Freie Demokratische Partei (FDP)
1. Gründung, Etablierung, Positionierung
Die FDP wurde im Dezember 1948 in Heppenheim/Bergstraße als Zusammenschluss der liberalen Organisationen in den westlichen Besatzungszonen einschließlich Westberlins gegründet. Der Versuch, die ostzonale LDPD einzubeziehen, scheiterte. Am 11. und 12.8.1990 erfolgte auf einem Sonderparteitag in Hannover die Vereinigung mit jenen politischen Kräften aus der Bürgerrechtsbewegung neu gegründeten sowie gewandelten der DDR, die sich zuvor schon zum Bund ehemaliger Blockparteien Freier Demokraten zusammengeschlossen und bei der Volkskammerwahl kandidiert hatten. Anfänglich konnte die FDP ihre Stellung im erweiterten Parteiensystem stabilisieren, gerade in den neuen Bundesländern. Mitte der 90er Jahre brach sie aber dort erheblich ein.
In allen Wahlperioden von 1949 bis 2013 gehörte sie dem Bundestag an, aus dem sie 2013 mit einem Wahlergebnis von 4,8 % (nach 14,8 % 2009) – im Westen allein hätte sie die 5 %-Hürde übersprungen – herausfiel. 2017 gelang ihr der Wiedereinzug mit 10,7 %. Zwischen 1949 und 2013 gehörte sie mit Ausnahme der Wahlperioden 1957–1961 und 1966–1969 (in der sie allein beeindruckende Opposition gegen die erste große Koalition in der Geschichte der BRD ausübte) stets der Regierungskoalition an, wobei sie 1961 die Begrenzung der Amtszeit Konrad Adenauers erzwang, 1969 trotz eines äußerst knappen Mehrheitsverhältnisses die sozialliberale Koalition mit Willy Brandt und Walter Scheel ermöglichte und diese 1982 durch ihren Ausstieg und ein gemeinsam mit CDU/CSU mehrheitlich getragenes konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt (SPD) beendete. An all diesen Wendepunkten lassen sich inhaltliche Differenzen zum großen Koalitionspartner erkennen, während eine Themenverengung für das Desaster 2013 verantwortlich ist. War der FDP traditionell wegen ihrer koalitionspolitischen Rolle als Mehrheitsbeschafferin eine Schlüsselposition jenseits ihrer zahlenmäßigen Stärke zugewachsen, so änderte sich dies mit der wachsenden Differenzierung des Parteiensystems und der Konkurrenz dreier weiterer Kleinparteien im Bundestag grundlegend.
Programmatische Wurzel der FPD ist der Liberalismus, und zwar in einer bürgerlich-liberalen wie in einer nationalliberalen Ausprägung. Erhebliche Spannungen zwischen beiden waren in der Gründerzeit der BRD evident. Der freiheitsfocussierte Liberalismus ist ein Kind der Aufklärung. Das revolutionäre Bürgertum (Bürger, Bürgertum) wollte Freiheit von klerikalen Bevormundungen und feudalen Begrenzungen. Die Freiheit des Geistes ermöglichte die Emanzipation der positiven Wissenschaften. Diese waren die Auslöser der industriellen Revolution, die der Freiheit des Marktes und des Vertrages bedurfte, um die an der Maschine orientierten Arbeitsverhältnisse und großflächigen Handelssysteme zu ermöglichen. Solche Freiheiten konnte der Nationalstaat organisieren, wenn er von einem den Einfluss des Bürgertums sichernden repräsentativen System getragen wurde. Die deutsche Einheit und das parlamentarische System waren frühe Forderungen des Liberalismus. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren die Reste der Feudalherrschaft aufgelöst und ein liberales Verfassungssystem entstanden, allerdings kein gesellschaftliches Verfassungs- und Politikverständnis.
