Verein für Socialpolitik

Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Verein für Socialpolitik)

1. Zielsetzung und Aktivitäten

Der Verein für Socialpolitik (VfS) e. V. ist die deutschsprachige Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit ständigem Sitz in Berlin seit 2016. Gemäß der neuesten Satzung vom 1.1.2019 wird der Vereinszweck „insbesondere durch die wissenschaftliche Erörterung wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher sowie wirtschafts- und sozialpolitischer Probleme in Wort und Schrift wie auch die Pflege internationaler Beziehungen innerhalb der Fachwissenschaft verwirklicht. Die Pflege der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Österreich und der Schweiz gehört zu den besonderen Anliegen des Vereins. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Klärung von Fach- und Studienfragen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und Forschungsvorhaben sowie die Vergabe von Preisen und Auszeichnungen.“ Der VfS hat gegenwärtig mehr als 30 korporative und über 4 000 persönliche Mitglieder, die überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum kommen. Die Tagungen des VfS sind jeweils einem Generalthema (Kerntagungsteil) gewidmet und werden durch einen offenen Tagungsteil ergänzt, innerhalb dessen referierte Papiere aus Teilgebieten der Wirtschaftswissenschaften präsentiert werden. „Für die dauernde Pflege besonderer wissenschaftlicher Gebiete“ sorgen – derzeit 24 – Fachausschüsse, in denen sich fast die Hälfte der Mitglieder engagiert. Seit 2000 gibt der VfS zwei vierteljährlich erscheinende Zeitschriften heraus: German Economic Review (GER) und Perspektiven der Wirtschaftspolitik (PdW).

2. Zur Geschichte

Seit Mitte des 19. Jh. wuchsen die europäischen Volkswirtschaften stark infolge technischer Fortschritte und damit einhergehender Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution). Die Kehrseite manifestierte sich in ungleicher Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie sozialen Konflikten bei zunehmender Bevölkerung. In dieser Zeit verstärkten sich die Stimmen, die eine extrem liberale Agenda (Liberalismus) ebenso wie marxistische Vorstellungen (Marxismus) ablehnten und insb. den Staat in der Pflicht sahen, die „Soziale Frage“ durch sozialpolitische Reformen zu lösen. Mit dem Ziel, dieses Vorhaben zu konkretisieren, versammelte sich auf Anregung des Journalisten und Diplomaten Julius Albert Wilhelm von Eckardt und auf Einladung Gustav Schmollers ein Kreis namhafter Personen im Juli 1872 in Halle an der Saale – darunter weitere Repräsentanten der Älteren wie Jüngeren Historischen Schule (Historismus in der Wirtschaftswissenschaft). Auf einer Tagung im Oktober 1872 in Eisenach mit 159 Teilnehmern „zur Besprechung der socialen Frage“ (Roller 1873) wurde ein Ausschuss, dem Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung angehörten, beauftragt, einen „Aufruf zur Gründung eines Vereins für Socialpolitik“ (o. V. 1873) zu verfassen. Er fand genügend Resonanz, so dass sich wiederum in Eisenach der VfS am 13.10.1873 konstituieren konnte.

Fortan behandelte der VfS auf seinen Tagungen bis 1932 und in damit verbundenen „Schriften“ (187 oft mehrteilige Bände) jeweils aktuelle wirtschaftliche und soziale Themen. Ein gravierender Dissens um das Selbstverständnis des Vereins trat auf der Wiener Tagung 1909 offen zu Tage, als jüngere Mitglieder – namentlich Werner Sombart und Max Weber – dem Diktum widersprachen, die Nationalökonomie als „große moralisch-politische Wissenschaft“ (Schmoller, zit. n. Rieter 2002: 152) zu begreifen, und stattdessen forderten, Wissenschaft und Werturteil strikt auseinander zu halten. Erst nach G. Schmollers Tod 1917, der seit 1890 dem VfS vorsaß, und mit nachlassendem Einfluss der Historischen Schule setzte sich das Postulat der Werturteilsfreiheit wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Aussagen durch. Der bislang erklärt politisch aktive VfS verwandelte sich mehr und mehr in eine fachwissenschaftliche Gesellschaft. Die Vorarbeiten vorwiegend jüngerer, theoretisch interessierter Mitglieder fanden sich nun zunehmend wieder in den Tagungsprogrammen; markant auf der Züricher Tagung 1928, wo betont theoretisch ein aktuelles Thema erörtert wurde – das Konjunkturproblem (Konjunktur). Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, fiel es dem VfS immer schwerer, wie bisher tätig zu sein. Um der unvermeidbaren ideologischen „Gleichschaltung“ zu entgehen, entschloss sich die Mitgliederversammlung im April 1936, den Verein aufzulösen.

Nach entspr.en Vorgesprächen unter wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrern 1946/47 wurde auf einer Tagung der Volks- und Betriebswirte im September 1948 in Marburg (Lahn) beschlossen, den Verein neu zu gründen – und zwar als Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit dem Zusatz Verein für Sozialpolitik (seit 1956 wieder Socialpolitik), in den 1990er Jahren umbenannt in Verein für Socialpolitik. Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der neue VfS sollte – anders als der alte – eine Vereinigung sein, die rein wissenschaftlichen Belangen dient, sich um die Gestaltung einschlägiger Studiengänge und deren Abschlüsse sowie die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder kümmert. Um die Referate und Diskussionen der seit 1949 bald wieder jährlich abgehaltenen Tagungen und die Beiträge der Fachausschüsse dokumentieren zu können, wurde und wird die bewährte, von Duncker & Humblot seit Anbeginn verlegte Reihe „Schriften des Vereins für Socialpolitik“ als „Neue Folge“ fortgesetzt.