Technik: Unterschied zwischen den Versionen
K (Technik) |
K (Technik) |
||
Zeile 69: | Zeile 69: | ||
</p> | </p> | ||
</div> | </div> | ||
+ | {{ #staatslexikon_license: }} | ||
</div> | </div> | ||
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }} | {{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }} | ||
+ | [[Category:Philosophie]] | ||
+ | [[Category:Geschichte]] | ||
+ | [[Category:Soziologie]] |
Version vom 14. November 2022, 06:00 Uhr
1. Begriff
Die zumeist übliche Verwendung des Kollektivsingulars „die T.“ verdeckt deren Historizität und Pluralität. Denn der Begriff hat verschiedene Facetten und wandelte sich historisch. In der Antike bezeichnete technē eine Fertigkeit, ein Können. Bis in das Mittelalter finden sich nur Begriffe wie machina und Werkzeug. Der Begriff T. als Bezeichnung für Maschinen, das Mechanische und Instrumentelle entstand erst im Kontext der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) seit der zweiten Hälfte des 18. Jh. Im Englischen ist das Wort technology zuerst im 17. Jh. zu beobachten. Es wurde zu dieser Zeit noch für Kunstfertigkeiten verwendet, z. B. das Glasmachen. In den USA wurde der Begriff vor dem frühen 19. Jh. kaum genutzt. Erst im 20. Jh. wurde er selbstverständlicher Teil der Alltagssprache. In Deutschland führte der Philosoph und Ökonom Johann Beckmann im 18. Jh. den Begriff der Technologie ein, indem er eine Übersicht über Handwerke vorlegte. T. gehörte in die Sphäre des Mechanischen, des Maschinellen und Nützlichen.
Der moderne T.-Begriff, wie er im 18. Jh. entstand, bezeichnet Maschinen, Apparate, Geräte, Instrumente, Werkzeuge und Artefakte. T. meint allerdings i. S. d. Technischen oder einer Technizität gleichermaßen regelhafte, formalisierbare Verfahren. Der Begriff wurde mit Rationalität und Effizienz verbunden bis hin zu Technokratievorstellungen, die Mitte des 20. Jh. von der Herrschaft der T. im Sinne einer Sachzwanglogik ausgingen (z. B. Helmut Schelsky). Eng verbunden war damit ein bis in die 1970er/80er Jahre dominierender T.-Determinismus, d. h. die Annahme, dass sich T. nach eigenen Gesetzen, unabhängig von Gesellschaft und Kultur, entwickle und die Ursache für gesellschaftlichen Wandel (Sozialer Wandel) sei. Der Mensch habe sich an den technologisch induzierten Wandel anzupassen. Seit den 1980er Jahren dominiert stattdessen die Vorstellung einer gesellschaftlichen Gestaltbarkeit von T.
Der T.-Begriff wandelte sich im Laufe des 20. Jh. im Kontext der Gentechnik, der Computer-, und Nanotechnologie. So sprach der Kybernetiker Gotthard Günther von der „transklassischen Maschine“ (Günther 1976: 224 f.), die eine völlig neue Kategorie darstelle: eine Maschine, die nicht mehr, wie die klassisch-archimedische, Arbeit verrichtete, sondern Informationen verarbeitete. Phänomene wie Software und Algorithmen warfen die Frage nach der Materialität von T. auf. Das Klonschaf Dolly provozierte tradierte Vorstellungen einer Dichotomie von Natur und T., von Künstlichem und Lebendigem. Des Weiteren stellten neue Technologien Konzepte, die scheinbar den Menschen vorbehalten waren, in Frage, so etwa Denken, Emotion oder Autonomie. Dies trifft derzeit insb. auf die KI-Forschung und deren Zweig des machine learning zu.
2. Technik als Lebensform
Es gibt keine Kultur ohne T., jede Kultur ist eine technische Kultur oder, wie der Philosoph Alfred Nordmann formulierte: „Technik ist Lebensform, […] historische Entwicklungen [vollziehen] sich unter technischen Bedingungen“ (Nordmann 2008: 15). Seit der Industrialisierung wurde die technische Kultur allerdings „dichter“. Im 19. Jh. wurde T. eine „Zentralkategorie der Selbstdeutung des Menschen“ (Fischer 1996: 309). Die immense Bedeutung, die T. für die conditio humana insb. seit dem 20. Jh. einnimmt, ist unbestritten. Ernst Cassirer konstatierte, neben vielen anderen, T. behaupte „im Aufbau unserer gegenwärtigen Kultur den ersten Rang“ (Cassirer 1930: 39). T. bedingt die conditio humana, indem sie Wahrnehmungen, Selbstbilder, Denken, Handeln und Praktiken der Menschen prägt. Mit der Nähmaschine wurde „zugleich eine neue Nähweise, mit dem Walzwerk eine neue Schmiedeweise erfunden“ (Cassirer 1930: 73 f.). Jede Zeit ist dabei von der Verfügbarkeit und dem Modus der jeweiligen Technologie in je eigener Weise geprägt.
