Völkerrechtliche Verträge: Unterschied zwischen den Versionen
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Eine strikte Unterscheidung zwischen bilateralen Austauschverträgen und multilateralen, primär auf Normsetzung gerichteten Verträgen, hat sich demgegenüber nicht durchsetzen können. Die bloße, oft mit Symbolkraft gewählte Bezeichnung (z. B. Abkommen, Konvention, „Covenant“, Satzung, Charta, Statut, Pakt, Akte, Deklaration, Memorandum oder Protokoll) spielt für die rechtliche Qualifikation keine Rolle. Für die Verbindlichkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung kommt es nicht auf die Terminologie, sondern allein auf den Rechtsbindungswillen der Vertragsparteien an. Durch diesen unterscheiden sich v. V. von bloßen politischen Absichtserklärungen, mit denen die Erklärenden gerade keine gegenseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen ( | + | Das Vertragsschlussrecht kommt in erster Linie Staaten zu. Neben Staaten haben indes auch (viele) internationale Organisationen ein – wenngleich beschränktes – Vertragsschlussrecht. Ein abgeschlossener Kanon vertragsschlussfähiger Völkerrechtssubjekte existiert nicht. Vielmehr ist (im Einzelfall) anhand ihrer spezifischen völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit zu bestimmen, ob auch nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekten ein Vertragsschlussrecht eingeräumt werden kann. Eine Kategorisierung v.r V. lässt sich aufgrund der Anzahl der Vertragsparteien vornehmen. Sind nur zwei Parteien beteiligt, liegt ein bilateraler Vertrag vor. Treffen mehrere Parteien eine vertragliche Übereinkunft, spricht man von einem plurilateralen Vertrag, bei einer signifikanten Anzahl von Vertragsparteien von einem multilateralen Vertrag. Eine strikte Unterscheidung zwischen bilateralen Austauschverträgen und multilateralen, primär auf Normsetzung gerichteten Verträgen, hat sich demgegenüber nicht durchsetzen können. Die bloße, oft mit Symbolkraft gewählte Bezeichnung (z. B. Abkommen, Konvention, „Covenant“, Satzung, Charta, Statut, Pakt, Akte, Deklaration, Memorandum oder Protokoll) spielt für die rechtliche Qualifikation keine Rolle. Für die Verbindlichkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung kommt es nicht auf die Terminologie, sondern allein auf den Rechtsbindungswillen der Vertragsparteien an. Durch diesen unterscheiden sich v. V. von bloßen politischen Absichtserklärungen, mit denen die Erklärenden gerade keine gegenseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen (sogenannte <I>gentlemen’s agreements</I>). Die Unterscheidung zwischen solchen Absichtserklärungen und verbindlicher Vertragsabrede ist häufig schwierig, da kaum eindeutig gesicherte Kriterien greifbar werden. In einem Streitfall (Qatar v Bahrain, ICJ Reports 1994: 112 [120]) hat der [[Internationaler Gerichtshof (IGH, International Court of Justice, ICJ)|IGH]] die abgegebenen Erklärungen nach dem sogenannten <I>objektiven Empfängerhorizont</I> ausgelegt und geurteilt, dass es bei einem klar geäußerten Bindungswillen unbeachtlich sei, wenn der Erklärende – nach seinem subjektiven („inneren“) Willen – an sich nur eine politische Absichtserklärung avisiert hatte. Damit ist zwar ein erster Orientierungsrahmen festgelegt, aber die Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall bleiben. Angesichts dessen wird für bestimmte Resolutionen internationaler Organisationen – etwa solche der UN-Generalversammlung – eine als <I>soft law</I> apostrophierte Alternative zu voller rechtlicher Verbindlichkeit auf der einen und gänzlich unverbindlicher Willensäußerung auf der anderen Seite angenommen. Ein klassisches Beispiel liefert die AEMR aus dem Jahre 1948. Dem <I>soft law</I> fehlt noch der uneingeschränkte Rechtsbindungswillen, und doch liegt den Absprachen die Überzeugung der Parteien zugrunde, jedenfalls politisch bedeutsame Verpflichtungen einzugehen. Im Unterschied zur klassischen Vertragspflicht zielen diese Abreden auf bloße Verhaltensvorgaben ab. Ihre Nichtbeachtung begründet keinen Völkerrechtsverstoß, steht einer vertrauensvollen Kooperation der beteiligten Völkerrechtssubjekte indes entgegen. Auf der politischen Ebene hat ein solcher Vertrauensbruch durchaus Gewicht. Dem Individuum kommt trotz seiner partiellen Völkerrechtsubjektivität keine Vertragsschlusskompetenz zu. Zwar können Investionsschutzabkommen dem Individuum eine Rechtsstellung gegenüber Staaten vor nicht-staatlichen Gerichten einräumen, doch auch diese Stellung beruht schlussendlich auf Verträgen zwischen Staaten. Die zivilgesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten ([[Partizipation]]) bleiben insgesamt begrenzt, auch wenn in Wissenschaft und Praxis vermehrt die Einbindung von [[NGO (Non Governmental Organization)|NGOs]] zur Diskussion steht. |
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urzelgrund des solchermaßen verengten Multilateralismus bildet das Völkervertragsrecht. Durch multilateralen Vertragsschluss entstehen multilaterale Organisationen wie die UNO. Der Vertrag ist das Instrument der Institutionenbildung ([[Institution]]), er konstituiert und verleiht der völkerrechtlichen Ordnungsbildung konstitutionelle Dynamik. |
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Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
Auch wenn Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut alle formellen Quellen des Völkerrechts einander gleichordnet, stellen in der Völkerrechtspraxis v. V. nach Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut die mit Abstand bedeutendste unter diesen Quellen dar. Sie bilden zugleich das wichtigste Instrument internationaler Rechtssetzung. Ihre genaue Anzahl ist unbekannt. Beim Sekretariat der UNO sind allein 560 multilaterale Verträge hinterlegt, die auch in den „UN Treaty Series“ online publiziert worden sind. Den größten Anteil machen bilaterale Verträge aus. Insgesamt sind nach Angaben der UNO mehr als 158 000 v. V. auf Grundlage von Art. 102 UN-Charta beim Sekretariat der UNO hinterlegt. Die Zahl dürfte mittlerweile noch deutlich größer sein, ganz abgesehen davon, dass längst nicht alle Verträge hinterlegt werden und eine empirisch gesicherte Bestandsaufnahme deshalb unmöglich ist. Eine Tendenz aber steht fest: Mit der Ausdehnung völkerrechtlicher Regelungsbereiche im 20. Jh. hat auch die Zahl v.r V. rapide zugenommen. Hinzu kommt die wachsende Zahl vertragsschlussfähiger Völkerrechtssubjekte, da neben den Staaten immer stärker auch internationale Organisationen unmittelbar an der Völkerrechtsetzung teilnehmen.
