zufällig, wenn er die Ursachen für dieses Ereignis nicht kennt oder nicht kennen kann. Diese Art des Zufalls ergibt sich aus der Unmöglichkeit einer vollständigen Beschreibung. In diesem Sinne erfolgen Mutationen zufällig.

Die klassischen Mechanismen der E.s-Theorie (Variation und Selektion) reichen nicht aus, um die größeren Übergänge von einer hierarchischen Stufe zur nächsten zu erklären. Peter Schuster listet eine Reihe solcher Stufen auf, aus denen hier nur drei ausgewählt seien:

a) Die Entstehung einer Zelle mit Metabolismus und Strukturierung in Kompartimente.

b) Der Übergang von einzelligen zu mehrzelligen Organismen.

c) Die Entwicklung der gegenwärtigen menschlichen Gesellschaften, die über Sprache und Schrift verfügen.

Diese größeren Übergänge sind begleitet von einer Zunahme an Komplexität. Elemente, die auf der niedrigeren Ebene Konkurrenten sind, werden in eine synergetische Einheit integriert und kooperieren dort im Dienste einer gemeinsamen Funktion. Die Konkurrenten wirken in der neuen Einheit zusammen i. S. d. Selbstorganisation. Dadurch entsteht ein System mit neuartigen Eigenschaften. Manfred Eigen und P. Schuster haben mit dem „katalytischen Hyperzyklus“ (Eigen/Schuster 1979) einen Mechanismus vorgeschlagen, der zur Integration von vorher kompetitiven Elementen zu einer kooperativen Funktionseinheit führt.

Einige E.s-Theoretiker halten daran fest, dass es in der E. keinen Fortschritt gibt. Tatsächlich darf man den Begriff Fortschritt nicht unbesehen gebrauchen, sondern muss dafür ein Referenzsystem angeben. Wird nun die Zunahme der Komplexität als Referenzsystem genommen, dann bleibt das Dogma, dass es in der E. keinen Fortschritt gibt, unverständlich. Es lässt sich nämlich zeigen, dass es in der E. ein stetiges Fortschreiten von einfacheren zu komplexeren Systemen gibt. Mit der ständig zunehmenden Komplexität wird eine wachsende Flexibilität und Lernfähigkeit erreicht. Die beiden Hauptpfeiler des Fortschritts in der E. sind also die ständig zunehmende Komplexität und als Folge die zunehmende Befreiung der Lebewesen aus den Zwängen der Natur. Die Feststellung, dass es in der E. Fortschritt gibt, erlaubt freilich im Rahmen der Naturwissenschaften noch nicht den Schluss, dass die E. auf ein Ziel hin steuert.

4. Die Stellung des Menschen in der Evolution

Bei E.s-Biologen ist die Stellung des Menschen in der E. umstritten. Die Beurteilung reicht von größter Naturkatastrophe (Franz Manfred Wuketits) über sterbliches Vehikel für die Weitergabe der egoistischen Gene (Richard Dawkins) bis zum reinen Zufallsprodukt (Stephen Jay Gould). Hält man sich aber an das genannte Referenzsystem der zunehmenden Komplexität, dann ist der Mensch zwar in bestimmten Einzelleistungen (z. B. Hören im Ultraschallbereich, Riechen) anderen Lebewesen unterlegen, aber in der Summe und Vielfalt seiner Fähigkeiten überschreitet er alle anderen Lebewesen. Das geht ganz bes. deutlich aus der Analyse von Struktur und Funktion des Gehirns und der damit verbundenen geistigen Fähigkeiten (Sprache, Schrift, geistige Flexibilität) hervor. Auf Grund dieser Komplexität der Organisation wird der Mensch zu einem Wesen, das über einen großen Raum der Freiheit verfügt. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Mensch zu Recht als „Krone der Evolution“ bezeichnet werden (Neuweiler 2009). Mit diesen enormen Fähigkeiten ist der Mensch zum Schöpfer der kulturellen E. geworden, welche über die natürliche E. hinaus und mit wesentlich schnellerem Schritt voran geht als diese.