In der Gründungsphase der BRD konkretisierte sich die Idee der Freiheit bei der FPD in den Zielen Marktwirtschaft, nationale Einheit und Trennung von Religion und Politik. Dafür fanden sich große Teile des Bürgertums, um die Existenz einer eigenständigen bürgerlichen Partei neben der Union zu ermöglichen: Der Klerikalismus der Union wirkte als Katalysator des Liberalismus. Die mit Ludwig Erhard verbundene soziale Marktwirtschaft erschien zwar einigen in der FDP zu dirigistisch, entsprach aber dennoch ihrem Selbstverständnis. Die gelegentlich noch mehr braun als schwarz-rot-gold gefärbte nationale Ausrichtung begründete die Wiedervereinigung als weitere Wurzel der FDP: Marktwirtschaft, Antiklerikalismus und immer wieder durchbrechender Nationalismus charakterisierten in der Folgezeit den Liberalismus der FDP.
2. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
Die „Erbsünde“ des organisierten Liberalismus in Deutschland begingen die fünf Abgeordneten der aus der ehedem stolzen DDP hervorgegangenen „Deutschen Staatspartei“, die – „trotz interner Meinungsverschiedenheiten“ (Padberg 1988: 135) – für das Ermächtigungsgesetz stimmten. Mit drei gegen zwei Stimmen hatte sich die Fraktion dazu entschlossen, weil dadurch „die Möglichkeit einer gesetzlichen Entwicklung in dieser Zeit des Umsturzes verstärkt werden könne“ (Stephan 1973: 490). Dazu gehörten die späteren FDP-Politiker Theodor Heuss (Bundespräsident) und Reinhold Maier (Ministerpräsident von Baden-Württemberg). Zwar hatte T. Heuss intern auf „Nein“ plädiert, fügte sich aber der Mehrheit – zu der R. Maier gehörte – um nicht wiederholt „den ewigen Zwiespalt der Liberalen“ zu dokumentieren (Stephan 1973: 490). Am 28.6.1933 löste sich die Partei unter dem Druck der Nazis auf. T. Heuss und R. Maier brachten nach 1945 ein schweres Erbe ein.
1953 stoppte der Britische Hochkommissar das Eindringen von Altnazis in die FDP NRWs, zu deren Wortführern Werner Naumann, letzter Staatssekretär Joseph Goebbels, gehörte. Gleichwohl traten immer wieder Protagonisten dafür auf, die Idee der Sammlungsbewegung im nationalen Geist umzusetzen. Vom frühen, um ein Auffangbecken für heimatlos gewordene ehemalige NSDAP-Mitglieder bemühten, „rechten“ August-Martin Euler führt eine Linie zu Jürgen Wilhelm Möllemann, der 2003 im Zorn der Scheidung von seiner „liberalen Familie“ formulierte: „Der Begriff ‚Rechtspopulismus‘ – wie der Begriff ‚rechts‘ überhaupt – ist ein Kampfbegriff aus dem Arsenal linker Fundamentalisten. Für diese Leute beginnt der Unmensch knapp rechts von der Mitte“ (Möllemann 2003: 220 f.). So glaubte Möllemann, sich gegen den Vorwurf, „rechtsradikal“ zu sein, immunisieren zu können. Die Idee, auf der dezidiert rechten Seite des politischen Spektrums warte ein großes Wählerpotential auf Ansprache durch die FDP, fand stets Widerspruch und konnte sich niemals durchsetzen. Anders bei der patriotischen Einheitspolitik. Die in der Opposition formulierte „neue Ostpolitik“ zwischen 1966 und 1972 beschleunigte die inhaltliche Entfremdung von der Union und eine rechtspolitisch gestützte Annäherung an die SPD. Entspannungspolitik war aus der Sicht der FDP Vereinigungspolitik, wie W. Scheel bei seiner Antrittsrede als Bundesvorsitzender 1968 in Freiburg ausführte; denn „von vornherein kamen wir in die paradoxe Lage, nach Westen die Integration zu suchen und gleichzeitig nach Osten die nationalstaatliche Restauration. Das ließ sich nicht vereinen. Beides zusammengenommen bedeutete den Misserfolg beider Politiken. Das neue Wort für unsere neue Lage heißt: Entspannung“ (Scheel 1989: 195). Diese Politik wurde von rechten Sammlungspolitikern der FDP bekämpft, am Ende aber vergebens. Als Hans-Dietrich Genscher am 31.9.1989 den in die Prager Botschaft eingedrungenen Flüchtlingen die Zustimmung der DDR zu ihrer Ausreise mitteilen konnte, hatten sich Entspannungs- und patriotische Einheitspolitik erfüllt. Ein Ziel des organisierten Liberalismus war erreicht, das zudem auch als Vollendung der Freiheit in ganz Deutschland zu interpretieren war: Denn Nation und Freiheit sind zusammen zu denken.
