Haushalt, privater

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1. Private Haushalte aus sozialwissenschaftlicher Analyse

Ein p. H. ist ein Sozialgebilde, das ein (Single-H.) oder mehrere Individuen (Familien-H., Wohngemeinschaft) umfasst. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht liegen verschiedene theoretische Zugänge vor, u. a. ein ökonomischer. Ökonomik ist auch Teil der Sozialwissenschaften, da sie sich mit der Analyse menschlichen Handelns beschäftigt. Ökonomisch können H.e als Nachfrager von Gütern und als Anbieter von Produktionsfaktoren auftreten. Die traditionelle mikroökonomische H.s-Theorie, die Neue H.s-Ökonomie, die Neue Sozialstrukturanalyse, die sozial-ökologische Theorie des H.s sowie die feministische oder gender-kritische Theorie des H.s sind die aktuell am weitesten verbreiteten Ansätze zur Untersuchung von H.s-Entscheidungen.

2. Traditionelle Haushaltstheorie

Die klassische ökonomische Analyse hat sich auf das konzentriert, was heute als Mikroökonomik bezeichnet wird. Dies ist die Lehre von den Entscheidungen einzelner Marktteilnehmer sowie das Zusammenwirken dieser Entscheidungen auf unterschiedlichen Märkten. Die Summe der realisierten Einzelentscheidungen legt den Einsatz knapper Ressourcen fest. Zu beantworten ist, für welche der zahlreichen konkurrierenden Verwendungszwecke diese Ressourcen eingesetzt werden. Dabei steht im grundlegenen Modell zunächst das Verhalten der beiden wichtigsten stilisierten Akteure der volkswirtschaftlichen Analyse im Vordergrund: P. H.e und Unternehmen. Diese beiden Akteure treffen auf unterschiedlichen Märkten zusammen, auf denen sie entweder Anbieter oder Nachfrager sind.

In Deutschland gibt es rund drei Mio. Unternehmen und geschätzt etwa 40 Mio. p. H.e. Die traditionelle ökonomische H.s-Theorie abstrahiert jedoch von Effekten der H.s-Zusammensetzung und lässt die in H.en stattfindende Produktion unberücksichtigt. Gegenstand neuerer Anwendungen der traditionellen H.s-Theorie ist die mikroökonomische Fragestellung, welche Faktoren die Güternachfrage eines H.s determinieren und welcher Zusammenhang zwischen dem Preis und der nachgefragten Menge eines Gutes besteht. Unterstellt wird hier zunächst rationales Verhalten als das Bestreben, mit den vorhandenen Mitteln ein größtmögliches Maß an Bedürfnisbefriedigung zu erzielen. So lassen sich Präferenzordnungen eines Individuums bzw. eines H.s hinsichtlich der zur Wahl stehenden Güter abbilden. In den Budgetbeschränkungen, die von den Güterpreisen bzw. ihrem Verhältnis und vom H.s-Einkommen bestimmt sind, lassen sich die realisierbaren von den nicht realisierbaren Güterbündeln abgrenzen. Hieraus wählt der H. dasjenige Bündel, das ihm den höchsten Nutzen stiftet, auch optimaler Konsumplan genannt. Anschließend lässt sich analysieren, wie sich der optimale Konsumplan anpasst, wenn sich das Einkommen oder die Güterpreise verändern. So lässt sich bspw. die individuelle Nachfrage eines H.s ableiten, wenn sich im Modell der Preis eines Gutes bei sonst gleichen Bedingungen verändert. Die Marktnachfrage lässt sich mit Hilfe der Aggregation der individuellen Nachfragekurven der einzelnen H.e zusammenfassen. Vom gleichen Grundkalkül ausgehend lassen sich auch das Arbeitsangebot und die Sparentscheidung des H.s ableiten.

