Soziale Arbeit
Gegenstand der S.n A. ist das Bewältigen sozialer Probleme, wobei ihr besonderer Fokus auf der Exklusionsvermeidung, Inklusionsvermittlung und Exklusionsverwaltung besonderer Problemfälle liegt (Inklusion, Exklusion). Diese Fälle der S.n A. können Personen und Familien, aber auch Milieus und Stadtteile sein, in denen sich ohne spezielle Unterstützung erhebliche mehrdimensionale Problemlagen aufbauen und verfestigen würden. So steht die S. A. in einer engen Wechselwirkung zur (staatlichen wie auch privaten) Sozialpolitik – sie ist operativ die „Hand“ der Sozialpolitik, sie ist gleichzeitig konzeptionell auch ihr „Auge“; die S. A. setzt sozialpolitische Vorschriften und Programme um, deckt soziale Missstände auf und entwickelt Konzepte zur Bewältigung sozialer Probleme. In einer modernen Gesellschaft, die durch funktionale Differenzierung und eine Vielzahl und Kombination von Exklusionsrisiken gekennzeichnet ist, kommt der S.n A. eine zunehmende Bedeutung zu, wie auch die seit Jahrzehnten steigenden Zahlen zum Umfang professioneller und ehrenamtlicher S.r A. belegen.
1. Rückblick: Armenpflege, Fürsorge, Wohlfahrtspflege
Das Hilfeverständnis wie die Hilfeformen unterliegen einem kulturellen und damit auch zeitlichen Wandel. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist dafür ein gutes Beispiel, zeigt es doch die kulturelle Veränderung von Hilfeerwartungen. Zu etwas Besonderem wird die Hilfe im Gleichnis dadurch, dass sie dem Nächsten gegenüber gewährt wird. Im Verständnis seiner Zeit ist der Fremde zur Hilfe gegenüber dem Schwerverletzten zwischen Jerusalem und Jericho nicht verpflichtet; das wäre er nur als Priester, Levit oder als Angehöriger der (erweiterten) Familie. Tätige Nächstenliebe entspricht um die Zeitenwende in Judäa noch nicht dem kulturellen Hilfeverständnis, bahnt sich jedoch langsam an.
Der Blick in die deutsche Geschichte S.r A.: Wird Bedürftigkeit im Mittelalter noch über die Stände und das Almosenwesen abgefedert, wobei der Status der Armen und Bettler als gottgewollt gilt, erreicht dieses System in der frühen Neuzeit mit der Zunahme der Armutsbevölkerung seine funktionalen Grenzen. Neue administrative Maßnahmen, wie Bettelordnungen, Arbeitspflicht, Zucht- und Arbeitshäuser, tragen der veränderten Moralvorstellung Rechnung: Betteln gilt zunehmend als verwerflich und Armut als selbstverschuldet. Zur Hilfe gehört fortan Kontrolle.
Mit dem Beginn der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) wird in Deutschland das repressive Armenwesen (Armenpolizei) vom Elberfelder System (1853) abgelöst, das die Grundlagen für eine systematische, bürokratische, kontrollierende, professionelle öffentliche Fürsorge legt und von vielen anderen Kommunen übernommen wird. Dennoch ist das Armenwesen weiterhin zersplittert und überfordert. Es sind v. a. die ehrenamtlichen Vereine der sozialreformerischen Bürger- und der Frauenbewegung (als sozialpädagogische Traditionslinie), die parallel zur öffentlichen Armenpflege (der sozialarbeiterischen Traditionslinie) private karitative und soziale Einrichtungen gründen und die Verelendung des Proletariats empirisch erforschen; Armut wird zum wissenschaftlichen Gegenstand der Nationalökonomie und gilt nun als das, was sie mit Beginn der Moderne geworden ist: ein strukturelles soziales Problem, das einerseits jeden treffen kann und andererseits selbst durch ein Übermaß an Arbeit individuell nicht zu kompensieren ist, was sich in der sogenannten Sozialen Frage verdichtet.
