Schulrecht

1. Schule im Verfassungsstaat

Die Schule ist für das moderne Gemeinwesen ein entscheidender Ort („Wer die Schule hat, hat die Zukunft“). Im freiheitlichen Verfassungsstaat hat das S. deshalb die Aufgabe, unterschiedliche Erziehungsansprüche mit dem Schutz und der individuellen Entfaltung der Schüler zu verbinden.

Das deutsche S. weist dabei bes. Ausprägungen auf. Zum ersten ist in Deutschland das staatliche Schulwesen auf der ganzen Breite der Schulformen vorherrschend; auch die Leistungsspitze soll durch öffentliche, allgemein zugängliche Schulen abgedeckt werden. Ihre Einrichtung dient sowohl dem (jüngeren) individuellen Recht auf Bildung wie auch der Verwirklichung eines (älteren) eigenständigen staatlichen Erziehungsauftrags. Organisatorische Grundlage ist eine im internationalen Vergleich bes. strenge Schulpflicht (statt einer bloßen Unterrichtspflicht). Aus dieser Ausgangslage erklären sich zugleich die in der jüngeren S.s-Praxis entwickelten, sehr weitgehenden verfassungsrechtlichen Bindungen für den Schulbetrieb. Ein zweites Kernelement des S. ist die ergänzende Garantie des Privatschulwesens, das eine echte Alternative zum staatlichen Schulbetrieb bilden soll, aber zugleich die dort geltenden Leistungsvorgaben erfüllen muss. Eine bes. Rolle im deutschen S. nimmt drittens traditionell die Stellung der Religion ein. Darin bildet sich historisch ein Kompromiss zwischen Staat und Kirche ab, in der Gegenwart wird so v. a. die bes. Achtung persönlicher, grundrechtlich geschützter Identität im Erziehungsprozess wirksam.

2. Rechtsgrundlagen

Das S. der Gegenwart wird durch das Mehrebenensystem des modernen Rechts geprägt: Schon das Völkerrecht kennt einzelne Vorgaben für das Schulwesen, so insb. das Recht auf Bildung und Anforderungen an die inklusive Beschulung (ZP EMRK 1957, UN-KRK, IPwskR, UN-BRK 2006). Das Europarecht spielt im Bereich des S.s keine eigenständige Rolle (Art. 165 AEUV – „Harmonisierungsverbot“; vgl. noch Art. 14 EuGRC). Im GG regelt Art. 7 GG – anders als die WRV 1919 – nur knappe Ausschnitte des S.s (neben der Grundformel zur „staatlichen Schulaufsicht“ insb. zu Einzelfragen des Religionsunterrichts und der Privatschulen; zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ferner Art. 91b, 104c GG). Wirkung entfalten darüber hinaus v. a. die Grundrechte.

Im Übrigen sind die Entscheidungszuständigkeiten umfassend auf der Ebene der Bundesländer verblieben (Art. 30 GG). Dort werden der Schule i. d. R. schon in den Landesverfassungen umfassende Regelungsabschnitte gewidmet. Hinzu treten dann die Schulgesetze, teilweise auch zusätzliche Spezialgesetze. Typischerweise werden hier der Aufbau und die Gliederung des Schulwesens, Erziehungsziele und bestimmte Unterrichtsinhalte, Fragen der Schulpflicht, der Mitwirkung von Lehrern, Eltern und Schülern am Schulleben sowie die Fragen der Schulträgerschaft, der Schulaufsicht und der Schulfinanzierung geregelt. Weiter nehmen landesrechtliche Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften verschiedener Art einen breiten Raum ein, um die abstrakten gesetzlichen Vorgaben in der Schulwirklichkeit umzusetzen. Zur Koordination des Länder-S.s bestehen zahlreiche Staatsverträge; sie werden i. d. R. durch die bereits 1948 gegründete ständige KMK erarbeitet. Die Bundesländer haben insb. in Bezug auf das Thema „Religion und Schule“ seit jeher auch Verträge mit Religionsgemeinschaften abgeschlossen (Staatskirchenverträge). Die Betreuung und Förderung der Schüler jenseits des Unterrichts wird inzwischen weithin als gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und kommunaler Ebene begriffen.

