Währungsunion
Eine W. ist ein Zusammenschluss von mehreren souveränen Staaten zur Etablierung einer gemeinsamen Währung oder unwiderruflich fester Wechselkurse. Da nur eine Währungs- und Geldpolitik für die gesamte W. gelten kann, geht mit der Einführung einer gemeinsamen Währung ein Verzicht auf nationale Souveränität seitens der beteiligten Länder einher.
Bei einer informellen W. entscheidet sich ein Staat unilateral, die Währung eines anderen Staates als gesetzliches Zahlungsmittel zu verwenden, z. B. Ecuador (US-Dollar) oder Montenegro (Euro). Einer formellen W. liegt wie im Falle der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) ein Vertrag zugrunde. Eine W. kann die Vorstufe oder Teil eines politischen Zusammenschlusses zu einem Land mit einer gemeinsamen Wirtschafts-, Finanz- und Außenpolitik sein. So entstand mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der BRD und der DDR im Mai 1990 eine W., die mit der deutschen Wiedervereinigung am 3.10.1990 endete (Deutsche Einheit).
Viele kleine Staaten wie San Marino (Euro), Tuvalu (Australischer Dollar) oder Lesotho (Südafrikanischer Rand) verwenden die Währung eines großen Währungsgebiets, mit dem intensive Wirtschaftsbeziehungen bestehen. In Europa haben sich Stand 2020 19 Mitgliedsländer der EU zur Europäischen W. zusammengeschlossen (multilaterale W.), die im AEUV verankert ist. Die Mitgliedstaaten der EU sind (außer Dänemark) zur Mitgliedschaft in der Europäischen W. verpflichtet, wenn sie bestimmte Kriterien (Maastricht-Kriterien) erfüllen. Die Westafrikanische bzw. Zentralafrikanische Wirtschafts- und W. haben gemeinsame Währungen (CFA-Franc BCEAO [Franc de la Communauté Financière d’Afrique/Banque Centrale des États de l’Afrique de l’Ouest], CFA-Franc BEAC [Franc de la Coopération Financière en Afrique Centrale/Banque des États de l’Afrique Centrale]), die aufgrund starker historischer, wirtschaftlicher und politischer Verbindungen zu Frankreich an den Euro gebunden sind (Stand 2020).
In der Vergangenheit hatten nicht alle W.en Bestand. Durch die Auflösung der Tschechoslowakei in die Tschechische Republik und die Slowakische Republik (1993) entstanden zwei unabhängige Währungen. Die Skandinavische Münzunion zwischen Schweden, Dänemark und Norwegen (ab 1872) wurde in Folge des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs aufgelöst, nachdem sich die Mitgliedsländer nicht mehr auf eine gemeinsame Geldpolitik und feste Wechselkurse einigen konnten (formelles Ende 1924). Die Lateinische Münzunion bestand zwischen Frankreich, Belgien, Italien und der Schweiz ab 1865. Weitere Länder wie Spanien, Griechenland und Österreich-Ungarn traten den Regulierungen der Münzunion bei. Vordenker war der Vizepräsident des französischen Staatsrats Félix Esquirou de Parieu, der die Münzunion als Vorstufe zu einer „europäischen Union“ mit einer „europäischen Kommission“ als politischer Leitung sah. Da die Ausgabe von Papiergeld nicht ausgeschlossen war, druckten Griechenland und Italien in großem Umfang Papiergeld, was zu Inflation führte. Die Münzunion endete faktisch mit dem Ersten Weltkrieg (formal 1926).
Vorteil einer W. ist die Eliminierung von Wechselkursschwankungen und Umtauschkosten. Preise können international besser verglichen werden, sodass die Transparenz, der Wettbewerb, die Effizienz und damit das Wirtschaftswachstum steigen. Nach der Theorie der Optimalen Währungsräume von Robert Mundell ist ein Währungsraum für eine Gruppe von Ländern dann vorteilhaft, wenn die Länder ähnlichen Konjunkturzyklen folgen. In einer Rezession kann die Zentralbank durch Zinssenkungen die Konjunktur aller Mitgliedstaaten stabilisieren, im Boom kann sie durch Zinserhöhungen den Inflationsdruck dämpfen (One Size Fits All). Sind die Konjunkturen jedoch unterschiedlich, dann kann die gemeinsame Zentralbank nicht die passende Geldpolitik für alle Mitgliedsländer machen. Da der Wechselkurs als Stabilisierungsinstrument nicht zur Verfügung steht, müssen sich R. Mundell zufolge die Arbeitskräfte von den Regionen der W., die sich in der Rezession befinden, in die Regionen bewegen, die eine gute Konjunktur aufweisen. Alternativ müssen in dem Teil mit schwacher Konjunktur die Löhne fallen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen (innere Abwertung).
