Rüstungspolitik: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 05:59 Uhr

  1. I. Politikwissenschaftlich
  2. II. Rechtlich
  3. III. Sozialethisch

I. Politikwissenschaftlich

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R. ist die Summe aller Maßnahmen eines Staates, welche die Entwicklung, Produktion, Erwerb, Bereitstellung, Instandhaltung, Ausbildung an und Veräußerung von Rüstungsgütern betreffen. Rüstungsgüter sind Güter, die hauptsächlich oder teilweise der militärischen Verwendung dienen. Das sind im engeren Sinne Kriegswaffen, die ihrerseits unterschieden werden in Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) und konventionelle Waffen (z. B. Kampfpanzer). Darüber hinaus gelten als Rüstungsgüter auch Güter, bei denen es sich nicht um Waffen handelt, die jedoch militärisch genutzt werden. Das sind z. B. Computersysteme, geschützte Fahrzeuge, bauliche Anlagen und Uniformen.

1. Interne Dimension der Rüstungspolitik

R. besitzt eine interne und eine externe Dimension. Die interne Dimension umfasst alle Maßnahmen, die dem Ziel dienen, den Streitkräften jene Sachmittel zur Verfügung zu stellen, die sie für die Erfüllung ihres Auftrags benötigen. Damit ist R. Teil der Verteidigungspolitik eines Staates. Eine Besonderheit stellt der Umstand dar, dass viele Staaten Rüstungsgüter aus heimischer Produktion bevorzugen und nur dann ihren Bedarf aus Importen decken, wenn keine nationalen Anbieter existieren. So soll sichergestellt werden, dass Rüstungsgüter im Konfliktfall geliefert und gewartet werden können. Manche Staaten, z. B. Frankreich und Russland, sind sogar Teilhaber von Rüstungsfirmen. Diese nationale Konzentration führt international zu einer Fragmentierung und Duplizierung der Rüstungsgüterproduktion und geht damit zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter. Das hat negative Auswirkungen auf Stückkosten, Lieferzeiten und Funktionalität von Rüstungsgütern, was im öffentlichen Diskurs zu Kritik an zu kostspielig, falsch oder schlecht ausgerüsteten Streitkräften führt. Dennoch bleibt es für viele Staaten mit heimischer Rüstungsproduktion Ziel, ihre wehrtechnischen Kernfähigkeiten zu erhalten. Wo das nicht möglich ist, vereinbaren Staaten bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen an internationale Anbieter Kompensationsgeschäfte (Offset), z. B. in Form von Aufträgen an nationale Zulieferer oder Investitionen in den heimischen Markt. Rüstungsauftragsvergabe ist somit auch an industrie-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Zielen ausgerichtet. Einige Staaten kooperieren bei der Realisierung von Rüstungsprojekten. Ziele dieser Kooperationen sind die Erzeugung von militärischer Interoperabilität verbündeter Streitkräfte durch einheitliche Standards sowie Kosteneffektivität durch höhere Stückzahlen, auch wenn sich letzteres Ziel aufgrund nationaler Sonderwünsche oftmals nicht realisiert. Hinzu kommen politische Erwägungen, wie Vertrauensbildung durch gemeinsame Produktion. Neben Entwicklung und Produktion betreffen interne rüstungspolitische Maßnahmen auch deren Einhegung und Kontrolle. So dürfen z. B. in Deutschland Kriegswaffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, transportiert und gehandelt werden. Der deutsche Rüstungsprozess liegt zudem in rein ziviler Verantwortung, während in anderen Staaten das Militär Rüstungsvorhaben betreibt.

2. Externe Dimension der Rüstungspolitik

Die externe Dimension der R. umfasst Gesetze, Vorschriften und Entscheidungen, die den weltweiten Handel von Rüstungsgütern betreffen. Viele Staaten unterwerfen sich internationalen Rüstungskontrollregimen, beachten internationale Sanktionsregime und gewähren der internationalen Gemeinschaft Einblick in Rüstungsexporte, Verteidigungsausgaben und den Ausrüstungsstand ihrer Streitkräfte. Durch Außenwirtschaftsgesetzgebung, Rüstungsexportrichtlinien, Exportentscheidungen kontrollieren und sanktionieren Staaten, ob und welche Rüstungsgüter in Drittstaaten exportiert werden. Zugl. befördern sie Exporte durch bilaterale Verhandlungen und Bürgschaften. Sie beeinflussen somit das Sicherheitsgefüge in den Importregionen. R. hat damit auch einen außenpolitischen (Außenpolitik) sowie einen außenwirtschaftlichen (Außenwirtschaftspolitik) Aspekt.