1. Eine Vorfrage: Die souveräne Gleichheit der Staaten als Voraussetzung und Bedingung des Völkervertragsrechts
(Gedanklicher) Ausgangspunkt eines jeden – zwischen Staaten geschlossenen und auf gleichberechtigter Übereinkunft (Konsens) beruhenden – v.n V.es ist der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Er verbindet die Souveränität des Staates mit dem Gebot der formalen (rechtlichen) Gleichheit der Staaten zu einem tragenden Prinzip der Völkerrechtsordnung (Art. 2 Nr. 1 der UN-Charta). Der souveräne Staat übt seine Hoheitsgewalt einerseits unabhängig vom Einfluss aller übrigen Staaten aus, hat dabei aber andererseits deren gleichberechtigte Regelungsmacht und Jurisdiktionsgewalt zu beachten. Insofern führt das Gebot der souveränen Gleichheit – eine Art Paradoxon der Souveränität – notwendig zu einer Beschränkung der Souveränität des Einzelstaates, ohne diese als solche in Frage zu stellen. Dass souveräne Gleichheit nur Gleichheit im Recht, keine faktische Gleichheit in der Machtfülle bedeuten kann, liegt auf der Hand. Ebenso aber steht außer Frage, dass rechtlich Gleiche über andere Gleiche keine Hoheitsgewalt ausüben dürfen (par in parem non habet imperium). Unter Gleichen kann es rechtlichen Ausgleich nur durch Konsens geben. Deshalb formt das Konsensprinzip – bezogen auf das Rechtserzeugungsverfahren ebenso wie den Geltungsgrund (Geltung) und die Bindungswirkung der Völkerrechtsnormen – einen tragenden Legitimationsbaustein der gesamten Völkerrechtsordnung. Das Instrument zur Konsentierung par excellence ist der Vertrag. Wie im Zivilrecht kommt im Völkerrecht der Vertrag zwischen gleichberechtigten Akteuren durch deren gleichgerichtete Willenserklärungen, also den Konsens, zustande. Die einzige wesentliche Ausnahme davon macht das zwingende Völkerrecht (ius cogens), dessen alle Völkerrechtsubjekte bindende Normen auch durch vertragliche Übereinkunft nicht abbedungen werden können. Gerade wer ein positivistisches Verständnis (Rechtspositivismus) der Völkerrechtsordnung zugrunde legt, wird auf die zentrale Rolle der Zustimmung von Staaten für die Entstehung (neuer) völkerrechtlicher Verpflichtungen abstellen. Als Leitentscheidung gilt das Urteil des StIGH im Lotus-Fall: „International law governs relations between independent States. The rules of law binding upon States therefore emanate from their own free will“ (StIGH [series A] No. 10, 7.9.1927, Rdnr. 44).
2. Die ordnungsbildenden Grundlagen des Völkervertragsrechts
Begrifflich impliziert ein v.r V. gerade wegen seines Übereinstimmungscharakters mit rechtlichem Bindungswillen immer auch seine Rechtsverbindlichkeit. Ein v.r V. kommt durch wechselseitige, übereinstimmende Willenserklärungen von Staaten oder sonstigen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten zustande. Diese Willensäußerungen müssen auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung von völkerrechtlichen Beziehungen gerichtet sein. Schriftform ist oft üblich, aber nicht zwingend nötig. Ebenso gut kann ein Vertrag mündlich geschlossen werden, sofern die erklärenden Personen dazu ermächtigt sind. Verträge können sogar konkludent durch Zeichen (z. B. im Krieg durch gegenseitiges Zeigen von Parlamentärflaggen) geschlossen werden.
Das Vertragsschlussrecht kommt in erster Linie Staaten zu. Neben Staaten haben indes auch (viele) internationale Organisationen ein – wenngleich beschränktes – Vertragsschlussrecht. Ein abgeschlossener Kanon vertragsschlussfähiger Völkerrechtssubjekte existiert nicht. Vielmehr ist (im Einzelfall) anhand ihrer spezifischen völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit zu bestimmen, ob auch nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekten ein Vertragsschlussrecht eingeräumt werden kann. Eine Kategorisierung v.r V. lässt sich aufgrund der Anzahl der Vertragsparteien vornehmen. Sind nur zwei Parteien