Parteiensysteme: Unterschied zwischen den Versionen

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In westlichen Demokratien ist nach einer Phase relativer Stabilität bis 2010 nun eher ein Trend zunehmender Fragmentierung und Segmentierung festzustellen, partiell sogar eine Entwicklung zum stark polarisierten Wettbewerb. Grundlage dafür ist die Fragmentierung gesellschaftlicher Interessenlagen, Mentalitäten und Lebensstile, was in vielen P.n das Aufkommen neuer, insb. linksliberal-ökologischer und rechts- wie linkspopulistischer Parteien begünstigte, die von der Unzufriedenheit mit den Etablierten (v.&nbsp;a. betroffen sind sozialdemokratische, aber partiell auch konservative, christdemokratische und liberale Parteien) profitieren. Mit den Grünen entstand in den 1980er Jahren eine neue relevante Parteienfamilie, die ökologische, aber auch partizipatorische und postmaterialistische Themen in den Vordergrund stellte. Seit den 1990er Jahren, vermehrt aber im zweiten Jahrzehnt des 21.&nbsp;Jh., lässt sich Aufkommen oder Erstarken von links- und rechtspopulistischen Parteien beobachten, die sich häufig als Protestparteien gegen das etablierte P. verstehen. In diesem Protest artikuliert sich im aktuellen [[Populismus]] eine sogenannte Anti-Establishment Haltung, welche als konstitutives Merkmal populistischer Parteien zu gelten hat. Rechtspopulistische Parteien wenden sich Themen wie Innerer Sicherheit, Migration oder Nation zu, während linkspopulistische soziale Sicherheit oder die Ausgrenzung von Minderheiten in den Vordergrund stellen. Beide sprechen Wähler an, die von den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung wie zunehmendem ökonomischen Wettbewerb oder ansteigender Migrationsbewegungen benachteiligt werden oder sich subjektiv auf der Verliererseite wähnen. Einzelne Autoren sehen in dieser Auseinandersetzung bereits eine neue Konfliktlinie an der sich sogenannte Kosmopoliten ([[Kosmopolitismus]]), welche den Prozess der Globalisierung ökonomisch wie kulturell befürworten und sogenannte Kommunitaristen ([[Kommunitarismus]]), welche ausgesprochene Skepsis gegenüber den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung hegen, gegenüberstehen. Wie aber oben verdeutlicht, ist auch dieser Konflikt in den beiden grundlegenden Konfliktdimensionen abgebildet und findet ökonomische und kulturelle Ausprägung. So betonen rechtspopulistische Parteien autoritäre Werte, während linkspopulistische hauptsächlich auf Staatsinterventionismus setzen. Regionalistische Parteien, welche primär sprachliche, kulturelle und/oder wirtschaftliche Differenzen innerhalb eines politischen Systems zur Vertretung bestimmter regionaler Interessen zur Sprache bringen, haben vermehrt Akzeptanz bei Wählern gefunden.
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In westlichen Demokratien ist nach einer Phase relativer Stabilität bis 2010 nun eher ein Trend zunehmender Fragmentierung und Segmentierung festzustellen, partiell sogar eine Entwicklung zum stark polarisierten Wettbewerb. Grundlage dafür ist die Fragmentierung gesellschaftlicher Interessenlagen, Mentalitäten und Lebensstile, was in vielen P.n das Aufkommen neuer, insb. linksliberal-ökologischer und rechts- wie linkspopulistischer Parteien begünstigte, die von der Unzufriedenheit mit den Etablierten (v.&nbsp;a. betroffen sind sozialdemokratische, aber partiell auch konservative, christdemokratische und liberale Parteien) profitieren. Mit den Grünen entstand in den 1980er Jahren eine neue relevante Parteienfamilie, die ökologische, aber auch partizipatorische und postmaterialistische Themen in den Vordergrund stellte. Seit den 1990er Jahren, vermehrt aber im zweiten Jahrzehnt des 21.&nbsp;Jh., lässt sich Aufkommen oder Erstarken von links- und rechtspopulistischen Parteien beobachten, die sich häufig als Protestparteien gegen das etablierte P. verstehen. In diesem [[Protest]] artikuliert sich im aktuellen [[Populismus]] eine sogenannte Anti-Establishment Haltung, welche als konstitutives Merkmal populistischer Parteien zu gelten hat. Rechtspopulistische Parteien wenden sich Themen wie Innerer Sicherheit, Migration oder Nation zu, während linkspopulistische soziale Sicherheit oder die Ausgrenzung von Minderheiten in den Vordergrund stellen. Beide sprechen Wähler an, die von den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung wie zunehmendem ökonomischen Wettbewerb oder ansteigender Migrationsbewegungen benachteiligt werden oder sich subjektiv auf der Verliererseite wähnen. Einzelne Autoren sehen in dieser Auseinandersetzung bereits eine neue Konfliktlinie an der sich sogenannte Kosmopoliten ([[Kosmopolitismus]]), welche den Prozess der Globalisierung ökonomisch wie kulturell befürworten und sogenannte Kommunitaristen ([[Kommunitarismus]]), welche ausgesprochene Skepsis gegenüber den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung hegen, gegenüberstehen. Wie aber oben verdeutlicht, ist auch dieser Konflikt in den beiden grundlegenden Konfliktdimensionen abgebildet und findet ökonomische und kulturelle Ausprägung. So betonen rechtspopulistische Parteien autoritäre Werte, während linkspopulistische hauptsächlich auf Staatsinterventionismus setzen. Regionalistische Parteien, welche primär sprachliche, kulturelle und/oder wirtschaftliche Differenzen innerhalb eines politischen Systems zur Vertretung bestimmter regionaler Interessen zur Sprache bringen, haben vermehrt Akzeptanz bei Wählern gefunden.
 
