Vermögensverteilung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr
1. Begriffe
Als Vermögen versteht man im volkswirtschaftlichen Sinne die Summe aller geldwerten Güter und immateriellen Vermögenswerte wie Urheberrechte, Patentrechte (Immaterialgüterrecht) und ähnliches die einer Entität gehören. Auf der Makroebene sind diese Entitäten die vier Letzteigentümersektoren: „private Haushalte“ (Haushalt, privater), „Organisationen ohne Erwerbszweck“, „Staat“ oder das „Ausland“. Nach Zuordnung des volkswirtschaftlichen Vermögens auf die Sektoren ergibt sich ein Bild der sektoralen V. auf der Makroebene. Auf der Mikroebene steht das Vermögen im Eigentum von Haushalten oder Personen im Fokus.
Die zentrale Größe auf makroökonomischer Ebene ist das Volksvermögen. Als Volksvermögen im engeren Sinn wird üblicherweise die Summe aus dem nicht-reproduzierbaren Sachvermögen (Wert des Grund und Bodens einschließlich der Bodenschätze), dem reproduzierbaren Sachvermögen (Wert der Gebäude, der Maschinen und Ausrüstungen, der Vorräte und Halbfertigprodukte, der immateriellen Rechte und des Gebrauchsvermögens der Haushalte) sowie dem Auslandsnettogeldvermögen (in inländischen Währungseinheiten bezifferte Forderungen abzüglich Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland) bezeichnet. Man unterscheidet zwischen dem Volksvermögen im engeren Sinn nach dem Inländerkonzept (alles, was Inländern im In- und Ausland gehört und was sie gegenüber dem Ausland schulden) und dem Volksvermögen nach dem Inlandskonzept (alles, was sich im Inland befindet). Das Volksvermögen im weiteren Sinn beinhaltet zudem die Größe Humankapital.
Die einzelnen Bestandteile des Volksvermögens werden in einer Vermögensrechnung oder Vermögensbilanz einer Gesellschaft zusammengestellt. Bei einer sektoralen Vermögensrechnung teilt man die Volkswirtschaft in Sektoren auf (Staatssektor, Sektor der nicht-finanziellen Unternehmen, Sektor der finanziellen Unternehmen, Sektor der Organisationen ohne Erwerbszweck wie Kirchen, Gewerkschaften oder Stiftungen, Haushaltssektor), so kommen auch die Vermögensbeziehungen, insb. die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen diesen Sektoren ins Blickfeld. Aus der Sicht jedes Sektors wird das Bruttovermögen abzüglich der Verbindlichkeiten gegenüber anderen Sektoren als Reinvermögen (Nettovermögen) des Sektors bezeichnet. Da das im Eigentum des nicht-finanziellen Unternehmenssektors befindliche Sachvermögen der volkswirtschaftlichen Produktion dient, wird es auch als Produktivvermögen bezeichnet. Wenn man allerdings bedenkt, dass die Unternehmen den vier Sektoren „private Haushalte“, „Organisationen ohne Erwerbszweck“, „Staat“ oder dem „Ausland“ gehören, so wird einsichtig, dass das Produktivvermögen ebenso wie das übrige Nettovermögen der finanziellen und nicht-finanziellen Unternehmenssektoren im Prinzip den vier Letzteigentümersektoren zugerechnet werden muss.
Mit der Ermittlung des gesamten Volksvermögens, seiner Komponenten und seiner Aufteilung nach Sektoren sind methodische Herausforderungen verbunden. Hierzu zählt v. a. die Bewertung der Vermögenskomponenten. In der EU gibt es hierzu Konventionen, die im Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (VGR) von 2010 (Europäische Kommission 2014) geregelt sind (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung). Auf dieser methodischen Grundlage beruht die vom StBA und der Deutschen Bundesbank gemeinsam erstellte Volksvermögensrechnung für Deutschland (Tab. 1). Das Eigentum von Inländern an Unternehmen und Grundstücken im Ausland dürfte nur teilweise erfasst sein.
