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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
1. Definition
Unter V. ist die Gesamtheit aller politischen Maßnahmen zu verstehen, die das Ziel verfolgen, die Bildung des Vermögens und seine Verteilung nach bestimmten gesellschaftspolitischen Zielen zu beeinflussen. Entspr. der Zielsetzung unterscheidet man die Vermögensbildungs- und die Vermögensverteilungspolitik. Träger dieser Politik können der Staat, aber auch Tarifvertragsparteien oder einzelne Unternehmen sein.
2. Notwendigkeit und Ziele
Die V. nimmt im theoretischen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft eine herausragende Stellung ein. Dieser bes. Stellenwert ergibt sich aus den Funktionen, die dem Vermögen in einer privatwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zukommen. Erwerbswirtschaftlich genutztes Vermögen erbringt Erträge in Form von Zinsen, Dividenden, Kursgewinnen, Mieten oder Pachten (Einkommensfunktion). Bei diesem Einkommen handelt es sich um „fundiertes“ Einkommen, also um Einkommen, das ohne Arbeitsleistung entsteht. Eine breite Streuung des Vermögens ist damit auch gleichbedeutend mit einer breiten Streuung dieser fundierten Einkünfte. Weiterhin erhöht der Vermögensbesitz die soziale Sicherheit des Eigentümers (Sekuritäts- oder Sicherungsfunktion). Vermögenstitel können als Sicherheiten eingesetzt oder im Fall ungeplanter Ausgaben veräußert werden. Eine breite Streuung des Vermögens ist damit gleichbedeutend mit einer gleichmäßigen Verteilung sozialer Sicherheit und persönlicher Freiheit in der Gesellschaft. Demgegenüber begünstigt eine ungleiche Vermögensverteilung die Bildung wirtschaftlicher Macht, die sich auch in politischer Macht niederschlagen kann (Machtfunktion). Damit ist eine Politik der breiten Vermögensstreuung gleichzeitig eine Politik zur Beschränkung ökonomischer und politischer Macht. Schließlich erhöht der Vermögensbesitz die Sparfähigkeit eines Haushalts und damit die Möglichkeit, Vermögenseinkünfte wieder in Vermögenstiteln anzulegen. Eine ungleiche Vermögensverteilung besitzt somit eine inhärente Tendenz zur Selbstverstärkung (Selbstalimentierung des Vermögens). Ein weiteres Ziel der V. ist es, die Arbeitnehmer am Kapital, insb. am Produktivkapital einer Volkswirtschaft, zu beteiligen. Damit soll der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital abgebaut und ein Beitrag zum sozialen Frieden in der Gesellschaft geleistet werden.
3. Instrumente
Die vermögenspolitische Diskussion beschränkt sich weitgehend auf die Bildung und Verteilung des Geld- und Sachvermögens. Eine umfassende Betrachtung der Vermögenssituation privater Haushalte (Haushalt, privater) müsste jedoch auch das Humanvermögen (Humankapital) und das Sozialversicherungsvermögen mit einbeziehen. Insofern sind auch die Bildungspolitik und die Sozialversicherungspolitik Bestandteile einer umfassend verstandenen V.
Beschränkt man hingegen die V. auf die politischen Maßnahmen zur Bildung und Verteilung des Geld-, Immobilien- und Produktivvermögens, so lassen sich die Vermögensbestands- und die Vermögensbildungspolitik als Ansatzpunkte der V. unterscheiden. Schnelle verteilungspolitische Effekte lassen sich durch Eingriffe in das bestehende Vermögen erzielen (Vermögensbestandspolitik). Neben der Schenkung- und der Erbschaftsteuer ist hier v. a. an den Lastenausgleich und an die Vermögensteuer zu denken. Diese Maßnahmen unterliegen jedoch dem Vorbehalt des grundgesetzlichen Schutzes des Privateigentums (Eigentum) und des allgemeinen Gleichheitsgebots. Dem Gesetzgeber ist es damit verwehrt, konfiskatorisch in den Vermögensbestand einzugreifen oder Vermögensgegenstände steuerlich unterschiedlich zu behandeln. Aus dem letztgenannten Grund ist die Erhebung der Vermögensteuer in Deutschland seit dem Jahr 1997 ausgesetzt. Ein spezifisches Instrument der Vermögensbestandspolitik ist die Beeinflussung der Verteilung des Vermögensbestandes zwischen dem staatlichen und dem privaten Sektor durch Verstaatlichung bzw. Privatisierung. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen wurde v. a. in den 1960er und den 1980er Jahren durch eine breite Streuung der Unternehmensanteile (Vergabe von „Volksaktien“) als vermögenspolitisches Instrument eingesetzt.