3. Freiheit als Programm
Der Freiheitsbegriff zieht sich konstant durch alle Programme. Während zu Beginn unter Berufung auf das GG der Staat als Garant der Freiheit beschworen wird, gelten mehr und mehr die Bürger selbst als ihre Quelle und werden Herausforderungen nicht primär durch den Staat, sondern durch mächtige Interessengruppen und verselbständigende Bürokratien gesehen. Gleichwohl besaß die Verteidigung der Bürgerrechte gegen staatliche Einschränkungen, z. B. in Fragen innerer Sicherheit, für die FDP stets Vorrang, begleitet von einem auf individuelle Selbstentfaltung und Partizipation ausgerichteten Rechtsstaatsverständnis.
Programmatische Kontinuität besitzt gleichermaßen eine auf der Freiheit der Person, dem Privateigentum (Eigentum) und dem Wettbewerb beruhende Wirtschaftsordnung, wobei sich die Partei sukzessive deren sozialen Bedingtheiten bewusst geworden ist und sich sozialpolitischen Dimensionen öffnete. In der Opposition suchte die FDP Ende der sechziger Jahre Anschluss an den Reformgeist jener Zeit. In den „Freiburger Thesen“ von 1971 widmete sie sich gar der „Reform des Kapitalismus“ und schlug mit diesem sozialliberalen Ansatz neben der Entspannungspolitik eine weitere vorbereitende Brücke zur alsbald gebildeten Koalition mit der SPD.
Für die programmatische Ausrichtung finden sich in der Praxis beispielhafte Realisierungen: Wie das beeindruckende Plädoyer für den Rechtsstaat in der Spiegel-Affäre 1962, der intellektuelle Beitrag zur inneren Demokratisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den siebziger Jahren oder Mitte der neunziger Jahre die Verteidigung der Individualsphäre gegen den „Großen Lauschangriff“.
4. Wandel und offene Zukunft
Die zu Beginn des 21. Jh. wahrgenommene politische Verengung auf ein Thema – Steuersenkung – und die Konzentration der Partei auf eine Person – Guido Westerwelle – hängen mit dem Wandel des Parteiensystems, seiner – und der Wählerschaft – Differenzierung und dem daraus entstehenden Konkurrenzdruck zwischen mehreren kleineren Parlamentsparteien zusammen: Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD. Wählerwanderungen zwischen ihnen – und den Größeren – finden angesichts der Auflösung von Bindungen und Milieus und gesteigerter Fluidität des Wahlverhaltens verstärkt statt, abhängig von Stimmungen, Emotionen und Interessen. Für Parteien mit ohnehin geringer Stammwählerschaft bergen sich darin hohe Risiken für parlamentarische Existenz und Einfluss, insb., sobald für die Öffentlichkeit Profil und Nutzen verschwimmen: Beispiele Bundestagswahl 2013, Europawahl 2014, zahlreiche Landtagswahlen. Die Existenz gewährende Stabilität des zweieinhalb-Parteiensystems der Bonner Republik ist dahin.