Aktiva in Mrd. € | Passiva in Mrd. € | |||
Grund und Boden | 4985 | Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland | 6711 | |
Anlagevermögen | 11977 | |||
Wohnbauten | 5458 | |||
Nichtwohnbauten | 3442 | |||
Ausrüstungen | 1396 | |||
Nutztiere und Nutzpflanzen | 10 | |||
Geistiges Eigentum | 607 | |||
Gebrauchsvermögen d. priv. Haushalte | 1064 | |||
Forderungen gegenüber dem Ausland | 8606 | |||
Bruttovolksvermögen (einschl. Gebrauchsvermögen der privaten Haushalte) | 25586 | Summe der Verbindlichkeiten | 6711 | |
Nettovolksvermögen/Reinvermögen (einschl. Gebrauchsvermögen der privaten Haushalte) | 18857 |
Tab. 1: Das Volksvermögen der Bundesrepublik Deutschland, Jahresende 2018.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank (2019), eigene Darstellung, Positionen zusammengefasst und gerundet.
Das Anlagevermögen und das Gebrauchsvermögen privater Haushalte werden netto zu Wiederbeschaffungspreisen nachgewiesen.
Das Nettovolksvermögen Deutschlands im engeren Sinn (einschließlich des Gebrauchsvermögens der privaten Haushalte) auf Grundlage der sektoralen und gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen stieg von 1999 mit 9 838 Mrd. Euro bis 2018 mit Ausnahme der Finanzmarktkrise 2009 stetig auf 18 857 Mrd. Euro an (Tab. 1). Das entspricht einer nominellen jährlichen Wachstumsrate von 3,48 %. Im Vergleich zum BIP mit 3 344 Mrd. Euro fällt das Volksvermögen damit mehr als fünfmal so hoch aus.
Zum Anstieg des Volksvermögens trugen sowohl Nettoinvestitionen (Investition) als auch Wertsteigerungen bei Bauland, Bauten und Sachanlagen bei. Der größte Teil des Volksvermögens bildet das Anlagevermögen mit 11 977 Mrd. Euro im Jahr 2018, während der gesamte Grund und Boden mit 4 985 Mrd. Euro bewertet wird. Innerhalb des Anlagevermögens haben die Wohnbauten mit einem Wert von 5 458 Mrd. Euro den wertmäßig größten Anteil gefolgt von Nichtwohnbauten mit 3 442 Mrd. Euro. Ausrüstungen (u. a. Maschinen, Fahrzeuge) haben einen Wert von 1 396 Mrd. Euro. Von eher geringer Bedeutung für das Volksvermögen sind die Nutztiere und Nutzpflanzen mit 10 Mrd. Euro als auch geistiges Eigentum (z. B. Patente) mit 607 Mrd. Euro. Das Anlagevermögen setzt sich darüber hinaus auch aus dem Gebrauchsvermögen der Privathaushalte zusammen mit einem Wert von 1 064 Mrd. Euro. Das Bruttovolksvermögen setzt sich neben dem bereits genannten Anlagevermögen und dem Grund und Boden auch aus den Forderungen gegenüber dem Ausland zusammen. Diese summieren sich im Jahr 2018 auf 8 606 Mrd. Euro. Dem stehen Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland in Höhe von 6 711 Mrd. Euro gegenüber, was einem Saldo der Verbindlichkeiten von 1 895 Mrd. Euro entspricht. Dieser Saldo hat sich über die Zeit deutlich verändert. So waren die Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland im Jahr 1999 noch nahezu ausgeglichen. Seitdem hat sich dieser Saldo – insb. nach der Finanzmarktkrise 2009 – bis zum Jahr 2018 auf + 1 895 Mrd. Euro stark erhöht. Dies bedeutet, dass die Forderungen gegenüber dem Ausland die zu leistenden Verbindlichkeiten deutlich überstiegen.
