Demokratietheorien

  1. I. Politikwissenschaftlich
  2. II. Philosophisch

I. Politikwissenschaftlich

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Politikwissenschaftlich ist D. der Sammelbegriff für empirisch-analytische und normative Theorien über Formen, Herkunft, Entwicklung, Funktionsvoraussetzungen, Dauerhaftigkeit, Stabilität und politische Leistungsprofile der Demokratie. „Theorie“ meint dabei die anhand bewährter wissenschaftlicher Methoden und Kriterien erfolgende systematische, nachprüfbare „Art und Weise des Beobachtens, des Fragens und des Antwortens“ (Willke 1993: 9) von Fachgelehrten (Wissenschaft).

Dreierlei trägt die Politikwissenschaft zu den D. bei: Erstens untersucht sie die Rolle der Politik in der Demokratie, und zwar in institutioneller, prozessualer und entscheidungsinhaltlicher Hinsicht. Ihre institutionellen Beiträge erörtern insb. Spielregeln und Formen der Demokratie (Institution). Ihre prozessorientierten Ausführungen hingegen begreifen die Demokratie als Forum, Arena oder Markt. Auf den Entscheidungsinhalt gerichtete D. der Politikwissenschaft schließlich analysieren die Produkte und Ergebnisse der Regelung öffentlicher Probleme in demokratischen Regimen. Zweitens steuert die Politikwissenschaft Erkenntnisse der vergleichenden Demokratieforschung, einschließlich des Demokratie-Autokratie-Vergleichs (Regierungssysteme), zu den D. bei. Drittens ergänzt die Politikwissenschaft die D. durch eine Stärken- und Schwächenanalyse der Demokratie im Lichte von Kriterien „politischer Produktivität“. Bei allen politikwissenschaftlichen Beiträgen zu den D. kommen sowohl empirisch-analytische Theoreme als auch normative, meist ideengeschichtlich fundierte Lehren zum Zuge. Die empirisch-analytischen Beiträge zielen auf eine am naturwissenschaftlichen Modell (Naturwissenschaften) ausgerichtete Beschreibung und Erklärung, während die normativen Theorien nach politiktheoretisch (Politische Theorie) oder philosophisch (Philosophie) begründeter Bewertung von Ist- und Sollzuständen demokratischer Ordnungen (Ordnung) und Ideengebäude streben.

1. Institutionelle, prozessuale und entscheidungsinhaltliche Perspektiven – Fallanalysen und vergleichende Studien

1.1 Institutionelle Perspektiven

Die institutionellen Beiträge der Politikwissenschaft erörtern v. a. die verschiedenen Formen der Demokratie wie Repräsentativ- und Direktdemokratie, Mehrheits- und Verhandlungsdemokratie und defekte v intakte verfassungsstaatliche Demokratien sowie die Spielregeln der Volksherrschaft. Zu den demokratischen Spielregeln zählen in den liberalen Demokratien des Westens insb.

a) die Herrschaft der Vielen anstelle der Herrschaft der Wenigen oder der Einerherrschaft,

b) die Freiheit und politische Gleichheit aller Wahlberechtigten, heutzutage i. d. R. aller erwachsener Staatsbürger (Staatsangehörigkeit),

c) die Volkssouveränität, die ihr Maximum in der Demokratie als „Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“ (so der US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln 1863) erreicht,

d) das Streben nach legitimer Herrschaft (Legitimität),

e) ein offener Meinungs- und Willensbildungsprozess,

f) gesicherte Existenz und faire Mitwirkungschancen der Opposition sowie

g) die durch Verfassung und „checks and balances“ gegebene Begrenzung demokratischer Entscheidungsspielräume.

Spielregeln ermöglichen bestimmte Wahlhandlungen und begrenzen andere. Die demokratischen Spielregeln ermöglichen bspw. die politische Beteiligung von Staatsbürgern, gleichviel ob arm oder reich, und ihren Parteien und Verbänden in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß. Zugleich begrenzen sie, insb. durch rechtsstaatliche Vorgaben (Rechtsstaat) und Gewaltenteilung horizontaler und vertikaler Art, den demokratisch entscheidbaren Spielraum. Die demokratischen Spielregeln prägen auch die Staatstätigkeit – wie die Selektoratstheorie zeigt: Zentral sind dieser Theorie zufolge das „Elektorat“ (die Wahlberechtigten), das „Selektorat“ (diejenigen Mitglieder des Elektorats, die tatsächlich die politische Führung eines Landes wählen) und die „Gewinnerkoalition“, (d. h. die Gruppe, deren Unterstützung für den Machterhalt eines politischen Führers essentiell ist). Während die meisten Autokratien ein relativ großes Elektorat, eine sehr kleine Gewinnerkoalition und meist ein relativ kleines Selektorat ihr eigen nennen, ist in den Demokratien das Elektorat sehr groß, das Selektorat je nach Wahlbeteiligung ebenfalls umfänglich und auch die Gewinnerkoalition von beachtlicher Größe: Je nach politischem System umfasst sie zwischen 1/4 und mehr als der Hälfte der Wahlberechtigten (Bueno de Mesquita/Smith 2011: 5–11). Weil die Gewinnerkoalition für den Machterhalt essentiell ist, wird sie von den Regierenden bevorzugt behandelt. Und weil die Gewinnerkoalition und das Selektorat in den Demokratien groß sind, müssen ihre Mitglieder von den Regierenden zwecks Machterhalts mit attraktiven Gütern versorgt werden. Das geschieht im Wesentlichen durch die Bereitstellung von öffentlichen Gütern – im Unterschied zu den Autokratien, deren kleine Gewinnerkoalition meist mit privaten Gütern ausgestattet wird. Allein hierin sieht die Selektoratstheorie eine Ursache der umfänglichen öffentlichen Daseinsvorsorge und der weit ausgebauten Sozialpolitik der meisten Demokratien. Beide wird man allerdings ohne andere Demokratiemerkmale – wie den Wettbewerb insb. zwischen sozialstaatsfreundlichen Parteien (Sozialstaat) und das größere Engagement der „Konsensusdemokratien“ (A. Lijphart 2012) für Sozialpolitik – nicht hinreichend verstehen können.