Als Instrumente der Vermögensbildungspolitik werden v. a. die Sparförderung und der Investivlohn eingesetzt. Als weitere Form wird die investive Gewinnbeteiligung diskutiert. Investivlohn und investive Gewinnbeteiligung lassen sich sowohl auf betrieblicher wie auf überbetrieblicher Ebene organisieren.
a) Bei der Sparförderung versucht der Staat, die Ersparnisbildung von Haushalten mit kleinen oder mittleren Einkommen durch Steuervergünstigungen oder die Vergabe von Prämien zu fördern. Dabei ist die Förderung i. d. R. mit Einkommenshöchstgrenzen verbunden und die geförderten Anlagen müssen bestimmte Kriterien erfüllen. Dieser Idee der Sparförderung folgte das Wohnungsbauprämiengesetz (1952), das Sparprämiengesetz (1959) und das Erste Vermögensbildungsgesetz (1961). Sie liegt jedoch auch dem Konzept der Riesterrente (2001) zugrunde. Als vermögenspolitisches Instrument ist die Sparförderung mit mehreren Problemen verbunden. Zum einen setzt sie eine gewisse Sparfähigkeit des Haushalts voraus. Da die Sparneigung der Haushalte mit steigendem Einkommen zunimmt, profitieren von diesen Maßnahmen v. a. die Bezieher mittlerer Einkommen. Die Sparförderung ist somit nicht geeignet, um bspw. Altersarmut zu bekämpfen. Da Haushalte mit mittleren Einkommen ohnehin in bestimmtem Umfang Ersparnisse bilden, ist zum anderen nicht klar, inwiefern durch die Sparförderung zusätzliche Ersparnisse angeregt oder lediglich Mitnahme- oder Substitutionseffekte generiert werden. Mitnahmeeffekte entstehen, wenn Ersparnisse subventioniert werden, die auch ohne diese Förderung getätigt worden wären. Substitutionseffekte treten auf, wenn ohnehin geplante Ersparnisse von nicht geförderten Anlageformen in geförderte Anlagen umgeschichtet werden. Substitutionseffekte verändern nur die Struktur, nicht jedoch das Volumen der Ersparnisse. Sofern Mitnahme- oder Substitutionseffekte entstehen, führt die Sparförderung nicht zu einer Erhöhung der Sparquote privater Haushalte.
b) Beim Investivlohn werden Teile des Arbeitseinkommens nicht in bar ausgezahlt, sondern für eine bestimmte Zeit investiven Zwecken zugeführt. Sofern der investive Lohnbestandteil zum bisherigen Barlohn hinzutritt, spricht man vom additiven Investivlohn; werden hingegen Teile des bisherigen Barlohns zu Investitionszwecken verwendet, handelt es sich um einen alternativen Investivlohn. Der alternative Investivlohn stellt eine Form des Zwangssparens dar, da den Haushalten die freie Verfügung über einen Teil ihres Einkommens entzogen wird. Inwieweit hierdurch die Sparquote der privaten Haushalte erhöht wird, hängt davon ab, in welchem Umfang die Haushalte als Reaktion auf das Zwangssparen ihre sonstige Ersparnisbildung einschränken. Der additive Investivlohn erhöht zwar das Einkommen und damit die Sparfähigkeit der Haushalte; es besteht jedoch das Problem, dass dadurch auch die Kosten des Faktors Arbeit steigen. Dies kann sich negativ auf die Arbeitsnachfrage und damit auf die Beschäftigungssituation auswirken.
c) Diese Probleme des Investivlohns versucht die investive Gewinnbeteiligung zu umgehen. In diesem Modell erhalten die Beschäftigten zusätzlich zum Barlohn einen Anteil am Unternehmensgewinn, der ebenfalls nicht ausbezahlt, sondern für einen gewissen Zeitraum investiert wird. Da die investive Gewinnbeteiligung nicht an den Faktorkosten, sondern am wirtschaftlichen Ertrag ansetzt, ist sie zumindest kurzfristig allokationsneutral. Darüber hinaus kann eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn der Unternehmen beschäftigungsstabilisierend wirken, da sich die Gesamtkompensation des Faktors Arbeit über den Gewinnanteil an die wirtschaftliche Entwicklung anpasst, also im Aufschwung steigt und in der Abschwungphase sinkt. Dadurch können u. U. Entlassungen in der Abschwungphase vermieden werden. Allerdings gestaltet sich die Ermittlung des ökonomischen Gewinns, auf den sich der Anspruch bezieht, in der Praxis äußerst schwierig, da der Bilanzgewinn erst um bestimmte Kostenbestandteile bereinigt werden muss, um den ökonomischen Gewinn (den Residualgewinn) zu ermitteln. Zudem ist sowohl theoretisch wie empirisch ungeklärt, wie sich eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmensgewinn auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen auswirkt.
Investivlohn und investive Gewinnbeteiligung lassen sich auf betrieblicher und auf überbetrieblicher Ebene realisieren. Bei einer betrieblichen investiven Einkommenspolitik investieren die Beschäftigten die investiven Lohn- oder Gewinnanteile in das arbeitgebende Unternehmen. Diese betriebliche Anlage ist aus Unternehmensperspektive mit mehreren Vorteilen verbunden. So verbessert sich die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen wird erhöht. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen mit Kapitalbeteiligung eine geringere Beschäftigungsfluktuation, eine höhere Arbeitszufriedenheit, eine stärkere Identifikation der Beschäftigten mit dem arbeitgebenden Unternehmen und eine höhere Arbeitsproduktivität aufweisen; allerdings ist die Kausalität nicht hinreichend geklärt. Für die Arbeitnehmer ist eine Investition der Mittel in das arbeitgebende Unternehmen hingegen auch mit Problemen verbunden. Denn durch diese Form der Anlage kumulieren für den Beschäftigten das Einkommens-, das Beschäftigungs- und das Vermögensrisiko bei einem Unternehmen. Eine Diversifikation dieser Risiken ist nur im Rahmen einer überbetrieblichen Investition bei Fonds oder Finanzintermediären möglich. Dadurch entfallen jedoch die betrieblichen Vorteile der investiven Einkommenspolitik.