2. Verteilung auf der Makroebene
Die Beschreibung der V. auf Makroebene erfolgt über Zuweisung des Volksvermögens auf die vier Sektoren (Staat, nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften, finanzielle Kapitalgesellschaften, private Haushalte inkl. Organisationen ohne Erwerbszweck; Abb. 1). Hierbei ist zu beachten, dass sich Forderungen und Verbindlichkeiten der Sektoren insoweit gegenseitig kompensieren, als dass jedem inländischen Gläubiger ein inländischer Schuldner gegenübersteht. Nur das jeweilige sektorale Nettovermögen geht in die Berechnung des Nettovolksvermögens ein.
Der größte Teil des Volksvermögens entfällt mit rund drei Viertel auf die privaten Haushalte inkl. den privaten Organisationen ohne Erwerbszweck. Legt man das Reinvermögen der Privathaushalte inkl. den privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (einschließlich des Gebrauchsvermögens) auf die gesamte Bevölkerung um, so erhält man im Jahr 2018 einen Betrag von ca. 169 900 Euro pro Kopf. Auf den Sektor nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften entfallen etwa 19 %, während der Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften einen Anteil von rund 2 % hat. Auf den Staat entfällt ein Anteil am Volksvermögen von knapp 5 %. Im Vergleich zum Jahr 1999 haben sich die jeweiligen Anteile der vier Sektoren kaum verändert, wenngleich der Anteil des Staates um etwa zwei Prozentpunkte leicht gesunken ist. Dies ist u. a. durch einen gesunkenen Wert des Anlagevermögens des Staates zurückzuführen und ein Indiz für sinkende Investitionstätigkeit.
Abb. 1: Verteilung des Volksvermögens auf Sektoren – Deutschland 1999–2018
Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank (2019), eigene Darstellung, Positionen zusammengefasst und gerundet.
Anmerkung: Das Anlagevermögen und das Gebrauchsvermögen privater Haushalte werden netto zu Wiederbeschaffungspreisen nachgewiesen.
* einschließlich Private Organisationen ohne Erwerbszweck, inkl. Gebrauchsvermögen.
3. Verteilung auf der Mikroebene
Aus der Sicht der privaten Haushalte gibt es verschiedene Funktionen, die Vermögen erfüllen kann: So kann Vermögen der Erzielung von Einkommen dienen, etwa in Form von Zinsen, Dividenden, Mieten, Pachten oder ausgeschütteter Gewinne (Einkommenserzielungsfunktion); Sachvermögen kann selbst genutzt werden (Nutzungsfunktion); Vermögen kann verbraucht, verschenkt und vererbt werden; es dient daher einerseits der individuellen Unabhängigkeit und der Absicherung gegen Risiken und andererseits der Sicherung der Nachkommen (Sicherungsfunktion). Vermögen ist aber auch eine relevante Größe für die Position in der Gesellschaft (Prestigefunktion) und erlaubt wirtschaftliche und/oder politische Einflussnahme (Machtfunktion [ Macht ]). Entspr. groß ist das Interesse in Wirtschafts-, Politik- und Sozialwissenschaften an der Verteilung von Vermögen auf der Mikroebene.
Angaben zur Höhe und Verteilung des Nettovermögens pro Erwachsenen lassen sich auf Basis des Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) des DIW ermitteln, einer repräsentativen Haushaltsbefragung für Deutschland. Im SOEP werden – in Abweichung zur VGR – alle Vermögenskomponenten, über die die Haushalte verfügen, mit dem Marktwert bewertet. Das Bruttovermögen laut SOEP umfasst den Wert des Immobilienbesitzes, Geldvermögen, Vermögen aus privaten Versicherungen, Bausparguthaben, Betriebsvermögen, Sachvermögen in Form wertvoller Sammlungen wie Gold, Schmuck, Münzen oder Kunstgegenstände sowie den Wert von Fahrzeugen. Folgende Vermögenskomponenten bleiben beim hier betrachteten Nettovermögen ausgeblendet: das Bargeld, der Wert des Hausrats, der Wert von Nutztieren und Nutzpflanzen, Ausrüstungen, immaterielle Anlagegüter, Ansprüche gegenüber privaten Krankenversicherungen, sowie die quantitativ bedeutsamen Anwartschaften an Alterssicherungssysteme wie die an die gesetzliche Rentenversicherung.
