Ordnungsökonomik

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In einem allgemeinen Sinne kann man der O. wirtschaftswissenschaftliche Forschungsansätze zurechnen, die die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Regelrahmens richten, in dem wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse ablaufen. Im engeren, und im Folgenden näher zu erläuternden Sinne versteht man darunter ein Forschungsprogramm, das die Theorietradition der Freiburger Schule des Ordoliberalismus mit neueren ökonomischen Theorieentwicklungen zusammenführt, die sich mit der Frage der Bedeutung von Regeln und Institutionen für das gesellschaftliche Zusammenleben und den Möglichkeiten ihrer bewussten Gestaltung befassen. In diesem Zusammenhang kommt den Beiträgen, die Friedrich August von Hayek (Österreichische Schule der Nationalökonomie) und James McGill Buchanan (Public Choice) zu dieser Frage geleitstet haben, bes. Bedeutung zu.

1. Der Ordoliberalismus der Freiburger Schule: Wirtschaftsverfassung und Ordnungspolitik

Die in den 1930er Jahren von dem Ökonomen Walter Eucken und dem Juristen Franz Böhm begründete Freiburger Schule sieht sich in der Tradition des klassischen Liberalismus, grenzt sich aber mit ihrer Bezeichnung als ordoliberal gegen einen Laissez-Faire-Liberalismus ab, der sich auf die Forderung nach einer Befreiung wirtschaftlichen Handelns von staatlichen Beschränkungen konzentriert. Zwar gehen auch die Freiburger Vertreter des Ordoliberalismus davon aus, dass sich selbststeuernde Marktwirtschaften (Kapitalismus), die es den Einzelnen überlassen, im Rahmen allgemeiner Verhaltensregeln ihre Interessen zu verfolgen, dirigistischen Wirtschaftssystemen überlegen sind. Sie betonen aber, dass die Art und Weise, wie Marktprozesse ablaufen, entscheidend von der Beschaffenheit der Regeln abhängt, unter denen sie stattfinden, und dass der Markt nicht aus sich heraus einen Regelrahmen oder, wie sie es nennen, eine Wirtschaftsverfassung (Neue Politische Ökonomie, Ordnung) hervorzubringen vermag, die für eine „funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung der Wirtschaft“ (Eucken 1989: 240, 1990: 373) sorgt (Neoliberalismus). In der bewussten Gestaltung und wirksamen Durchsetzung eines solchen Regelrahmens sahen die Freiburger eine genuin politische Aufgabe, eine Aufgabe überdies, auf die sich nach ihrer Auffassung der Staat im wesentlichen beschränken sollte. Wirtschaftspolitik sollte, so das Freiburger Postulat, zuallererst Wirtschaftsverfassungspolitik oder Ordnungspolitik sein, im Gegensatz zu einer Politik des diskretionären Interventionismus.

Die allgemeine Aufgabe von Ordnungspolitik sehen die Vertreter des Ordoliberalismus darin, „die Kräfte, die aus dem Eigeninteresse entstehen in solche Bahnen zu lenken, dass hierdurch das Gesamtinteresse gefördert wird“ (Eucken 1990: 360), also darin, „Individualinteresse und Gesamtinteresse gleichzuschalten“ (Böhm 1960: 61). Dies bedeutet für sie insb., dass der Wettbewerb als das zentrale Steuerungsprinzip der Marktwirtschaft einer Einhegung durch Regeln bedarf, die Leistungswettbewerb sicherstellen, einen Wettbewerb, in dem unternehmerischer Erfolg nur durch bessere Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen erzielt werden kann.

Sosehr die Vertreter des Ordoliberalismus davon überzeugt waren, dass eine durch eine geeignete Regelordnung eingehegte Marktwirtschaft den Interessen aller Beteiligten dient, so sahen sie diese doch einer ständigen Gefährdung durch Sonderinteressen ausgesetzt, die im politischen Prozess ihren Einfluss geltend machen, um sie begünstigende Regelungen – seien es steuerliche Privilegien, Schutz vor Wettbewerb, Subventionen o. ä. – zu erreichen. Um dieser Gefährdung entgegenzuwirken bedarf es, wie sie betonen, einer entsprechenden „Ordnung des Staates“ (Eucken 1990: 331), damit dieser als „leistungsfähiger Rechtsstaat“ (Eucken 1990: 331) seine gemeinwohldienliche Aufgabe der Sicherung einer privilegienfreien Ordnung wahrnehmen kann. Als wesentliche darauf abzielende Vorkehrung betrachtet der Ordoliberalismus seine Forderung, den Staat auf eine nur durch allgemeine Regeln steuernde Ordnungspolitik zu verpflichten und dadurch seine Macht, durch partikulare Eingriffe in den Wirtschaftsablauf bestimmte Interessengruppen zu begünstigen, zu beschränken.

