Vereinigungsfreiheit

1. Begriff

V. ist das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen. Sie ist Grund- und Menschenrecht und dient gemeinsam mit der Meinungsfreiheit, der Informations- und Kommunikationsfreiheit und der Versammlungsfreiheit v. a. der gesellschaftlichen Willensbildung. Sie schützt politische, religiöse, ideelle, soziale, wirtschaftliche u. a. Vereinigungen. Der Zusammenschluss mehrerer Personen erfolgt freiwillig, zu einem gemeinsamen Zweck durch fortgesetzte gemeinschaftliche Tätigkeit und mit einem Mindestmaß an zeitlicher und organisatorischer Stabilität. Die V. ist eng mit der Versammlungsfreiheit verbunden. Diese beiden Grundfreiheiten werden oft in einer Bestimmung garantiert (z. B. Art. 11 EMRK, Art. 12 EuGRC, Art. 20 AEMR, Art. 12 StGG) und unter dem Oberbegriff des „Rechts auf Zusammenschluss“ zusammengefasst oder gemeinsam behandelt. Die V. unterscheidet sich von der Versammlungsfreiheit. Bei der Vereinigung handelt es sich um eine auf Dauer bestimmte, von der Rechtsordnung anerkannte Organisationsform. Die Versammlung ist an Ort und Zeit gebunden.

Schutzobjekt der V. sind alle rechtlich zulässigen Vereinigungen. Die Rechtsform ist ohne Bedeutung. Notwendig ist ein Minimum organisatorischer Willensbildung. Klassische Formen geschützter Vereinigungen sind Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, ideelle Vereine (wie Sportvereine, Vereine im künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich). Auch losere Vereinigungen, wie z. B. Bürgerbewegungen oder Interessensgemeinschaften genießen den Grundrechtsschutz.

Die Koalitionsfreiheit ist eine spezielle Form der V. Sie schützt Koalitionen. Das sind freiwillige Zusammenschlüsse von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern zur Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen mit Bezug auf das Arbeitsverhältnis. Im GG wird die allgemeine V. als Recht der Staatsbürger in Art. 9 Abs. 1 garantiert, während in Abs. 3 die Koalitionsfreiheit (als spezielle Ausprägung der V.) als Menschenrecht für jedermann gewährleistet wird. Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt sich auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. In Art. 9 Abs. 1 GG ist die V. inhaltlich nicht begrenzt. Die Freiheit der Gründung und Betätigung politischer Parteien ist eine spezielle Form der V. Ebenso wie die Koalitionsfreiheit basiert sie auf besonderen Rechtsgrundlagen (z. B. § 1 österreichisches PartG). Die V. gilt auch für kirchliche Vereinigungen. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften ist vielfach (zusätzlich) eigenständig geregelt (z. B. Art. 15 StGG; Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG).

2. Geschichtliche Entwicklung

Die V. hat sich in Europa unter den Bedingungen des 19. Jh. mit der Entstehung der Industriegesellschaft in der aktuellen Form etabliert. In dieser Zeit entwickeln sich Verbände, um die Interessen der abhängigen Arbeit gegenüber dem Kapital zu vertreten. Daraus entstehen Gewerkschaften und politische Parteien. Die Vereinstätigkeit wurde vielfach als Bedrohung staatlicher Macht empfunden. Beschränkungen durch Verbote oder Konzessionspflichten sind Ausdruck dessen. Auch wenn die V. rechtshistorisch mit der Entwicklung der Koalitionsfreiheit sowie mit der Gründungs- und Betätigungsfreiheit politischer Parteien eng verbunden ist, sind auch in dieser Zeit Assoziationen nicht ausschließlich politisch geprägt. Schon in der ständisch-korporativen Gesellschaft (Stand) des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit bilden sich außerständische Vereinigungen (Sodalitäten, Sprachgesellschaften, gelehrte Gesellschaften) zur Pflege moderner Wissenschaften, moralisch-ethische Menschenbildung oder der deutschen Sprache. Ende des 18. Jh. entstehen Kunst- und Gesangsvereine und kultische Geheimgesellschaften wie die Freimaurer und auch im 19. Jh. bilden sich Wohltätigkeitsvereine oder Vereine zur Förderung des technisch-wirtschaftlichen Fortschritts.