beteiligt, liegt ein bilateraler Vertrag vor. Treffen mehrere Parteien eine vertragliche Übereinkunft, spricht man von einem plurilateralen Vertrag, bei einer signifikanten Anzahl von Vertragsparteien von einem multilateralen Vertrag. Eine strikte Unterscheidung zwischen bilateralen Austauschverträgen und multilateralen, primär auf Normsetzung gerichteten Verträgen, hat sich demgegenüber nicht durchsetzen können. Die bloße, oft mit Symbolkraft gewählte Bezeichnung (z. B. Abkommen, Konvention, „Covenant“, Satzung, Charta, Statut, Pakt, Akte, Deklaration, Memorandum oder Protokoll) spielt für die rechtliche Qualifikation keine Rolle. Für die Verbindlichkeit einer völkerrechtlichen Vereinbarung kommt es nicht auf die Terminologie, sondern allein auf den Rechtsbindungswillen der Vertragsparteien an. Durch diesen unterscheiden sich v. V. von bloßen politischen Absichtserklärungen, mit denen die Erklärenden gerade keine gegenseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen (sogenannte gentlemen’s agreements). Die Unterscheidung zwischen solchen Absichtserklärungen und verbindlicher Vertragsabrede ist häufig schwierig, da kaum eindeutig gesicherte Kriterien greifbar werden. In einem Streitfall (Qatar v Bahrain, ICJ Reports 1994: 112 [120]) hat der IGH die abgegebenen Erklärungen nach dem sogenannten objektiven Empfängerhorizont ausgelegt und geurteilt, dass es bei einem klar geäußerten Bindungswillen unbeachtlich sei, wenn der Erklärende – nach seinem subjektiven („inneren“) Willen – an sich nur eine politische Absichtserklärung avisiert hatte. Damit ist zwar ein erster Orientierungsrahmen festgelegt, aber die Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall bleiben. Angesichts dessen wird für bestimmte Resolutionen internationaler Organisationen – etwa solche der UN-Generalversammlung – eine als soft law apostrophierte Alternative zu voller rechtlicher Verbindlichkeit auf der einen und gänzlich unverbindlicher Willensäußerung auf der anderen Seite angenommen. Ein klassisches Beispiel liefert die AEMR aus dem Jahre 1948. Dem soft law fehlt noch der uneingeschränkte Rechtsbindungswillen, und doch liegt den Absprachen die Überzeugung der Parteien zugrunde, jedenfalls politisch bedeutsame Verpflichtungen einzugehen. Im Unterschied zur klassischen Vertragspflicht zielen diese Abreden auf bloße Verhaltensvorgaben ab. Ihre Nichtbeachtung begründet keinen Völkerrechtsverstoß, steht einer vertrauensvollen Kooperation der beteiligten Völkerrechtssubjekte indes entgegen. Auf der politischen Ebene hat ein solcher Vertrauensbruch durchaus Gewicht. Dem Individuum kommt trotz seiner partiellen Völkerrechtsubjektivität keine Vertragsschlusskompetenz zu. Zwar können Investionsschutzabkommen dem Individuum eine Rechtsstellung gegenüber Staaten vor nicht-staatlichen Gerichten einräumen, doch auch diese Stellung beruht schlussendlich auf Verträgen zwischen Staaten. Die zivilgesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten (Partizipation) bleiben insgesamt begrenzt, auch wenn in Wissenschaft und Praxis vermehrt die Einbindung von NGOs zur Diskussion steht.
3. Der Rechtsrahmen: Das Recht der völkerrechtlichen Verträge als solches
Das Recht der v.n V. reicht von deren Abschluss über Fragen der Geltung bis hin zur Beendigung. Es entstammt nicht einer einzigen Rechtsquelle, sondern gewinnt seine Konturen aus völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen (Gewohnheitsrecht), allgemeinen Rechtsprinzipien (Allgemeine Rechtsgrundsätze) und dem Vertragsrecht selbst. Kodifiziert sind die wesentlichen Teile des Völkervertragsrechts in drei internationalen Übereinkommen: dem WVRK vom 23.5.1969, dem WVKIO vom 21.3.1986 und schließlich der WKSV vom 23.8.1978. Mit dieser Trias haben die vertragsschließenden Staaten durch multilaterale v. V. das Völkervertragsrecht konsolidiert und (teil-)kodifiziert.
