Arbeitgeberverbände
A. sind frei gebildete und auf Dauer angelegte Interessengruppen von Unternehmen, welche die wirtschaftlichen und sozialen Belange ihrer Mitglieder gegenüber Gewerkschaften und Staat vertreten und die das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen haben. Sie agieren als Sprachrohr und Vertreter ihrer Mitgliedsunternehmen hauptsächlich in Fragen der Tarif–, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
1. Geschichte und Organisation
Der erste A. in Deutschland war der Deutsche Buchdruckerverein, der 1869 gegründet wurde. Die Bezeichnung A. wurde erstmals beim 1878 gegründeten Verein der Anhaltischen A. im Verbandsnamen verwendet. 1913 fusionierten die Spitzenverbände der Arbeitgeber zur Vereinigung der Deutschen A. Nach der 1933 erzwungenen Selbstauflösung der A. erfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg Neugründungen in Westdeutschland. Im Zuge der Deutschen Einheit wurden auch in Ostdeutschland A. gegründet. Rechtlicher Hintergrund ist die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Koalitionsfreiheit, die jedermann das Recht gibt, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“.
Die Organisationsstruktur der A. ist komplex, weil sie mehrere Ebenen umfasst und sowohl fachlichen als auch regionalen Abgrenzungen folgt. Die bundesweite Spitzenorganisation der privaten Arbeitgeber aus Industrie, Handwerk, Handel, Land- und Forstwirtschaft, Verkehr, Finanzwirtschaft und sonstigem Dienstleistungsgewerbe ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA. Im Jahr 2016 gehörten 50 Bundesfachverbände (wie z. B. Gesamtmetall) und 14 überfachliche Landesvereinigungen (z. B. die Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände) der BDA an. Insgesamt sind mehrere Hundert A. der BDA unmittelbar oder über ihre Mitgliedsverbände angeschlossen. Die BDA vertritt als Dachorganisation die branchen- und länderübergreifenden Interessen der privaten Arbeitgeber gegenüber Staat und Öffentlichkeit. Den Abschluss von Tarifverträgen überlässt sie jedoch ihren Mitgliedsverbänden. Ein weiterer wichtiger Dachverband von A. im privaten Sektor ist der Zentralverband des deutschen Handwerks. Nicht zur BDA gehören die öffentlichen Arbeitgeber, die verschiedene eigene Verbände gegründet haben, z. B. die Tarifgemeinschaft deutscher Länder oder die Vereinigung der kommunalen A.
Die Mitgliederstärke der A. in Deutschland ist schwer abzuschätzen, da für viele Branchen keine verlässlichen Daten vorliegen. Bekannt ist, dass Großunternehmen i. d. R. Verbandsmitglieder sind, während bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie bei ostdeutschen und bei Dienstleistungsunternehmen nur ein relativ kleiner Teil Mitglied in A. ist. Ungefähr seit Ende der 1980er Jahre scheint die Mitgliederstärke rückläufig zu sein, u. a. weil junge Unternehmen und solche aus den neuen Bundesländern oftmals auf einen Beitritt zu A. verzichten. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der Organisationsgrad der A. (d. h. der Anteil der Firmen, die Mitglied in einem A. sind) immer noch deutlich höher ausfällt als jener der Gewerkschaften.
2. Aufgaben und Aktivitäten
Historisch gesehen haben sich A. in Deutschland in erster Linie als Gegengewicht zu den Gewerkschaften und als Vertreter von Unternehmerinteressen gegenüber dem Staat herausgebildet. Allerdings dienen sie auch der überbetrieblichen Kommunikation und Koordinierung der Arbeitgeber und haben vielfältige Aufgaben im deutschen System der Arbeitsmarktregulierung. Im Rahmen der Tarifautonomie regeln A. gemeinsam mit Gewerkschaften selbständig und ohne staatliche Mitwirkung die Ausgestaltung der Löhne (Lohn) und Arbeitsbedingungen. Dazu schließen sie branchenspezifische Tarifverträge auf regionaler oder bundesweiter Ebene ab. Gemeinsam mit den Gewerkschaften wirken A. in vielen Selbstverwaltungsorganen wie z. B. der Sozialversicherung und der BA mit und verantworten mit diesen die Struktur des dualen Berufsbildungssystems (Berufliche Bildung). Sie schlagen ehrenamtliche Richter für die Arbeitsgerichte vor und werden vor arbeitsrechtlichen Änderungen (Arbeitsrecht) und wirtschaftspolitischen Entscheidungen (Wirtschaftspolitik) oft konsultiert, wobei sie einen intensiven Lobbyismus betreiben. (Lobby) Auch bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und der Festlegung des gesetzlichen Mindestlohnes werden Vertreter von A. einbezogen.
