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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:11 Uhr
1. Idee und Legitimation
Das Bild des R.s ist vielfach geprägt vom Straf-R., dem das Urteil über menschliches Verhalten anhand der Kategorie der Schuld obliegt. Biblisch liegt die Idee Gottes als Welten-R. zugrunde, des außerhalb (jenseits) stehenden, allwissenden, moralisch überlegenen – kurz: schlechthin unabhängigen – Dritten, der das Gerechte verkörpert und zudem legitime Macht zur Vollstreckung seiner Urteile besitzt. Wahrzeichen sind deshalb: Augenbinde, Waage, Richtschwert; Eule der Minerva, Lanze des Michael.
Unabhängigkeit ist das Kernelement des R.-Amtes. Gerade darum lässt es sich nur unvollkommen äußerlich legitimieren und ruht eigentlich auf innerer Haltung. Dass R. teils gewählt, teils wie Beamte ernannt werden, bietet ein Stück demokratischer Legitimation in personeller, die regelmäßige Gesetzesbindung ein weiteres in sachlicher Hinsicht. Es treten rechtsstaatliche Elemente hinzu: die Orientierung an der Idee der Gerechtigkeit, die prozedurale Einbindung in Wahrheitserforschung, rational-diskursive Rechtsfindung und Pluralität in Kollegium und Instanzenzug. Die Haltung des R.s wird schließlich stabilisiert durch Ausbildung, Sozialisation und Berufsethos.
2. Funktion
Hauptfunktion des staatlichen R.s ist die verbindliche Streitentscheidung am Maßstab des Rechts; der R. repräsentiert das staatliche Gewaltmonopol und erübrigt Fehde und Faust-„Recht“. Kennzeichen sind: Fokussierung auf abgeschlossene (vergangene) Sachverhalte, Beschränkung auf den Einzelfall, alleiniger Maßstab des Rechts, dementsprechend Fehlen voluntativer Zukunftsgestaltung. Im gewaltenteilenden Rechtsstaat wird die Rechtsprechung gegenüber den beiden anderen (aktiven, politischen) Funktionen deshalb in plakativer Vergröberung als die passive, unpolitische bezeichnet.
Die richterliche Unabhängigkeit veranlasst dazu, dem R. weitere Aufgaben zuzuweisen. Herkömmlich bedürfen exekutive Eingriffe in bes. sensible Grundrechte vorheriger richterlicher Genehmigung (R.-Vorbehalte). Seit dem 19. Jh. wird die zuvor verwaltungsintern organisierte Verwaltungskontrolle (Aufsicht) verwaltungsextern durch Verwaltungsgerichte ausgeübt; hier wird das judikative Streitentscheidungsmodell (Verletztenklage) zunehmend durch eigentlich administrative Aufsichtsmodelle überlagert (altruistische Verbandsklage, Popularklage). Schließlich werden auch Verwaltungsbehörden gerichtsähnlich weisungsfrei gestellt und mit richterähnlichem Personal ausgestattet, was demokratische Legitimationsketten unterbricht (z. B. EU-Agenturen).
Weil Verfassungsgerichte mit der Normenkontrolle in im Einzelnen strittigem Umfang in legislative Funktionen hinübergreifen, sind sowohl der Verfassungsprozess als auch Amt und Status des Verfassungs-R.s teilweise bes. geregelt.
3. Amt und Status
Der R. muss persönlich, sachlich und institutionell unabhängig sein. Persönliche Unabhängigkeit besteht bei Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit; sie ist am besten garantiert beim lebzeitigen vollalimentierten Berufs-R. Sachliche Unabhängigkeit besteht bei Freiheit von Weisungen Dritter; das meint Bindung nur ans Gesetz, aber weder an Verwaltungsmaßnahmen noch an Urteile oder Direktiven anderer (z. B. höherer) R., sofern dies nicht vom Gesetz angeordnet wird (z. B. Rechtskraft). Institutionelle Unabhängigkeit zielt auf die Judikative insgesamt und verlangt, diese gesondert insb. von der Exekutive zu organisieren; problematisch und prekär ist die Organisation der Gerichtsverwaltung (autonom oder ministeriell).
Das GG sichert die Unabhängigkeit der Gerichte und zugleich ihre Legitimation v. a. durch lebzeitige hauptamtliche Berufs-R. Deren Amt und Status regeln das DRiG sowie ergänzende R.-Gesetze der Länder. Die Befähigung zum R.-Amt wird durch ein Universitätsstudium der Rechtswissenschaft sowie ein derzeit zweijähriges Referendariat erworben, abgeschlossen jeweils mit einer Staatsprüfung. Diese Ausbildung ist universell (Volljurist) und für alle juristischen Berufe dieselbe (Einheitsjurist); das sichert berufsübergreifende Diskursfähigkeit. R. im Landesdienst werden regelmäßig gleich nach Abschluss der Ausbildung im Grunde nach Beamtenregeln, teilweise unter Mitwirkung von Wahlausschüssen, ernannt und später ggf. zu Vorsitzenden oder an höhere Gerichte befördert. Bundes-R. werden von einem Wahlausschuss zumeist aus diesen Landes-R.n gewählt und vom Bundesminister ernannt, zu Vorsitzenden am Bundesgericht wiederum nach Beamtenregeln befördert. R.-Räte und Präsidialräte sichern eine gewisse Mitbestimmung in Personalsachen. In Deutschland gibt es derzeit ca. 22 000 R. und Staatsanwälte (Staatsanwaltschaft).