3. Politikwissenschaftliche Perspektiven auf Rüstungspolitik

Politikwissenschaftliche Forschung hat sich mit unterschiedlichen Aspekten der R. beschäftigt. Aus der in den Theorien der Internationalen Beziehungen noch immer vorherrschenden (neo-)realistischen Sicht (Realismus) sind Rüstungsgüter Machtmittel, die Staaten beschaffen, um ihre Position im internationalen System zu verbessern bzw. ihr Überleben zu sichern. Dadurch verschlechtert sich jedoch die relative Macht bzw. die Sicherheit anderer Staaten, die ihrerseits in Folge weitere oder modernere Rüstungsgüter beschaffen. Dieses sog.e Sicherheitsdilemma führt zu Rüstungswettläufen zwischen Staaten. Eine andere, institutionalistische Perspektive versteht Rüstungskooperation und internationale Kontrollregime als Möglichkeiten für Staaten, militärische Handlungsoptionen zu begrenzen, das Handeln anderer Staaten vorhersagbar zu machen und die Sicherheit für alle Staaten zu erhöhen. Die aus der Elitentheorie entlehnte, in den 1960er und 1970er Jahren stark diskutierte, These der Existenz eines militärisch-industriellen Komplexes konnte bisher empirisch nicht bestätigt werden, auch wenn Prozessanalysen zeigen, dass Rüstungsentscheidungen auch immer eine industriepolitische Dimension haben. Ähnliches trifft auf den Einfluss von technologischem Wandel zu. Technikentwicklung hat keineswegs einen deterministischen Einfluss, gleichwohl ist sie eine wesentliche Bedingung für Rüstungsentscheidungen. Organisationstheoretische Studien konnten nachweisen, dass Rüstungsentscheidungen oftmals Partikularinteressen der Teilstreitkräfte und nicht immer das strategische Interesse des Staates widerspiegeln. Andere Arbeiten haben offengelegt, dass manche Rüstungsprojekte, wie z. B. Kampfdrohnen, weniger strategischen Notwendigkeiten, sondern eher zur Steigerung des internationalen Prestiges dienen. Kritische Sicherheitsstudien hinterfragen die weithin als real wahrgenommenen Annahmen über sicherheitspolitische Bedrohungen und die darauf basierenden Rüstungsentscheidungen. Sie beschäftigen sich zudem mit der Frage, ob die Ausrüstung der eigenen Streitkräfte ihrerseits Einfluss auf die Bedrohungswahrnehmung des Staates hat und somit dessen sicherheitspolitische Entscheidungen in problematischer Weise vorstrukturiert. Die Friedensforschung (Friedens- und Konfliktforschung) analysiert und kritisiert Anspruch und Wirklichkeit von Rüstungsexportkontrollen sowie problematische Zukunftstechnologien wie z. B. tödliche autonome Waffensysteme.

4. Herausforderungen für die Rüstungspolitik

R. ist durch eine Reihe von Trends herausgefordert. Die transatlantische Rüstungsindustrie erlebt seit dem Ende des Ost-West-Konflikts aufgrund rückläufiger Aufträge eine Phase der Verkleinerung, Fusionierung und Internationalisierung. Diese Entwicklung steht jedoch im Widerspruch zu den Bestrebungen vieler Staaten, Teile nationaler Rüstungsindustrien zu erhalten. Um Wettbewerbsnachteile zu verringern, unterstützen Staaten Exportgeschäfte. Industriepolitische Ziele stehen dabei in Konkurrenz zu außenpolitischer Werteorientierung, humanitären und sicherheitspolitischen (Sicherheitspolitik) Erwägungen. Auch die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts fordert die R. Der Wunsch nach stets modern ausgestatteten Streitkräften führt zu einer signifikanten Erhöhung der Stückkosten von militärischem Gerät (technologische Inflation). Verschärft wird das Problem durch die langwierige und proprietäre Entwicklung von Rüstungsgütern durch heimische Produzenten. Entstehende Fähigkeitslücken werden jedoch nicht oder nur zögerlich durch bereits frei am Markt verfügbare Produkte (military off the shelf) geschlossen. Das Spannungsverhältnis zwischen den verteidigungs-, außen-, wirtschafts- und industriepolitischen Dimensionen von R. wird daher auf absehbare Zeit bestehen bleiben.