Seit alters her sind die Spielregeln der Demokratie umkämpft. Zustimmung erhalten sie v. a. von jenen, die der Autonomie des Individuums und seiner gleichberechtigten Teilhabe am politischen Leben ebenso große Bedeutung zumessen wie dem Recht auf kollektive Selbstbestimmung einerseits und der kollektiven Wohlfahrtsmehrung (Wohlfahrt) andererseits. Kritiker der demokratischen Spielregeln hingegen befürchten ein anarchieanfälliges (Anarchie, Anarchismus) Übermaß an Freiheit, werten die politische Gleichheit aller Staatsbürger als Gleichmacherei, die weder ihre Qualifikation noch ihre Informiertheit (Information) berücksichtigt, vermissen das Kriterium der Tugendhaftigkeit (Tugend) bei Herrschern und Beherrschten, und sehen im demokratischen Regieren letztlich nur das selbstbezügliche, unstetige, krisenanfällige (Krise) Treiben der jeweils herrschenden Mehrheit.

1.2 Prozessuale Perspektiven

Die Lehre von der Demokratie als Forum ist einer der zentralen prozessorientierten Beiträge der Politikwissenschaft zu den D. Dieser Lehre zufolge ist die Beteiligung der Staatsbürger an der Aussprache, der Willensbildung und der Entscheidungsfindung über öffentliche Angelegenheiten ein bes.r Wert. Die politische Beteiligung ermögliche Selbstverwirklichung und könne zudem die Staatsbürger schulen und erforderlichenfalls umerziehen, bspw. vom egoistischen Bourgeois zum gemeinwohlorientierten Citoyen, so eine auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehende Idee. Weiterentwickelt wurde die Lehre von der Demokratie als Forum in der „partizipatorischen D.“ (Pateman 1970). Diese sieht in anspruchsvoller politischer Beteiligung von möglichst vielen an möglichst vielen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens ein bes. hohes Gut. Mit politischer Beteiligung und beratender Rede argumentieren hingegen die Vertreter der deliberativen D. Sie erhoffen sich von – idealerweise herrschaftsfreier – verständigungsorientierter Kommunikation eine weitgehend authentische politische Willensbildung und im Ergebnis eine bessere Politik als ohne Deliberation (Habermas 1999).

Eine zweite prozessuale Theorie deutet die Demokratie als eine Arena für Machtkämpfe. Die Demokratieanalyse in Karl Marx’ Politischen Schriften (Marxismus) liefert ein Beispiel. K. Marx zufolge macht das allg.e Wahlrecht eine bürgerliche Republik revolutionsreif (Klassenkampf). Die unteren Klassen – Proletariat, Bauern und Kleinbürger – setze die Republik durch das allg.e Stimmrecht „in den Besitz der politischen Macht“ (Marx 1970: 157). Und der bislang herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, „deren alte gesellschaftliche Macht sie sanktioniert, (…) entzieht sie die politischen Garantien dieser Macht. Sie zwängt ihre politische Herrschaft in demokratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Sieg verhelfen und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellen“ (Marx 1970: 157 f.). Damit stehen die bürgerliche Gesellschaft und ihre Basis, die kapitalistische Produktionsweise (Kapitalismus), selbst zur Disposition. Das ist eine sensationelle Umkehrung des Basis-Überbau-Theorems: Denn nun bestimmt nicht länger die ökonomische Basis die weitere Entwicklung, sondern die Politik!