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Aktuelle Version vom 14. November 2023, 10:03 Uhr

1. Definition

P. bezeichnet die Gesamtheit der in einem politischen System agierenden Parteien und deren regelmäßigen Interaktionen. Die wechselseitigen Beziehungen werden hauptsächlich bestimmt durch die Anzahl, jeweilige Größenordnung (hauptsächlich Stimmenanteil bei Wahlen bzw. Mandatsanteil im Parlament, aber auch Mitgliederzahl), Binnenstruktur und programmatisch-ideologische Differenzen. Das P. ist ein Subsystem des jeweiligen gesamten politischen Systems und damit abhängig von dessen Institutionen; denn die Strukturen des P.s werden wesentlich mitbestimmt durch das institutionelle Gesamtgefüge eines politischen Systems. Unter den verschiedenen Institutionen bes. hervorzuheben sind die Form des Parlamentarismus (bspw. parlamentarische oder präsidentielle Demokratie) und das Wahlsystem (etwa Mehrheits- oder Verhältniswahl), deren konkrete Ausgestaltung unmittelbaren Einfluss auf die Gestalt des P.s nimmt.

Das P. soll dem politischen System Legitimität sichern, indem es bei Wahlen ein stabiles Fundament generalisierten Vertrauens und Zustimmung sichert und in periodischen Abständen erneuert. Die Grundidee ist, dass politische Parteien als Repräsentanten der verschiedenen Ideen, Meinungen, Haltungen und Werte der Bevölkerung fungieren. Legitimität ist dabei abhängig von den Verhaltensweisen und Handlungen der Repräsentanten. Sie stützt sich „auf gemeinsam geteilte Identitäten, Loyalitäten oder Rollen zwischen Repräsentanten und Repräsentierten“ (Jentges 2010: 37). Angenommen werden soll, dass die Abbildung von Wählerinteressen Ziel so verstandener repräsentativer Mechanismen (Repräsentation) ist, um den Parteien und ihren Repräsentanten Anerkennung zuzuführen und zu sichern.

