Ethnische Konflikte

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1. Einleitung

Als e. K. bezeichnet man grundsätzlich Interessengegensätze zwischen Gruppen (Gruppe), die sich in ihrer ethnischen Identität unterscheiden, und/oder in denen gruppenbezogene Forderungen einen Konfliktgegenstand bilden. Diese Konflikte werden häufig gewaltsam ausgetragen.

2. Definition von ethnischer Identität

Zum Verständnis e.r K. ist zunächst auf den umstrittenen Begriff von ethnischer Identität bzw. Ethnizität zu verweisen. Ein Gegensatz besteht hier zwischen einem primordialistischen und einem konstruktivistischen Verständnis (Konstruktivismus). Gemeinsam ist den verschiedenen Begriffsverständnissen, dass sich ethnische Identität auf die Vorstellung gemeinsamer (biologischer) Abstammung gründet und sich dadurch von religiösen oder schichtspezifischen sowie anderen Gruppenidentitäten unterscheidet. Das primordialistische Verständnis betrachtet Ethnizität als weitgehend unveränderliches Ergebnis gemeinsamer Abstammung und Verwandtschaft, das anhand einer Reihe von objektiven Identitätsmerkmalen wie Sprache, Religion, Siedlungsgebiet, gemeinsamer Geschichte und äußerer Erscheinung deutlich wird. Konstruktivisten verweisen dagegen auf die Wandelbarkeit ethnischer Identitäten durch soziale Mobilisierung und Wahrnehmung. Häufig teilen sich zudem Gruppen (Gruppe) oder schließen sich zusammen. Die Identität von Subgruppen spielt in verschiedenen Kontexten eine Rolle, in anderen nicht. Letztlich kommt es nach dem konstruktivistischen Verständnis darauf an, ob ethnische Identitäten von den Gruppen selbst und von außen als solche wahrgenommen werden. Ein sinnvolles, vermittelndes Verständnis erkennt an, dass sich ethnische Identität auf die Vorstellung gemeinsamer Abstammung gründet, die sich anhand einer variablen Zahl von objektiven Identitätsmerkmalen äußert, letztlich aber nur durch eine entsprechende Außen- und Binnenwahrnehmung wirkungsmächtig wird. Ethnische Identität ist grundsätzlich wandelbar, aber i. d. R. stabil, und ihre soziale Konstruktion vermutlich von objektiven Merkmalen nicht völlig unabhängig.

3. Häufigkeit und Messung ethnischer Konflikte

Die Unklarheiten im Konzept von Ethnizität sind teilweise verantwortlich für die Schwierigkeit, die Häufigkeit von e.n K.n festzustellen. Auch wenn anekdotische Evidenz und Einschätzungen von Beobachtern in vielen Fällen das Vorliegen eines e.n K.s nahelegen, lässt sich die Unterschiedlichkeit der ethnischen Identitäten von Konfliktparteien häufig nicht exakt feststellen. Selbst wenn explizite Forderungen zugunsten von bestimmten ethnischen Gruppen geäußert werden, bleibt mitunter unklar, ob und inwieweit diese von allen Angehörigen der Gruppen (Gruppe) geteilt werden. Dennoch gibt es Zählungen von gewaltsamen e.n K.n, die mindestens als gut begründete Schätzungen angesehen werden können. Diese Einschätzungen zeigen, dass e. K. einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtheit von Bürgerkriegen (Bürgerkrieg) und sogenannten (weniger intensiven) innerstaatlichen bewaffneten Konflikten ausmachen. James Fearon und David Laitin nehmen als Grundlage die unterschiedliche Identität der Konfliktparteien und zählen für den Zeitraum zwischen 1945 bis 1999 mindestens 61 % aller Bürgerkriege als Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen. Lars-Erik Cederman, Andreas Wimmer und ihre Mitarbeiter wählen einen weiter gehenden Ansatz und erheben sowohl die Identitätsunterschiede der Konfliktparteien als auch das Vorhandensein von ethnischen Forderungen von Rebellengruppen. Ihre Statistiken zeigen, dass 110 von 215 aller innerstaatlichen bewaffneten Konflikte von 1946–2005, und damit etwas mehr als 50 %, eine ethnische Komponente aufwiesen. Ihre Zahlen zeigen zugl., dass die Anzahl der e.n K. in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat. E. K. sind auch keinesfalls nur auf bestimmte Weltregionen beschränkt. Sie sind in der Tat häufig in den Weltregionen Afrika, Asien sowie dem Nahen und Mittleren Osten; doch sie sind auch in Europa anzutreffen, wie blutige e. K. in Bosnien oder in der Ukraine aufzeigen. Über nichtstaatliche e. K. – d. h. über Auseinandersetzungen, in denen der Staat keine direkte Konfliktpartei darstellt – liegen weniger umfassende Informationen vor; ihr Anteil ist aber ebenfalls nicht unerheblich. Allerdings sind keinesfalls alle ethnischen Gruppen in Auseinandersetzungen verstrickt. J. Fearon zeigt, dass von gut 700 ethnischen Minderheiten nur etwa 14 % zwischen 1945 und 1998 gewaltsam gegen den Staat rebelliert haben. E. K. dauern aber, sobald einmal ausgebrochen, länger und sind blutiger sind als andere Konflikte.