2. F. A. von Hayek: Das Wissensproblem in der Ordnungsgestaltung

Auch der 1974 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnete F. A. von Hayek steht mit seinem Forschungsprogramm in der Tradition des klassischen Liberalismus, setzt allerdings mit seinem Beitrag zu einer „Neufassung der liberalen Grundsätze“ (Hayek 2003a) einen etwas anderen Akzent als der Ordoliberalismus. Das zentrale Thema des Hayekschen Werkes ist die – als „Wissensproblem“ umschriebene – Frage, welche Folgerungen wir für unsere Möglichkeiten bewusster Gestaltung wirtschaftlicher und sozialer Ordnungen aus der Tatsache ziehen müssen, dass unser Wissen über die Auswirkungen unseres Handelns in einer komplexen Welt unvermeidlich begrenzt ist. F. A. von Hayek beschäftigte sich mit dieser Frage im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Vertretern seines Faches, die in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jh. die Überlegenheit einer zentral geplanten Wirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft, Sozialismus) gegenüber einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu begründen suchten. Aus dieser Auseinandersetzung heraus entwickelte F. A. von Hayek die Kernelemente seines sozialtheoretischen Werkes, die Theorien der spontanen Ordnung und der kulturellen Evolution.

Den Vorstellungen zentraler Wirtschafts- und Gesellschaftsplanung, die er als „konstruktivistischen Rationalismus“ (Hayek 1980: 50) und als „Anmaßung von Wissen“ (Hayek 1996) kritisiert, stellt er seine Theorie spontaner sozialer Ordnung entgegen, einer Ordnung, die sich dadurch bildet, dass die Einzelakteure ihr Verhalten im Rahmen der ihnen durch allgemeine Regeln auferlegten Beschränkungen aneinander anpassen. Solche Ordnungen, für die der Markt das paradigmatische Beispiel ist, zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Unterschied zu zentral gesteuerten Ordnungen das unter den Einzelnen verstreute Wissen zur Lösung von Problemen zu nutzen vermögen, ein Umstand, in dem F. A. von Hayek den Hauptgrund für die Überlegenheit marktwirtschaftlicher gegenüber planwirtschaftlichen Ordnungen sieht. Diese Überlegenheit sieht F. A. von Hayek überdies darin begründet, dass der marktwirtschaftliche Wettbewerb als Entdeckungsverfahren wirkt, in dem ständig mit neuen Lösungen für wirtschaftliche Probleme experimentiert wird und sich überlegene Lösungen – bessere Produkte, sparsamere Herstellungsverfahren, leistungsfähigere Vertriebsmethoden etc. – durchsetzen.

In Übereinstimmung mit dem Freiburger Ordoliberalismus betont auch F. A. von Hayek, dass marktwirtschaftliche Prozesse durch „geeignete Regeln“ (Hayek 1980: 74) eingehegt werden müssen, sollen sie ihre wünschenswerten Eigenschaften zeigen, und dass Wirtschaftspolitik sich vornehmlich auf Ordnungspolitik beschränken sollte. Er unterstützt und ergänzt die Freiburger Position durch den Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Begrenztheit unseres Wissens und der Bedeutung von Regeln. Sind wir aufgrund unseres begrenzten Wissens über alle Folgewirkungen unserer Handlungen schon in unserer individuellen Lebensführung darauf angewiesen, uns an Regeln zu halten statt uns von Fall zu Fall zu entscheiden, so gilt dies nach F. A. von Hayek umso mehr dort, wo wir unsere Handlungen mit anderen koordinieren müssen, und es gilt insb. für kollektive politische Entscheidungen. Aufgrund der Komplexität der Wirkungszusammenhänge könne die Wirtschaftswissenschaft „verhältnismäßig wenig über die konkreten Wirkungen konkreter Maßnahmen in gegebenen Umständen“ (Hayek 1969: 12) aussagen, könne allerdings sehr wohl Mustervoraussagen über die allgemeinen Steuerungswirkungen unterschiedlicher Regeln machen.