So bringt die WVRK gewohnheitsrechtlich begründetes Recht auf einen relativ umfassenden Vertragstext. Sie enthält u. a. Regelungen darüber, welche staatlichen Stellen zum Vertragsschluss berechtigt sind, ab wann Verträge Wirksamkeit entfalten und wie Vorbehalte angebracht werden können. Ebenso wichtig sind ihre differenzierten Regeln zur Vertragsauslegung. Weiterhin benennt die Konvention Gründe, warum ein Vertrag anfechtbar oder nichtig ist. Sie legt fest, unter welchen Voraussetzungen auf Zweiseitigkeit angelegte vertragliche Übereinkünfte einseitig durch einen Vertragsstaat gekündigt oder suspendiert werden können. Bspw. darf der Vertragsinhalt zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens) nicht widersprechen. Eine Bindung an den Vertragsinhalt kann auch beim Wegfall der Geschäftsgrundlage entfallen (clausula rebus sic stantibus, Art. 62 WVRK). Trotz ihrer weitreichenden Ambitionen führt die WVRK nicht zu einer kompletten Vereinheitlichung des völkerrechtlichen Vertragsrechts. So haben bislang – je nach Perspektive „schon“ oder „nur“ – 116 der weltweit über 190 Staaten die Konvention ratifiziert (Stand: März 2019). Doch sollte dieser Befund nicht täuschen. Die WVRK hat über die Jahrzehnte ihrer Geltung hinweg sehr erfolgreich zur gewohnheitsrechtlichen Verdichtung der in ihr niedergelegten Regelungen und Grundsätze beigetragen. Schließlich gilt die WVRK grundsätzlich nur für in Schriftform geschlossene Verträge zwischen Staaten (vgl. Art. 3 WVRK). Ihr Anwendungsbereich ist damit – bezogen auf Form und zum Vertragsschluss berechtigte Subjekte – enger als der des Völkervertragsrechts insgesamt.
Das WVKIO ist bislang nicht in Kraft getreten (Stand: Februar 2020), da die erforderliche Ratifizierungszahl von 35 Staaten noch nicht erreicht ist. Das Abkommen soll nur für v. V. gelten, an denen internationale Organisationen als Vertragspartei beteiligt sind. Die Gründungsverträge internationaler Organisationen – allein von deren Mitgliedstaaten getragen – fallen daher in den Anwendungsbereich der WVRK (vgl. Art. 5). Abgesehen von wenigen Besonderheiten entsprechen ihre Regeln denen der WVRK. Anders als diese, konnte das WVKIO jedoch schon aufgrund der geringen Zahl der Vertragsstaaten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Staatenpraxis nehmen und dadurch zur Gewohnheitsrechtsbildung beitragen. Die WKSV regelt Fragen zur Staatennachfolge in Verträgen, die von der WVRK explizit ausgenommen werden (vgl. Art. 73). Sie ist bereits 1996 in Kraft getreten, ihr Regelungsgegenstand hingegen bleibt in vielen Einzelheiten hoch umstritten und widerspiegelt in weiten Teilen kein Völkergewohnheitsrecht. Entspr. gering fällt die Zahl der Ratifizierungen aus. Auch Deutschland gehört nicht zu den Vertragsparteien (Stand Februar 2020).
4. Vertragsfreiheit und Vertragsbindung
Das Recht der v.n V. ist, den nationalen Zivilrechtsordnungen ganz ähnlich, ein System der Gleichordnung gleichberechtigter Vertragsparteien. Den Dreh- und Angelpunkt bildet daher die Vertragsfreiheit. Sie räumt den souveränen Staaten – der Kontext zum Souveränitätsprinzip wurde oben schon hergestellt – die Abschlussfreiheit (Wahl des Vertragspartners und des Zeitpunktes) sowie die Inhalts- und Formfreiheit ein. D. h.: Die Staaten sind grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, mit welchem Vertragspartner sie welche Verträge abschließen. Ebenso können sie selbst wählen, in welcher äußeren Form sie ihre Willensübereinstimmungen zum Ausdruck bringen wollen. Wie alle Freiheiten gilt auch die Vertragsfreiheit nicht schrankenlos. Alle Regeln, die für das friedliche Zusammenleben der Staaten von grundlegender Bedeutung und daher zu zwingendem Völkerrecht erstarkt sind, können vertraglich nicht abbedungen werden. Sie entziehen sich schlechthin der Disposition aller völkerrechtlichen Akteure. Normen zwingenden Charakters setzen sich gegenüber widersprechendem früheren Vertragsrecht durch und sie verhindern die Entstehung bzw. Geltung widersprechenden künftigen Vertragsrechts (vgl. Art. 53 und 64 WVRK). Dabei gilt es das in Art. 65 f. WVRK beschriebene Verfahren zur Geltendmachung der Ungültigkeit einzuhalten. Eine weitere inhaltliche Schranke wird der Vertragsfreiheit durch Art. 103 UN-Charta gesetzt: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang“. Dieser Vorrangregel korrespondiert Art. 30 WVRK. Durch diesen Zusammenklang ist der UN-Charta ein umfassender Vorrang gegenüber allen v.n V.n eingeräumt, die UN-Mitgliedstaaten vor und nach ihrem Beitritt untereinander oder mit Drittstaaten abgeschlossen haben.