4. Ursachen ethnischer Konflikte

Wenn man die Analyse der Ursachen sinnvollerweise auf gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb von Staaten beschränkt, herrscht Einvernehmen darüber, dass ethnische Vielfalt für sich genommen keine hinreichende Ursache für das Auftreten von e.n K.n darstellt. Keine seriöse Analyse nimmt an, dass ethnische Gruppenunterschiede der alleinige Grund von solchen Auseinandersetzungen sind. Ein grundlegender Dissens besteht darin, ob Ethnizität überhaupt einen Anteil an den Ursachen von gewalttätigen Auseinandersetzungen hat, oder ob diese lediglich instrumentalisiert werden – und die wirklichen Ursachen in ökonomischen und politischen Gegensätzen zu finden sind.

In theoretischer Hinsicht gibt es eine Reihe von Kausalmechanismen, die in der Literatur dafür angeführt werden, weshalb ethnische Vielfalt Konflikte auslösen kann. Ein sozialpsychologischer Ansatz verweist auf Intergruppendynamiken: Menschen tendieren dazu, die eigene Gruppe positiver zu bewerten u. a. Gruppen und deren Mitglieder abzuwerten; und dadurch entsteht grundsätzliches Potential, ethnische Gruppen für auch gewaltsame Auseinandersetzungen zu mobilisieren. J. Fearon entwickelt, angelehnt an das aus der internationalen Politik bekannte Sicherheitsdilemma, ein Modell, das er commitment problem nennt. In politischen u. a.n Verteilungskämpfen besteht grundsätzliche Unsicherheit über die Absichten des (potentiellen) Gegners. Militärische Rüstung kann dem Zweck der Selbstverteidigung dienen, aber ebenso als Vorbereitung für den Angriff gewertet werden. U. U. entstehen dann unheilvolle Eskalationsspiralen, welche in Präventivschlägen münden können, selbst wenn keine der Konfliktparteien ursprünglich aggressive Absichten hegte. Sind nun die Konfliktgegner ethnische Gruppen, mag das wechselseitige Misstrauen verstärkt werden, da sich Menschen in Krisenzeiten auf ihre (vorgestellten) Verwandtschaftsgruppen besinnen und negative Vorurteile gegen Außengruppenangehörige bestehen können. Eine dritte Gruppe von Ansätzen stellt Kontextbedingungen in den Vordergrund. Der Ansatz der relativen Deprivation verweist auf Gruppenunterschiede und deren Wahrnehmung: Wenn sich ethnische (u. a.) Gruppen gegenüber anderen oder bzgl. ihrer Erwartungen als benachteiligt fühlen, steigt die Wahrscheinlichkeit von Rebellion und Aufständen. Politische, ökonomische oder andere Gruppenungleichheiten sind in diesem Zusammenhang wichtige Kontextbedingungen, zu denen zusätzlich Rahmenbedingungen wie allgemeiner Wohlstand, Wertvorstellungen, natürliche Gegebenheiten wie Rohstoffe etc. in Rechnung zu stellen sind.