In repräsentativen Demokratien dient der Wettbewerb innerhalb des P.s dazu, soziale Konflikte – die durch Interessensdifferenzen, Wertunterschiede und/oder Effizienz- und Effektivitätsprobleme in den sozialen Teilbereichen (Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kultur) entstehen – zu analysieren, zu artikulieren und zu aggregieren. Durch Parteien werden gesellschaftliche Konflikte politisch wirksam zu Alternativen verdichtet und somit für den politischen Wettbewerb fruchtbar gemacht. Parteien bringen kollektive Interessen nicht nur in den politischen Entscheidungsprozess ein, sondern wirken durch ihre Repräsentanten in Regierungen und Parlamenten an zentraler Stelle daran mit, verbindliche Entscheidungen herzustellen und gesamtgesellschaftliche Konflikte politisch zu lösen. D. h., politische Eliten transformieren durch zielgerichtetes Handeln gesellschaftliche Konflikte in politische Entscheidungen.

2. Kategorien

Kontroversen gab und gibt es, welche Kategorien herangezogen werden sollten, um ein P. näher zu charakterisieren. Durchgesetzt haben sich in der vergleichenden Parteienforschung sieben Kategorien zur Beschreibung zentraler Merkmale eines P.s, um diachrone und systemische Vergleiche vornehmen zu können: Format, Fragmentierung, Asymmetrie, Volatilität, Polarisierung, Segmentierung und Regierungsstabilität. Grundlegend unterschieden werden kann zwischen quantitativen und qualitativen Kategorien, wobei Fragmentierung, Asymmetrie, Volatilität eher quantitative Kategorien darstellen, während Polarisierung als qualitative Kategorie zu gelten hat. Segmentierung und Regierungsstabilität haben sowohl eine quantitative wie qualitative Seite. Zur konkreten Charakterisierung eines P.s werden oftmals quantitative und qualitative Kategorien zusammengefügt. Weiterhin zu unterscheiden sind zwei Ebenen des Handelns von Parteien: die elektorale (Konkurrenz um Wählerstimmen) und die parlamentarisch-gouvernementale (Konkurrenz um Parlamentsmandate und Regierungsämter). In einer repräsentativen Demokratie besteht ein enger Zusammenhang zwischen Wählerstimmen und Parlamentsmandaten bzw. Regierungsämtern, da erstere Voraussetzung für letztere bilden.

Nummerische Betrachtungsweisen gehen zunächst vom Format, also der bloßen Anzahl der das System bildenden Parteien aus. Mit Blick auf die Anzahl relevanter, also solcher Parteien, denen Koalitionspotenzial zugeschrieben wird oder die Prägekraft auf den zwischenparteilichen Wettbewerb haben, wurde zunächst zwischen Zwei-, Mehr- und Viel-P.n unterschieden. Mittlerweile wird etwas präziser zwischen P.n mit einer prädominanten Partei, P.n mit Zweiparteiendominanz, pluralistischen und hoch fragmentierten P.n unterschieden. Diese Differenzierung kann aufgrund der Berechnung der Fragmentierung und der Asymmetrie vorgenommen werden. Fragmentierung beschreibt die Anzahl der Parteien und deren relative Größenordnung zueinander und misst damit die effektive Zahl relevanter Parteien in einem P. Durch die Betrachtung der Stärkeverhältnisse auf den beiden genannten Ebenen werden die Relationen von Groß- und Kleinparteien zueinander ausgedrückt. Als weiterer quantitativer Aspekt kommt die Asymmetrie hinzu, welche die Größenverhältnisse der beiden Hauptkonkurrenten im Parteienwettbewerb betrachtet. Sie könnte aber auch auf den zahlenmäßigen Vergleich unterschiedlicher Lager (etwa konservativ-liberal v sozialdemokratisch-ökologisch) in einem P. ausgedehnt werden, falls eine solche Lagerbildung vorliegt. Ist eine klare Asymmetrie zugunsten einer Partei zu konstatieren, ist von einem prädominanten P. zu sprechen. Die Mehrzahl demokratischer P. sind in historischer Perspektive entweder pluralistisch (bis zu sechs relevante Parteien) oder solche mit Zweiparteiendominanz. In jüngster Zeit ist eine leichte Tendenz zur Vermehrung hoch fragmentierter P. (mehr als sechs relevante Parteien) zu beobachten. Als quantitative Größe wird häufig noch die Volatilität hinzugezogen, die aber weniger Aussagekraft für das P. hat, sondern vielmehr für die Struktur der Wählerschaft und das Wählerverhalten. Volatilität misst den unterschiedlichen Anteil der Parteien an Wählerstimmen bei zwei aufeinanderfolgenden Wahlen. Segmentierung bestimmt den Anteil der politisch machbaren an den rechnerisch möglichen Koalitionen. Keinerlei Segmentierung eines P.s besteht, wenn alle Parteien die grundsätzliche Bereitschaft haben, jeweils mit jedem anderen Mitbewerber zu koalieren; umgekehrt ist von hoher Segmentierung zu sprechen, wenn sich die Parteien wechselseitig abschotten (auch auf der elektoralen Ebene) und keinerlei Koalitionsfähigkeit zuschreiben, was in polarisierten Systemen ausgeprägter ist. Regierungsstabilität ist schließlich daran zu erkennen, inwieweit die Strukturen eines P.s dazu beitragen, für die Dauer einer Legislaturperiode eine Regierung im Amt zu halten oder nicht. Von hoher Stabilität wird dann ausgegangen, wenn sich die Parteienkonstellation oder -koalition einer Regierung in einer Legislaturperiode nicht verändert und der Regierungschef im Amt bleibt. Bei häufigen Regierungswechseln innerhalb einer Legislaturperiode wird von geringer Regierungsstabilität gesprochen.

