Unfallversicherung

Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Unfallversicherung)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

1. Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland

Die gesetzliche U. ist der zweitälteste der fünf Sozialversicherungszweige (Sozialversicherung) in Deutschland. Mit dem U.s-Gesetz vom 6.7.1884 trat eine durch Beiträge der Unternehmen finanzierte öffentlich-rechtliche Absicherung gegen Arbeitsunfälle in bestimmten „gefährlichen Betrieben“ in Kraft, die die zivilrechtliche Haftpflicht von Unternehmen gegenüber ihren Beschäftigten ablöste. Neben Heilbehandlung und Entschädigung zählte auch die Unfallverhütung zu den Aufgaben der U. Im Kern haben diese Wesenselemente bis heute Bestand, der Umfang wurde allerdings stetig erweitert: Beispielhaft erwähnt sei, dass 1925 auch Wegeunfälle und Berufskrankheiten unter Versicherungsschutz gestellt wurden. Seit 1996 sind die Regelungen zur gesetzlichen U. als Siebtes Buch in das SGB eingegliedert.

Der Kreis der Pflichtversicherten ist heute sehr weit gefasst: Versichert sind alle abhängig Beschäftigten, Schüler und Auszubildende sowie ausgewählte Gruppen von Selbstständigen, aber z. B. auch ehrenamtlich Tätige und Patienten in Krankenhäusern. Die Satzung der Träger der U. kann für weitere Personen, insb. Unternehmer, Versicherungspflicht vorsehen. Prinzipiell versicherungsfrei sind nur sehr wenige Gruppen, wie z. B. Personen, für die beamtenrechtliche Unfallfürsorgevorschriften gelten.

Träger der U. sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften, die landwirtschaftliche U. und verschiedene U.en bzw. Unfallkassen öffentlicher Träger; sie sind K.d.ö.R. mit Selbstverwaltung. Die Zuständigkeit der U.s-Träger ist in gewissem Umfang gesetzlich geregelt, insb. bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften aber nicht definitiv festgelegt, sondern vom Prinzip an Branchen orientiert. Wahlfreiheit für Unternehmen existiert nicht.

Die an erster Stelle stehende Aufgabe der U. ist die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Hierzu gehören nicht nur die Kontrolle und Beratung der Unternehmen oder die Aus- und Fortbildung der Personen, die in den Unternehmen mit der Durchführung von Präventionsmaßnahmen betraut sind. Die U. hat auch das Recht, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und sie wirkt bei der Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung nationaler Arbeitsschutz- bzw. Präventionsstrategien mit.

Nach Eintritt eines Versicherungsfalls bestehen die Aufgaben der U. darin, die Gesundheit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen sowie ggf. sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen.

Die Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation umfassen neben dem gesamten Spektrum ambulanter und stationärer gesundheitsbezogener Maßnahmen auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft sowie bei Pflegebedürftigkeit. Die U. ist somit im Versicherungsfall für die gesamte Versorgungskette zuständig und verwirklicht so ein integriertes Versorgungskonzept, das zudem viele Elemente des sogenannten Managed Care umsetzt, also einem Konzept folgt, das durch seine Steuerungsinstrumente, wie z. B. Gate Keeping und Case Management, zur Steigerung von Effektivität und Effizienz der Versorgung beitragen kann.

Zu den monetären Entschädigungsleistungen gehören insb. das sogenannte Verletztengeld als Entgeltfortzahlung im Versicherungsfall sowie Renten- und Hinterbliebenenleistungen. Die Versichertenrente orientiert sich am Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und folgt dem Konzept der abstrakten Schadensbemessung, setzt also nicht voraus, dass Verletzte einen konkret nachweisbaren wirtschaftlichen Schaden erlitten haben. Bei dauerhaft bestehender Minderung der Erwerbsfähigkeit endet die Versichertenrente nicht mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter, sondern sie wird lebenslang geleistet. Dagegen ruht die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit, als die Summe aus beiden Leistungen einen bestimmten Grenzbetrag übersteigt.

Finanziert werden die Träger der U. überwiegend aus Beiträgen der Unternehmen (die U.s-Träger der öffentlichen Hand aus Steuern). Die Beitragserhebung folgt dem Finanzierungsprinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung, wonach die Ausgaben eines Kalenderjahres im Folgejahr auf die Unternehmen umgelegt werden. Die Beitragszahlungen der Unternehmen orientieren sich nicht nur an der Lohnsumme ihrer Beschäftigten, sondern auch an Gefahrklassen, die das Risikoausmaß eines Unternehmens widerspiegeln sollen. Generell setzt das Finanzierungsprinzip, das um Zuschläge bzw. Nachlässe und Prämien ergänzt wird, Anreize zu risikoreduzierendem Verhalten der Unternehmen. Ein Lastenausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften trägt außerdem zu einer angepassten Verteilung der durch den Wirtschaftsstrukturwandel verursachten Belastungen durch Rentenaltlasten bei.

Insgesamt liegt der Anteil der U. am gesamten Sozialbudget in Deutschland regelmäßig bei etwa 1,4 %.

2. Unfallversicherung im internationalen Kontext

Weltweit hat fast jedes Land Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in nationalen Rechtsvorschriften verankert. Allerdings ist dies nicht gleichzusetzen mit dem Deckungsgrad in der Bevölkerung: In vielen sogenannten Developing Countries liegt dieser (deutlich) unter 25 %.

In den Ländern der EU sind eigenständige Systeme zur Absicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten die Regel; Ausnahmen bilden z. B. Griechenland, Kroatien, die Niederlande und Ungarn. Dort werden die oben genannten Risiken überwiegend durch Kranken-, Renten- und Hinterbliebenenversicherungen gedeckt. Im Hinblick auf die eigenständigen Systeme zeigen sich neben Unterschieden im Leistungsspektrum auch Unterschiede im versicherten Personenkreis (z. B. obligatorischer Einbezug von Selbstständigen) sowie bzgl. des Deckungsbereichs (z. B. keine Berücksichtigung von Wegeunfällen bzw. Absicherung gegen Nichtberufsunfälle) und der Finanzierung (z. B. auch durch Beiträge der Arbeitnehmer). Das Recht zur Harmonisierung der Systeme besitzt die EU nicht. Über EG-Recht (insb. VO Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009) sowie zwischenstaatliche Abkommen wird die Absicherung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten jedoch koordiniert.