Ein existenzielles Grundproblem von A. besteht darin, dass ihre Hauptleistungen, nämlich Interessenvertretung und Abschluss von Tarifverträgen, sog.e öffentliche Güter darstellen, d. h. sie kommen auch Nicht-Mitgliedern zugute. Um dennoch Mitglieder gewinnen und halten zu können, bieten A. als selektive Anreize Dienstleistungen wie Rechtsberatung und Streikunterstützung an, die ausschließlich ihren beitragszahlenden Mitgliedern zur Verfügung stehen. Der Mitgliedsbeitrag eines Unternehmens hängt meist von der Zahl seiner Mitarbeiter oder vom Umsatz ab.
3. Probleme und Herausforderungen
A. stehen vor der schwierigen Aufgabe, die teils sehr heterogenen Interessen (Interesse) ihrer Mitglieder aufzugreifen, zu bündeln und durchzusetzen. So gibt es in vielen Branchen Interessenkonflikte in Fragen der Lohn- und Arbeitszeitpolitik, z. B. zwischen den häufig dominierenden Großunternehmen und kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen. Generell haben A. größere Probleme als Gewerkschaften, sich die Loyalität ihrer Mitglieder zu sichern.
Ein weiteres Problem von A. ist die teils geringe Zufriedenheit ihrer Mitglieder mit der oftmals von Großunternehmen geprägten Tarifpolitik und deren Ergebnissen. Als Reaktion auf die Kritik an ihrer Tarifpolitik beschritten die deutschen A. in den 1990er Jahren den Weg einer stärkeren Dezentralisierung, Differenzierung und Flexibilisierung der Lohnfindung. Damit soll den Betrieben mehr Spielraum bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen eingeräumt und einer Abwanderung von Mitgliedern vorgebeugt werden. Allerdings geht mit einer solchen Dezentralisierung auch eine Abnahme der Bedeutung von A. einher.
Angesichts von Unternehmensaustritten und rückläufigen Mitgliederzahlen flexibilisierten seit Anfang der 1990er Jahre zudem mehr und mehr A. ihre Verbandsmitgliedschaft. Da nicht alle Unternehmen an einer tarifpolitischen Vertretung durch die A. interessiert sind, haben viele A. die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT) geschaffen. Sie bieten ihren OT-Mitgliedern alle Dienstleistungen mit Ausnahme der Tarifpolitik an. Zudem wurden A. gegründet, die als OT-Verbände für alle Mitglieder nur nicht-tarifpolitische Dienstleistungen anbieten. Sie sind v. a. in Ostdeutschland von großer Bedeutung.
Neben der Mitgliedererosion und der zunehmenden Interessenheterogenität der Mitglieder stellen auch latente Koordinierungs- und Integrationsprobleme zwischen Dachverbänden und Regionalverbänden sowie Veränderungen im sozio-ökonomischen Umfeld die A. vor neue Herausforderungen. Insgesamt gehen all diese Entwicklungen mit einer schwindenden Bindungs- und Durchsetzungskraft der A. einher. Die Konfliktfähigkeit von A. scheint abgenommen zu haben, was auch im weitgehenden Verzicht auf Aussperrungen als Reaktion auf gewerkschaftliche Streiks zum Ausdruck kommt (Arbeitskampf). Dennoch sollte die Bedeutung von A. im System der Arbeitsbeziehungen in Deutschland nicht unterschätzt werden. Die von ihnen mit Gewerkschaften ausgehandelten branchenweiten Tarifverträge spielen immer noch direkt oder indirekt für die große Mehrheit der Beschäftigten eine wichtige Rolle, da sie auch für nicht formal tarifgebundene Unternehmen einen wichtigen Anker der Lohnsetzung darstellen.
Literatur
W. Schroeder/S. J. Silvia: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, in: W. Schroeder (Hg.): Handbuch der Gewerkschaften in Deutschland, 22014, 337–365 • W. Schroeder/B. Wessels (Hg.): Handbuch Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland, 2010 • C. Schnabel: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung 38/2+3 (2005), 181–196.
Empfohlene Zitierweise
C. Schnabel: Arbeitgeberverbände, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Arbeitgeberverb%C3%A4nde (abgerufen: 22.11.2024)