3. Neue Haushaltsökonomik

Traditionell unterscheidet sich die Ökonomik durch ihren Gegenstandsbereich – menschliches Handeln auf Märkten – von anderen Sozialwissenschaften. Nach Gary Stanley Becker, Begründer der Neuen H.s-Ökonomik, unterscheidet sie sich von diesen eher durch ihren methodischen Ansatz. Dies ermöglichte im Rahmen der Neuen H.s-Ökonomik neue Einsichten. Bei Maximierung des H.s-Nutzens ist es keineswegs sicher, dass jedes Mitglied den individuellen Nutzen maximiert. Die Analysen ausgehend von G. S. Becker zeigten, dass sich „Kosten-Nutzen-Vergleiche“ auch erkenntnisreich auf Fragen der Fertilität, Partnerschaft oder Beziehungen zwischen Generationen in der Familie übertragen lassen: „So erweisen sich etwa partnerschaftliche und familiäre Beziehungen bei der Produktion bestimmter Leistungen als besonders effizient, weil die Leistungserbringung in Erwartung oft nicht spezifizierter, tendenziell langfristig erwartbarer Gegenleistungen erfolgt, die durch Reziprozitätsnormen abgesichert werden. Wenn Menschen darüber entscheiden, ob, wann und mit wem sie eine Partnerschaft eingehen und ggf. Kinder bekommen, tun sie dies unter den gegebenen Rahmenbedingungen (Restriktionen) sowie unter Berücksichtigung ihrer individuellen Ressourcenausstattung (und Präferenzen sowie Erwartungen). Ebenso wie sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen über die Zeit verändern, können sich individuelle Ressourcen im Lebensverlauf verändern. Diese Dynamiken spiegeln sich z. B. in Veränderungen der […] Geburtenziffern wider“ (Erlinghagen/Hank 2014: 92). Letzere sanken etwa in Deutschland im Zeitablauf beträchtlich, was sich mit dem Ansatz vereinbaren lässt. Dies ist nur ein typisches Muster, das neben anderen haushaltsrelevanten Phänomenen mehr oder weniger gut erklärt werden kann. Andere Beispiele sind etwa die Frage der Spezialisierung in der Familie und deren teils auch nachteiligen Folgen, v. a. wenn sie vollständig erfolgt. Ferner kann sich die optimale Entscheidung zum Arbeitsangebot von Familien im Kontext von Partnerschaft und Familie erheblich von den Vorhersagen früherer traditioneller Theorien unterscheiden. Darüber hinaus dürfen bei der H.s-Analyse auch die Größenvorteile von Mehrpersonen-H.en nicht übersehen werden, weil viele Dinge sich etwa gemeinsam nutzen oder arbeitsteilig effizienter erstellen lassen. Hiervon abstrahiert die traditionelle H.s-Theorie weitgehend. Zunehmend Einigkeit besteht zwischen vielen Sozialwissenschaftlern über die zentrale Bedeutung des methodologischen Individualismus als handlungstheoretischem Fundament rationaler Kosten-Nutzen-Abwägungen. Allerdings besteht keineswegs Konsens, wie etwa die folgenden Abschnitte zeigen. Festzuhalten bleibt: „Es ist das Verdienst Gary Beckers, Faktoren offengelegt zu haben, die jenseits von Gefühlen, Traditionen und Werten gesellschaftliche Entwicklungen (Erhöhung der Scheidungszahlen, Verringerung der Kinderzahlen) als Ergebnis einer Häufung individueller Entscheidungen auf der Basis von Kosten-Nutzen-Überlegungen erklären“ (Weber 2010: 24 f.).

4. Neue Sozialstrukturanalyse und sozial-ökologische Theorie des Haushalts

Zwar erkennen Kritiker G. S. Beckers an, dass so die ökonomische Denkmethode auf eine Vielzahl zwischenmenschlicher Felder erweitert wurde. Um deren ganze Komplexität und Differenziertheit zu erschließen, seien jedoch Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie umfassender zu berücksichtigen. Die Analysen einiger Soziologen, deren Neue Sozialstrukturanalyse stark auf der Neuen H.s-Ökonomik basiert, unterscheiden sich v. a. hinsichtlich des unterstellten Menschenbildes, indem sie ein alternatives idealtypisches Menschenbild (homo socio-oeconomicus) annehmen, das von subjektiver und folglich eingeschränkterer Rationalität als viele Ökonomen ausgeht. Dies kann erklären helfen, warum sich p. H.e mit verschiedenen Merkmalen (z. B. sozialer Status) oft systematisch in ihrem Verhalten unterscheiden (z. B. Schulentscheidungen). Da sich die Ökonomik derzeit in einem Prozess verhaltensökonomischer Transformation befindet, bleibt abzuwarten, inwieweit sich hier wechselseitiges Lernen ergibt.

