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Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr
1. Begriff und Hintergrund
Begriff und Konzept der U. haben seit den 1980er Jahren in Psychologie und Soziologie, insb. aber in Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsethik und Managementpraxis Einzug gehalten und seit Beginn des 21. Jh. weiter an Popularität gewonnen. In Anlehnung an den in verschiedenen wissenschaftlichen und lebensweltlichen Kontexten vertrauten Begriff gesellschaftlicher Kultur wird darunter, bei Abweichungen im Detail, die Gesamtheit aller innerhalb einer Organisation vorhandenen kollektiven Verhaltensmuster verstanden, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben und nur z. T. quantitativ erfassbar – in der Sprache der Ökonomik: operationalisierbar – sind.
Diese Entwicklung kann auf den ersten Blick überraschen: Lange Zeit ließ sich die vorherrschende Auffassung von Grundprinzipien erfolgreicher Managementforschung und -praxis im Diktum eines „If you can’t measure it, you can’t manage it“ zusammenfassen, das nicht zuletzt Peter Ferdinand Drucker, dem Nestor der modernen Managementlehre, zugeschrieben wird. In allen Abhandlungen zur U. kommt dagegen die Vorstellung zum Ausdruck, dass erfolgreiches Management nicht oder nicht mehr nur als analytisch-formal angeleiteter Prozess zu verstehen ist – zudem oft differenziert nach einzelnen Managementfunktionen –, sondern immer auch weiche Einflussfaktoren (soft factors) zu kontextualisieren und die Unternehmung als Ganzes zu sehen hat.
2. Ebenen einer Unternehmenskultur
Angesichts der Komplexität des Phänomens hat sich ein auf den Sozial- und Organisationspsychologen Edgar Henry Schein zurückgehendes gedankliches Konstrukt für ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge als hilfreich erwiesen. Dazu wird zwischen drei Ebenen von U. unterschieden, „wobei mit dem Begriff ‚Ebene‘ der Grad der Sichtbarkeit eines kulturellen Phänomens für Teilnehmer oder Beobachter bezeichnet wird“ (Schein/Schein 2018: 14).
Im Einzelnen werden die drei Ebenen bezeichnet als
a) Artefakte bzw. sicht- und spürbare Phänomene,
b) gewählte Überzeugungen und Werte sowie
c) grundlegende Annahmen.
Unter a) finden sich neben allg. beobachtbarem Verhalten auch „[s]trukturelle Elemente […] wie Satzungen, formale Beschreibungen der Funktionsweise der Organisation und die Gründungssatzung der Organisation“ (Schein 2018: 14), also vergleichsweise gut operationalisierbare Aspekte, die in Teilen bereits von der vorrangig an Messbarkeit und Funktionen orientierten Managementlehre adressiert werden. Unter b) werden Ideale, Ziele und Werte sowie Ideologien subsumiert – wohlgemerkt: Jene der jeweiligen Führungspersonen, die sich im Unternehmen durchsetzen –, während unter c) unbewusste, als selbstverständlich geltende Überzeugungen und Werte erfasst werden, etwa Annahmen über die Natur zwischenmenschlicher Beziehungen. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auch das Bild eines Eisbergs herangezogen, da nur die oberste Ebene als „gut sichtbar“ wahrgenommen wird.
3. Kulturwandel
Ein bes.r Fokus von Forschung und Praxis richtet sich auf den Wandel von U. und damit nicht zuletzt auf den W unsch, diesen zu gestalten oder überhaupt erst herbeizuführen. Für diesen W unsch lassen sich eine Reihe von Gründen anführen, die einander z. T. bedingen. Einerseits kann die Beobachtung Rätsel aufgeben, dass Unternehmungen ders.n Branche mit vergleichbaren Produkten und mit sehr ähnlichen Managementmethoden sehr unterschiedliche Erfolge aufweisen können. Hinzu kommt eine säkulare technologisch-organisatorische Entwicklung der Arbeitswelt, die in weiten Teilen die Substitution einer tief gestaffelten tayloristischen Arbeitsteilung mit ihren exakt definierten und kontrollierbaren Arbeitsschritten durch flexiblere, nicht selten auf Teamarbeit setzende Formen der Leistungserstellung mit sich gebracht hat und in zunehmendem Maße indirekte oder informelle Leistungsanreize sowie eher partizipative Führungsstile impliziert.