5. Die wissenschaftlichen Grenzen der Evolutionstheorie

Als Naturwissenschaft ist die E.s-Theorie an die Regeln der naturwissenschaftlichen Forschung gebunden und sollte sich auch auf die Erforschung ihres Gegenstandes beschränken. Doch schon C. Darwin ging über sein Forschungsgebiet hinaus, indem er die Schöpfungslehre ablehnte und damit einen weltanschaulichen Streit entfachte. Während Kardinal John Henry Newman und andere Zeitgenossen C. Darwins keine grundsätzlichen Probleme zwischen der Abstammungslehre C. Darwins und einer Schöpfungstheologie sahen, trieben radikale Evolutionisten wie Ernst Haeckel den Streit mit der Religion noch erheblich weiter. E. Haeckel wollte mit der E.s-Theorie beweisen, dass es keinen persönlichen Gott gibt, der das Universum in einer sinnvollen Weise erschafft. Für seine Beweisführung fälschte er in massiver Weise biologische Daten, um so das sog.e biogenetische Grundgesetz zu begründen. Die Fälschungen wurden bereits von zeitgenössischen Wissenschaftlern aufgedeckt und von E. Haeckel selbst nicht nur zugegeben, sondern auch im Dienste der Unterstützung seiner Weltanschauung verteidigt. Sie werden aber auch heute von E.s-Biologen noch nicht als Fälschungen gesehen, sondern als „Stilisierungen“ verharmlost (Kutschera 2015: 301–305). Die biologische Forschung hat inzwischen gezeigt, dass die Rekapitulation der Phylogenese in der Ontogenese, wie sie im biogenetischen Grundgesetz behauptet wird, in dieser Form nicht zutrifft. Deshalb wird das „Gesetz“ seit einigen Jahrzehnten zur „Regel“ abgemildert, was aber noch immer nicht der biologischen Realität entspr. Wenn man die Phylogenese zur Ursache der Ontogenese macht, dann hat man noch nicht verstanden, warum sich die Körperform in der Ontogenese in einer bestimmten Weise entwickelt. Schon Wilhelm His hatte gezeigt, dass die Ontogenese der Phylogenese vorausgeht und nur über die Ontogenese die Phylogenese vorangetrieben wird. Diese Forschungsrichtung der Embryologie hat sich seither sehr bewährt und findet in den letzten Jahren neben der Molekularbiologie und der Epigenetik wieder großes Interesse.

Trotz der weltanschaulich motivierten Fälschungen steht E. Haeckel bei einigen E.s-Biologen bis heute in hohem Ansehen. Der Einsatz der E.s-Theorie für den weltanschaulichen Kampf gegen die Religion hat noch kein Ende gefunden. Für Daniel Dennett ist der Tod Gottes die notwendige Konsequenz von C. Darwins Lehre. R. Dawkins versucht mit Hilfe der E.s-Theorie den „Gotteswahn“ (Dawkin 2007) aus den Köpfen der Menschen zu vertreiben. E.s-Biologen kritisieren bis heute sogar in Lehrbüchern den christlichen Glauben und die christliche Ethik und äußern sich über Seele und Tod. Ebenso wenig wie die weltanschaulich orientierten Evolutionisten sind die Vertreter des Kreationismus und des Intelligent Design geeignete Gesprächspartner einer streng naturwissenschaftlich orientierten E.s-Theorie, weil sie mit ihrer Argumentation nicht die naturwissenschaftliche Methode und ihre Grenzen respektieren.

Der bis heute anhaltende Streit über die E. ließe sich entschärfen, wenn nicht sogar vermeiden, wenn man die Grenzen von Wissenschaft und Glauben reflektieren und anerkennen würde. Wir haben zwei verschiedene Zugangsweisen zum Verstehen der Welt und der Lebewesen. Zwischen diesen beiden Zugangsweisen besteht eine epistemische Differenz. Die Naturwissenschaft erforscht die Wirkursachen. Der Glaube an einen übernatürlichen Plan, an eine Teleologie des Kosmos, steht unter der Vorstellung von Zielursachen.

II. Philosophische und theologische Aspekte

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Für unsere lebensweltliche Erfahrung war über viele Jahrtausende klar, dass die Arten unveränderlich sind. Ein wörtliches Verständnis des Buches Genesis scheint dieser These sogar einen göttlichen Stempel aufzudrücken, indem Gott dort so dargestellt wird, als habe er die verschiedenen Arten in separaten Akten erschaffen. Dass sich die Lebewesen verändern, hätte man aufgrund menschlicher Züchtungserfolge erkennen können, in denen allerdings nie die Artgrenzen überschritten wurden. Dass eine solche Überschreitung dennoch möglich ist, erkannte Charles Darwin erstmals, als er als junger Mann die Galapagosinseln besuchte, wo sich offenkundig aus einer einzigen Finkensorte durch die Isolation des Inseldaseins ganz verschiedene Sorten gebildet hatten. C. Darwin übertrug diese Einsicht auf die Entwicklung als Ganze im Sinn einer „natürlichen Zuchtwahl“. Demnach sind es die Umweltbedingungen, die zufällig verschieden ausgestattete Lebewesen gemäß ihrer Effizienz in der Ausnutzung der Ressourcen bevorzugen, so dass sie sich stärker vermehren und die weniger Angepassten schließlich eliminieren. Der Mechanismus der Vererbung war C. Darwin allerdings noch nicht bekannt. Er wurde erst im 20. Jh. von Francis Crick und James Dewey Watson entdeckt, welche die Doppelhelix als Grundlage der Vererbung ausfindig machten. Seither gibt es die sog.e „synthetische Theorie“ als eine Verbindung von E.s-Theorie und Mikrobiologie.