3. Innere Schulverfassung

Als innere Schulangelegenheiten werden die Teile des S.s bezeichnet, die sich auf Unterricht und Erziehung beziehen. Sie sind durch verfassungsrechtliche Grundentscheidungen geprägt. Das S. muss dabei einen Ausgleich zwischen der staatlichen Schulverantwortung (Gröschner 1996), den Erziehungsrechten der Eltern (Elternrecht) und den Rechten des Kindes herstellen. Dabei ist zu beachten, dass die öffentliche Schule als Begegnungsraum der pluralistischen Gesellschaft zunehmend unterschiedliche Grundanschauungen integrieren soll.

Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Diese „staatliche Schulaufsicht“ ist bereits seit dem PrALR 1794 der Ankerbegriff des deutschen S.s. Ursprünglich sicherte er die gesamtstaatliche Zugriffsmöglichkeit gegen lokale Abkapselung, seit 1848 und vollständig seit 1919 war er vorrangig gegen den überkommenen Anspruch der Kirchen auf das Bildungswesen gerichtet. Anders als sonst üblich meint der Begriff der Schulaufsicht nach ganz herrschender Auffassung vollständige Leitungsrechte der staatlichen Schulbehörden gegenüber der einzelnen Schule (und also nicht nur begrenzte Aufsicht gegenüber ansonsten eigenverantwortlichen Rechtsträgern). Bei präziser, allerdings umstrittener Betrachtung schafft das GG anders als seine Vorgängerverfassung insofern (nur) einen entsprechenden Kompetenztitel, der erst durch die zuständigen Bundesländer eingelöst wird.

Im Unterschied zum früheren Anstalts-S. sind heute Schüler als Grundrechtsträger der Mittelpunkt des Schulgeschehens. Zur inneren Schulverfassung gehört weiter die Stellung der Eltern, deren Erziehungsrecht nicht an den Mauern der Schule endet. Gleichzeitig ist die öffentliche Schule auch nicht bloßer Agent elterlicher Erziehungsvorstellungen, vielmehr steht dem Staat nach ganz überwiegender Auffassung ein eigenständiger Erziehungsauftrag zu, der sich „nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit [richtet]. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben“ (BVerfG 31.5.2006 – 2 BvR 1693/04, Rdnr. 16). Auf diesen Gedanken wird nicht zuletzt die strenge Durchsetzung der Schulpflicht gestützt.

Die innere Schulverfassung lässt sich daher mit den Kategorien von Eingriffs- oder Leistungsverwaltung nur unzureichend erfassen. Die Eigenart des Schulverhältnisses liegt in einer prozeduralen Verantwortung des S. für einen offenen Unterrichtsprozess, der als Gesetzesanwendung unzureichend rekonstruiert wäre, auf der anderen Seite aber auch nicht als freier pädagogischer Prozess allein in die Hand der Beteiligten gelegt werden kann. Entscheidungen, die als Ordnungsmaßnahmen bes. stark in die Rechte der Schüler eingreifen, bedürfen nach der Wesentlichkeitstheorie spezieller gesetzlicher Ermächtigungen. Das S. muss ferner vor dem Maßstab von Art. 12 GG eine sachgerechte, im Zweifel gerichtsfeste Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Schülern sicherstellen; es werden unterschiedliche Schulabschlüsse vergeben (u. a. Hauptschulabschluss, mittlere Reife, allgemeine Hochschulreife).