Die empirischen Befunde zu den diversen Ansätzen sind nicht eindeutig. Neben zahlreichen Fallstudien – die naturgemäß wenig generalisierbar sind, auch wenn sie wichtige Einsichten vermitteln – hat sich die mit vielen Fallzahlen arbeitende empirische Forschung v. a. auf die Auswirkungen von verschiedenen Konstellationen der ethnischen Vielfalt und auf die Prüfung der Theorie der relativen Deprivation konzentriert, teilweise aufgrund eines Mangels an verfügbaren Daten für andere Bedingungen. Ethnische Vielfalt kann sich in verschiedenen Konstellationen äußern. Diese Konstellationen können sich unterschiedlich auf die Möglichkeit der Mobilisierbarkeit ethnischer Gegensätze auswirken. Eine Vielzahl kleiner(er) Gruppen – die sogenannte Fraktionalisierung – erschwert möglicherweise die Mobilisierung, da Gegensätze wenig herausstechend sind und die einzelnen Gruppen dann nur schwächere Mobilisierungskapazitäten besitzen. Demgegenüber kann die sogenannte Polarisierung – das Vorliegen weniger, idealtypisch nur zweier großer Gruppen wie in Nigeria oder Burundi und Ruanda – leicht zu Konflikten führen, weil die Gegensätze offensichtlich sind, in der Fachsprache: salient. Dies mag auch zutreffen, wenn es eine numerisch dominante Gruppe gibt (ca. > 50 % der Bevölkerung), da sich mit einiger Wahrscheinlichkeit Widerstand gegen diese Gruppe formieren wird. Für Fraktionalisierung, Polarisierung und Dominanz gibt es allerdings widersprüchliche Befunde. Viel Unterstützung findet die These, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs e.r und anderer K. erhöht, wenn ethnische und religiöse Gruppenunterschiede sich gegenseitig verstärken und Gruppen regional konzentriert, doch nicht gemischt siedeln.

Konstellationen ethnischer Vielfalt wie Fraktionalisierung oder Dominanz im oben genannten Sinne sagen aber direkt nichts über die Qualität der Beziehungen aus. Politische oder relative Deprivationen oder Ungleichheiten zwischen Gruppen scheinen eine wichtige Bedingung für das Auftreten e.r K. zu sein. Zwar konnte Ted Robert Gurrs Theorie der relativen Deprivation trotz ihrer Plausibilität (wenn nicht alltagstheoretischen Akzeptanz) über Jahrzehnte empirisch nicht bestätigt werden; jüngere Arbeiten finden aber Unterstützung für diese These. L.-E. Cederman u. a. zeigen, dass Gruppen, die von der Zentralmacht ausgeschlossen sind, eher rebellieren. Unterstützung gibt es auch dafür, dass objektive ökonomische Gruppenungleichheiten den Ausbruch von (nicht nur e.n) K.n begünstigen. Eine Reihe von Untersuchungen findet Evidenz, dass die Verfügung über wertvolle natürliche Ressourcen eine wichtige Kontextbedingung darstellen könnte. Sind Gruppen von der Macht ausgeschlossen und verfügen sie zugleich über wertvolle natürliche Ressourcen wie Erdöl oder Diamanten, dann scheinen gewaltsame Konflikte wahrscheinlicher. Umgekehrt verringert die Inklusion der Gruppen die Konfliktwahrscheinlichkeit.