II. Rechtlich

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1. Einführung

R. ist ein umstrittener und ambivalenter Politikbereich. Einerseits ist R. wesentlicher Teil von Sicherheitspolitik, weil diese auch die eigene Verteidigungsfähigkeit umfasst. Andererseits birgt R. aber auch sicherheitspolitische Risiken, weil Aufrüstung von anderen Staaten als Bedrohung empfunden werden und damit destabilisierend wirken kann. Aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass es kein generelles Verbot der Rüstung gibt, sondern R. grundsätzlich als rechtlich zulässiges Instrument der Gewährleistung von (äußerer) Sicherheit gilt (2.). Insoweit kommt Kooperationsabkommen bei der Entwicklung und Beschaffung von Waffen praktische Bedeutung zu. Im Vordergrund der internationalen Praxis stehen aber Rüstungsbegrenzung und Abrüstung (3.). Dabei spielt im Kontext der wirtschaftlichen Zusammenarbeit v. a. die Rüstungsexportkontrolle eine zentrale Rolle (4.). Insgesamt geht die Tendenz zur Ausweitung der Kontrolle auch in den Bereich der kleinen konventionellen Waffen (5.).

2. Kein generelles Verbot von Rüstungspolitik, aber Verbot bestimmter Waffenarten

2.1 Grundsätzliche völker- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Rüstungspolitik

Ein allg.es Rüstungsverbot lässt sich weder dem Völkerrecht noch dem GG entnehmen. Schon aus dem völkergewohnheitsrechtlich (Gewohnheitsrecht) und in der UN-Charta (Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 UN-Charta) verankerten Zusammenspiel von Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht folgt, dass nicht Rüstung als solche verboten ist, sondern die Drohung mit oder der Einsatz von militärischer Gewalt unter Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von R. ergibt sich aus Art. 87a Abs. 1 GG. Dort wird die grundsätzliche Zulässigkeit der Errichtung einer Armee zur Verteidigung geregelt, auch werden Umfang und Ausrüstung der politischen Entscheidung von Exekutive und Legislative überantwortet. Abgesehen von diesen allg.en Regeln belegen zahlreiche Abkommen im Bereich der Rüstungsentwicklung und Rüstungsbeschaffung, sowie die bes. Ausnahme in Art. XXI lit. b) ii) GATT für den Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial und die Versorgung der eigenen Streitkräfte, dass das Völkerrecht R. grundsätzlich zulässt.

2.2 Auswirkungen des Verbots bestimmter Waffenarten auf die Rüstungspolitik

Ungeachtet der grundsätzlichen Zulässigkeit ergeben sich aber aus den Regeln des humanitären Völkerrechts Grenzen, die sich auf die R. auswirken. Das humanitäre Völkerrecht kennt seit der Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 ein Verbot für Gift oder vergiftete Waffen und ein generalklauselartiges (Generalklausel) Verbot für Waffen, die geeignet sind, unnötige Leiden hervorzurufen (Art. 22 HLKO). In der weiteren Entwicklung wurden vertraglich immer wieder einzelne Waffenarten verboten. Hierzu gehören etwa das „Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung“ vom 18.9.1997 (Ottawa-Konvention) oder das „Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können“ vom 10.10.1980 (UN-Waffenkonvention). Von solchen Verboten erfasste Waffen dürfen nicht Gegenstand der R. sein. Für Atomwaffen (ABC-Waffen) konnte sich der IGH in seinem Gutachten aus dem Jahr 1996 zu keiner abschließenden Position durchringen. Er hat zwar einerseits ausdrücklich festgestellt, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich mit zentralen Vorschriften des humanitären Völkerrechts unvereinbar sind, es andererseits aber nicht für ausgeschlossen gehalten, dass im Falle „einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiele stehen würde“ (IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996: 226 ff., para. 97) eine Ausnahme von diesem Verbot bestehen könnte. Damit steht nicht eindeutig fest, dass atomare R. generell völkerrechtswidrig ist. Allerdings ergibt sich aus dem Nichtverbreitungsvertrag vom 1.7.1968 zumindest für dessen Vertragsparteien ein entspr.es Verbot.