Schließlich kann die Vertragsabschlussfreiheit durch ein pactum de negotiando oder ein pactum de contrahendo eingeschränkt sein. Ersteres meint einen Vorvertrag, der, allerdings ohne eine Einigungspflicht zu begründen, die Parteien zu Vertragsverhandlungen verpflichtet. Auch Vertragsänderungsklauseln können eine solche Pflicht begründen. Das pactum de contrahendo geht demgegenüber weiter. Es legt eine ausdrückliche Pflicht zum Vertragsschluss fest, limitiert damit die Abschlussfreiheit, lässt die Inhaltsfreiheit aber unberührt. Sowohl pactum de negotiando als auch pactum de contrahendo beruhen ihrerseits auf einer freiwilligen Übereinkunft der Parteien.
Sobald ein Vertrag in Kraft tritt, ist er für die Parteien verbindlich und muss nach Treu und Glauben (Treu und Glauben) erfüllt werden (Art. 26 WVRK). Neben die Vertragsfreiheit tritt damit die Verbindlichkeit v.r V. als Grundfeste der gesamten Völkerrechtsordnung: pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Die Verpflichtung zur ordentlichen Vertragserfüllung bezieht sich gleichermaßen auf die vertraglichen Haupt- wie Nebenpflichten. Deren Erfüllung nach „Treu und Glauben“ verlangt von den Parteien ein loyales und rücksichtsvolles Verhalten. Sie dürfen v. a. keine Maßnahmen zur Vereitelung des Vertragszwecks – etwa durch Abschluss eines anderen, widersprechenden Vertrages – vornehmen (vgl. Art. 18 WVRK).
5. Die Vertragsverletzung und ihre Folgen
Nicht jede Vertragsverletzung führt ipso facto zum Wegfall der Vertragsbindung gegenüber dem Vertragsbrechenden. Die vertragstreue Partei ist ihrerseits vielmehr nur dann berechtigt, die Vertragserfüllung ihrerseits zu verweigern, wenn es sich um eine „erhebliche Verletzung“ handelt. Eine solche liegt nach Art. 60 Abs. 3 WVRK entweder in einer unzulässigen Ablehnung des Vertrages oder in der Verletzung einer für die Erreichung des Vertragszwecks „wesentlichen Bestimmung“. Im Falle der erheblichen Verletzung eines bilateralen Vertrages ist die andere Vertragspartei berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten oder dessen teilweise oder vollständige Suspendierung geltend zu machen. Für multilaterale Verträge sieht Art. 60 Abs. 2 WVRK eine differenzierende Lösung vor, die der Mehrseitigkeitslogik entspricht: Alle vertragstreuen Parteien können den Vertrag gemeinsam und einvernehmlich ganz oder teilweise suspendieren oder beenden. Sie können das entweder nur im Verhältnis zum vertragsbrüchigen Staat oder zwischen allen Vertragsparteien. Darüber hinaus kann eine von der Vertragsverletzung u. U. bes. betroffene Partei einen eigenen Anspruch anmelden, den Vertrag im zweiseitigen Verhältnis zwischen ihr und dem vertragsbrüchigen Staat ganz oder teilweise zu suspendieren. Schließlich kann dann jede vertragstreue Partei die Suspendierung geltend machen, wenn sich durch die Vertragsverletzung die weitere Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen grundlegend ändert (vgl. Art. 60 Abs. 2 lit. c WVRK). Selbst im Fall einer erheblichen Vertragsverletzung ist die Suspendierung oder Beendigung nur nach Durchführung des Verfahrens gemäß Art. 65 und 66 WVRK zulässig. Eine einseitige, vorläufige Suspendierung durch die angeblich verletzte Partei birgt allerdings das Risiko, dass im späteren Verfahren keine Vertragsverletzung festgestellt wird.