Die synthetische Theorie zeichnet sich wie alle guten Theorien durch Einfachheit und Fruchtbarkeit aus, d. h. sie beruht auf wenigen, klaren Prinzipien und erklärt doch eine große Fülle von Phänomenen. Tatsächlich wurde sie im Experiment oder in der Feldforschung immer wieder bestätigt. Schon C. Darwin wandte seine Theorie auch auf den Menschen an. Es schien ihm nicht plausibel anzunehmen, dass der Mensch eine Ausnahme in der natürlichen Entwicklung bilden sollte.

Die E.s-Theorie hat allerdings gravierende philosophische und theologische Konsequenzen. Vor C. Darwin hatte man angenommen, dass die offenkundige Zweckmäßigkeit im Verhalten und Bau der Organismen von Gott stammen müsse, da sie auf einen vernünftigen Ursprung hindeuteten. C. Darwin, der urspr. angefangen hatte, Theologie zu studieren, kannte den teleologischen Gottesbeweis von William Paley: Wenn jemand am Meeresstrand eine komplizierte Uhr fände, wäre er gezwungen, auf einen intelligenten Uhrmacher zu schließen. Die Lebewesen seien ebenfalls wundersam eingerichtete, zweckmäßige Gebilde, die den Schluss auf einen göttlichen Urheber nötig machten. Für C. Darwin stellte sich die Sachlage nun anders dar: Die wundersame Einrichtung der Lebewesen ist Resultat eines blinden, nicht gerichteten Prozesses. Die Zweckmäßigen sind übriggeblieben und nicht etwa gewollt, und ihre Zweckmäßigkeit verdankt sich lediglich bestimmten Zufallsschwankungen, die negativ, neutral oder lebensdienlich waren, während die weniger Angepassten verschwinden mussten. C. Darwins Zweifel an der Schöpfungstheologie verdankte sich wesentlich dieser Mitleidlosigkeit der natürlichen Entwicklung. Seitdem muss die Theodizeeproblematik auch auf die Natur bezogen werden.

Philosophisch ist v. a. von Belang, dass die Mischung aus Zufall und Notwendigkeit, d. h. aus ungerichteten Mutationen und neutralen Gesetzmäßigkeiten, keine Sinnperspektiven mehr eröffnet. So wie der Fortschritt der Physik seit Galileo Galilei und Isaac Newton die unbelebte Natur ihres Telos beraubt hatte, verschwand nun die Teleologie auch aus der belebten Natur und schließlich aus der sozialen Welt des Menschen, denn man versuchte, v. a. im Verlauf des 20. Jh., den Darwinismus in den sozialen Bereich zu übertragen. Die fundamentalen Eigenschaften des Menschen sind Erkennen und Handeln, und so entwickelte sich eine evolutionäre Erkenntnistheorie und eine Soziobiologie, die das Erkennen und Handeln als Anpassungsphänomene zu erklären suchten. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. bezog man dieses naturalistische Schema sogar auf den menschlichen Geist und das menschliche Bewusstsein, so etwa in den funktionalistischen Computertheorien. Hier allerdings scheinen Grenzen des darwinistischen Paradigmas erkennbar zu werden. So greift es etwa zu kurz, wenn wir menschliches Erkennen als Anpassungsphänomen interpretieren, denn solche Phänomene werden nach Effizienzgesichtspunkten beurteilt. Menschliches Erkennen aber kann wahr oder falsch sein. Wahrheit und Effizienz sind nicht dasselbe, denn Vieles, was effizient ist (wie z. B. der Placeboeffekt), beruht nicht auf Wahrheit und umgekehrt. Im selben Sinn hat die Soziobiologie ihre deutlichen Grenzen z. B. an der Moral. Die Sorge für die Schwachen, Alten und Kranken ist anti-evolutionär, denn in der Natur werden die Schwachen, Alten und Kranken mitleidlos ausgerottet. Ebenso traten bei der Naturalisierung des menschlichen Geistes elementare, vermutlich unlösbare Probleme auf. So scheint es etwa nicht zu gelingen, das Bewusstsein zu funktionalisieren. Ähnliches gilt für Intentionalität, Normativität u. a. Phänomene.