Eine dritte prozessorientierte Theorie begreift die Demokratie als einen politischen Markt. Der Urheber dieser Theorie ist Joseph Alois Schumpeter, dessen Capitalism, Socialism and Democracy (1942) die Grundlage für die Economic Theory of Democracy (Downs 1957) wurde. J. A. Schumpeter definierte die Demokratie als eine Methode, bei der die Kandidaten für politische Führungspositionen mittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen der Wähler werben, und zwar mit dem Ziel, die Macht für politische Entscheidungen zu erwerben. Nicht um Gemeinwohl geht es den politischen Führern, sondern um Machterwerb, -erhalt und -ausübung. Das ist die Münze, die nach J. A. Schumpeter – und später bei Anthony Downs – in der Demokratie zählt. Der eine handelt mit Öl, der andere mit Stimmen. So heißt es an einer anderen Stelle in J. A. Schumpeters einflussreichem Werk, das als Exempel eines minimalistischen Demokratiebegriffs gilt und als Grundlage der „empirischen D.“ (Cnudde/Neubauer 1969), die sich als die bessere Alternative zur „normativen D.“ (Lembcke u. a. 2012) versteht, gewertet wird. A. Downs hat J. A. Schumpeters Gedankengang auf die Welt des Parteienwettbewerbs um Wählerstimmen übertragen und zugespitzt. Wie J. A. Schumpeter weist auch A. Downs die Vorstellung zurück, die Regierenden und die Regierten handelten aus gemeinwohlorientierten Motiven und plädiert für eine „zynischere Sicht der Dinge“ (Downs 1993: 197): Auf dem Markt der Demokratie konkurrierten eigennutzenmaximierende Parteien und Politiker als Anbieter um eigennutzenmaximierende Wähler als Kunden. Gesamtgesellschaftliche Belange kämen günstigstenfalls nur als Nebenprodukte von Handlungen zustande, die auf Macht- oder Vorteilserwerb gerichtet sind.

1.3 Entscheidungsinhaltliche Perspektiven

Vom Inhalt demokratischer Entscheidung handelt ein dritter Zweig der politikwissenschaftlichen D. Zu ihnen gehört die – auf dem internationalen Vergleich basierende – Parteiendifferenztheorie (Hibbs 1977). Ihr zufolge hinterlassen Regierungsparteien je nach ihrer politisch-ideologischen Färbung und ihren Wählerschaften meist spezifische Spuren in der Staatstätigkeit. Der Sozialpolitik bspw. bes. förderlich sind v. a. Staaten (Staat) mit hohem, unter anderem demographisch bedingtem Bedarf an Sozialleistungen einerseits und einem Parteiensystem mit starken Sozialstaatsparteien christdemokratischer und sozialdemokratischer Art und schwachen marktfreundlichen Parteien andererseits. Unter solchen Bedingungen investiert der Gesetzgeber in großem Umfang in Systeme der sozialen Sicherung und in die sozialpolitische Regulierung der Arbeitswelt (Arbeitsrecht).

Die vergleichende Demokratieforschung weist ebenfalls überzufällige Politikwirkungen nach. Eine weit ausgebaute Direktdemokratie wie in der Schweiz bspw. bremst tendenziell sowohl den Aus- als auch den Rückbau der Staatstätigkeit. Und anhand eines internationalen Vergleichs hat Arend Lijphart die These entwickelt, dass die „Konsensusdemokratien“ die „Mehrheitsdemokratien“, die lange als leistungsfähiger galten, in vielerlei Hinsicht übertreffen: Sie sind „besser beim Repräsentieren“ (Repräsentation) und „besser beim Regieren“ – gemessen etwa an der Effektivität des Regierens, der Korruptionskontrolle (Korruption) und der Inflationsbekämpfung (Inflation). Zudem stünden sie für eine „freundlichere, sanftere Demokratie“ (Lijphart 2012: 274 f., 263): Konsensusdemokratien sind sozial- und umweltpolitisch (Umweltpolitik) stärker engagiert, sie sperren weniger Leute ins Gefängnis, verhängen keine Todesstrafe, und engagieren sich stärker als andere Staaten in der Entwicklungshilfe für ärmere Länder (Entwicklungspolitik).

2. Demokratie-Autokratie-Vergleich

Ein bes.r Schwerpunkt der vergleichenden Demokratieforschung ist seit geraumer Zeit der Demokratie-Autokratie-Vergleich. Er knüpft an die nach dem britischen Premier Winston Churchill benannte These an, wonach die Demokratie eine ziemlich schlechte Staatsverfassung sei, aber besser als alle anderen Regierungsformen, die bislang ausprobiert wurden (Regierungssysteme). Für diese Sicht der Dinge spricht manches, aber nicht alles.

Für den „Vorsprung der Demokratie“ (Halperin/Siegele/Weinstein 2010) vor den Nichtdemokratien spricht, dass sie im Lichte von Prüfsteinen der „Politischen Produktivität“ (Almond/Powell 1996: 144) oft vorteilhaft abschneidet: Die Demokratie sorgt für mehr Freiheit und für politische Gleichheit der Staatsbürger. Auch garantiert sie ein höheres Maß an Sicherheit der Lebensführung für ihre Bürger und zügelt die Staatsgewalten zuverlässiger. Zudem beteiligt sie die große Masse der erwachsenen Bevölkerung an der Willensbildung und Entscheidungsfindung über öffentliche Angelegenheiten und erhöht damit zugleich die Chance der Schulung der Staatsbürger. Die politische Beteiligung, eine unabhängige Wissenschaft, unabhängige Richter und eine vitale Öffentlichkeit bringen außerdem ein vergleichsweise offenes und lernfähiges politisches System mit erheblicher Befähigung zur Fehlerkorrektur zustande. Zu den Stärken der Demokratie gehört, dass sie nicht nur auf traditionale und mitunter auf charismatische (Charisma) Legitimität zählen kann; in ihr kommt zudem – mehr als in den meisten anderen Regimen – die legale Herrschaft zum Zuge: die Anerkennungswürdigkeit und faktische Anerkennung der Herrschaft kraft Glauben an die Rechtmäßigkeit der gesatzten Ordnung, bspw. der Verfassung (Legalität). Für die Demokratie spricht ferner, dass sie Wahl und Abwahl (Wahlen) von Herrschern i. d. R. ohne Blutvergießen zustande bringt. Beachtung verdient zudem ihr außenpolitisches Profil (Außenpolitik): Zwar sind sie nicht prinzipiell friedfertiger als Nichtdemokratien, doch führen sie untereinander keine Kriege (Krieg).