3. Historische Zäsuren
War die conditio humana bis in das 18. Jh. von Werkzeugen, Mühlen, Gerätschaften und mechanischen Hilfsmitteln geprägt, erfolgte mit der Industrialisierung und der Entwicklung energieumwandelnder und arbeitender Maschinen ein gravierender Einschnitt. Die Emanzipation der Menschen von Muskelkraft und natürlichen Energien wie Wind, Wasser und tierischen Kräften gilt als Schritt zur modernen T. und als eine zentrale Zäsur in der Geschichte.
Tätigkeiten der Menschen wurden nun, zuerst in der Fabrik, systematisch auf Maschinen übertragen. Dieser Schritt wurde einerseits als Steigerung der Produktivität, der Präzision und der Qualität der Produkte gefeiert (so etwa im 19. Jh. Andrew Ure und Charles Babbage). Andererseits formulierte bspw. Karl Marx eine polemische Kritik an der Entfremdung der Menschen durch die Arbeit an Maschinen in einer kapitalistischen Ökonomie (Kapitalismus), die bis weit in das 20. Jh. hinein wirkmächtig war. Die Arbeitswelt wandelte sich im Kontext von Kraft- und Arbeitsmaschinen.
Im Bereich der Kommunikation und Mobilität veränderten im 19. Jh. Telegraf und Telefon die Kommunikationsweisen, indem sie Kommunikation über weite Entfernungen ermöglichten und Prozesse der Arbeit, des Handels, das Börsengeschäft (Börsen) sowie private Korrespondenz beschleunigten. Insb. wurde die Bedeutung der Telegrafie für die Globalisierung vielfach betont. Gleichermaßen waren Eisenbahn, Dampfschiff und Automobil Teile einer immensen Beschleunigung und Vernetzung, die im 19. Jh. einsetzte und Zeit und Raum schrumpfen ließen, wie bereits die Zeitgenossen formulierten.
Die Automatisierung veränderte seit den 1950er und v. a. seit den 1970er Jahren die conditio humana erneut. Zwar verwendeten auch A. Ure und K. Marx den Begriff des „automatischen Systems“ (MEW 23: 402), doch erst mit der Computerisierung wurde eine effiziente und automatische Steuerung von Produktionsabläufen möglich. Dabei veränderte Automatisierung nicht nur die Arbeitswelt. Sie ging auch mit einem Strukturwandel und globalen Verschiebungen von Produktion und Konsum einher. In der westlichen Welt verschwanden ganze Branchen oder wurden nachhaltig verändert, etwa die Stahl- oder Druckindustrie. Anders als Jean Fourastié Mitte der 1950er Jahre erwartet hatte, blieb der Dienstleistungsbereich (Dienstleistungen) davon nicht unberührt. Viele Tätigkeiten und Berufe verschwanden und wurden von Automaten ausgeführt: von Geldautomaten, Fahrkartenautomaten bis hin zu Gepäckautomaten am Flughafen. Dies verändert nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen und den Alltag der Menschen, die die Automaten inzwischen selbstverständlich bedienen. Die Idee der Automatisierung bezog sich zugl. auch auf das menschliche Denken. So formierte sich in den 1950er und 1960er Jahren die KI-Forschung mit dem Ziel, das Denken zu automatisieren.
Die sich seit der massenhaften Nutzung des Internets in den 1990er Jahren beschleunigende Digitalisierung gilt derzeit als erneute, nachhaltige Transformation. Digitalisierung ist eine neue Lebensform. Sie ermöglicht mittels immenser Rechnerkapazitäten die Verfügbarmachung und Manipulation von Daten in völlig neuer Dimension, insofern das digitale Format vom Träger und der Art der Daten abstrahiert. Digitalisierung bedeutet zudem die Möglichkeit der Vernetzung in Echtzeit. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 oder Arbeit 4.0 wird die Digitalisierung der Arbeitswelt betrieben. Dies meint die horizontale und vertikale Vernetzung in Echtzeit, was, bspw. in der Fabrik, die gesamte Liefer-, Produktions-, Vertriebs- und Entsorgungskette einschließt. Wie bereits in der Industrialisierung vollzieht sich der Wandel jedoch nicht disruptiv. Er verläuft in verschiedenen Geschwindigkeiten. Auch in der Fabrik des 19. Jh. fanden sich lange Zeit große Anteile an klassischer Handarbeit. Unbestritten ist jedoch, dass sich mit der Digitalisierung Produktzyklen und Innovationszeiten wiederum beschleunigen. Erneut, wie schon seit der Industrialisierung, werden intensive Debatten über die technologische Ersetzung der Menschen geführt.