Auch in der Frage regelgestaltender Politik setzt F. A. von Hayek einen anderen Akzent als der Ordoliberalismus, indem er auch hier die Wissensproblematik in den Vordergrund stellt. Mit seiner Theorie der kulturellen Evolution geht es F. A. von Hayek darum, die Aufmerksamkeit auf die Rolle zu lenken, die dem „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (Hayek 1968) nicht nur im Markt sondern auch bei der Entwicklung der Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens zukommt. Ebenso wie der Wettbewerb im Markt als Motor für die Entdeckung „besserer Problemlösungen“ (Zdenekova 2012: 78) dient, so spielt er nach F. A. von Hayek auch auf der Regelebene eine entscheidende Rolle als Entdeckungsverfahren und Wissensgenerator. Da wir nicht im Vorhinein wissen können, welche Regeln sich am besten zur Lösung der Probleme eignen, die die Ordnung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer sich ständig wandelnden Welt aufwirft, sollten wir, so sein Argument, stets die Möglichkeit offenhalten, aus den Erfahrungen zu lernen, die im Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Lösungsversuchen erworben werden.

3. J. M. Buchanan: Das Legitimationsproblem in der Ordnungsgestaltung

Wie die Vertreter der Freiburger Schule und F. A. von Hayek steht auch J. M. Buchanan mit seinem kontrakttheoretischen Forschungsprogramm (Vertragstheorien) einer konstitutionellen politischen Ökonomik (Konstitutionenökonomik) in der Tradition des klassischen Liberalismus. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Public Choice Theorie als einer ökonomischen Theorie der Politik beteiligt, die – im Kontrast zu einer auf die Identifizierung von Marktmängeln (Marktversagen) konzentrierten Wohlfahrtsökonomik – das Augenmerk auf in tatsächlichen politischen Entscheidungsprozessen auftretende „Politikmängel“ (Vanberg 2014: 365) lenkt. Mit seinem Beitrag zur – wie es in der Begründung für den ihm 1986 verliehenen Nobelpreis heißt – „Erforschung der kontrakttheoretischen und konstitutionellen Grundlagen ökonomischer und politischer Entscheidungsprozesse“ geht es J. M. Buchanan darum, nicht bei der Diagnose von Politikmängeln stehen zu bleiben, sondern den Blick auf die Frage zu richten, wie im sozialen Zusammenleben diagnostizierte Mängel, seien es Markt- oder Politikmängel, durch geeignete Korrekturen im jeweils geltenden Regelrahmen entgegengewirkt werden kann. Mit den beiden Attributen kontrakttheoretisch und konstitutionell werden die wesentlichen Kennzeichen dieses Forschungsprogramms benannt.

Was die „konstitutionelle“ Komponente anbelangt, so ist für J. M. Buchanans Forschungsprogramm die Unterscheidung zweier Entscheidungsebenen grundlegend, der sub-konstitutionellen Ebene, auf der Entscheidungen innerhalb eines gegebenen Regelrahmens getroffen werden, und der konstitutionellen Ebene, auf der es um Entscheidungen über die Regeln selbst geht. Um diese Unterscheidung zu veranschaulichen benutzt J. M. Buchanan gerne die – auch bei den Freiburgern und bei F. A. von Hayek zu findende – Metapher eines Spiels. Die Metapher ist hilfreich, können wir doch bei einem Spiel deutlich zwischen der Wahl der Spielzüge und der Wahl der Spielregeln unterscheiden und uns vorstellen, dass Spieler trotz konfligierender Interessen bei der Wahl der Spielzüge ein gemeinsames Interesse an der Wahl von Spielregeln haben, die ein für alle besseres Spiel ermöglichen.

Ganz i. S. d. Freiburger Konzepts von Ordnungspolitik stellt auch J. M. Buchanan darauf ab, dass wirtschaftspolitische Bemühungen um Korrektur diagnostizierter Marktmängel auf die Verbesserung des Regelrahmens gerichtet sein sollten, in dem das Marktgeschehen stattfindet, statt mit diskretionären Maßnahmen in den Marktprozess einzugreifen. Und ebenso wie der Ordoliberalismus betont auch J. M. Buchanan die entscheidende Rolle, die die Staatsverfassung (Verfassung) für die Aussichten spielt, dass Regierung und Gesetzgeber ihre Aufgabe der Regelgestaltung und -durchsetzung in einer den gemeinsamen Interessen aller Beteiligten dienenden Weise wahrnehmen. J. M. Buchanans Forschungsprogramm ergänzt dabei den Ordoliberalismus in bedeutsamer Weise, da die Erörterung der Frage nach der Ausgestaltung einer dafür tauglichen Staatsverfassung bei ihm bes. Aufmerksamkeit erfährt.