Allerdings erstreckt sich der „Demokratievorsprung“ weder auf alle Politikfelder (Policy) noch auf alle Demokratien. Im Wesentlichen können sich nur die intakten, verfassungsstaatlichen Demokratien, bspw. die westeuropäischen und nordamerikanischen Staaten, eines Leistungsvorsprungs vor Autokratien rühmen – v. a. im sozial- (Sozialpolitik), umwelt- (Umweltpolitik), bildungs- (Bildungspolitik) und forschungspolitischen Aktivitätsgrad, sodann beim Abbau von Gender-Ungleichheit (Gender Mainstreaming) sowie beim Schutz ihrer Bürger vor Gewalt. Erheblich schlechter schneiden die meisten defekten Demokratien ab. Bes. große Regimeunterschiede enthüllt somit erst die Gegenüberstellung von intakten Demokratien und den Autokratien, insb. den totalitären und den hochgradig repressiven autoritären Spielarten der Autokratie.

Zudem wird der „Demokratievorsprung“ bisweilen überschätzt: Gelobt wird die Demokratie mitunter für Leistungen, die nicht oder nicht vorrangig ihr zuzuschreiben sind, bspw. ein höherer Stand wirtschaftlicher Entwicklung oder ein intakter Verfassungsstaat.

3. Stärken– und Schwächenanalyse

Zur Stärken- und Schwächenanalyse der Demokratie trägt nicht nur der Demokratie-Autokratie-Vergleich bei. Weitere Erkenntnisse liefern empirisch-analytische Erkundungen der Entstehungs- und Funktionsbedingungen, bspw. der Nachweis der Politischen Kultur-Forschung (Politische Kultur), dass Modernisierung und die Ausbreitung pro-demokratischer Selbstentfaltungswerte den Weg für weitere Demokratisierungen (Demokratisierung) bahnen. Zur Stärken- und Schwächenanalyse tragen auch normative D. bei, die einen steilen Aufschwung erlebt und sich beispiellos ausdifferenziert haben: „Neben den klassischen Ansätzen […] wie der liberalen, elitären, konservativen, sozialistischen und partizipativen Demokratietheorie“ sind neue Strömungen hinzugekommen, unter ihnen „die deliberative, feministische, neorepublikanische, neoliberale, kommunitaristische, kosmopolitane, assoziative, grün-ökologische, subsidiäre, ethnozentristische, multikulturalistische, postmoderne, reflexive und die aleatorische Demokratietheorie“ (Buchstein 2013: 117) oder die der „Neodemokratie“ (von Beyme 2013). Im Zentrum vieler neuerer normativer D. stehen drei Streitfragen:

a) der Geltungsbereich von Demokratie – hier wird erörtert, auf welche soziale Gegenstandsbereiche sich die Demokratie bezieht, beziehen darf und soll: nur auf die Politik oder auch auf die Gesellschaft und die Wirtschaft? –,

b) die Partizipationsintensität der Demokratie (Partizipation) – hier wird erkundet, wer über was und wie stark beteiligungsberechtigt ist und wie der ideale Abstand zwischen Herrschenden und Beherrschten beschaffen sein soll –, und

c) der Rationalitätsgehalt der Demokratie: Hier wird untersucht, ob, und wenn ja: wie und unter welchen Bedingungen der demokratische Prozess ein Höchstmaß an Vernunft (Vernunft – Verstand) oder zumindest ein Optimum an Legitimität und Effektivität zustande bringen kann oder soll.