Internet und Digitalisierung, deren Wurzeln auch in der US-amerikanischen Gegenkultur der 1970er Jahre liegen, waren zudem mit immensen Hoffnungen auf politische Partizipation und egalitären Zugang zu Wissen und auf Demokratisierung verbunden. Neue soziale Medien (Social Media) ermöglichen prinzipiell jedem die digitale Repräsentation des Ichs im Internet sowie weltweite Kontakte, Echtzeitkommunikation und Teilhabe an Debatten. Inzwischen existiert jedoch eine deutliche Internetkritik, die die Ambivalenzen stärker betont, etwa das Problem des Datenschutzes, die Gefahr der Überwachung, den (teils gewollten) Verlust des Privatlebens in sozialen Medien sowie die Gefährdung der Demokratie durch Manipulation und sog.e Fake News.
Wie die Industrialisierung bedeutet auch die Digitalisierung und, allg. gesprochen, T. als Lebensform, eine Herausforderung für den Erhalt der natürlichen Umwelt. Rauchende Schornsteine, Autoabgase, Luftverschmutzung, sterbende Fische waren die Insignien des Industriezeitalters, die mittels politischer Maßnahmen bekämpft wurden und werden, aber bis heute in allen Weltregionen die Menschheit vor gravierende Probleme stellen. Der enorme Energieverbrauch digitaler Geräte und des Internets wird derzeit nur ansatzweise thematisiert. Die Spuren, die Menschen mit ihrer technischen Lebensform auf der Erde hinterlassen, führten inzwischen zum Begriff des Anthropozän und der These, es sei notwendig, ein neues Erdzeitalter auszurufen, das den Einfluss des Menschen bezeichne.
4. Mensch und Technik
Aus einer anthropologischen Perspektive wird das Verhältnis von Mensch und T. diskutiert. Einerseits wandelten sich die Vorstellungen dessen, was Menschsein bedeute, jeweils im Kontext neuer Technologien. Dies reicht vom mechanistischen Menschenbild René Descartes, über das kybernetische Menschenbild der 1950er und 1960er Jahre sowie die Debatte im Kontext der Gentechnologie, bis zur Digitalisierung, die Konzepte des Selbst verändert, indem Menschen ein digitales Ich konstruieren sowie sich selbst und freiwillig vermessen und quantifizieren.
Anderseits fragt eine anthropologische Perspektive jeweils nach der Stellung der Menschen im Verhältnis zur T. Dabei verblieb die philosophische Anthropologie zumeist in einer anthropozentrischen Perspektive. Arnold Gehlen bestimmte den Menschen als Mängelwesen, der sich mittels T. steigere und entlaste. Die Idee der technischen Steigerung menschlicher Fähigkeiten interpretiert T. als Werkzeug im Dienste der Menschen. Es handelt sich hierbei um das klassisch westliche, aufklärerische Narrativ des Menschen als Gestalter und Macher. Diese Vorstellung setzt sich heute in Konzepten des Transhumanismus fort, indem T. genutzt werden soll, um den menschlichen Körper zu optimieren. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurden solch anthropozentrischen Ansätze in einer Anthropologiekritik hinterfragt und zu überwinden versucht. Diese Positionen zielen auf die Überwindung von Dualismen wie Mensch und T. oder künstlich und natürlich. Des Weiteren dezentrierten sie die Position der Menschen, indem sie ihnen eine Sonderstellung absprechen. Menschen sind in diesen Konzepten Knotenpunkte in einem Netz von Relationen inmitten verschiedener Akteure, Dinge, Natur und technischer Geräte. Diese Ansätze entwickelten sich mit der Kybernetik seit den 1950er Jahren über die Actor-Network-Theory, postmoderne Ansätze (Postmoderne) bis zu neo-kybernetischen Theorien wie der Medienökologie.
Literatur
M. Heßler: Kulturgeschichte der Technik, 2012 • A. Nordmann: Technikphilosophie, 2008 • F. Turner: From Counterculture to Cyberculture, 2006 • P. J. Crutzen: Geology of Mankind, in: Nature 23/415 (2002), 23 • P. Fischer (Hg.): Technikphilosophie, 1996 • E. Cassirer: Form und Technik (1930), in: ders.: Symbol, Technik, Sprache, 1985, 39–90 • G. Günther: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, 1976 • K. Marx: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Bd. 23, 1962 • J. Fourastié: Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, 1954.
Empfohlene Zitierweise
M. Heßler: Technik, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Technik (abgerufen: 25.11.2024)