Als Verbindlichkeiten werden Hypothekenkredite, Konsumentenkredite und Studienkredite erfasst.
Im Gegensatz zu anderen Vermögensbefragungen, bei denen die Vermögensbestände auf Haushaltsebene erfragt werden, geschieht dies im SOEP auf individueller Ebene bei allen Erwachsenen. Vermögensbestände von Kindern bleiben damit unberücksichtigt.
Die Differenz aus Bruttovermögen und Verbindlichkeiten ergibt das für Verteilungsanalysen bes. relevante Aggregat des Nettovermögens. Das Nettovermögen pro Erwachsenen im Jahr 2017 in Deutschland betrug laut SOEP durchschnittlich rund 139 000 Euro. Dieser Wert ist geringer als derjenige laut VGR. Hierfür gibt es verschiedene Gründe: unterschiedliche Bewertung des Immobilienbesitzes mit Wiederbeschaffungspreisen in der VGR gegenüber Marktpreisen im SOEP; Nichterfassung ausgewählter Vermögenskomponenten im SOEP (z. B. Bargeld); Unterschiede in der Population (SOEP: erwachsene Personen in Privathaushalten; VGR: Privathaushalte plus private Organisationen ohne Erwerbszweck).
Die Verteilung des Vermögens auf Mikroebene ist sehr ungleich. Dies zeigt sich u. a. daran, dass der Median, also der Wert, der die reichere von der ärmeren Hälfte der Bevölkerung trennt und damit die Mitte der V. beschreibt, mit 22 800 Euro deutlich niedriger als der Mittelwert liegt. Das Ausmaß der Vermögenskonzentration kann durch den Anteil am Gesamtvermögen, den ein bestimmter Teil der Bevölkerung am Gesamtvermögen hält, beschrieben werden (Abb. 2). So kann die Bevölkerung nach der Höhe des Vermögens sortiert und dann in Gruppen mit gleichen Bevölkerungsanteilen eingeteilt werden (Dezile, Quantile, etc.). Das unterste (erste) bzw. oberste (zehnte) Dezil beschreibt dann z. B. den Vermögensanteil der ärmsten bzw. reichsten 10 % der erwachsenen Bevölkerung.
Abb. 2: Verteilung des Nettovermögens nach Dezilen – Deutschland 2017
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (soep.v35), SOEP-P (vorläufige Gewichte und vorläufige Vermögensangaben für das Jahr 2019), Manager Magazin (Reichenliste 2017); eigene Berechnungen.
Anmerkung: Individuelle Nettovermögen der Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten, ohne Personen der Flüchtlingssamples M3 bis M5.
Das unterste (erste) Dezil hält einen negativen Anteil am Gesamtvermögen – ihre Verbindlichkeiten übersteigen also ihr Bruttovermögen. Im zweiten und dritten Dezil ist das Nettovermögen Null. Kumuliert man den Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung ab 18 Jahren, so belief sich deren Anteil am Nettogesamtvermögen auf 1,3 %. Demgegenüber hielten die reichsten 10 % einen Anteil von 67 % des Gesamtvermögens. Zieht man nur das reichste 1 % heran, so beläuft sich deren Vermögensanteil auf rund 35 %. Dies ist ungefähr so viel, wie die ärmsten 90 % der Bevölkerung zusammen an Vermögen halten. Betrachtet man die obersten 0,1 % der erwachsenen Bevölkerung, so betrug deren Anteil am Gesamtvermögen 20 %.