Im deutschsprachigen Raum nimmt der politische Liberalismus des Vormärz die V. in den Forderungskatalog der unverzichtbaren Rechte des Einzelnen auf. Die Paulskirchenverfassung gewährleistet das Recht der Deutschen, Vereine zu bilden, das durch „keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden“ (§ 162) soll. Die Preußische Verfassung legt hingegen gesetzliche Beschränkungen und vorübergehende Verbote der politischen Vereine fest. Die WRV (1919) nimmt die V. und die Koalitionsfreiheit in den Katalog der „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ auf. Mit dem Nationalsozialismus wird die V. neben anderen Grundrechten 1933 außer Kraft gesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellen die westlichen Alliierten die Weichen für die Wiederherstellung der V. Sie wird in Art. 9 GG garantiert.

In Österreich wird mit dem Vereinsgesetz des Jahres 1867 die Konzessionspflicht für „ideelle Vereine“ beseitigt und durch eine bloße Anmeldepflicht ersetzt. Art. 12 StGG (1867) gewährleistet diese Vereinsfreiheit für ideelle Vereine bis heute darauf aufsetzend auf verfassungsrechtlicher Ebene. Lediglich während des Ersten Weltkrieges kommt es zu Einschränkungen. Ziff. 3 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.10.1918 stellt die „volle Vereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechts“ wieder her. Deren Ausübung wurde „besonderen Gesetzen“ vorbehalten. Das Vereinsgesetz ist ein solches. Zusätzlich steht in Österreich die EMRK innerstaatlich im Verfassungsrang. Damit ist die V. nicht nur als völkerrechtliche Verpflichtung, sondern mit Art. 11 auch innerstaatlich verfassungsrechtlich umfassend und nicht nur auf ideelle Vereine beschränkt gewährleistet.

Die Verfassung der USA (1787) enthält keine ausdrückliche Gewährleistung der V. Die Verfassungspraxis nimmt eine solche Garantie über die im ersten Amendment (1791) garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch zum Schutz von Vereinigungen an. Auch in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) ist die V. nicht explizit aufgeführt.

3. Gegenwärtige Rechtsquellen

Die V. (sowie die Koalitionsfreiheit) ist ausdrücklicher Bestandteil der Verfassungstexte westlicher Verfassungsstaaten. Im europäischen Raum ist sie in den Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten und von Nichtmitgliedstaaten garantiert. Deutschland gewährleistet die allgemeine V. in Art. 9 Abs. 1 GG, Österreich in Art. 12 StGG und Ziff. 3 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.10.1918 sowie in Art. 11 EMRK. In der Schweiz ist die V. in Art. 23 BV verankert. Einfachgesetzliche Ausführungsgesetze (z. B. das Vereinsgesetz 2002 in Österreich oder das VereinsG in Deutschland) konkretisieren diese Garantien.

Völkerrechtlich garantieren verschiedene Menschenrechtsdokumente die V. In Art. 20 AEMR ist sie gemeinsam mit der Versammlungsfreiheit zu finden. Die Koalitionsfreiheit wird in Art. 23 Nr. 4 AEMR gewährleistet. Art. 22 I IPbpR garantiert die allgemeine V. sowie das Recht, Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Die Koalitionsfreiheit als spezielle Ausgestaltung der allgemeinen V. ist auch in Übereinkommen der ILO aufzufinden, die Rechte der Arbeitnehmer sichern.

