Transhumanismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr

Beim T. handelt es sich um eine internationale intellektuelle Bewegung, deren Zielsetzung es ist, mittels moderner Techniken die gegenwärtigen Grenzen des Menschseins zu sprengen, um die Wahrscheinlichkeit der Entstehung des Posthumanen zu fördern. T. geht davon aus, dass auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, ein gutes Leben zu führen. Dieser Annahme liegt folgende Überlegung zugrunde, dass technisch modifizierte Eigenschaften sowohl in unserem extrinsischen als auch in unserem intrinsischen Interesse sein können. Derjenige, der mehr Kenntnisse besitzt, erhöht dadurch seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig fördern erweiterte Fähigkeiten auch unsere Selbstzufriedenheit. Sie machen uns selbstsicherer, was wiederum ein intrinsisches Gut darstellt. Nach diesem Selbstverständnis geht es im T. auch darum, Medizintechniken nicht mehr nur zur Bekämpfung von Krankheiten zu nutzen, sondern auch zur Modifikation menschlicher Fähigkeiten. Die Unterscheidung von Therapie und Verbesserung (Enhancement) sei aus dieser Perspektive willkürlich und könne in essentialistischem Sinne nicht mehr aufrechtgehalten werden. Die Techniken, die zur Förderung menschlicher Selbstüberwindungsprozesse genannt werden, sind i. d. R.:

a) Genetisches Enhancement (mittels Selektion oder Modifikation);

b) Cyborg-Enhancement (wobei die Entwicklung auf zwei unterschiedlichen Wegen geschehen kann: 1. die Integration von Smartphones in den Menschen, d. h. das menschliche Upgrading, 2. das Auslagern menschlicher Fähigkeiten und auch der menschlichen Persönlichkeit auf eine Festplatte via Mind uploading);

c) Pharmakologisches Enhancement (z. B. mittels der Einnahme von Ritalin);

d) Morphologisches Enhancement (was etwa durch schönheitschirurgische Eingriffe geschehen kann).

1. Geschichte

Bei zahlreichen historischen philosophischen Konzepten, Mythen und Theorien sind strukturelle Analogien zum T. anzutreffen. Bes. intensiv wird unter Transhumanisten diskutiert, inwiefern Friedrich Nietzsche als einer der Ahnherren des T. angesehen werden sollte. Geprägt wurde der Begriff „T.“ jedoch erst durch Julian Huxley 1951: „Such a broad philosophy might perhaps best be called, not Humanism, because that has certain unsatisfactorily connotations, but Transhumanism. It is the idea of humanity attempting to overcome its limitations and to arrive at fuller fruition; it is the realization that both individual and social developments are processes of self-transformation“ (Huxley 1951: 139). J. Huxley war der erste Direktor der UNESCO, Biologieprofessor und Mitglied einer britischen Familie, die in enger Verbindung mit Charles Darwin und dessen Evolutionslehre (Evolution) steht. Sein Großvater väterlicherseits ist Darwins Bulldog, Thomas Henry Huxley.

Die wichtigsten Begriffe des T. kommen bereits im Artikel „Transhumans-2000“ des transhumanistischen Schriftstellers Fereidoun M. Esfandiary vor: „On our way beyond animal beyond transhuman – to a post-human dimension“ (Esfandiary 1974: 298). Hier wird bewusst betont, dass es sich um die transhumanistische Perspektive auf das Trans- und Posthumane handelt. Es gibt daneben auch eine posthumanistische Perspektive auf das Posthumane. T. und Posthumanismus dürfen nicht miteinander verwechselt werden, da es sich um zwei unterschiedliche intellektuelle Traditionen handelt, deren Methoden, Anliegen und Begriffe sich signifikant voneinander unterscheiden. Auch im wissenschaftlichen Kontext wird der Fehler, die beiden Begriffe zu verwechseln und zu vermischen, noch immer viel zu häufig begangen. Auf den Posthumanismus kann hier nicht näher eingegangen werden. Der Begriff des „Posthumanen“ spielt jedoch eine zentrale Rolle. Der Posthumane hat jedoch nicht notwendigerweise etwas mit dem Posthumanismus zu tun, da es im T. und im Posthumanismus einen Begriff des Posthumanen gibt, der jedoch je nach Tradition eine idiosynkratrische Bedeutung hat. Im T. wird der Posthumane zumeist in den folgenden drei Bedeutungen verwendet, wobei jedoch umstritten ist, welche der beschriebenen Zielsetzungen eine realistische und wünschenswerte ist:

a) eine siliziumbasierte Entität, die mittels des Prozesses des Mind uploadings entsteht,

b) eine kohlenstoffbasierte Entität, die eine evolutionäre Weiterentwicklung des heutigen Menschen repräsentiert, so dass es sich bei diesen Posthumanen um Repräsentanten einer neuen Spezies handelt,

c) ein Mitglied der Spezies „Mensch“, das jedoch bereits eine Eigenschaft besitzt, die radikal über die Fähigkeiten von gegenwärtig lebenden Menschen hinausgeht.

F. M. Esfandiary ist auch unter dem Namen FM-2030 bekannt, auf den explizit im 2013 erschienenen Roman „Inferno“ des Schriftstellers Dan Brown verwiesen wurde. Um der vorherrschenden Praxis der Namensgebung zu entfliehen, haben F. M. Esfandiary und auch andere bedeutende Transhumanisten der 1970er, 80er und 90er Jahre ihre ehemaligen Namen geändert und sich eigenständig einen neuen Namen gegeben. Auch auf die Transhumanisten Max More und Natasha Vita-More trifft dies zu, die den T. in dieser Zeit entscheidend geprägt haben. 1998 haben Nick Bostrom und David Pearce die World Transhumanist Association gegründet, wodurch die vielfältige Bewegung eine institutionelle Verankerung erhielt. Anfang der 2000er Jahre hat die ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung mit dem T. eingesetzt, da zahlreiche bekannte Transhumanisten an führenden Universitäten unterrichteten und diese Perspektive in aktuelle wissenschaftliche Debatten einbrachten. Insb. die angloamerikanische analytische angewandte Ethik, die stark utilitaristisch (Utilitarismus) geprägt ist, ist diesbezüglich herauszustellen. Zahlreiche erfolgreiche Silicon Valley-Unternehmer verstehen sich selbst als Transhumanisten, z. B. Elon Musk, Peter Andreas Thiel, Martine Aliana Rothblatt, was die immer stärker werdende mediale Auseinandersetzung mit dem T. weiter unterstützt hat. In Serien wie „Black Mirror“, „Altered Carbon“, „Electric Dreams“, „Westworld“ oder „Big Bang Theory“ werden transhumanistische Themen und Theorien sowohl implizit als auch explizit thematisiert. Die erste wissenschaftliche Zeitschrift, die schon namentlich dem Posthumanen gewidmet ist, das „Journal of Posthuman Studies“, erscheint seit dem Jahr 2017 bei der Penn State University Press. Gründer waren Stefan Lorenz Sorgner, James Hughes und Sangkyu Shin.

2. Politik

Wofür T. steht, wird noch klarer, wenn beachtet wird, dass auch der Begriff des evolutionären Humanismus durch J. Huxley geprägt wurde: Evolutionärer Humanismus und T. stehen für eine bestimmte intellektuelle Tradition. Die entscheidende Stoßrichtung dieser Konzeptionen besteht darin, mit der westlichen Geistesgeschichte zu brechen, welche durch die Idee einer unveränderlichen, an eine unsterbliche, immaterielle, gottebenbildliche Vernunftseele gekoppelte Natur der Menschen geprägt ist. Aufgrund dieses Subjektverständnisses wurde eine kategoriale ontologische Sonderstellung des Menschen in der Welt gerechtfertigt, an die etwa die Würde des Menschen (Menschenwürde) gebunden ist. Tiere, Pflanzen und Steine haben vor diesem Hintergrund keine Vernunftseele, weshalb sie auch heute noch gemäß den meisten Verfassungen rechtlich wie Sachen behandelt werden. Menschen hingegen sind autonome Subjekte, denen Würde zukommt. Die meisten Philosophen der westlichen Geistesgeschichte von Platon bis Immanuel Kant haben den Menschen auf diese grundsätzliche Weise analysiert. Auch das GG beruht auf diesen Kategorien. Transhumanisten hingegen plädieren i. d. R. dafür, den Personenstatus (Person) auch nicht-menschlichen Lebewesen zu verleihen.