Zahlreiche etablierte Unternehmen unterschiedlicher Größe sind angesichts zunehmender globaler Verflechtung (Globalisierung) der Märkte und teilweise disruptiver Veränderungen durch neue, branchenübergreifend relevante Technologien (v. a. das Internet und darauf aufbauende Entwicklungen [ Digitalisierung ]) und erfindungsreiche, neu eintretende Wettbewerber unter erheblichen Anpassungsdruck geraten. Global aufgestellte Unternehmen mit verschiedenen Standorten mussten zudem feststellen, dass bewährte Managementmethoden aus einem nationalen bzw. kulturellen Umfeld sich nicht ohne Weiteres auf ein anderes Umfeld übertragen lassen, so dass Fragen interkultureller Vergleiche (Interkulturalität) aufkamen.
Nicht zuletzt werden aufsehenerregende Skandale im In- und Ausland inzwischen regelmäßig einer fehlerhaften U. zugeschrieben. Auf diese mitunter überaus komplexen Herausforderungen konnten die lange Zeit bewährten, auf rational-funktionale Differenzierung setzenden Managementmethoden nur z. T. eine überzeugende Antwort geben.
4. Besondere konzeptionelle Herausforderungen
Allerdings entwickelt sich auch eine U., insofern vermutlich ähnlich einer gesellschaftlichen Kultur, erfahrungsgemäß über längere Zeiträume hinweg durch das schwer durchschaubare Zusammenspiel zahlreicher externer und interner Einflussfaktoren, nicht aber als kurzfristig einsetzendes Ergebnis konkreter Managemententscheidungen. Immerhin kann aber die Unternehmensleitung zumindest dem Grundsatz nach „alle“ Entscheidungen und Handlungen, die von Angehörigen der Unternehmung getroffen und ausgeführt werden, durch Anweisungen unterschiedlicher Art regeln, über verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation eine Vorbildfunktion ausüben und in diesem Zusammenhang sowohl formelle als auch informelle Anreize setzen.
Hier setzt die Idee vom Veränderungsmanagement (Change Management) an. In Wissenschaft und Unternehmensberatung wurden und werden verschiedene Typologien von U.en entwickelt, die nicht zuletzt wegen eines hohen Maßes an Anschaulichkeit für ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge als hilfreich eingeschätzt werden. Allerdings zeigen sich hier auch die Grenzen des Konzepts der U. insofern, als Optionen der intentionalen Gestaltbarkeit bzw. des Managements von U. gerade wegen eher geringer Grade an intersubjektiver empirischer Überprüfbarkeit an Grenzen stoßen. E. H. Schein und Peter Schein illustrieren dies am Beispiel einer „informellen, lockeren“ U., die je nach Perspektive oder Vorverständnis als „innovativ“, aber auch als „ineffektiv“ eingeschätzt werden kann, während eine „formelle“ U. je nach Betrachtungsweise als „solide“ oder als „an Innovationskraft mangelnd“ (Schein/Schein 2018: 15) wahrgenommen werden kann.
Wenngleich also große Teile der bisher vorliegenden Beiträge zur U. eher illustrierend-induktiven als analytisch-deduktiven Charakter haben, sind von ihnen bereits eine Reihe von Anregungen sowohl für weitere Forschung als auch für die unternehmerische Praxis ausgegangen.
Literatur
G. Schreyögg/J. Koch: Management, 82020 • E. H. Schein/P. Schein: Organisationskultur und Leadership, 52018 • G. Hofstede: Culture’s Consequences, 22001 • T. E. Deal/A. A. Kennedy: Corporate Cultures, 1982.
Empfohlene Zitierweise
D. Aufderheide: Unternehmenskultur, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Unternehmenskultur (abgerufen: 24.11.2024)