Die FDP sieht sich seitdem vor die Aufgabe gestellt, bewährte Inhalte liberaler Politik modern zu definieren und sich zugleich neuen Themen und Herausforderungen in ihrem Selbstverständnis zuzuwenden. Demoskopische Befunde zeigen, dass in der Wählerschaft das Bedürfnis nach einer liberalen Partei fortbesteht: Chance und Herausforderung für die FDP. Doch die neueren sozialen Differenzierungen und wandlungsoffenen, mit den überkommener keineswegs identischen, Milieus sind liberalem Denken durchaus zugeneigt: z. B. Liberal-Intellektuelle, Performer, Expeditive und Hedonisten nach den Sinns-Milieus 2016. Probleme sind die Konkretisierung des liberalen Angebots sowie der Nachweis von Eigenständigkeit und Gestaltungskraft – nicht mehr die Funktion der Mehrheitsbeschaffung, auch nicht die Beschwörung der Tradition. Bürgerrechte, Parlamentarismus (Parlament), soziale Marktwirtschaft sind allgemein anerkannt. Hat also der Liberalismus seine Aufgaben erfüllt? Vertreten seine Werte mittlerweile nicht alle Parteien? Aber gilt Gleiches nicht für alle Parteien im Blick auf allgemein akzeptierte Wertvorstellungen? Gilt solches Fragen nicht auch für soziale und ökologische Themen? Wäre eine FDP heute ohne solche programmatischen Akzente nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt (und andere auch)? Proprium bleibt die Priorität der Freiheitsorientierung als Strukturierungsprinzip aller anderen Themenfelder. Ob es der FDP gelingt, diese Orientierung politisch der Öffentlichkeit zu vermitteln und sie praktisch umzusetzen, danach wird sich im ersten Drittel des 21. Jh. ihre Zukunft entscheiden. Die beeindruckenden Persönlichkeiten, die sie auf die politische Bühne der Republik gebracht hat, sind dafür nicht mehr und nicht weniger als ein beachtliches Fundament: der erste Bundespräsident „Papa Heuss“, der streitbare Thomas Dehler, der wirkmächtige Kommunikator W. Scheel, der gesellschaftspolitisch phantasievolle Karl-Hermann Flach, der international wirksame H.-D. Genscher, sämtlich auch offen für Wandlungsprozesse und Reformen. Für die Aufgabe der FDP, aus ihrer Tradition neue Inhalte liberaler Politik modern zu definieren, könnten sie Orientierungshilfe leisten, gerade in einer Zeit der demoskopisch wahrgenommenen Linksverschiebung der Politik insgesamt. Grundsätzlich wird in der Gesellschaft die positive Funktion einer liberalen Stimme im Parteiengespräch akzeptiert: Die Zukunft des organisierten Liberalismus in der BRD bleibt offen.
Literatur
H. Vorländer: FDP – Freie Demokratische Partei, in: U. Andersen/W. Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 72013, 219–226 • J. Scholtyseck: Die FDP in der Wende, in: HPM 19 (2012), 197–220 • J. Dittberner: Die FDP. Geschichte, Personen, Organisationen, Perspektiven, 22010 • A. Morgenstern: Die FDP in der parlamentarischen Opposition 1966–69, 2004 • J. W. Möllemann: Klartext. Für Deutschland, 2003 • P. Lösche/F. Walter: Die FDP. Richtungsstreit und Zukunftszweifel, 1996 • W. Scheel: Antrittsrede als Parteivorsitzender der FDP am 31. Januar 1968 in Freiburg; in: C. Heitmann (Hg.): FDP und neue Ostpolitik. Zur Bedeutung der deutschlandpolitischen Vorstellungen der FDP von 1966 bis 1972, 1989, 195–198 • B. C. Padberg: Geschichte des deutschen Liberalismus, 1988 • D. Hein: Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammelbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945–1949, 1985 • L. Albertin: Politischer Liberalismus in der Bundesrepublik, 1980 • W. Stephan: Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918–1933. Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei, 1973.
Empfohlene Zitierweise
J. Dittberner, H. Oberreuter: Freie Demokratische Partei (FDP), Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Freie_Demokratische_Partei_(FDP) (abgerufen: 23.11.2024)