Auf europäischer Ebene ist die V. (und Koalitionsfreiheit) in Art. 11 EMRK gemeinsam mit der Versammlungsfreiheit zu nennen. Art. 11 EMRK gewährleistet ausdrücklich das Recht, „Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten“. Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert Art. 11 Abs. 1 EMRK auch das typische Recht der Koalitionen, die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder durch kollektive Maßnahmen zu verteidigen und für sie zu kämpfen. Auf der Grundlage von Art. 11 EMRK muss daher im nationalen Recht das Streikrecht zumindest prinzipiell eingeräumt werden, weil umfassende Streikverbote einen Eingriff in die Vereinstätigkeit darstellen.

Die EU garantiert die (Versammlungs-) und V. in Art. 12 EuGRC und in Art. 28 EuGRC ein Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen. Diese Garantien beschränken sich auf Angelegenheiten, in denen Unionsorgane und Mitgliedstaaten Unionsrecht (Europarecht) durchführen. Das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen steht nur nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu.

4. Struktur und Schutzumfang

Die V. schützt einerseits die Freiheit potentieller und aktueller Mitglieder einer Vereinigung (individuelle V.), andererseits schützt sie die Vereinigung selbst (kollektive V.) vor Eingriffen des Staates. Die kollektive V. umfasst das Recht der Vereinigung selbst. Geschützt sind gegenüber dem Staat das Entstehen und Bestehen, die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte einschließlich der Freiheit der Selbstdarstellung und Mitgliederwerbung.

Die individuelle V. garantiert Personen gegenüber dem Staat das Recht auf Bildung (Gründungsfreiheit) von Vereinigungen, die Freiheit des Beitritts zu einer bereits bestehenden Vereinigung, das Verbleiben in der Vereinigung, das Recht auf Fortbestand (Bestandsfreiheit), fortwährende Organisationsautonomie einschließlich der verbandsinternen Betätigungsfreiheit (positive V.). Geschützt sind auch die individuellen Rechte, sich nicht zu Vereinigungen zusammen zu schließen, Vereinigungen nicht beitreten zu müssen, aus ihnen auszutreten und sie aufzulösen (negative V.).

Die V. garantiert z. B. nach Art. 12 StGG oder Art. 11 EMRK Zusammenschlüsse auf privatrechtlicher Basis, nicht aber öffentlich-rechtliche Organisationen (z. B. Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer). Aber auch nach Art. 11 EMRK verletzt die Pflichtmitgliedschaft in solchen gesetzlich eingerichteten K.d.ö.R das Grundrecht nur dann nicht, wenn die (Pflicht-)Mitglieder solcher Körperschaften nicht gehindert sind, private berufsständische Vereinigungen zu bilden. Grundsätzlich schützt die V. vor sämtlichen belastenden Regelungen und Maßnahmen durch öffentliche Rechtsträger in den Funktionen der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung. Von diesem Schutz ist bspw. ein Verbot des Beitritts, eine präventive Kontrolle durch ein Konzessionssystem oder die Auflösung von Vereinen umfasst. Teil der V. ist ein Anspruch auf eine institutionelle Gewährleistung in Form der Schaffung einer „Mindestausstattung“ an Organisations- und Verfahrensregelungen gegenüber dem Staat (dem Gesetzgeber). Die V. wirkt auch horizontal (mittelbare Drittwirkung). Der Staat hat zudem vor Einschränkungen der V. durch Private zu schützen (Gewährleistungspflichten). Die Koalitionsfreiheit als Ausprägung der allgemeinen V. umfasst auch das Recht auf kollektive Maßnahmen, insb. das Recht auf Streik.

Die V. gilt nicht uneingeschränkt. Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereine verboten, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen die Völkerverständigung gerichtet sind. Auch europäische und internationale Rechtsinstrumente sehen Möglichkeiten der Einschränkung des Grundrechts vor. Einschränkungen des Grundrechts sind nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig (Verhältnismäßigkeit) sind (vgl. z. B. Art. 11 Abs. 2 EMRK, Art. 22 Abs. 1 IPbpR).

In Österreich sind außerdem die Bildung nationalsozialistischer Organisationen und auf ihre Gründung gerichtete Aktivitäten verfassungsrechtlich explizit verboten (§ 1 Verbotsgesetz 1947).