Der heuristische Nutzen und Informationsgewinn rein zahlenmäßiger Klassifizierungen ist jedoch als nicht ausreichend zur Klassifizierung zu erachten, so dass die Forschung auch qualitative Eigenschaften betrachtet, ohne quantitative Aspekte außen vor zu lassen. Dazu bedient sie sich des Merkmals der Polarisierung. Sie misst die programmatisch-ideologischen Differenzen der Parteien. Die Differenzen können unterschiedlich bestimmt werden, etwa durch eine Analyse von Grundsatz- oder Wahlprogrammen oder durch eine Verortung der Wertorientierungen der Parteianhänger. Für die international vergleichende Parteienforschung werden auch Experteneinschätzungen zur Positionsbestimmung von Parteien genutzt, wie etwa der Chapel Hill Expert Survey.

Polarisierung wird damit unabhängig von der Anzahl bestimmt und berücksichtigt die relative Position einer Partei im inhaltlichen Spektrum des Parteienwettbewerbs. Zur genaueren Einordnung werden politische Konfliktlinien identifiziert, welche grundlegende unterschiedliche Werte und Interessen einer Gesellschaft und deren parteipolitische Repräsentation analysieren. Konfliktlinien innerhalb von Gesellschaften entwickeln sich aufgrund historisch spezifischer Anpassungsformen der gesellschaftlich relevanten Akteure an Umweltbedingungen und ihrer Politisierung durch Organisationen, primär durch Parteien. Als Schwäche galt lange Zeit die vergleichsweise oberflächliche Einordnung in ein aggregiertes Rechts-Links-Schema. Die soziale Repräsentation kann sich nicht mehr nur in groben Mustern einer „super issue dimension“ (Hellwig 2008: 689) von „links“ und „rechts“ erschöpfen, sondern sollte die politikbereichsspezifischen Spannungs- und Konfliktpole reflektieren und somit um die politische Repräsentation mit Blick auf den Parteienwettbewerb ergänzt werden. Eine Konkretisierung und Ausdifferenzierung etablierter Erklärungsmuster von „rechts“ und „links“ für die inhaltliche Ordnung im P. erscheint sinnvoll, um die Parteipositionen im Raum politischer Auseinandersetzung verorten zu können. Die Analyse erfolgt i. d. R. auf der Basis von Konfliktdimensionen des Wettbewerbs, die wiederum auf die historischen Analysen wie konzeptionellen Überlegungen zu Konfliktlinien nach Seymour Lipset und Stein Rokkan zurückgehen.