6. Der Multilateralismus als Grundlage einer regelbasierten, liberalen Weltordnung
Der Multilateralismus kann in seiner Bedeutung für eine regelbasierte, freiheitliche und an der rule of law orientierte Weltordnung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er bildet, da es an einer zentralen – etwa nationalen Legislativen vergleichbaren – Normsetzungsinstitution fehlt, das normative Fundament und zugleich die Legitimationsgrundlagen (Legitimation) einer solchen Weltordnung respektive ihrer Institutionen. Dem Terminus „Multilateralismus“ liegt indes keine eindeutige Definition zugrunde. Er kann, ohne institutionelle Implikationen, i. S. einer bloßen Koordinierung nationaler Politiken zwischen drei oder mehr Staaten verstanden werden. Vorliegend wird eine anspruchsvollere Variante zugrunde gelegt: Multilateralismus als ordnungsstiftende, institutionalisierte Form zur Koordination des Beziehungsgeflechts zwischen drei oder mehr Staaten auf Basis generalisierter Verhaltensprinzipien und verbunden mit normativem Anspruch. Den normativen W urzelgrund des solchermaßen verengten Multilateralismus bildet das Völkervertragsrecht. Durch multilateralen Vertragsschluss entstehen multilaterale Organisationen wie die UNO. Der Vertrag ist das Instrument der Institutionenbildung (Institution), er konstituiert und verleiht der völkerrechtlichen Ordnungsbildung konstitutionelle Dynamik.
Entwicklungsgeschichtlich betrachtet kann der Multilateralismus als ein verhältnismäßig junges Phänomen des Völkerrechts gelten. Er steht im Gegensatz zum souveränitätszentrierten Unilateralismus, wie er v. a. für den Nationalstaat des 19. Jh. prägend war, und sucht nach normativen Antworten auf die Frage, wie Staaten gemeinsam mit globalen Herausforderungen des 21. Jh. umgehen sollen (von der Terrorbekämpfung bis zum Umweltschutz, von der Migrationssteuerung bis zur nachhaltigen Entwicklung). Multilateralismus manifestiert sich aber nicht nur in v.n V.n und internationalen Organisationen, er lebt auch in Form diplomatischer Beziehungen, internationaler Konferenzen und Verhandlungen, ohne die Ordnungsbildung durch Institutionalisierung unmöglich wäre. Er kann, muss aber keinen universellen Anspruch formulieren. Viele Formen multilateraler Zusammenarbeit sind regional begrenzt und stellen auf geographisch limitierte Institutionen- bzw., mit weiter reichendem politischen Integrationsanspruch, Gemeinschaftsbildung ab. Beispiele hierfür geben zunächst regionale Handelsabkommen wie die NAFTA für den nordamerikanischen Raum oder der MERCOSUR als „gemeinsamer Markt Südamerikas“. Im Bereich der Sicherheitspolitik ist die NATO prominentes Beispiel regional begrenzter multilateraler Zusammenarbeit. Die EU nimmt angesichts ihres Integrationsanspruchs (Europäischer Integrationsprozess) im multilateralen Gefüge der Staatengemeinschaft eine Sonderrolle ein. Durch die Übertragung weitreichender Hoheitsrechte hat sie eine Kompetenzfülle erlangt, die sehr viel weiter reicht als die Kompetenzen typischer multilateraler internationaler Organisationen. Ihr Recht (Europarecht) genießt nicht nur Anwendungsvorrang vor dem mitgliedstaatlichen Recht, sondern wirkt in vielen Bereichen ohne jeden Umsetzungsakt unmittelbar in den Mitgliedstaaten, durchbricht also den Panzer nationaler Souveränität. Diese Besonderheit bringt die Qualifikation als supranationale Institution (Supranationalität) zum Ausdruck.