Neben Quantilswerten wird die V. vor allem mit aggregierten Indikatoren wie dem Gini-Koeffizienten beschrieben. Dabei gilt, dass je höher sein Wert ist, desto ungleicher sind die Vermögen verteilt. Der Wertebereich ist nach unten auf den Wert Null begrenzt, d. h. alle Personen halten das gleiche Vermögen. Nach oben ist üblicherweise der Gini-Koeffizient auf einen Wert von Eins beschränkt. Dies gilt aber nur bei Vorliegen strikt positiver Werte einschließlich der Null. Nettovermögen können aber auch negative Werte annehmen, was bedeutet, dass der Maximalwert des Gini-Koeffizienten auch größer Eins sein kann. Der Gini-Koeffizient nimmt im Jahr 2017 einen Wert von 0,83 an. Damit liegt die Vermögensungleichheit in Deutschland im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau. Denn nach Angaben des „Household Finance and Consumption Survey“ der EZB (2020) hatten die Niederlande mit einem Gini-Koeffizienten von 0,78 im Jahr 2017 die ansonsten höchste Vermögensungleichheit im Euroraum. Nur wenige Länder weisen eine höhere Vermögensungleichheit als Deutschland auf. Dies trifft bspw. auf die USA zu, für die für das Jahr 2016 ein Gini-Koeffizient von 0,877 berichtet wird.
Für Vergleiche der Vermögensungleichheit im Euroraum werden häufig die Anteile der reichsten 10 % der Bevölkerung am Nettogesamtvermögen herangezogen (Abb. 3). Die geringste Vermögensungleichheit zeigen dabei süd- und osteuropäische Länder wie z. B. die Slowakei oder Griechenland mit einem Anteil von rund 41 %. Eine mittlere Vermögensungleichheit weisen Länder wie Frankreich oder Irland mit Werten von rund 50 % auf. Am oberen Rand finden sich Länder wie die Niederlande, Estland und Zypern mit Werten von mehr als 56 %. Deutschland hat nach diesem Vorgehen die höchste Vermögensungleichheit mit einem Wert von 67 %.
Abb. 3: Anteil der reichsten 10 Prozent am Nettogesamtvermögen in der Eurozone – Angaben für 2017
Quelle: EZB (2020), Haushaltsnettovermögen.
Angaben für Deutschland: Sozio-oekonomisches Panel (soep.v35), SOEP-P (vorläufige Gewichte und vorläufige Vermögensangaben für das Jahr 2019), Manager Magazin (Reichenliste 2017); eigene Berechnungen.
Individuelle Nettovermögen der Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten, ohne Personen der Flüchtlingssamples M3 bis M5.
4. Ökonomische Erklärungsansätze für die Unterschiede im Ausmaß der Vermögensungleichheit auf Mikroebene im Euroraum
Das Ausmaß der Vermögensungleichheit in den Ländern des Euroraums weist große Unterschiede auf. Neben methodischen Unterschieden bei der Erhebung der Daten (z. B. Repräsentation von Hochvermögenden) gibt es hierzu verschiedene Erklärungsansätze. So ist zu beobachten, dass in Ländern mit vergleichsweise geringer Vermögensungleichheit – etwa in Ost- und Südeuropa – selbstgenutzter Immobilienbesitz häufiger ist. Demgegenüber ist in Ländern mit hoher Vermögensungleichheit – etwa in Deutschland und der Schweiz – die Eigentümerquote bes. niedrig (beide kleiner 50 %).
Unterschiede in den institutionellen Rahmenbedingungen sind ein weiterer Erklärungsansatz. So ließe sich die hohe Rechtssicherheit für Mieter bei gleichzeitig relativ hohen Immobilienpreisen in Deutschland als Erklärungsansatz für die geringe Eigentümerquote heranziehen. Aber auch die sozialen Sicherungssysteme sind in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sozialdemokratische als auch konservative Wohlfahrtsstaaten sind durch eine relativ umfassende soziale Absicherung im Fall von Krankheit oder Arbeitslosigkeit und im Alter gekennzeichnet. Je umfassender der Wohlfahrtsstaat ist, desto geringer ist die Notwendigkeit, auf individueller Ebene für Lebensrisiken Vermögen anzusparen. Gleichzeitig schränken hohe Steuern und Sozialabgaben die Sparmöglichkeit ein. Auch die unterschiedliche Ausgestaltung der Besteuerung von Einkommen, Vermögen, Erbschaften und Schenkungen liefert wichtige Erklärungsansätze.