Aufgrund dieses radikalen Bruches des T. mit dem anthropologischen Grundverständnis der westlichen Geistesgeschichte reagieren Geistes- und Sozialwissenschaftler noch immer weithin feindselig auf diese Denkrichtung. 2004 wurde der T. von dem bekannten US-amerikanischen Politikwissenschaftler Yoshihiro Francis Fukuyama sogar als die gefährlichste Idee der Welt bezeichnet. Für die deutsche Geistestradition steht die Aussage von Jürgen Habermas: „Eine Hand voll ausgeflippter Intellektueller versucht, aus dem Kaffeesatz eines naturalistisch gewendeten Posthumanismus die Zukunft zu lesen, um an der vermeintlichen Zeitmauer doch nur – ‚Hypermoderne‘ gegen ‚Hypermoral‘ – die sattsam bekannten Motive einer sehr deutschen Ideologie weiterzuspinnen. Glücklicherweise fehlt der elitären Verabschiedung von ‚Gleichheitsillusion‘ und Gerechtigkeitsdiskurs noch die breitenwirksame Ansteckungskraft. Die nietzscheanischen Phantasien der Selbstdarsteller, die im ‚Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den Großzüchtern des Menschen‘ den ‚Grundkonflikt aller Zukunft‘ sehen und den ‚kulturellen Hauptfraktionen‘ Mut machen, ‚die Selektionsmacht auszuüben, die sie faktisch errungen haben‘, reichen einstweilen nur zum Medienspektakel“ (Habermas 2001: 43). J. Habermas zitiert aus Peter Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark“-Rede (1999), ohne ihn namentlich zu nennen, und rückt ihn in den transhumanistischen Kontext, wobei er weiterhin fälschlicherweise noch vom Posthumanismus spricht. In späteren Publikationen ist J. Habermas präziser. Gleichzeit identifiziert er P. Sloterdijks Überlegungen wie auch die der Transhumanisten mit gefährlichen „nietzscheanischen Phantasien“ (Habermas 2001: 43). Dabei handelt es sich bei P. Sloterdijk sicherlich nicht um einen Transhumanisten, da er etwa den Gebrauch von Gentechniken zur menschlichen Verbesserung explizit ablehnt. J. Habermas spricht noch andere zentrale transhumanistische politische Fragestellungen an, die jedoch unter Transhumanisten wesentlich vielfältiger diskutiert werden als er es andeutet. Darunter fällt bspw. die Frage, welche Auswirkungen Techniken auf Fragen der nationalen wie auch der globalen Gerechtigkeit haben. Unter der Überschrift des „Gattaca“-Argumentes wird dieses Anliegen gerade unter transhumanistischen Forschern intensiv diskutiert. Herauszustellen ist, dass alle ernstzunehmenden Transhumanisten auf der Grundlage einer liberalen politischen Theorie (Liberalismus) argumentieren, wobei jedoch die Bandbreite der Positionen enorm groß ist. M. More repräsentiert das libertäre Ende des Spektrums, wohingegen der Soziologe J. Hughes eine sozialdemokratische liberale Position einnimmt. Bes. spannend werden transhumanistische Debatten, sobald die Frage nach dem zugrundeliegenden Verständnis des Guten thematisiert wird. Auch diesbezüglich ist eine große Vielfalt von Konzepten zu konstatieren, auch wenn die zentrale Bedeutung einer Steigerung der Gesundheitsspanne von den meisten Transhumanisten herausgestellt wird. Je stärker genetische Innovationen und Digitalisierungsprozesse (Digitalisierung) unsere Lebenswelt und auch unser menschliches Selbstverständnis verändern werden, desto relevanter werden transhumanistische Überlegungen. Insb. hinsichtlich politischer Fragestellungen zu den neuesten Techniken stellt T. eine Position dar, der in zukünftigen Diskussionen eine immer stärker werdende Bedeutung beizumessen ist.