Mit der Modernisierung des Fürsorgewesens und der Ausweitung der bürgerlichen Sozialreform differenziert sich die „sociale Fürsorge“ (Erziehung, Pflege, Fürsorge) in neue Arbeitsfelder und Einrichtungen aus. Gleichzeitig reagiert der deutsche Staat mit dem Ausbau der Sozialversicherung. Der ebenfalls zu dieser Zeit erfolgende Zusammenschluss vieler der sozialen Vereine zu Dachverbänden (Innere Mission 1848, Deutscher Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit 1880, Caritasverband 1897 [ DCV ]) markiert den organisatorischen Beginn der freien Wohlfahrtspflege.
Das Verhalten der Armen gerät mit der Jahrhundertwende stärker in den Fokus; Not wird individualisiert: Geschulte Verwaltungskräfte (Straßburger Modell 1905) grenzen ihre Tätigkeit auf Beratung und Betreuung ein. Dieser pädagogische Blick prägt in Deutschland das Verständnis von Armut und sozialen Nöten bis in die Gegenwart.
Die ehrenamtlich tätigen Vereine, angetreten aus Berufung, entwickeln zunehmend ein Berufsverständnis. Hierfür steht v. a. die Frauenbewegung, die die systematische und wissensbasierte Praxis der „socialen Fürsorge“ für „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ (1893) beruflich nutzen will. Aufbauend auf dem Curriculum für die Hilfstätigkeit, entworfen von Alice Salomon, entsteht 1908 die erste Soziale Frauenschule in Berlin mit einer überkonfessionellen, praxisbezogenen, aber wissenschaftlich orientierten, zweijährigen Ausbildung.
Nach der zügigen Entwicklung der S.n A. zum Beruf Anfang des 20. Jh. kann im Nationalsozialismus von Wohlfahrtspflege nicht mehr gesprochen werden. Das Fürsorgewesen ist sowohl theoriebasiert wie auch praktisch an der Umsetzung der nationalsozialistischen Doktrin von der ausgrenzenden Fürsorge beteiligt. Wie heute gut belegt ist, hat sich das sozialrassistische Deutungsmuster in allen Handlungsfeldern S.r A. gezeigt und prägt dieses dunkelste Kapitel der Profession.
Nach den Jahren des ökonomischen Wirtschaftswunders und der gleichzeitigen politischen und kulturellen Erstarrung brechen die Reformbestrebungen („Demokratie von unten“) der 1960er Jahre auch über die S. A. herein und führen zu ihrer Politisierung. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Sozialpädagogisierung nur sozialintegrativ wirken, aber an der Entstehung sozialer Probleme nichts ändern kann, wird eine sozialkritische Funktion S.r A. eingefordert. Die neuen sozialen Bewegungen (Soziale Bewegungen), wie Jugendzentrumsbewegung, Krüppelbewegung, neue Frauenbewegung, Randgruppenarbeit, Ökologie- oder Kinderladenbewegung, setzen bislang ungekannte Akzente und verändern das Bild und das Selbstbild der S.n A. nachhaltig. Diese Reformbemühungen treffen in den 80er Jahren aber auf schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen; die Krise des Sozialstaats verlangt eine Bürokratisierung und Spezialisierung. Mit der Bildungsoffensive der frühen 70er, wo die Sozialarbeit und Sozialpädagogik den Weg an die neu gegründeten Fachhochschulen für Sozialwesen finden und Sozialpädagogik als Teilgebiet der Pädagogik sich den universitären Rang zurückerobert, erfährt S. A. als Zusammenfluss der beiden Traditionslinien einen Akademisierungs- und Professionalisierungsschub, der bis heute ungebrochen ist.