7. Zur Zukunft der völkerrechtlichen Verträge als Bausteine der internationalen Ordnung
Die grundlegende Bedeutung v.r V. als Grundlage einer regelbasierten, freiheitsradizierten internationalen Ordnung wurde eben schon skizziert. Das Völkervertragsrecht ist weit mehr als bloßes Rüst- und Werkzeug der internationalen Zusammenarbeit. Es hat konstituierende Funktion, wo es Institutionen wie die UNO schafft, universelle Rechtsstandards wie in den Menschenrechtsverträgen setzt oder, wie am Beispiel der EU gezeigt, regional verdichtete Kooperationsformen mit weitgehendem politischen Integrationsanspruch. Eine normenbasierte internationale Gemeinschaft, die sich ihr Recht mittels v.r V. formt und ihren Bestand auf multilaterale Institutionen gründet, hat jedoch nur dann Bestand, wenn die Staaten auch in der Zukunft bereit sind, in v.n V.n mehr zu sehen als einen auf Nutzenmaximierung und Interessendurchsetzung gerichteten „Deal“. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gilt der Multilateralismus als Garant für Frieden, Sicherheit und Stabilität in den internationalen Beziehungen. Er bildet, wofür gerade die UN als dessen wohl erfolgreichste Institutionalisierungsleistung stehen, den grundlegenden Gegenentwurf zu einzelstaatlichen Hegemonieansprüchen und sich abschottenden Nationalstaaten. Die nunmehr immer häufiger beschworene „Krise des Multilateralismus“ (Brühl 2019) geht auch am Völkervertragsrecht nicht spurlos vorbei. Rückschläge für die multilaterale Ordnung, bspw. durch das Erstarken rechtspopulistischer Parteien (Populismus), den Brexit oder die einseitige Kündigung von Abkommen durch die US-Administration unter Donald Trump (in Bereichen wie dem Klimaschutz und der Rüstungskontrolle), fordern nicht nur politisch heraus. Sie fordern auch das das Völkerrecht insgesamt und stellen dessen Normgefüge als solches in Streit. So fruchtbar konstruktive Prozesse des „In-Streit-Stellens“ für die Völkerrechtsgenese wirken, so sehr schwächt destruktives Bestreiten seine normative Kraft und seine institutionelle Ordnung. Allen Anfängen solcher Art gilt es deshalb mit Entschiedenheit zu wehren.
Literatur
T. Brühl: Krise des Multilateralismus – Krise der Vereinten Nationen?, in: VN 67/1 (2019), 3–7 • A. von Arnauld: Völkerrecht, 42019 • O. Dörr/K. Schmalenbach (Hg.): Vienna Convention on the Law of Treaties. A Commentary, 22018 • K. Ipsen: Völkerrecht, 72018 • T. Stein/C. von Buttlar/M. Kotzur: Völkerrecht, 142017 • W. Graf Vitzthum/A. Proelß (Hg.): Völkerrecht, 72016 • A. Wiener: A Theory of Contestations, 2014 • A. Nollkaemper: Unilateralism/Multilateralism, in: MPEPIL, 2011 • J. Brunée: Consent, in: MPEPIL, 2010 • M. Fitzmaurice: Treaties, in: MPEPIL, 2010 • J. G. Ruggie: Multilateralism. The Anatomy of an Institution, in: IO 46/3 (1992), 561–598.
Empfohlene Zitierweise
M. Kotzur: Völkerrechtliche Verträge, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/V%C3%B6lkerrechtliche_Vertr%C3%A4ge (abgerufen: 22.11.2024)