Vermögensungleichheiten haben aber auch historische Ursachen, denn der Aufbau von Vermögen (inkl. Übertragung desselben) ist ein Prozess, der über das ganze Leben (und intergenerational) erfolgt. So hat Deutschland im 20. Jh. zwei Hyperinflationen (Inflation) erlebt: 1923 und zum anderen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1945 bis 1948. Darüber hinaus sind die Folgen des Zweiten Weltkriegs zu beachten: Viele Sachwerte wie Bauten und Ausrüstungen wurden etwa durch Bombardierungen zerstört. Daneben flohen etwa rund 20 Mio. Deutsche aus den ehemaligen Reichsgebieten in Pommern, Schlesien und Ostpreußen, die häufig ihren Besitz aufgeben mussten (Flucht und Vertreibung). Andererseits gab es im verbliebenen Reichsgebiet Personen, deren Besitz vom Krieg weitgehend verschont blieb. Zwar wurden diese Unterschiede durch den sog.en Lastenausgleich (einer Vermögensabgabe, die über einen Zeitraum von 30 Jahren verteilt wurde) z. T. ausgeglichen. Die zuvor bestehenden Vermögensunterschiede wurden aber nur z. T. dadurch gedämpft.
Vermögensungleichheiten sind aber auch durch mikroökonomische Argumente erklärbar: Menschen bauen Vermögen über ihren Lebenszyklus i. d. R. zwecks Konsumglättung zunächst auf und später wieder ab. Wird die V. zu einem Zeitpunkt betrachtet, werden Personen verschiedenen Alters und damit in verschiedenen Phasen der Vermögensbildung verglichen. Selbst wenn also alle Menschen über ihr Leben hinweg komplett identisch wären, würden bei einer querschnittlichen Verteilungsanalyse Ungleichheiten nicht verschwinden. Die Menschen unterscheiden sich aber z. B. auch im Humankapital, ihrer Risikobereitschaft, Gegenwartspräferenz oder familiärem Hintergrund. Auch exogene Ereignisse (Schocks) etwa aufgrund einer schweren Erkrankung, unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder unerwarteter Erbschaften erklären Vermögensungleichheiten.
5. Zusammenfassung
Gerade die Verteilung des Vermögens auf Mikroebene erfährt in Gesellschaft und Politik eine hohe Beachtung. In den letzten Jahren hat es in der Wissenschaft große Anstrengungen gegeben, die Verteilung des Vermögens präziser zu beschreiben und besser zu erklären.
Ein wichtiger Baustein zu einem besseren Verständnis von Höhe und Ursachen von Vermögensungleichheiten ist eine verbesserte Datenlage. Hier gab es enorme Fortschritte, was die internationale Vergleichbarkeit, aber auch die Repräsentation hoher Vermögen in bevölkerungsrepräsentativen Stichproben betrifft. Ein weiterer wichtiger Baustein sind neue mikroökonomische Modelle, mit denen Spartätigkeit und Vermögensbildung über den Lebensverlauf erklärt werden können.
Literatur
EZB: The Household Finance and Consumption Survey. Wave 2017. Statistical Tables. March, 2020 • C. Schröder u. a.: MillionärInnen unter dem Mikroskop. Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen – Konzentration höher als bisher ausgewiesen, in: DIW Wochenbericht 87/29 (2020), 512–520 • E. N. Wolff: Taxes and the Revaluation of Household Wealth, in: NBER Working Paper 27328, 2020 • T. Bönke u. a.: The Joint Distribution of Net Worth and Pension Wealth in Germany, in: Review of Income and Wealth 65/4 (2019), 834–871 • J. Goebel u. a.: The German Socio-Economic Panel (SOEP), in: Journal of Economics and Statistics 239/2 (2019), 345–360 • StBA/Deutsche Bundesbank: Vermögensbilanzen. Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen, 1999–2018, 2019 • Europäische Kommission: Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen. ESVG 2010, 2014.
Empfohlene Zitierweise
M. Grabka, C. Schröder: Vermögensverteilung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Verm%C3%B6gensverteilung (abgerufen: 05.12.2024)