2. Gegenwart
Die S. A. hat im Gleichschritt mit der zunehmenden Differenzierung sozialer Problemlagen eine Differenzierung von Handlungsfeldern und Methoden erlebt. Dabei werden ihre Handlungsfelder durch die dortigen Zielgruppen bestimmt, für welche die S. A. ihre Konzepte entwickelt. Wichtige Zielgruppen sind u. a. Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen in Armutslagen, insb. bei Wohnungslosigkeit, Drogenabhängigkeit und Straffälligkeit sowie Menschen mit Behinderungen, Überschuldungsproblemen, Arbeitnehmer mit Problemen im Betrieb, Senioren sowie nicht zuletzt ganze Milieus und Stadtteile, die seit jeher oder durch den wirtschaftlichen Strukturwandel zu Armutsgebieten geworden sind.
Mit den Konzepten in den Handlungsfeldern haben sich auch die Methoden der S.n A. ausdifferenziert, wobei die Konzepte der S.n A. verschiedene Methoden so miteinander kombinieren, wie es für die Arbeit mit der jeweiligen Zielgruppe erfolgversprechend ist. Eine Methode kann daher in verschiedenen Konzepten der S.n A. eingesetzt werden. Wichtige und typische Methoden sind dabei u. a. motivierende und klientenzentrierte Gesprächsführung, soziale Gruppenarbeit, Supervision, Sport, Theater und Musik, kollegiale Beratung, aktivierende Befragung, qualitative und quantitative Sozialraumanalyse, Großgruppenmethoden der Bürgerbeteiligung und soziale Netzwerkarbeit. Oftmals sind die Fachkräfte in diesen Methoden bes. ausgebildet und folgen speziellen fachlichen Richtlinien, was Ausdruck ihrer professionellen Spezialisierung ist.
Die S. A. hat im internationalen Vergleich eine landestypisch sehr unterschiedliche Stellung, was erstens auf die national unterschiedlichen Sozialstaatsmodelle und zweitens auf das enge Wechselverhältnis von S.r A. und Sozialpolitik zurückzuführen ist. Für den liberalen und den sozialdemokratisch geprägten Sozialstaat ist eine starke Stellung der staatlich organisierten S.n A. charakteristisch, neben der es einen mehr (liberal) oder weniger (sozialdemokratisch) großen Bereich rein privat organisierter und finanzierter S.r A. gibt, der sich dann oftmals auch gegen staatliche Institutionen positioniert. In Deutschland hingegen mit seinem konservativ-korporatistischen Sozialstaatsmodell ist der Anteil unmittelbar staatlich bereitgestellter S.r A. (z. B. im Jugendamt, dem allgemeinen sozialen Dienst oder der Bewährungshilfe) vergleichsweise gering; charakteristisch ist hier, dass ein Großteil der S.n A. im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis erbracht wird. In ihm übernimmt der Staat eine Gewährleistungspflicht und beauftragt nichtstaatliche Anbieter mit der Erbringung sozialer Dienstleistungen, die dann von den Adressaten meist kostenlos genutzt werden können. Diese nichtstaatlichen Anbieter sind in Deutschland traditionell die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, seit den 1990er Jahren verstärkt auch erwerbswirtschaftliche Anbieter, wobei alle Anbieter grundsätzlich miteinander kooperieren und auch im Wettbewerb miteinander stehen. Im Wesentlichen kann man das Dreiecksverhältnis – sofern die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind – aus sozialpolitischer Sicht als effektiv, innovativ und effizient bezeichnen, da es die Interessen der Akteure – auch der S.n A. – ausbalancieren kann und ihnen eine Entwicklung ermöglicht.
Der Großteil der S.n A. in Deutschland wird von den sechs Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege getragen. Sie sind einerseits Verbände und Interessenvertretungen und verfügen andererseits über nicht profitorientierte Wirtschaftsbetriebe mit ca. 1,7 Mio. Mitarbeitern und einem Umsatz von ca. 40 Mrd. Euro im Jahr 2017. Da diese Verbände große gesellschaftliche Gruppen und Weltanschauungen repräsentieren und somit in Politik und Gesellschaft fest verankert sind, ist auch der Großteil der S.n A. hierzulande sozialpolitisch und ökonomisch vergleichsweise abgesichert. Seit Jahrzehnten wachsende Beschäftigtenzahlen bestätigen diese stabile Tendenz.