Die „Mikroökonomik aus sozial-ökologischer Perspektive“ (Biesecker/Kesting 2003: 175) untersucht auch die Versorgungsarbeit, d. h. die Eigenarbeit für die Selbstversorgung und das bürgerschaftliche Engagement und hinterfragt traditionelle Werte, angestammte Rollenverteilungen und Hierarchien. Produkt der H.s-Tätigkeit ist aus dieser Sicht die Entwicklung von Human- und Sozialvermögen. Dies ermögliche erst individuelle Lebensmöglichkeiten und trage zur gesellschaftlichen Stabilität bei. Zusammenfassend lässt sich festhalten: „Die sozial-ökologische Haushaltstheorie betrachtet die Handlungsweisen und Koordinationsformen im Haushalt differenzierter als die herkömmlichen Theorien“ (Weber 2010: 25). So habe u. a. die Qualität der Paarbeziehungen erheblichen Einfluss auf Kaufentscheidungen.

5. Gender-kritische Perspektiven

Deutlich weiter noch gehen gender-kritische Perspektiven (Gender). Sie werfen der Ökonomik vor, sie würde gerade die zentralen Aspekte der geleisteten Alltagsarbeit nicht in ihrer grundlegenden Bedeutung erfassen. Dies gipfelt in der These, die traditionelle ökonomische H.s-Theorie sei eine extrem einseitige Betrachtungsweise und blende gender-kritische bzw. feministische Aspekte völlig aus. „Diese männliche Wahrnehmungsperspektive mündet in ein sexistisches Ökonomiekonzept, weil es die Höherwertigkeit des Mannes und seiner Aktivitätsfelder im Erwerbsbereich festschreibt und ihren Niederschlag in nationalökonomischen Konzepten und einer demgemäßen politischen Praxis findet“ (Meier-Gräwe 2016: 676). Aus gender-kritischer Sicht kann auch die Neue H.s-Ökonomie, die die Mikroökonomik um die ökonomisch optimale Aufteilung der verfügbaren Zeit zwischen H.s-Mitgliedern in Bezug auf wirtschaftliche Außenbeziehungen des p.n H.s und beim internen H.s-Geschehen erweitert, viele der beobachtbaren Phänomene in Familien nicht adäquat erfassen. Die Folge seien vielfältige Benachteiligungen von Frauen entlang ihrer Biographien.

6. Ausblick

Trotz aller Kritik werden G. S. Beckers Erweiterungen der H.s-Theorie angesichts der empirisch fruchtbaren Prognosen dieses Ansatzes nicht nur als „pioneering, provocative, and profound“ (Brue/Grant 2012: 553) eingeordnet, sondern letztlich als erheblicher Fortschritt der ökonomischen Analyse betrachtet. Auch Vertretern der Neuen Sozialstrukturanalyse dient sie trotz deren Ablehnung des oft vereinfacht unterstellten homo oeconomicus als fruchtbarer Ausgangspunkt weiteren Denkens. Sie fragen etwa danach, „wie denn Restriktionen und individuelle Ressourcenausstattung zu verändern sind, damit eingeschränkt rationale Akteure sich im Kontext ihres Lebensverlaufs in der Mehrzahl so verhalten wollen und können, dass Auswirkungen des demographischen Wandels und der Globalisierung nicht zu negativen gesamtgesellschaftlichen Folgen führen“ (Erlinghagen/Hank 2013: 236). Diese Ansatzpukte könnten diskussionswürdig auch für andere Sozialwissenschaftler inklusive der Ökonomen sein.