Was seine „kontrakttheoretische“ Komponente anbelangt, so ergänzt das Buchanansche Forschungsprogramm die Beiträge F. A. von Hayeks und der Freiburger Schule in wesentlicher Weise, indem es die normativen Grundlagen klärt, auf denen eine O. liberaler Prägung ruht. J. M. Buchanan weist darauf hin, dass das Kriterium der „individuellen Freiheit“, das in der liberalen Tradition üblicherweise als Maßstab zur Beurteilung sozialer Ordnungen herangezogen wird, nicht nur i. S. d. im Rahmen einer Rechtsordnung ausgeübten Privatautonomie verstanden werden sollte, sondern auch auf den politischen Prozess angewandt werden muss, in dem Entscheidungen über die Ausgestaltung der Rechtsordnung getroffen werden. Das Legitimationskriterium, nach dem im Rahmen der Privatrechtsordnung eingegangene Verpflichtungen beurteilt werden, nämlich ob diese auf der freiwilligen Zustimmung der Beteiligten beruhen, muss, so argumentiert J. M. Buchanan, konsistenterweise auch als Legitimationskriterium in der Politik gelten. Und so wie für soziale Transaktionen im Rahmen der Rechtsordnung – paradigmatisch illustriert durch den Markttausch – deren allseitige Vorteilhaftigkeit aus der freiwilligen Zustimmung gefolgert wird, so kann nach J. M. Buchanan nur die freiwillige Zustimmung aller Beteiligten das letztendliche Kriterium dafür sein, ob der Regelrahmen der Rechtsordnung dem „Gemein-“ oder „Gesamtinteresse“ dient. Mit der systematischen Übertragung des Zustimmungskriteriums vom Bereich privatrechtlicher Vereinbarungen im Markt auf die Politik hat J. M. Buchanan nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Klärung der normativen Grundlagen der O. geleistet, er hat auch der traditionellen liberalen Theorie des Marktes eine auf den gleichen Wertprämissen beruhende Theorie der Demokratie (Demokratietheorien) an die Seite gestellt.

4. Ordnungsökonomik als angewandte Wissenschaft

O. ist eine angewandte Wissenschaft, sie untersucht den Zusammenhang zwischen Regelordnung und Handelnsordnung im Hinblick auf die Möglichkeiten, auf der Ebene der Handelnsordnung auftretende Probleme durch geeignete Änderungen im Regelrahmen zu beheben. In der Sprache der in der O. gerne verwandten Spielmetapher ausgedrückt: Sie fragt danach, wie man durch geeignete Änderungen in den Spielregeln zu einem „besseren Spiel“ kommen kann. Wie angewandte Wissenschaften generell, so geht auch die O. von der Wertprämisse aus, dass eine Lösung des von ihr behandelten Problems wünschenswert ist. Dass sie in diesem Sinne eine Wertprämisse unterstellen, bedeutet keineswegs, dass angewandte Wissenschaften in den Aussagen, die sie über mögliche Problemlösungen treffen, nicht den üblichen Anforderungen wertfreier Wissenschaft genügen würden. Es bedeutet lediglich, dass ihre Aussagen nur für Adressaten von Interesse sein werden, die das in Frage stehende Problem für lösungsbedürftig erachten.

Wenn die in diesem Beitrag behandelte O. als liberal zu klassifizieren ist, so folgt daraus durchaus nicht, dass es bei ihr um eine Werturteile treffende, „normative“ Ökonomik ginge. Es bedeutet lediglich, dass sie als ihren Forschungsgegenstand die Probleme wählt, die sich für ein liberales Gemeinwesen stellen, ein Gemeinwesen, dessen Mitglieder ihr Zusammenleben als Gleichfreie und Gleichberechtigte durch freiwillige Verträge koordinieren. Die Hypothesen, die sie zu der Frage formuliert, wie der Regel- oder Ordnungsrahmen eines solchen Gemeinwesens zum wechselseitigen Vorteil aller Beteiligten gestaltet werden kann, sind, wie wissenschaftliche Hypothesen ansonsten auch, kritisch-rationaler Prüfung zu unterwerfen. Sie werden freilich nur bei denjenigen Interesse finden, die die Fragestellung für erörternswert halten.