Heißt das, dass der Darwinismus falsch ist? So wird es manchmal dargestellt, und religiöse Fundamentalisten (Fundamentalismus) verweisen auf solche Grenzen des Darwinismus, um ihn als eine Irrlehre zu brandmarken. Es könnte aber auch der Fall sein, dass der Darwinismus zwar wohl begründet ist, aber dennoch nicht hinreicht, um die Menschenwelt in ihrer Ganzheit zu erklären. Es wäre möglich, dass der Darwinismus der Newtonschen Theorie ähnelt, die eine Fülle von physikalischen Phänomenen erklärbar machte, nicht aber das Licht. Als es im Laufe des 19. Jh. dennoch gelang, die Eigenschaften des Lichtes physikalisch zu erklären, musste man die Ontologie verändern. Es zeigte sich, dass es nicht nur materielle Partikel und die zwischen ihnen wirkenden mechanischen Kräfte gibt, sondern auch elektrische Ladungen und Felder, die in Termen der Newtonschen Physik nicht zu deuten sind. In diesem Sinn wird heute von den sog.en „Protopanpsychisten“ im Licht der E.s-Theorie eine radikale Änderung der Ontologie gefordert. Andernfalls entsteht das Problem der Emergenz, also des Entstehens von radikal Neuem. Wie tritt der Mensch mit seinen darwinistisch nicht zu erklärenden Eigenschaften in Erscheinung? Wie gelingt es der Natur, aus Nicht-Lebendigem Lebendiges hervorzubringen, aus Nicht-Bewusstem bewusstseinsbegabte Lebewesen? Tatsächlich ist der Begriff der Emergenz eher ein Etikett für etwas, das wir nicht verstanden haben, als ein seriöses wissenschaftliches oder philosophisches Konzept. Manche Emergenztheoretiker sprechen von einer „natürlichen Pietät“, mit der wir das unerklärliche Entstehen des Neuen zur Kenntnis nehmen sollten. Andere, wie Charles Sanders Peirce oder Alfred North Whitehead, deuten die Entstehung des Neuen im Rahmen einer evolutionären Metaphysik, die dann aber nicht mehr naturalistisch ausfällt. Offenbar haben wir keine zwingenden Argumente für die eine oder andere Position. Damit gibt es aber auch keine zwingenden Argumente gegen eine theistische Lösung, wie sie die „neuen Atheisten“ (Atheismus), allen voran Richard Dawkins, vorzubringen bemüht sind. C. Darwin selbst war Agnostiker, kein Atheist. Es scheint, dass der wissenschaftliche Sachverhalt zu weiterreichenden Schlussfolgerungen nicht berechtigt.

Der Theologie ist es aufgegeben, naturwissenschaftliche Aussagen über die E. des Lebendigen im Licht des Schöpfungsglaubens zu deuten. Sofern Gott dabei nicht als Wirkursache auf einer Ebene mit natürlichen Ursachen verstanden, sondern als Erstursache des gesamten Naturprozesses bzw. als Bedingung seiner Möglichkeit reflektiert wird, können Konflikte mit den Naturwissenschaften vermieden werden und bleiben theologische Aussagen über Gottes Weltplan, seine Vorsehung, die Fortdauer seines Schöpfungswirkens und die gottgewollte Sonderstellung des Menschen in einem evolutiven Kosmos möglich. Eine solche „Berücksichtigung der in den verschiedenen Ordnungen des Wissens verwendeten Methode“ (Johannes Paul II.1996: 6) ist mittlerweile vom katholischen Lehramt ausdrücklich anerkannt worden. Ein theologischer Kreationismus, der versucht, in den biblischen Urgeschichten eine (mehr oder weniger) exakte Beschreibung des Schöpfungsablaufes zu finden, dafür empirische Belege beizubringen und mit Hilfe der Bibel Alternativen zur E.s-Theorie zu formulieren, verkennt dagegen die Intention der biblischen Texte und führt in unnötige Konflikte zwischen Glaube und Wissenschaft. Eine methodologische Grenzüberschreitung sieht die Mehrzahl heutiger Theologen auch in der Unterstützung von Intelligent Design-Theorien, die häufig als naturwissenschaftlich argumentierende Varianten des teleologischen Gottesbeweises auftreten. Anders ist der theologische Versuch zu bewerten, bestimmte unbestrittene Faktoren in evolutiven Erklärungsmodellen, wie das Phänomen der Kontingenz und Zufälligkeit von Naturprozessen, die mathematisch einfache Beschreibbarkeit der Natur oder die Feinabstimmung der Naturkonstanten, als Anknüpfungspunkte für den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften zu identifizieren.