Restauration

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1. Begriff und Epoche

Der Begriff R. ist abgeleitet vom lateinischen restaurare und restauratio für „wiederaufbauen“, „Wiederherstellung“. Nachdem er zunächst verwendet wurde, um die Wiedereinsetzung von gestürzten Dynastien zu bezeichnen (etwa sogenannte Stuart-R. 1660: „Happy Restoration of his Majesty to his People and Kingdoms“), erhielt der R.s-Begriff seinen umfassenderen und bis heute gültigen historisch-politischen Sinngehalt um 1815: Seither beschreibt er die Wiederherstellung (überholter) politischer und sozialer Gegebenheiten. Maßgeblich für die Etablierung des Begriffs R. in diesem Sinne war das Werk des Berner Staatsrats Carl Ludwig von Haller „Restauration der Staats-Wissenschaft“ (1964), dessen erster Band 1816 erschien. C. L. von Haller forderte darin nach den revolutionären Umwälzungen der zurückliegenden Jahrzehnte die Rückkehr zum Patrimonialstaat und zu einer starken Monarchie mit altständischer, nicht mit repräsentativer Verfassung. R. bedeutete in diesem Kontext die „Rückkehr zur Natur, wie diese aus Gottes Händen hervorgegangen war, während ‚Revolution‘ den unverzeihlichen Abfall von der Naturordnung und somit von Gott darstellte“ (Kondylis 1984: 186).

Obgleich C. L. von Hallers konservative Utopie kaum uneingeschränkte Unterstützer fand, setzte sich in nationalen und liberalen Oppositionskreisen der Begriff R. bereits in den 1830er und 1840er Jahren durch, um die obrigkeitliche Politik der Jahre seit 1815 zu charakterisieren und zu kritisieren. Seitdem steht R. für eine nach 1815 (angeblich) versuchte Rückkehr zu längst überholten Institutionen und Gesetzen „in reaktionärem – und manchmal auch etwas donquichottischem – Geist“ (Kondylis 1984: 195).

Als Epochenbezeichnung für die europäische Geschichte zwischen 1815 und 1830/48 wird R. auch heute noch verwendet. Sie umgreift die Jahre zwischen der Niederlage des revolutionär-napoleonischen Frankreichs und der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 einerseits und der französischen Julirevolution von 1830 oder den Revolutionen von 1848 andererseits. Die jüngere Forschung verbindet den Einsatz des Begriffs allerdings i. d. R. mit einschränkenden Hinweisen: Der R.s-Begriff sei „irreführend und falsch“ (Siemann 2016: 607), es handle sich zumindest um ein „problematische[s] Etikett“ (Fahrmeir 2012: 104), dessen Verwendung „voller Schwierigkeiten“ stecke (Sellin 2001: 321) und „nicht zu empfehlen“ sei (Stauber 2014: 11).

2. Politisches Konzept und historische Bewertung

Tatsächlich erfasst man die R. ab 1815 als politisches Konzept nicht adäquat, wenn man sie als eine auch nur annähernd vollständige Wiederherstellung der alten, vorrevolutionären Ordnung begreift. Eine derartige Rückkehr zu einem Status quo ante haben die maßgeblichen Obrigkeiten Europas weder beschritten noch überhaupt intendiert. Insb. die ältere historische Forschung betonte zwar den tiefen politischen Einschnitt der „konservativen Wende“ in den Jahren 1815/20 und verwies zu Recht auf obrigkeitliche Repressionsmaßnahmen gegen die entstehende Nationalbewegung, wie v. a. die berühmt-berüchtigten Karlsbader Beschlüsse von 1819, die sich gegen Universitäten, Burschenschaften und eine freie Presse richteten und bis 1848 in Kraft blieben; in diesen Kontext gehört auch das Scheitern der preußischen Reformpartei und das deswegen in der Hohenzollernmonarchie zunächst nicht realisierte Verfassungsversprechen. Demgegenüber deutet die jüngere Forschung diese Epoche eher als eine Transformationszeit, in der in einzelnen Politikbereichen zwar der Modernisierungstrend gebremst, jedoch meist nicht vollständig gestoppt wurde. Die einzelstaatlichen Bürokratien waren insb. auf den Gebieten von Wirtschaft und Gesellschaft für weitere Reformmaßnahmen (Reform) offen, während sie indes v. a. die politische Teilhabe am Staat zu beschränken versuchten. Auch auf dem Feld gesamteuropäischer Politik löst sich die jüngere Forschung von der älteren, sehr kritischen Deutung eines angeblich geschlossenen, maßgeblich vom österreichischen Staatskanzler Clemens Fürst von Metternich etablierten R.s-Systems, dessen Ziel ein umfassender „Rollback“ in Richtung Ancien Régime gewesen sei. Das Agieren der europäischen Regierungen wird nun stattdessen als doppelte „Sicherheitspolitik“ (Siemann 2016: 607) gedeutet: Die defensive Komponente dieser Politik sollte das 1815 nach zwei verheerenden Kriegsjahrzehnten und Mio. Toten errichtete völkerrechtliche System gegen Erschütterungen stabilisieren und so den Frieden sichern. Dazu gehörte nach den Erfahrungen mit der Französischen Revolution auch das Unterdrücken innerstaatlicher Revolutions- und Umsturzversuche, und eben damit verbunden war die repressive Frontstellung gegen die aufkommenden liberalen und nationalen Bewegungen in Europa. Die konstruktive Komponente der Sicherheitspolitik wiederum zielte auf eine Fortentwicklung des politischen Systems, um es gegen die Prinzipien der Revolution wetterfest zu machen. Ein auch in der deutschen Staatenwelt vielfach nachgeahmtes Muster für diesen Politikentwurf stellt das „monarchische Prinzip“ der französischen „Charte constitutionelle“ von 1814 dar: Die Charte kombinierte zentrale politische Normen der vorrevolutionären Zeit, wie v. a. die monarchischen Prärogativrechte, mit einer notwendigen Adaption an die seit 1789 gewandelten Umstände, wozu v. a. die Konstitutionalisierung (Konstitutionalismus) an sich, also die Bindung des Monarchen an eine Verfassung gehörte. Diese doppelte Sicherheitspolitik scheiterte aber letztlich nach drei Jahrzehnten, weil sie keine systemkonformen Mittel und Wege fand, die politische Teilhabe der Gesellschaft in hinreichendem Maße zu ermöglichen, den in ganz Europa anwachsenden Nationalismus dauerhaft einzuhegen und der sozioökonomischen Krise der 1840er Jahre wirksam entgegenzutreten. Diese drei zentralen Problembereiche verbanden sich in den Revolutionswellen von 1848 und setzten so der R.s-Epoche ein Ende.