Viele normative D. eint die Überzeugung, es gäbe „keine empirisch stichhaltigere und keine theoretisch respektwürdigere Alternative zur Begründung und Rechtfertigung des kollektivbindenden Entscheidens durch den empirischen Willen der Bürger“ (Offe 1992: 126). Die grundsätzliche Zustimmung zur Idee schließt allerdings die radikale Kritik an ihrer Praxis nicht aus. Partizipatorischen und deliberativen Theorien zufolge sind die Selbstverwirklichungs-, Mitwirkungs- und Diskurschancen in den modernen Demokratien viel zu knapp bemessen. Etliche normative D. kritisieren zudem Exklusionstendenzen: Organisations- und konfliktschwache Gruppierungen kämen in ihr ebenso zu kurz wie die Interessen (Interesse) der nichtstaatsangehörigen Wohnbevölkerung (Staatsangehörigkeit) oder die Interessen zukünftiger Generationen (Generation). Dass sie zur Fassadendemokratie degeneriert sei, halten postmoderne Theorien den Demokratien der Gegenwart vor. Der Kritischen Theorie verwandte Demokratielehren betonen demgegenüber die Marktvermachtung auch in der Politik und kritisieren, in Weiterführung von Alexis de Tocquevilles Warnung vor der „Tyrannei der Mehrheit“, die Probleme der Mehrheitsregel – im Unterschied zur „Tyrannei der Minderheit“, die v. a. als ein Problem von Verhandlungsdemokratien gilt. Vertreter der Ökonomischen Theorie der Politik (Neue Politische Ökonomie) heben demgegenüber ein anderes Problem hervor: Schon geringfügige Variationen der Institutionen (Institution) und der Abstimmungsprozeduren können höchst unterschiedliche Abstimmungsergebnisse zustande bringen. Zudem stehen alle Demokratien vor der schwierigen Aufgabe, die Akzeptanz der Verlierer einer Wahl oder Abstimmung zu erlangen (Loser’s consent-Problem).

Spätestens seit John Stuart Mills Considerations on Representative Government (1861) treibt ein weiteres Problem v. a. die liberalen und die elitären Spielarten der normativen D. um: In der Demokratie wirken viele politisch inkompetente Bürger mit – eine Diagnose, die sich auch in J. A. Schumpeters D. wiederfindet, dort aber nur achselzuckend registriert wird. Doch die Inkompetenz wirft die seit der Geburt der Demokratie diskutierte Frage auf, wie die politische Gleichheit der Bürger ohne Würdigung ihrer Qualifikationen zu bewerten ist.

Wer eine Gesamtbilanz anstrebt, wird die tatsächlichen und die potenziellen Schwächen der Demokratie mit ihren faktischen und potenziellen Stärken verrechnen müssen. Ottfried Höffe, der diese Verrechnung gewagt hat, kam zum Ergebnis, dass die Demokratien sich vieler Vorteile vor Nichtdemokratien bei nahezu allen wichtigen Zukunftsgütern rühmen können, gleichviel ob es sich um Rechtsfrieden im Innern oder Frieden mit den Nachbarn handelt, um „Rechtskapital“, „Sozialkapital“, Humankapital oder „Kulturkapital“. Zudem profitierten die Demokratien von einem „Legitimitäts-“, „Wissens-“ und „Wirtschaftsvorsprung“ sowie von höherer Lernfähigkeit. Die Lobrede bedarf allerdings einer Eingrenzung. Sie passt nicht zu den zahlreichen defekten Demokratien, sondern nur für den Kreis der leidlich intakten, auch rechtsstaatlich (Rechtsstaat) gefestigten Demokratien, und auch dort nur für die außenpolitisch (Außenpolitik) friedfertigen Demokratien. Und selbst diese Regime sind nicht in allen Belangen allen Nichtdemokratien überlegen. Unter Letzteren gibt es manche, deren Governancequalität (Governance) und Wirtschaftsdynamik (Wirtschaftswachstum) auch mit den besten Demokratien mithalten können.

II. Philosophisch

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Philosophische D. untersuchen Demokratien v. a. in normativer Perspektive, z. T. auch indem sie deren historische Erscheinungsformen thematisieren. Daneben erklären und analysieren sie zentrale Elemente demokratischer Ordnung sowie Begriffe der D. und diskutieren notwendige und hinreichende Bedingungen für die Demokratie.

1. Geschichte

Bei Herodot ist um 430 v. Chr. der erste Gebrauch des Ausdrucks demokratia sowie eine Diskussion ihrer Vorzüge belegt. Er verbindet Demokratie eng mit der Gleichheit vor dem Gesetz und in der Besetzung politischer Ämter (Amt). Platon bietet eine erste ausführliche philosophische Untersuchung. Im „Politikos“ (303a) zeigt er Demokratie (wie auch Monarchie und Aristokratie) in einer idealen und in einer Verfallsform – wobei terminologisch nicht zwischen beiden Formen unterschieden wird. Unter den idealen Formen ist die Demokratie die schlechteste (weil sie aufgrund der unterschiedlichen Interessen [Interesse] der vielen Regierenden nur selten zu weitreichenden Entscheidungen [[[Entscheidung]]] führt), während sie als Verfallsform die am wenigsten problematische ist (wiederum wegen ihrer Entscheidungsschwäche). In der „Politeia“ (555b) führt Platon die Entstehung der Demokratie auf die Zügellosigkeit in der Oligarchie (der Verfallsform der Aristokratie) zurück, konstatiert allerdings zugleich, dass die demokratische Freisetzung von Freiheit selbst letztlich in Tyrannei umschlägt.