3. Abrüstung und Rüstungsbegrenzung als Instrumente der Sicherheitspolitik

Multilaterale Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsbemühungen, die darauf gerichtet sind, den Besitz bestimmter Waffenarten einzuschränken, reichen bis in die Zeit des Völkerbunds zurück (vgl. die Conference for the Reduction and Limitation of Armaments zwischen 1932 und 1934). In dieser Tradition stehen die während und am Ende des Kalten Krieges bilateral zwischen den USA und der UdSSR bzw. Russland verhandelten Abrüstungsverträge (INF-Vertrag vom 8.12.1987; START I vom 31.7.1991; START II vom 3.1.1993) oder auch multilaterale Abkommen wie der KSE-Vertrag vom 19.11.1990. Vertragliche Bemühungen um die Beschränkung von Massenvernichtungswaffen (z. B. Nichtverbreitungsvertrag vom 1.7.1968; Chemiewaffenkonvention vom 13.1.1993) und Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats auf der Grundlage von Kap. VII UN-Charta (etwa SC Res. 1540 vom 28.4.2004; SC Res. 1673 vom 27.4.2006; SC Res. 1810 vom 25.4.2008; SC Res. 1977 vom 20.4.2011) ergänzen die sicherheitspolitischen Bemühungen im Bereich der Rüstungsbegrenzung nicht zuletzt auch deswegen, weil vermieden werden muss, dass derartige Waffen in die Hände von nicht-staatlichen Akteuren gelangen.

4. Exportkontrolle

Die humanitärvölkerrechtlichen und sicherheitspolitischen Bemühungen um Rüstungsbegrenzung wirken sich auch auf das Wirtschaftsrecht aus. Waffen und andere militärische Ausrüstung stellen Wirtschaftsgüter dar, die grundsätzlich in den Anwendungsbereich völkerrechtlicher Regeln über den Warenhandel fallen. Dessen Liberalisierung im Zuge bilateraler, regionaler und globaler Handelsregime (NAFTA, EU, WTO) birgt die Gefahr einer weitgehend unkontrollierten Ausweitung des Handels mit Rüstungsgütern. Um dies zu verhindern, haben sich verschiedene Exportkontrollregime herausgebildet. Im Bereich der Kontrolle konventioneller Rüstungsgüter ist das (rechtlich unverbindliche) Wassenaar-Arrangement bes. einflussreich. Mit dem Hinzutreten Indiens im Dezember 2017 umfasst es derzeit 42 Teilnehmerstaaten. Mit der Erarbeitung von Kontrolllisten dient es der Vereinheitlichung der Exportkontrolle und der Erhöhung der Transparenz. Die Vorgaben werden unionsrechtlich durch die Dual-Use-Verordnung (VO [EG] Nr. 428/2009) und innerstaatlich v. a. durch das AWG und die AWV umgesetzt und rechtlich verbindlich gemacht.

5. Ausblick

Aus völkerrechtlicher Sicht stehen inzwischen die Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsaspekte ganz im Vordergrund. Die Erkenntnis beginnt sich durchzusetzen, dass neben den Massenvernichtungswaffen auch der Bereich schwerer und leichter konventioneller Waffen stärkerer Überwachung und Kontrolle bedarf. Dieses Anliegen wird insb. vom „Vertrag über den Waffenhandel“ vom 2.4.2013 verfolgt, der am 24.12.2014 in Kraft getreten ist. Auch wenn die Überwachungs- und Transparenzmechanismen dieses Übereinkommens vielfach als nicht ausreichend angesehen werden, so liegt in ihm doch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Mechanismen ist freilich ihre möglichst universelle Anwendung und Durchsetzung. Solange wichtige Staaten dem Abkommen entweder – wie Russland und China – gar nicht beitreten oder – wie die USA – es zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben, werden seine Wirkungen begrenzt bleiben.

III. Sozialethisch

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Eine ethische Bewertung von Rüstungsmaßnahmen (Bereithaltung von Waffen und auf ihren Einsatz fokussierten Unterstützungssystemen) muss grundsätzlich prüfen, ob und ggf. unter welchen Umständen und Bedingungen ihre Herstellung und Verwendung, die auf die Verletzung und Tötung von Menschen und damit auf die Verursachung schwerwiegender Übel abzielt bzw. diese in Kauf nimmt, rechtfertigungsfähig erscheinen. Daher sind bloße politische bzw. ökonomische Vorteilskalküle für eine solche Rechtfertigung nicht hinreichend. Bereits daraus ergibt sich, dass große Bereiche des internationalen Handels mit Waffen, in denen oft zugl. limitierende rechtliche Regelungen verletzt oder umgangen werden, abzulehnen sind. Allein durch Vorteilskalküle, also politische oder wirtschaftliche Gewinnerwartungen motivierter Waffenhandel ist so weit wie möglich einzudämmen.