An der Rechtsprechung wirken neben den Berufs-R.n auch Laien-R. mit. In Deutschland hat sich nicht das Jury-Modell (Trennung zwischen R. und Jury; R. stellt die Rechtsfrage, der Jury obliegt die Antwort bzgl. Tatfrage bzw. Subsumtion), sondern das Schöffenmodell durchgesetzt (gemischte R.-Bank). Zumeist wirken zwei Laien-R. neben einem oder drei Berufs-R.n mit; daneben bestehen Gerichte ohne Laien-R. Der Laienbeteiligung liegt eines von drei Motiven zugrunde: Volkstümlichkeit und quasi-demokratische Kontrolle der Justiz (Strafgerichte, Verwaltungsgerichte); Fachkunde (Handelsgerichte, Berufsgerichte); paritätische Interessenvertretung (Arbeitsgerichte, Sozialgerichte).
R. an Verfassungsgerichten werden in Deutschland auf Zeit (BVerfG: 12 Jahre) gewählt, sei es aus Berufs-R.n, sei es aus anderen juristischen Professionen; in einigen Ländern treten Laien hinzu.
4. Gerichtsverfassung
R. gehören einem Gericht an, das seinerseits in einem Instanzenzug innerhalb einer Gerichtsbarkeit steht. Dies bestimmt nicht nur den Diskursrahmen des R.s, sondern regelmäßig auch seine Sozialisation.
Die Gerichtsbarkeit in Deutschland – sieht man von den Verfassungsgerichten ab – gliedert sich in fünf Zweige („ordentliche“ für Zivil- und Strafsachen, Arbeit, Verwaltung, Sozial, Finanz), jeder wiederum in ein- oder mehrstufige Landesgerichte und ein Bundes- als oberstes Gericht. An jedem Gericht amtieren – außer an Zwerggerichten – mehrere R.; sie werden durch einen Geschäftsverteilungsplan (GVP) Kollegien (Kammern, Senaten) zugeordnet, die durch ein Mitglied als Einzel-R. oder als Spruchkörper zu drei oder fünf R.n judizieren. Den GVP beschließt das Präsidium des jeweiligen Gerichts, das von dessen Mitgliedern gewählt wird.
Jedem Gericht steht ein R. als Direktor oder Präsident vor, der zugl. – insofern in exekutiver Funktion – die Gerichtsverwaltung leitet. Er übt die Dienstaufsicht über die R. seines Gerichts und ggf. der nachgeordneten Gerichte aus, hat sie insb. dienstlich zu beurteilen. Dabei muss er die Unabhängigkeit der betroffenen R. wahren, was nicht selten heikel ist. Über Konfliktfälle entscheidet ein R.-Dienstgericht.
5. Perspektiven
Das Bild des R.s wandelt sich in mehrfacher Hinsicht. Drei Stichwörter mögen genügen:
Zum einen ist die Rechtsfindung in Deutschland auf Systembildung angelegt; Niveau und Flexibilität der Judikatur leben vom Diskurs im Prozess, zwischen den Instanzen und mit der Fachöffentlichkeit. Ob dies dem unausweichlichen Schritt in die IT-Welt mit ihrer Orientierung an Quantifizierungen und Algorithmen standhalten oder aber einer Tendenz zu Kasuistik und case-law weichen wird, ist offen.
Zum zweiten nimmt die allgemeine Tendenz zur Juridifizierung des öffentlichen Lebens zu, und zwar in einer paradoxen Duplizität einerseits wegen der zunehmenden Dichte und Komplexität des Gesetzesrechts, dessen Kompliziertheit nach gerichtlicher Klärung verlangt, und andererseits umgekehrt wegen einer verbreiteten Neigung der Politik, heikle Fragen der Judikative zuzuschieben. Die mit Letzterem verbundene Entpolitisierung wird mitunter gar begrüßt. Obergerichte, zumal das BVerfG, geraten so freilich in die Rolle eines Rates der Weisen (Areopag), was ihre Legitimationsgrundlage überdehnt.
Hinzu tritt – drittens – der wachsende Einfluss internationaler Gerichte, die außerhalb der nationalen Rechtskultur stehen und fremden Regeln und Diskursmustern folgen. Das hat mehrere Folgen; eine ist eine gewisse Unverbindlichkeit auch höchstrichterlicher Rechtsprechung, mitunter euphemistisch als Diskurs unter Gerichten gefeiert, der die Befugnis zur Letztentscheidung offenhält, in Wahrheit aber eine Funktionseinbuße von Rechtsprechung.
Literatur
H. Dreier (Hg.): GG-Komm., Bd. 3, 32018 • H. Schulze-Fielitz: Art. 92 GG, in: ebd., 472–507 • Ders.: Art. 97 GG, in: ebd., 619–650 • J. Schmidt-Räntsch: Deutsches Richtergesetz, 72018 • K. Rennert: Legitimation und Legitimität des Richters, in: JZ 70/11 (2015), 529–538 • E.-W. Böckenförde: Vom Ethos der Juristen, 2010 • F. Wittreck: Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006 • E. Schmidt-Jortzig: Aufgabe, Stellung und Funktion des Richters im demokratischen Rechtsstaat, in: NJW 44/38 (1991), 2377–2383.
Empfohlene Zitierweise
K. Rennert: Richter, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Richter (abgerufen: 24.11.2024)