Die programmatisch-ideologische Positionierung (Ideologie) wird daher in der neueren Forschung aufgrund von konkreten politischen Konfliktlinien bestimmt. Ein in der Parteienforschung weitgehend akzeptiertes Modell ist das der zweidimensionalen Verortung. Zu unterscheiden sind die sozioökonomische und die kulturelle Konfliktdimension. In der sozioökonomischen Konfliktdimension positionieren sich die Parteien entlang des Kontinuums zwischen Marktliberalismus und Staatsinterventionismus, hauptsächlich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, zunehmend aber auch bei Fragen der Umwelt- oder Familienpolitik. Die Einordnung der Parteien erfolgt jeweils anhand der Frage, ob sie bei der Verteilung ökonomischer und sozialer Güter den Markt oder den Staat als zentrales Steuerungsinstrument bevorzugen. In der kulturellen Konflikt- oder auch Wettbewerbsdimension stehen sich liberale Werte – wie Toleranz, Selbstentfaltung, Minderheitenrechte, Emanzipation, Pazifismus, kulturelle und politische Inklusion – und autoritäre Wertvorstellungen – wie der Vorrang innerer und äußerer Sicherheit, kultureller und religiöser Mehrheitsidentitäten, traditioneller Lebensformen oder restriktiver Kriminalitätsbekämpfung – gegenüber. Außerhalb westlicher Demokratien kann der politisch-konstitutionelle Bereich eine eigene Konfliktlinie bilden, die Fragen der politischen Ordnung in den Vordergrund stellt. Sind die ideologisch-programmatischen Differenzen zwischen den Parteien geringer ausgeprägt, ist von einem moderaten Wettbewerb die Rede. Lassen sich erhebliche ideologische oder programmatische Unterschiede erkennen, wird von einem polarisierten Wettbewerb gesprochen.

Inhaltliche Nähe von politischen Parteien in den einzelnen Konfliktdimensionen bzw. ein moderater Wettbewerb begünstigen die Bildung von Regierungskoalitionen und stehen einer extremen Segmentierung eines P.s entgegen.

3. Entwicklungslinien

Empirisch beobachtbar für Westeuropa ist, dass traditionelle Konfliktlinien wie Arbeit v Kapital, Zentrum v Peripherie oder Kirche v Staat an Bedeutung verloren haben und nicht vollständig durch neue ersetzt worden sind. Die gesellschaftliche Anbindung von politischen Parteien hat sich infolgedessen gelockert und das Ausmaß, in dem Parteien die Gesellschaft durchdringen, ist gesunken. Die Entstrukturierung der Wählerschaft durch Prozesse der sozialen Ausdifferenzierung, die Auflösung einstmals stabiler sozialer Gruppen mit ihren kollektiven Identitäten und die Ausbreitung höherer Volatilität des Wählerverhaltens aufgrund von individuellen Präferenzbildungen und einzelnen Lebensstilgruppen haben den kompetitiven Charakter von Wahlen erhöht. Mit zur gesellschaftlichen Erosion der etablierten Parteienfamilien (Konservative, Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale) beigetragen haben der Wertewandel in westlichen Gesellschaften und ihre durch formale Bildung erreichte Höherqualifizierung („kognitive Mobilisierung“). Einerseits hat die Wählerschaft insgesamt ihre Ansprüche gegenüber den politischen Parteien gesteigert; andererseits ist sie weniger auf deren Kommunikationsleistungen und Deutungsangebote angewiesen und hat sich von diesen emanzipiert. So hat sich in den Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas eine bunte Vielfalt verschiedener Wertegemeinschaften herausgebildet, ein Prozess, der sich mittlerweile auch in Mittel- und Osteuropa findet. Während aber in den USA in den vergangenen Jahren die Polarisierung zugenommen hat, ist in Europa zudem noch eine größere Ausdifferenzierung des Parteienwettbewerbs zu beobachten.