Die öffentliche Schule in Deutschland ist grundsätzlich nicht „bekenntnisfrei“ (arg. Art. 7 Abs. 3 GG), sondern religionsfreundlich, ohne dass der Staat selbst religiöse Position bezieht (BVerfGE 41,29 – Gemeinschaftsschule; 52,223 – Schulgebet; 93,1 – Kruzifix; 108,282 – Kopftuch I; 138,296 – Kopftuch II). Eine bes. Rolle spielt der Religionsunterricht, der als einziges Unterrichtsfach bereits bundesverfassungsrechtlich geschützt ist (Art. 7 Abs. 2 und 3 GG). Da der weltanschaulich neutrale Staat religiöse Wahrheit nicht beurteilen kann und will, und er zugleich die religiöse Identität seiner Bürger achtet, kooperiert er für den Bereich des Religionsunterrichts mit den Religionsgemeinschaften, die so zugleich einen besonderen freiheitlichen Beitrag für das allgemeine Schulwesen leisten können.

Durch die zunehmende religiöse Pluralität der Bevölkerung ist in den letzten Jahren das Feld der Religion in der Schule (wieder) zum allgegenwärtigen Streitgegenstand geworden, was sowohl Handeln des Gesetzgebers wie insb. auch verfassungsgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Lösungen erfordert. Im Kern geht es um einen Ausgleich zwischen dem schützenswerten Anspruch auf (auch religiöse) Verschiedenheit, die geachtet und gerade auch entfaltet werden soll, und der Sicherung eines Integrationsvorgangs (Integration) durch gemeinsame Leistungs- und Erziehungsziele.

4. Schulorganisation und Schulaufsicht

Die Schulorganisation ist Sache der Bundesländer. Grundtypus ist das nach Leistungsaspekten gegliederte Schulwesen (früher dreigliedrig, heute öfter zweigliedrig: „Gemeinschaftsschule“/Sekundarschule o. ä.; Gymnasium). Parallel werden zunehmend Gesamtschulen angeboten. Umstritten ist, ob die völkerrechtlichen Vorgaben zur Inklusion (Inklusion, Exklusion) die gesonderten Förderschulen für behinderte Schüler beschränken müssen.

Zwischen den Bundesländern bestehen vertragliche Absprachen für Leistungsvergleiche und z. T. für einheitliche Abschlussprüfungen, um die Gleichwertigkeit der Bildungsabschlüsse (und damit den allgemeinen bundesweiten Hochschulzugang) sicherzustellen.

Die einzelne Schule ist regelmäßig als unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert. Sie ist im Hinblick auf die inneren Schulangelegenheiten der Landesverwaltung zugeordnet; die Lehrkräfte sind in Deutschland typischerweise Landesbeamte (Beamte). Die sogenannten äußeren Schulangelegenheiten (Bau und Unterhaltung der Schulen, örtliche Schulplanung) sind auf der kommunalen Ebene als Pflichtaufgaben angesiedelt; Gemeinden und Landkreise sind Schulträger und haben dabei eigene Rechte aus dem Rechtsgedanken der örtlichen Selbstverwaltung (BVerfGE 138,1).

Die in den Schulgesetzen inzwischen oftmals eingeräumte sogenannte Schulautonomie ist nur eine Selbständigkeit zweiter Ordnung. Sie ändert typischerweise nichts an den Eingriffsrechten der vorgesetzten Schulaufsichtsbehörden. Richtigerweise gilt der Schutz von Eigenständigkeit und Verantwortung dem pädagogischen Prozess im Unterricht (Pädagogische Freiheit), nicht der vorläufigen (und oft bürokratischen) Verselbständigung von Einzelschulen.

Im Ausgangspunkt anders verhält sich Frage von Gleichheit und Aufsicht im Bereich der Privatschulen. Sie sind als Ersatz- und Ergänzungsschulen nach Art. 7 Abs. 4 und Abs. 5 durch das GG bes. geschützt. Insofern agieren sie im Ausgangspunkt als Teil der grundrechtsberechtigten Gesellschaft, die sich für Verschiedenheit nicht rechtfertigen muss. Durch die Angleichung an staatliche Standards im Bereich der Ersatzschulen und eine weitgehende staatliche Finanzierung steht der verbleibende Freiheitsanspruch allerdings unter fortgesetztem Rechtfertigungsdruck.