Ein wesentliches Problemfeld der Profession S.r A. liegt heute in einer – trotz durchgehender Akademisierung auf Bachelor- und zunehmend auch Masterniveau – vergleichsweise geringen Entlohnung und einer Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse. In Kombination mit der recht hohen Arbeitsbelastung kommt es daher zu großer Unzufriedenheit, einer erhöhten Personalfluktuation und einem spürbaren Fachkräftemangel in vielen Handlungsfeldern der S.n A. Dieser Missstand hat bislang nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Rahmenbedingungen geführt und lässt in Zukunft eine Verschärfung des Fachkräftemangels erwarten.
Ein weiteres Problemfeld ergibt sich aus dem Spannungsfeld aus wirtschaftlicher Abhängigkeit und normativem Unabhängigkeitsanspruch der S.n A., bei dem die Balance immer neu zu finden ist. In den letzten Jahren hat hier die Bewegung der sogenannten kritischen S.n A. einen wichtigen Beitrag geleistet, um neue Abhängigkeiten und normative Neujustierungen aufzudecken und zu hinterfragen. Dies ist eines der politischen Themen, in denen die deutsche S. A. Anschluss an die internationale Diskussion findet.
3. Ausblick
Auch wenn die sozialen und ökonomischen Trends auf eine zunehmende Bedeutung der Profession S.r A. hinwirken, muss dies nicht unbedingt zur Stärkung ihrer gesellschaftlichen Position führen. Skepsis ist hier aus mehreren Gründen geboten: Zum einen werden angesichts von Kostendruck und Fachkräftemangel zunehmend andere Berufe oder sogar ehrenamtlich tätige Personen anstelle von Fachkräften der S.n A. eingesetzt und dies umso mehr, da viele Methoden der S.n A. heute auch in anderen Professionen gängig sind. Zum anderen hat das stete Wachstum der letzten Jahrzehnte und der Wettbewerb um Handlungskonzepte zu einer Ausdifferenzierung der S.n A. in Spezialisierungen mit Zusatzqualifikationen geführt, wodurch die Identität ihres gemeinsamen Kerns geschwächt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sich durch diese im Wettbewerb erfolgreichen Spezialisierungen – nach dem Vorbild der Fachärzte, Fachanwälte, Fachingenieure u. a. – ein neues Selbstverständnis der S.n A. herausbilden wird, welches dann den Status der S.n A. als gesellschaftlich anerkannte Profession stärken würde.
Auch ist noch nicht ausgemacht, wie die Disziplin S. A. sich ihrer eigenen Erfahrung stellt, dass Hilfeformen, Hilfeverständnis und Hilfefunktion einem kulturellen Wandel unterliegen, die im Fall der deutschen S.n A. von emanzipativer Unterstützung, anwaltschaftlicher Vertretung über erzieherische Hilfe bis zur Sozialdisziplinierung oder Bestrafung und tätiger Mithilfe bei der eugenischen Volkspflege (Eugenik) reichen. Ratsam wäre, den Empfehlungen des nationalen und internationalen Berufsverbandes zu folgen, der eine Ausrichtung an den Menschenrechten als ethischer Orientierung empfiehlt.
Literatur
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (Hg.): Fachlexikon der Sozialen Arbeit, 82017 • C. W. Müller: Wie Helfen zum Beruf wurde. Eine Methodengeschichte der Sozialen Arbeit, 62013 • W. Thole (Hg.): Grundriss Soziale Arbeit, 32010.
Empfohlene Zitierweise
R. Puhl, W. Schönig: Soziale Arbeit, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Soziale_Arbeit (abgerufen: 21.11.2024)