Aristoteles stellt in seiner Lehre von Regierungsformen in der „Politik“ (1278b) die Politie (als richtige Form der Volksherrschaft) der Demokratie (als Verfallsform) gegenüber. Beide unterscheiden sich dadurch, dass in der richtigen Form der Gesamtnutzen für das Gemeinwesen (Gemeinwohl) befördert wird, in der Verfallsform jedoch der Partikularnutzen (Nutzen) der (mehrheitlich) Armen im Volk. Allerdings präzisiert und relativiert Aristoteles diese Demokratiebestimmung im Verlauf seiner Ausführungen, so dass sie letztlich eine mittlere Regierungsform zwischen Politie und Ochlokratie (Pöbelherrschaft) ist. Er kritisiert somit das, was er als „Demokratie“ bezeichnet, aber nicht die Politie, also das, was gegenwärtig als Demokratie verstanden würde.

Im Spätmittelalter und der Renaissance bildet sich der Republikanismus als Ansatz heraus, der jegliche Herrschaft auf der Gesamtheit derjenigen gründet, die ihr unterworfen sind. Allerdings bedeutet diese Herrschaftsbegründung nicht, dass das Volk (allein) die Gesetze erlässt oder die Regierung ausübt; vielmehr steht im Anschluss an das antike Rom die Mischverfassung mit der Verbindung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente im Vordergrund. Jedoch werden wichtige Aspekte zukünftiger philosophischer D. entwickelt, wie etwa Status und Rolle von Bürgern (Bürger, Bürgertum) sowie Bindung der Regierungsausübung an Recht und Verfassung. Bis zu Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant wird „Demokratie“ problematisiert, wobei die Autoren darunter eine Regierungsform verstehen, in der das Volk alle Gewalten innehat und nicht nur Gesetze erlässt, sondern sie auch anwendet. Eine solche Vereinigung aller Gewalten macht diese Regierungsform zur Tyrannei, weil sie die Bindung der Herrschaft an das Recht aufhebt (Gewaltenteilung). J.-J. Rousseau schreibt jedoch dem Staatsvolk die Souveränität zu, was I. Kant aufgreift und zu einer Konzeption repräsentativer Demokratie weiterentwickelt.

Schon zur Zeit der Aufklärung setzt sich in der Philosophie eine Betrachtung der Demokratie durch, die sie nicht mehr mit einer direkten Regierung durch das Volk identifiziert. So wird z. B. von John Stuart Mill erörtert, wie die Gesamtheit einer Bevölkerung in ihrer Heterogenität in der Gesetzgebung repräsentiert und an der Auswahl der Regierenden (Wahlen) beteiligt werden kann. Karl Marx initiiert eine Kritik der Demokratie, die einerseits deren begrenzte Reichweite angesichts ökonomischer Abhängigkeiten unterstreicht, andererseits deren Radikalisierung fordert. Während im anglo-amerikanischen und im französischen Raum die Demokratie zunehmend zentral für die Philosophie insgesamt wird, ist in der deutschsprachigen Philosophie auch die Kritik bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs stark vertreten.

2. Aktuelle Kontroversen

Gegenwärtig stehen insb. fünf Themen im Zentrum philosophischer D.:

2.1 Instrumentalität oder Eigenwert der Demokratie

Politische Ordnungen können dazu dienen, Zwecke (bestmöglich) zu erreichen, die außerhalb dieser Ordnung bestimmt wurden, sie können aber auch an sich geboten sein. Die Notwendigkeit von Demokratie wird demgemäß instrumentell oder nicht-instrumentell begründet: Instrumentelle Begründungen betonen die Funktion demokratischer Verfahren (z. B. von Abstimmungen oder Beratungen), Stabilität zu erzeugen oder die Qualität politischer Entscheidungen zu verbürgen. Wenn die Stabilität eines Gemeinwesens wesentlich davon abhängt, dass relevante Interessen (Interesse) all jener berücksichtigt werden, die in ihm leben, dann wird dies, argumentieren die einen, von demokratischen Verfahren besser geleistet als von alternativen Settings. Für andere müssen politische Entscheidungen gesellschaftliche Probleme lösen, und demokratische Verfahren führen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu richtigen oder adäquaten Lösungen als andere Entscheidungsmodi.

Zwischen instrumentellen und nicht-instrumentellen Rechtfertigungen stehen „politische“ oder „rein instrumentelle“ D. Ihre Autoren nehmen z. T. an, dass es normative Wahrheiten gibt, gehen aber von der Fallibilität vorgebrachter Positionen aus und folgern, dass niemand für sich reklamieren kann, sicher Wahrheiten gefunden zu haben. Unter solchen Bedingungen, so die Argumentation des „epistemischen Prozeduralismus“ (Estlund 2008), bietet die Demokratie entweder das fairste Verfahren, um Koexistenzregeln festzulegen, oder sie führt sogar mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu normativ richtigen Entscheidungen. Diese Ansätze teilen mit instrumentellen Theorien die Auffassung, dass der eigentliche Standard für legitime Handlungen, politische Ordnungen etc. nicht von der Demokratie abhängt. Im Unterschied dazu unterstreichen sie jedoch die genuine und kaum ersetzbare Leistung der Demokratie in der Annäherung an diesen Legitimitätsstandard bzw. dessen Ersatz unter andauernden normativen Differenzen.