In westlichen Demokratien ist nach einer Phase relativer Stabilität bis 2010 nun eher ein Trend zunehmender Fragmentierung und Segmentierung festzustellen, partiell sogar eine Entwicklung zum stark polarisierten Wettbewerb. Grundlage dafür ist die Fragmentierung gesellschaftlicher Interessenlagen, Mentalitäten und Lebensstile, was in vielen P.n das Aufkommen neuer, insb. linksliberal-ökologischer und rechts- wie linkspopulistischer Parteien begünstigte, die von der Unzufriedenheit mit den Etablierten (v. a. betroffen sind sozialdemokratische, aber partiell auch konservative, christdemokratische und liberale Parteien) profitieren. Mit den Grünen entstand in den 1980er Jahren eine neue relevante Parteienfamilie, die ökologische, aber auch partizipatorische und postmaterialistische Themen in den Vordergrund stellte. Seit den 1990er Jahren, vermehrt aber im zweiten Jahrzehnt des 21. Jh., lässt sich Aufkommen oder Erstarken von links- und rechtspopulistischen Parteien beobachten, die sich häufig als Protestparteien gegen das etablierte P. verstehen. In diesem Protest artikuliert sich im aktuellen Populismus eine sogenannte Anti-Establishment Haltung, welche als konstitutives Merkmal populistischer Parteien zu gelten hat. Rechtspopulistische Parteien wenden sich Themen wie Innerer Sicherheit, Migration oder Nation zu, während linkspopulistische soziale Sicherheit oder die Ausgrenzung von Minderheiten in den Vordergrund stellen. Beide sprechen Wähler an, die von den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung wie zunehmendem ökonomischen Wettbewerb oder ansteigender Migrationsbewegungen benachteiligt werden oder sich subjektiv auf der Verliererseite wähnen. Einzelne Autoren sehen in dieser Auseinandersetzung bereits eine neue Konfliktlinie an der sich sogenannte Kosmopoliten (Kosmopolitismus), welche den Prozess der Globalisierung ökonomisch wie kulturell befürworten und sogenannte Kommunitaristen (Kommunitarismus), welche ausgesprochene Skepsis gegenüber den ökonomischen und kulturellen Folgen der Globalisierung hegen, gegenüberstehen. Wie aber oben verdeutlicht, ist auch dieser Konflikt in den beiden grundlegenden Konfliktdimensionen abgebildet und findet ökonomische und kulturelle Ausprägung. So betonen rechtspopulistische Parteien autoritäre Werte, während linkspopulistische hauptsächlich auf Staatsinterventionismus setzen. Regionalistische Parteien, welche primär sprachliche, kulturelle und/oder wirtschaftliche Differenzen innerhalb eines politischen Systems zur Vertretung bestimmter regionaler Interessen zur Sprache bringen, haben vermehrt Akzeptanz bei Wählern gefunden.

Typ Westeuropa und Nordamerika Mittel- und Osteuropa
P. mit prädominanter Partei Frankreich (2002, 2017) Bulgarien (1997), Litauen (1992, 1996), Rumänien (1990, 2012), Ungarn (1994, seit 2010), Slowakei (2012)
P. mit Zweiparteiendominanz USA, Deutschland (bis 2009, 2013–2017), Frankreich (1993, 2007–2017), Großbritannien, Spanien (bis 2016), Portugal, Kanada, Irland (bis 2011), Österreich (2002–2017), Malta, Griechenland (bis 2015) Bulgarien (1990, 1994, 2013), Polen (1997, seit 2007), Tschechien (1998, 2006), Ungarn (1998–2010)
Pluralistisches P. Dänemark (1990–2007), Frankreich (1997), Luxemburg, Österreich (1990–1999, seit 2017), Norwegen, Zypern, Italien (seit 2009), Schweiz, Irland (seit 2011), Deutschland (2009–2013, seit 2017); Spanien (seit 2016); Griechenland (seit 2015) Bulgarien (2001–2013, seit 2014), Tschechien (1996, 2002, 2010–2017), Slowakei (1994–1998, 2006–2010), Estland, Litauen (2000), Polen (1993, 2001, 2005), Ungarn (1990), Rumänien (1992, 2000–2008; 2017), Lettland (seit 2010)
Hoch fragmentiertes P. Belgien, Niederlande, Finnland, Italien (bis 2009), Dänemark (seit 2007), Schweden Lettland (bis 2010), Litauen (seit 2004), Polen (2001), Rumänien (1996), Slowakei (2002; 2016), Slowenien (seit 1992), Tschechien (2017)