4. Entwicklung und Bilanz
4.1 Entwicklung
Die V. in der BRD lässt sich in vier Phasen unterteilen:
a) die unmittelbar nach Kriegsende einsetzende und auf eine schnelle Wiederherstellung des Kapitalstocks gerichtete allgemeine Vermögensbildungspolitik durch eine Förderung der Unternehmensinvestitionen,
b) die von 1960 bis Mitte der 1980er Jahre reichende Phase der allgemeinen Vermögensverteilungspolitik durch eine Förderung der Ersparnisbildung und des Versicherungssparens,
c) die Phase der auf die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital gerichtete spezielle Vermögensverteilungspolitik und schließlich
d) die seit Anfang der 2000er Jahre auf die Förderung der privaten Altersvorsorge gerichtete spezielle Vermögensbildungspolitik.
4.2 Bilanz
Eine Bilanz der in Deutschland praktizierten V. zu ziehen fällt schwer, da über die Vermögenssituation keine amtlichen Daten auf Haushalts- oder Personenebene existieren. Die Angaben zur Vermögensverteilung, die aus freiwilligen Befragungen gewonnen werden, sind zudem unvollständig und hochgradig fehleranfällig. Außerdem wird der Vermögensbegriff in den verschiedenen Untersuchungen unterschiedlich abgegrenzt. Aus diesen Gründen sind insb. Aussagen über die langfristigen Wirkungen staatlicher V. auf die Vermögensverteilung nur sehr eingeschränkt möglich. Auswertungen des Betriebspanels durch das IAB zeigen, dass im Jahr 2011 lediglich 10 % der Betriebe eine Gewinnbeteiligung und nur 2 % eine Kapitalbeteiligung angeboten haben. Die Verfügbarkeit von Beteiligungsmodellen steigt mit zunehmender Betriebsgröße und kumuliert im Bereich Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie bei Unternehmen des Informations- und Kommunikationssektors. Schließlich hängt eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn oder Kapital des Unternehmens maßgeblich von der Rechtsform des arbeitgebenden Unternehmens ab. So dominieren bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung die börsennotierten Kapitalgesellschaften, welche ihre Mitarbeiter über Belegschaftsaktien am Kapital des Unternehmens beteiligen können. Andere Formen der Mitarbeiterbeteiligung sind rechtlich deutlich komplexer und weit weniger verbreitet.
Detailliertere Analysen existieren zum Verbreitungsgrad der Riesterrente. Es zeigt sich, dass trotz umfangreicher Informationen über die Notwendigkeit einer privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge und einer erheblichen staatlichen Förderung mehr als die Hälfte der Anspruchsberechtigten keinen entsprechenden Vertrag abgeschlossen haben. Als weiteres Ergebnis ist festzuhalten, dass die Riesterrente in den höheren Einkommensgruppen stärkere Verbreitung findet als in den unteren Einkommensgruppen.
Schließlich ist zu konstatieren, dass die staatlichen Aufwendungen zur Förderung der Vermögensbildung im Vergleich zum sonstigen Sozialaufwand quantitativ äußerst gering ausfallen und zudem in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken sind. Aufgrund des insgesamt geringen Stellenwerts der V. in der deutschen Sozialpolitik ist nicht davon auszugehen, dass die Vermögensverteilung durch diese Politik signifikant beeinflusst werden kann.
Literatur
J. Althammer/H. Lampert/M. Sommer: Lehrbuch der Sozialpolitik, 102021 • A. Briese/H.-G. Horlemann (Hg.): Staatliche Förderung der Altersvorsorge und Vermögensbildung, Erg.-Lfg. 3/20, Stand März 2020 • H. Beyer: Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Deutschland – Ein Überblick, in: ders./H.-J. Naumer (Hg.): CSR und Mitarbeiterbeteiligung, 2018 • T. Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2016 • B. Bookmann u. a.: Künftige Ausrichtung der staatlich geförderten Vermögensbildung, 2013 • L. Bellmann/I. Möller: Finanzielle Mitarbeiterbeteiligung, IAB-Kurzbericht 17 (2011) • M. Coppola/A. Reil-Held: Dynamik der Riester-Rente, MEA Working Paper 195, 2009 • J. Althammer: Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer, 1994 • M. Weizman: The Share Economy, 1984.
Empfohlene Zitierweise
J. Althammer: Vermögenspolitik, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Verm%C3%B6genspolitik (abgerufen: 21.11.2024)