Ansätze, die der Demokratie Eigenwert zuschreiben, vertreten oft normativ konstruktivistische Positionen (Konstruktivismus). Sie gehen davon aus, dass Standards für die Richtigkeit bzw. Legitimität politischer Entscheidungen nicht an sich erkannt werden können, sondern aus Verfahren resultieren, an denen alle beteiligt waren, die ihnen unterworfen sind. Demokratische Verfahren sind also geboten, um Prinzipien und Regeln zu erzeugen, die legitimerweise Befolgung erwarten können. Thomas Christiano unterstreicht die intrinsische Gerechtigkeit demokratischer gleicher Beteiligung und Gleichbehandlung (Gleichheit), ohne dabei davon auszugehen, dass Demokratien bes. qualifizierte Normen erzeugen. Neo-aristotelische oder radikaldemokratische Autoren verweisen auf die bes. enge Verbindung zwischen den Menschen kennzeichnenden Vermögen und demokratischer Teilhabe. Der Eigenwert der Demokratie ergibt sich für sie aus ihrer Erforderlichkeit, damit Menschen ihre Vermögen ausüben, die daran hängende Tugendhaftigkeit (Tugend) ausbilden oder gemeinsam mit anderen die Welt gestalten können.

2.2 Repräsentation oder Delegation

Moderne Demokratien werden oft als „repräsentativ“ bezeichnet, um festzuhalten, dass nicht alle direkt an der Gesetzgebung beteiligt sind, sondern Interessen und Präferenzen durch Repräsentanten eingebracht werden. Die jüngere philosophische D. problematisiert diese Idee einer „Abbildung“ von Interessen in drei Hinsichten: Erstens wird die Unterstellung kritisiert, dass Interessen vorpolitisch bereits vorliegen und sowohl intra-, als auch interpersonell so einheitlich und kompatibel sind, dass sie repräsentiert und in den demokratischen Prozess eingespeist werden können. Dagegen hält Christoph Möllers fest, dass die politische Artikulation von Anliegen expressiv zu verstehen ist. Politische Willens- und individuelle Interessensausbildung bedingen sich wechselseitig, und die Legitimität demokratischer Verfahren kann nicht ex ante an ihrer vermeintlichen Responsivität gegenüber Interessen bemessen werden. Zweitens zeigt eine genauere Betrachtung demokratischer Verfahren, dass selbst wenn Interessen in sie eingespeist werden, Entscheidungen (Entscheidung) nicht (direkt) auf sie zurückführbar sind. Die Öffentlichkeit vieler Verfahren sowie ihre Ausrichtung auf umsetzbare Maßnahmen haben wenigstens teilweise zur Konsequenz, dass Interessen auch keine Berücksichtigung finden, ohne dass dies für die Legitimität der Verfahren ein Problem darstellt. Drittens konstatiert Philip Pettit, wie schon früher Benjamin Constant, dass „Repräsentation“ weder den Wahlvorgang, noch das Selbstverständnis von Abgeordneten (Abgeordneter) adäquat erfasst. Vielmehr wird die Mitberatungs- und Mitentscheidungsberechtigung temporär abgetreten, also jemand zur Teilhabe an den Verfahren entsandt (Delegation), der sich in ihnen – auch mit Blick auf zukünftige Wahlen – i. S. d. Entsendenden einbringt.

2.3 Aggregation oder Deliberation

Die Relevanz von Interessen thematisiert ein weiterer Debattenstrang: Demokratie wird liberal-pluralistisch (Liberalismus, Pluralismus) oft so verstanden, dass sie unterschiedliche Interessen zu für alle akzeptablen Entscheidungen zusammenführt. Sie wäre somit ein Verfahren, das Interessen aggregiert, indem es Überschneidungen und Kompromisse (Kompromiss) findet. Gegen diese Vorstellung wenden sich im Anschluss an Jürgen Habermas Ansätze deliberativer Demokratie, die sie durch ein genuin diskursives Verfahren (Diskursethik) charakterisieren. In ihm werden Interessen und Anliegen mit Gründen vorgebracht, deren Qualität in gemeinsamen Beratungen überprüft und Entscheidungen auf ihrer Basis (und nicht der Interessen) gefällt. Demokratien sollten dabei deliberativ verfasst sein (s. o.): Dies ist erforderlich für die intendierte Art technischer und normativer Entscheidungen. Zugleich garantiert eine solche Verfasstheit die einzig adäquate, gerechte oder richtige Einbeziehung aller in den demokratischen Prozess. Die Teilhabe aller an der Gesetzgebung ist dann realisiert, wenn jeder die Möglichkeit hat, relevante Gründe vorzubringen, die für jeweilige Fragen auf der demokratischen Agenda und für bzw. gegen Lösungen dieser Fragen sprechen, und überprüfen kann, ob Regierungshandeln bzw. Gerichtsurteile den deliberativ getroffenen Entscheidungen entsprechen. Die Forderung deliberativer Demokratie richtet sich somit nicht nur auf das Gesetzgebungsverfahren im engeren Sinn, sondern auf die Gesamtgestalt des politischen Systems.