Als Gründe für eine ethische Rechtfertigung von Rüstungsmaßnahmen können allein solche in Betracht kommen, bei denen es darum geht, grundlegende moralische Güter zu sichern oder zu verteidigen. Dazu zählt nicht nur die Verteidigung der politischen Unabhängigkeit eines Staates, dessen Verfassung im Inneren den Anforderungen einer menschenrechtsbasierten Ordnung entspricht – einschließlich des Schutzes aller auf seinem Territorium lebenden Menschen gegen Angriffe auf ihr Leben und ihre sozialen Existenzbedingungen. Rüstungspolitische Entscheidungen können darüber hinaus im Kontext der Übernahme von Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung einer internationalen Ordnung stehen, die ebenso der Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens wie dem Schutz und der Durchsetzung von Menschenrechten verpflichtet ist. Dieses normative Anforderungsprofil verdichtet sich insb. im Hinblick auf die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) gegenüber Opfern drohender oder bereits stattfindender massenhafter, schwerwiegender und systematischer Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Rüstungspolitische Maßnahmen, die in einem solchen Zusammenhang stehen, bedürfen stets einer Prüfung, wie weit sie erforderlich und von ihrer Eigenart her geeignet erscheinen, den angestrebten Schutzzweck tatsächlich zu erfüllen. Damit wird eines der größten Probleme für eine ethisch verantwortbare R. sichtbar: Die Kontrolle über die Verwendung der an andere Staaten oder politische Gruppierungen innerhalb von Staaten, z. B. gewaltsam verfolgte Minderheiten, gelieferten Waffen und Unterstützungsmaterial für deren Einsatz. Wie lässt sich verhindern, dass das, was zu Verteidigungszwecken in einer präzise umrissenen Bedrohungssituation zur Verfügung gestellt wurde, später zur Verfolgung aggressiver politischer Absichten gegen Dritte benutzt werden kann? Auf dem Feld der R. ist davon auszugehen, dass in diesem Sinn ein sehr hohes politisches Missbrauchsrisiko besteht.

Rüstungsproduktion und die Weitergabe solcher Produkte kann zudem anstreben, nicht in bereits ausgebrochene Konflikte einzugreifen, sondern zu verhindern, dass Situationen aktueller Gewaltanwendung überhaupt entstehen. Hier steht nicht der Gedanke der individuellen bzw. kollektiven Verteidigung oder Nothilfe, sondern die Vermeidung eines bewaffneten Konflikts durch Sichtbarmachung der eigenen Handlungsmöglichkeiten für einen solchen Fall im Vordergrund: Die bereitgehaltenen Potentiale sollen einem Gegner, der Möglichkeiten einer gewaltsamen Durchsetzung seiner Ziele erwägt, von deren Verwirklichung abhalten, indem sie den Erfolg eines Angriffs zweifelhaft machen oder dem Gegner mit einem Übel drohen, das unverhältnismäßig schlimmer wäre als jeder mögliche Erfolg eines solchen Angriffs. Dieses Denken vollzieht sich v. a. im Kontext nuklearer Abschreckung, in dem es – angesichts der vitalen Überlebensinteressen der beteiligten staatlichen Akteure – in erster Linie darum geht, andere Staaten vom Einsatz ihrer Atomwaffen (ABC-Waffen) abzuhalten. Gerade bei einer genauen Betrachtung der inhärenten Logik von Kriegsverhinderung durch Abschreckung wird aber auch die problematische ethische Kehrseite dieses Denkansatzes deutlich: Gilt doch als Voraussetzung für deren „Glaubwürdigkeit“ die Bereitschaft, die durch das Vorhandensein entspr.er militärischer Fähigkeiten möglich werdenden konditionalen Drohungen ggf. wahr zu machen, d. h., Atomwaffen tatsächlich einzusetzen.

Das ethische Problem rüstungspolitischer Entscheidungen lässt sich daher nicht dadurch eliminieren, dass man begrifflich zwischen einer (vermeintlich nur) „politischen“ und einer militärischen Rolle von Rüstungspotentialen trennt. Solange in der Realität des Politischen Rüstungspotentiale eine relevante Rolle spielen (was auf absehbare Zeit der Fall sein dürfte), erscheint es unmöglich, den ethischen Zielkonflikten zu entgehen, die mit ihrer Existenz verknüpft sind. Nur in einer Welt, die einen Weg gefunden hat, Konfliktsituationen grundsätzlich und in allen Fällen anders als durch Rückgriff auf Gewaltmittel zu bewältigen, könnte ein Ausweg aus dieser prekären moralischen Situation gefunden werden.