Tab. 1: Parteiensystemtypen im internationalen Vergleich; eigene Darstellung (Stand: September 2018)

Während in Westeuropa und Nordamerika die spürbare Zunahme der Fragmentierung ein vergleichsweise jüngeres Phänomen ist, waren die mittel- und osteuropäischen P. insb. in der Transformationsphase mehr durch strukturelle Instabilitäten und zum Teil erhebliche Wandlungsprozesse gekennzeichnet. Wie Tab. 1 zeigt, haben P. in Mittel- und Osteuropa häufiger den Strukturtyp gewechselt. Auch waren Regierungs- und Machtwechsel häufiger anzutreffen, war die Regierungsstabilität in der Transformationsphase geringer. Immerhin zeigen sich zuletzt in nicht wenigen P.n deutliche Konsolidierungserscheinungen: Viele P. behalten zwar ihre Grundstruktur bei, Parteien und deren Anteile sowie strukturelle Konstellationen innerhalb der jeweiligen Systeme unterliegen aber noch spürbar großen Veränderungen. Veränderungen sind im Zuge der Finanzmarktkrise seit 2008 auch in einigen west- und südeuropäischen Ländern beobachtbar, am stärksten in Frankreich bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017.

Aus all dem ergibt sich, dass die Funktionsfähigkeit eines P.s vom Einklang von Angebot und Nachfrage abhängt. Das Angebot, das die verschiedenen Parteien ihren potenziellen Wählern unterbreiten, sollte mit deren Interessen, Werten und Meinungen übereinstimmen, was bedeutet, dass sich die Vielfalt an Werten, Meinungen und Interessen im P. widerspiegeln sollte. Ist dies nicht der Fall, ist von einer Repräsentationslücke zu sprechen, klaffen also Angebots- und Nachfrageseite auseinander. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass Parteien Differenzen auch abbilden und sich somit inhaltlich-programmatisch unterscheiden und den Wählern unterschiedliche Alternativen anbieten. Im Zuge der zunehmenden Auflösung sozio-kultureller Milieus ist es für die etablierten Großparteien wie Sozialdemokraten, Christdemokraten oder Konservative schwieriger geworden, heterogene Wählerkoalitionen zu schmieden und gleichzeitig Mehrheiten mit ihren ursprünglichen ideologischen Positionierungen zu erreichen. Konstatiert wurde bei diesen ein Trend zur politischen Mitte, während kleinere Parteien den Vorteil haben, extremere Positionen einnehmen oder hervorheben zu können, entweder durch Issue Ownership, also durch das Besetzen solcher Positionen, oder durch die hohe Relevanzzuschreibung eines bestimmten Themas. Dennoch verblieb den etablierten Parteien gegenüber jüngeren Anbietern im Parteienwettbewerb ein kleiner Vorteil; denn es konnte auf Basis quantitativer Modelle aufgezeigt werden, dass „von der Zugehörigkeit der Wähler zu sozialen Gruppen, die die Muster der Cleavages widerspiegeln, noch immer ein statistisch signifikanter und eigenständiger Einfluss auf die Wahlabsicht“ ausgeht (Debus 2010: 746). Dieser Vorteil scheint aber ausweislich der Wahlergebnisse nach und nach kleiner zu werden.