Für die generalisierende empirische Forschung zu den Ursachen e.r K. bestehen zahlreiche Herausforderungen. Dies gilt insb. bei der Frage nach der relativen Bedeutung von Ethnizität als Konfliktursache. Vieles weist indes darauf hin, dass ethnische Vielfalt mindestens als Gelegenheitsstruktur eine mögliche Konfliktursache darstellt. Offen bleiben hingegen weitere Fragen: Warum eskalieren manche Gegensätze mehr oder weniger? Welche Rolle spielt dabei das Verhalten der politischen Eliten (Elite)? Sind bestimmte Konstellationen wie eine ethnische Minderheitenherrschaft – was blutige Eskalationen in Syrien oder Burundi nahelegen – bes. gewaltträchtig? Die Identifizierung jener Bedingungen, die e. K. auslösen, eskalieren lassen und schwer lösbar machen, wird für quantitative Analysen v. a. auf bessere Datensätze und auf gut durchdachte Forschungsdesigns angewiesen sein, die auch qualitative Instrumente einschließen müssen.

5. Bearbeitung ethnischer Konflikte

Die Lösung und konstruktive Bearbeitung von ethnischen u. a.n Identitätskonflikten steht im Fokus einer umfangreichen Debatte, die v. a. geeignete politische Institutionen in den Blick nimmt. Es gibt dabei mindestens drei unterschiedliche Grundüberzeugungen. Und leider ist auch hier die empirische Bestätigungssituation unbefriedigend.

Ein eher im Bereich der praktischen Politik diskutierter und angewandter Ansatz ist das sogenannte blocking: Ethnische Unterschiede werden tabuisiert und abgelehnt, um sie dadurch zu überwinden. In der Praxis zählen dazu die Verbote ethnischer oder anderer partikularistischer Parteien. Ein bekanntes Beispiel ist Ruanda nach dem Genozid (Völkermord) von 1994, wo die Mobilisierung von ethnischen Gegensätzen zwischen Hutu und Tutsi unter Strafe gestellt wird. Kritiker monieren, dass dieser Ansatz langfristig negative Folgen haben könnte, sein Erfolg insgesamt zweifelhaft sei, und entsprechende Regelungen leicht zur Repression gegen politische Gegner missbrauchbar wären.

Der sogenannte consociatialism, auch als Machtteilung (power sharing) bekannt, nimmt eine gegenteilige Position ein: Ethnische Vielfalt sei als Vehikel der politischen Mobilisierung anzuerkennen, und politische Institutionen sollten die Repräsentation ethnischer Gruppen, insb. von Minderheiten, durch Verhältniswahlsysteme, Minderheitenrechte und Autonomieregelungen (Autonomie) oder Föderalismus sicherstellen. Eine grundsätzliche empirische Bestätigung durch erfolgreiche politische Praxis, steht auch hier – trotz der Popularität dieser Vorschläge noch in Frage. Ein Patentrezept scheint dgl. jedenfalls nicht zu sein, wie der Blick auf den Libanon lehrt. Möglich scheint aber, dass im Falle einer Postkonfliktsituation das power sharing eine sinnvolle Übergangslösung ist.

Der dritte Ansatz wird centripetalism genannt. Ziel ist hier, durch politische Institutionen Anreize für politische Akteure zu schaffen, in der politischen Willensbildung und Mobilisierung an andere Identitäten (Identität) als ethnische zu appellieren – und somit Ethnizität als Grundlage der politischen Auseinandersetzung mittelfristig zu eliminieren. Entsprechende Institutionen sind etwa Präferenzwahlsysteme, die jene Kandidaten bevorzugen, die nicht nur an die eigene ethnische Gruppen appellieren, oder Regelungen für Präsidentschaftswahlen wie in Indonesien, Kenia und Nigeria, die von erfolgreichen Kandidaten erwarten, dass sie eine Mindestunterstützung in verschiedenen Landesteilen erhalten haben. Wegen der Komplexität der vorgeschlagenen Maßnahmen und deren geringer Fallzahl steht aber auch hier eine nachhaltige generelle empirische Unterstützung noch aus. Als Fazit bleibt somit, dass e. K. nicht zwangsläufig sind und sehr wohl vermieden, gelöst oder doch geschwächt werden können – doch weiterhin unklar ist, unter welchen Bedingungen welche Maßnahmen dafür in erfolgsträchtiger Weise zu ergreifen wären.