Nach Jeffrey Alexander Frankel und Andrew Rose können sich unterschiedliche Konjunkturzyklen nach Eintritt in die W. angleichen, wenn aufgrund der Eliminierung der Wechselkursschwankungen die Mitgliedsländer mehr miteinander handeln. Laut Ronald Ian McKinnon kann eine W. durch stärker integrierte Kapitalmärkte (Geld- und Kapitalmarkt) dazu beitragen, dass sich unterschiedliche Konjunkturzyklen angleichen. Kommt es zu einer Krise in einem Teil der W., dann werden die dadurch entstehenden Risiken von den Finanzinstituten in allen Mitgliedsländern der W. getragen.
Paul De Grauwe zufolge trägt eine gemeinsame Finanz- und Sozialpolitik zu einer automatischen Angleichung unterschiedlicher Konjunkturzyklen in einer W. bei. Werden die Steuern in allen Mitgliedstaaten an ein gemeinsames Finanzministerium gezahlt, sinken die Steuerzahlungen in den Ländern, die sich in einer Rezession befinden, und steigen in den Ländern, in denen die Wirtschaft boomt. Ebenso nehmen die Zahlungen an Arbeitslose in den Mitgliedstaaten mit Konjunkturabschwung zu, während sie in Ländern im Boom sinken. Darüber hinaus kann in einer heterogenen W. ein regionaler Finanzausgleich – wie er bspw. in Deutschland und Japan besteht – unterschiedliche Wirtschaftsleistungen angleichen.
1999 wurden Länder mit unterschiedlichen geldpolitischen Traditionen, Wachstumsmodellen und Konjunkturzyklen in die Europäische W. integriert, wobei diese Staaten weiterhin unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken und Konjunkturzyklen folgten. Ab der Jahrtausendwende dämpften staatliche Ausgabenzurückhaltung und Reformen die Konjunktur in Deutschland, während – nicht zuletzt aufgrund starker Kapitalzuflüsse aus Deutschland – einige Länder im Süden der W. sowie Irland boomten. In diesen Ländern stiegen Löhne, Staatsausgaben, Konsum, Immobilienpreise und Konsumentenpreise stark an, sodass diese Länder an Wettbewerbsfähigkeit verloren, hohe Leistungsbilanzdefizite entstanden und die Auslandsverschuldung stark wuchs. Dies führte ab dem Jahr 2007 in die europäische Finanz- und Schuldenkrise (Staatsschuldenkrise).
Im Jahr 2012 erreichte die Krise mit dem starken Anstieg der Risikoprämien auf die Staatsanleihen vieler südeuropäischer Eurostaaten und Irlands ihren Höhepunkt. Als Krisentherapie setzte die EZB die Leitzinsen auf bzw. unter null. Sie kaufte Staats- und Unternehmensanleihen in hohem Volumen und vergab in großem Umfang langfristige, niedrigverzinste Kredite an Banken. Diese Entwicklung wurde 2020 durch die Corona-Krise weiter verstärkt. Die Bilanz der EZB wurde dadurch stark ausgeweitet. Fortbestehende und wachsende Ungleichgewichte im ESZB werden durch die Salden des Zahlungssystems TARGET2 repräsentiert.
Versuche die Europäische W. durch eine Schaffung einer gemeinsamen Finanzpolitik und einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung (Transferunion) zu stabilisieren, sind bisher am Unwillen der nationalen Regierungen gescheitert, weitere nationale Souveränität auf die supranationale Ebene zu verlagern. Theresia Theurl hält zwischenstaatliche W.en für grundsätzlich instabil, da diese in Konflikt mit der politischen und wirtschaftspolitischen Souveränität einzelner Mitgliedstaaten stünden.
Literatur
P. De Grauwe: Economics of Monetary Union, 112016 • H.-W. Sinn: Die Target-Falle, 2012 • R. I. McKinnon: Optimum Currency Areas and Key Currencies. Mundell I Versus Mundell II, in: JCMS 42/4 (2004), 689–715 • J. A. Frankel/A. Rose: The Endogeneity of the Optimum Currency Criteria, in: EconJ 108/449 (1998), 1009–1025 • T. Theurl: Eine gemeinsame Währung für Europa, 1991 • R. Mundell: A Theory of Optimum Currency Areas, in: AER 51/4 (1961), 657–665.
Empfohlene Zitierweise
G. Schnabl: Währungsunion, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/W%C3%A4hrungsunion (abgerufen: 21.11.2024)