Wehrrecht

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1. Begriff

Der Begriff des W.s hängt eng mit dem Verfassungsbegriff der „Verteidigung“ zusammen, freilich ohne den in Art. 73 Abs. Nr. 1 GG der Verteidigung zugeordneten Schutz der Zivilbevölkerung (Zivilschutz). Andererseits greift die Anknüpfung an den Verteidigungsbegriff zu kurz, weil dieser sich nur auf die Verteidigung gegen einen militärischen Angriff von außen bezieht, nicht aber auf den Einsatz der Streitkräfte in sonstigen Konstellationen (innerer Notstand). Der Begriff des W.s bestimmt sich jedoch sinnvollerweise nicht situativ, sondern anhand des militärischen Instrumentariums. W. in diesem Sinne ist die Gesamtheit der Rechtsnormen, die das militärische Instrumentarium der BRD regeln – also den Bestand und Status, die Organisation und Administration sowie den Einsatz der deutschen Streitkräfte.

Abzugrenzen ist das W. u. a. vom Notstandsrecht (Notstand). Beide Materien überschneiden sich, soweit es um Einsatz oder Organisation des Militärs in Notstandslagen geht. Nicht zum W. zu rechnen sind hingegen die sonstigen Notstandsregelungen, die nicht-militärische Konsequenzen des Notstandes zum Gegenstand haben – auch dann, wenn es sich um eine militärisch bedingte Notstandslage handelt (Verteidigungsfall, Art. 115a–115l GG).

2. Entstehung und Regelungsebenen

Das heutige W. der BRD ist ein Produkt der Nachkriegszeit. Unter dem Gesichtspunkt der Regelungsstufe lässt sich das direkt im GG angesiedelte Wehrverfassungsrecht vom einfachgesetzlichen W. unterscheiden, das systematisch im Wesentlichen ein Teilgebiet des besonderen Verwaltungsrechts darstellt. Es ist wiederum durch zahlreiche Rechtsverordnungen und Dienstvorschriften näher ausgestaltet. Zum Regelungsbestand des Wehrverfassungsrechts zählen die grundgesetzlichen Vorgaben zum Auftrag und Einsatzbereich der Bundeswehr (Art. 87a, 35 Abs. 2 f. sowie Art. 26 GG), zu organisationsrechtlichen Grundlagen (Art. 45a f., 65a, 73 Abs. 1 Nr. 1, 87b, 96 Abs. 2, 115b GG) und zur Rechtsstellung des Wehrpflichtigen bzw. Soldaten (Art. 12a i. V. m. 4 Abs. 3 sowie 17a GG). Die genannten wehrverfassungsrechtlichen Artikel sind – mit wenigen Ausnahmen – erst nachträglich in mehreren Novellierungsschüben in das GG aufgenommen worden. Dies geschah in den Jahren 1954, 1956 und 1968 im Zuge der Entscheidung für eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik sowie im Rahmen der Notstandsverfassungsgebung (Notstand).

Im weiten Sinne können zum W. auch die auf das militärische Instrumentarium bezogenen Regeln des internationalen Rechts gerechnet werden, insb. soweit das nationale Recht sie übernimmt. Dazu gehören namentlich die völkerrechtlichen Normen zum ius ad bellum und zum ius in bello (Recht des bewaffneten Konflikts [ Krieg ] bzw. humanitäres Völkerrecht), aber auch solche zur internationalen militärischen Kooperation oder Integration (Bündnispolitik).

3. Inhalt und Systematik

Weder im GG noch im einfachen Recht ist das W. systematisch zusammengefasst oder kodifiziert worden, sondern findet sich verstreut über eine Vielzahl von Verfassungsartikeln und Gesetzen. Systematisch lässt sich das unterverfassungsrechtliche W. weiter untergliedern:

a) Wehrdienstrecht, das die Begründung und Beendigung des Soldatenstatus zum Gegenstand hat. Darunter fällt die obligatorische Heranziehung im Rahmen der Wehrpflicht (Art. 12a GG, WPflG) oder die Möglichkeit eines freiwilligen Wehrdienstes durch Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten (SG).

b) Statusrecht, das die Rechtsstellung des Soldaten mit seinen staatsbürgerlichen und dienstrechtlichen Rechten und militärischen Pflichten regelt. Dieses Statusrecht ist überwiegend im SG zusammengefasst. Daneben existieren weitere Rechtsgrundlagen für die Besoldung und Sozialleistungen (SVG, WSG, BBesG).

c) Rechtsschutzverfahren, das dem Soldaten – in Ergänzung des normalen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – ein verfahrensrechtlich abgesichertes Beschwerderecht gegenüber Verletzungen seiner Rechte durch Vorgesetzte, Dienststellen oder Kameraden gewährleistet (WBO). Im weiteren Sinne zählt auch die Möglichkeit der Eingabe beim Wehrbeauftragten hierhin.

d) Wehrdisziplinar- und Wehrstrafrecht (Militärstrafrecht), das den Soldaten zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung einem besonderen disziplinar- und strafrechtlichen Sanktionensystem unterwirft (WDO, WStG).

e) Befugnisnormen, die allerdings nur vereinzelt existieren (UZwBwG zur Eigensicherung im Wachdienst und in militärischen Bereichen; LuftSiG für die Sicherung des Luftraums).

4. Bedeutung

Das W. hat die Aufgabe, das militärische Instrumentarium des Staates in einer rechtsstaatlich überzeugenden Form rechtlich zu durchdringen und zu steuern. Traditionell war die Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien (Rechtsstaat) und rechtlicher Bindungen für das Militär stark ausgedünnt. Geprägt durch historische Erfahrungen hat die bundesrepublikanische Wehrverfassungs- und Wehrgesetzgebung sich davon entschieden gelöst. Sie gesteht den Streitkräften keine institutionelle Sonderrolle mehr zu, sondern gliedert das Militär – stärker als die meisten anderen Staaten – konsequent in die allgemeine institutionelle und normative Ordnung des demokratischen Verfassungsstaates ein. Dies zeigt sich zum einen in der starken Betonung der individuellen und bürgerlichen Rechtsstellung des Soldaten, zum anderen in der parlamentarischen Kontrolle und verfassungsrechtlichen Einhegung der Streitkräfte. Charakteristische Merkmale sind v. a. das gesetzliche Leitbild der „Inneren Führung“ und des „Staatsbürgers in Uniform“ mit voller Grundrechtsberechtigung (§ 6 SG), die Institution des Wehrbeauftragten (Art. 45b GG), die verfassungsrechtliche Festschreibung des Aufgabenspektrums (Art. 87a GG) oder der vom BVerfG entwickelte Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze (grundlegend BVerfGE 90,286). Dabei sind allerdings den Funktionsbedürfnissen und strukturellen Besonderheiten der Streitkräfte Rechnung zu tragen. Das W. muss die Balance wahren, die Streitkräfte in den Verfassungsstaat zu integrieren, ohne ihre Fähigkeit zur Erfüllung ihres militärischen Auftrages zu beschädigen.