2.4 Bürgerschaft

Klassisches Thema philosophischer D. ist die Rolle von Bürgern (Bürger, Bürgertum). Demokratien werden von ihren Bürgern getragen, aber sie ermöglichen es ihnen auch, an Entscheidungen teilzuhaben, und verleihen ihnen Rechte oder Privilegien. Diskussionen kreisen daher einerseits um Tugenden, die Bürger mitbringen müssen oder die eine Demokratie durch Erziehung bilden und erhalten sollte, oder auch um Rechte, die mit Bürgerschaft einhergehen und wer sie erhalten sollte. Andererseits steht aber auch das Spannungsverhältnis zwischen Erwartungen und Rechten im Fokus: Axel Honneth zeigt, dass „demokratische Sittlichkeit“ von Bürgern fordert, Rechte nicht individualistisch (Individualismus) misszuverstehen oder gar zu missbrauchen, während die Rechtelogik sowie ein liberales Verständnis demokratischer Ordnung es geradezu notwendig machen, den Bürgerschaftsstatus unabhängig von moralischen Einstellungen anderer Bürger oder Institutionen (Institution) zu garantieren. Bes. offensichtlich werden die unterschiedlichen Perspektiven bei der Frage, welche Ansprüche auf Bürgerschaft Migranten (Migration) erheben können: Für diejenigen, für die Bürger die Demokratie tragen, sprechen die Bedingungen, unter denen sich geteilte „Sittlichkeit“ reproduziert, dafür, Demokratien das Recht zuzusprechen, selbst zu entscheiden, wer zuwandern darf, während diejenigen, die den Bürgerstatus als Privileg erachten, fordern, dass er in einer gerechten Ordnung nicht an die Zufälligkeit des Geburtsorts gebunden sein kann. Weniger umstritten ist, dass zumindest bereits Zugewanderte Anspruch auf Bürgerschaft haben, wenn dies erforderlich ist, um ihre grundlegenden Rechte (Grundrechte) zu garantieren.

2.5 Verfassung und Politik

An die Frage nach dem Verhältnis von politischer Teilhabe und Gewährleistung von Rechten schließt auch eine letzte Kontroverse an, deren Ursprünge bis in die Französische Revolution und die Kritik an Menschenrechten zurückreichen, wie sie z. B. Jeremy Bentham geäußert hat, und bei der es um das Verhältnis der Verfassung und in ihr niedergelegter Grundrechte zur Kontingenz legislativer Verfahren geht. Auf der einen Seite finden sich Ansätze, demokratische Legitimität an einen allg. zustimmungsfähigen Verfassungsrahmen zu binden, der grundlegende Rechte und Minderheitenschutz (Minderheiten) verbürgt und „normaler Politik“ Entscheidungsgrenzen setzt. Auf der anderen Seite wird die Offenheit oder sogar Souveränität der Gesetzgebung betont und das umfassende Vermögen der legislativen Instanz, den öffentlichen Raum zu gestalten, so verstanden, dass es die Inklusivität der Demokratie bzw. die Möglichkeit sichert, Machtausübung abzuwehren und zu kontrollieren. Vermittelnde Positionen weisen ebenfalls den strikten Vorrang von Verfassungsnormen zurück, betonen aber die Bedeutung der Rechtsförmigkeit demokratischer Prozesse und darin liegende Grenzen für politische Institutionen, ihre Bürger zu beherrschen.

3. Post-Demokratie jenseits des Staates

Zu einem zentralen philosophischen Gegenstand ist die Demokratie erst seit der 2. Hälfte des 20. Jh. geworden, parallel zu ihrem politischen Siegeszug, der sie zur kaum bestrittenen einzig legitimen Form der Herrschaftsausübung (Herrschaft) gemacht hat. Diese Alternativlosigkeit hat angesichts der Globalisierung zu zwei kritischen Perspektiven geführt, die neue Dimensionen philosophischer Forschung eröffnen:

Erstens verweist Colin Crouch unter dem Titel „Postdemokratie“ auf den Abstand zwischen demokratischen Teilhabeansprüchen bzw. Gestaltungsversprechen und faktischen staatlichen Wettbewerbspolitiken. Dieser Diagnose zufolge treten medial vermittelte Inszenierung demokratischer Verfahren (Medialisierunge) und politische Entscheidungen auseinander, die ökonomische Ziele weitgehend unabhängig von ernsthafter gemeinsamer Willensbildung verfolgen. Dies wirft die Frage auf, ob neue Formen demokratischer Teilhabe ökonomische Entscheidungen (wieder) der Kontrolle durch diejenigen unterstellen können, die ihnen letztlich unterworfen sind.

Zweitens wird die Bindung demokratischer Verfahren und Institutionen an den Nationalstaat (Staat) problematisiert – einerseits aufgrund der Existenz trans- und supranationaler politischer Zusammenhänge (Supranationalität, Transnationale Beziehungen), an die ebenfalls Demokratisierungserwartungen (Demokratisierung) gerichtet werden, andererseits aber auch aufgrund internationaler Spannungen, die sich durch die Außenpolitiken (Außenpolitik) demokratischer Einzelstaaten ergeben. In Reaktion hierauf werden Modelle kosmopolitaner (Kosmopolitismus) oder transnationaler Demokratie entwickelt, die demokratische Verfahren und Institutionen zwischen und jenseits von Nationalstaaten anstreben.