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Schon im mittelalterlichen Rechtsdenken ist der Dualismus zwischen der R. des politischen Körpers durch eine Einzelperson (<I>caput</I>-R.) bzw. eine kollegiale Teilkörperschaft (<I>corpus</I>-R.) als Problem präsent. Das politische Denken der Neuzeit hat R. zunächst im Kern als Übertragung einer dem Individuum von Natur aus zustehenden Rechtsmacht auf einen absolutistischen Souverän (Thomas Hobbes), eine legislative Versammlung (John Locke) oder ein Ensemble republikanischer Amtsträger (James Madison) zum Zwecke der Begründung, Befestigung oder Beschränkung staatlicher Ordnung verstanden. R. ist in diesem bis heute grundlegenden Sinne ein Vorgang der Autorisierung von Herrschaft, der die Freiheit der Repräsentanten von jedweden Instruktionen impliziert. Jean-Jacques Rousseau lehnte die Idee der Autorisierungs-R. darum scharf ab. Während der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] ergänzte Emmanuel Joseph Sieyès diese Vorstellung um die Idee der R. der souveränen [[Nation]] durch eine eben darum souveräne Versammlung ([[Souveränität]]). Die natur- bzw. vernunftrechtlichen Prämissen dieses Modells gerieten jedoch um 1800 in eine schwere Krise. Die deutschen Verfassungskämpfe um die „landständische R.“ und die Repräsentativverfassung im Vormärz konnten schon nicht mehr auf dem R.s-Begriff der bürgerlichen [[Revolution|Revolutionen]] aufbauen und fielen stattdessen teils zurück auf den altständischen R.s-Gedanken der vertraglichen Beschränkung absolutistischer Macht durch [[Volk]] und [[Stand|Stände]], wie er sich namentlich bei Johannes Althusius findet, teils auf zivilistisch geprägte Vorstellungen von der Stellvertretung der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber dem monarchischen Staat. Unterdessen beschrieb Karl Marx in der Legitimation des Ausschlusses der Vielen von der Herrschaft den bürgerlich-ideologischen Kern des R.s-Prinzips. Im Zuge der Entstehung moderner politischer Parteien und des Verhältniswahlrechts Ende des 19. und Anfang des 20.&nbsp;Jh. verschob sich der R.s-Begriff (etwa bei John Stuart Mill) zunehmend von der R. von und durch Personen zur R. von und durch Gruppen, bevor Max Weber die „freie Repräsentation“ (Weber 1980: 172) unabhängiger Amtsträger als Korrelat legaler Herrschaft in der Massendemokratie deutete. Die dadurch eingeleitete soziologische Wende der R. führte zur Renaissance oder vielmehr modernen Fassung des Gedankens der Ähnlichkeits-R., wonach Repräsentierte und Repräsentanten einander möglichst weitgehend entsprechen sollen. Neben die staatliche R. trat in dieser Zeit eine Fülle neuer Formen der R. durch Weltanschauungsparteien, Gewerkschaften u.&nbsp;a. intermediäre Organisationen. Im politischen Existenzialismus der Zwischenkriegszeit haben als Reaktion auf diesen Pluralismus der R. vor allem Carl Schmitt und Gerhard Leibholz einen Begriff von R. als symbolische Vergegenwärtigung eines höheren Seins, nämlich der politischen Einheit des Volkes, entwickelt, der die notwendigen institutionellen Vermittlungen politischer R. absichtsvoll unterschlug. Diese Vorstellungen hatten damit eine inhärente Affinität zur plebiszitären R. der Autokratie. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben dann v.&nbsp;a. Hanna&nbsp;F. Pitkin und Hasso Hofmann das Konzept der R. im Anschluss an die frühneuzeitliche Theoriegeschichte einer Revision unterzogen. In den letzten beiden Jahrzehnten ist unter dem Eindruck tiefgreifender Veränderungen der [[Parteiensysteme]] einerseits, zunehmender [[Diversität]] westlicher Gesellschaften andererseits so intensiv wie seit langem nicht mehr über die Theorie der R. nachgedacht worden.
 
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Unverzichtbarer, weil schon mit dem Prinzip gesellschaftlicher Arbeitsteilung und der Etablierung eines bes.n [[Politisches System|politischen Systems]] notwendiger Bestandteil von R. ist dabei zum Ersten das formale Prinzip der Autorisierung von [[Herrschaft]], das der Idee des Verfassungsstaates zugrunde liegt. Alle Demokratien sind darum repräsentative [[Demokratie|Demokratien]]. Die Technik dieser Autorisierung sind periodische [[Wahlen]], weil sie politisch, wenn auch nicht rechtlich eine Rechenschaftspflicht etablieren und die kommunikative Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten auf diese Weise auf Dauer stellen. Unterschiedlichen Wahlverfahren liegen darum je unterschiedliche R.s-Prinzipien zugrunde. Das gilt auch jenseits staatlicher R., denn auch der Vertretungsanspruch gesellschaftlicher Großorganisationen ([[Verbände]], [[Parteien]], [[Gewerkschaften]]) in Bezug auf die durch sie Vertretenen entsteht i.&nbsp;d.&nbsp;R. durch elektorale Verfahren, wo sie nicht, wie namentlich im Fall der Kirche, theologisch begründet ist. Die Rechtsprechung ruft in der Formel „Im Namen des Volkes“ das Prinzip der Autorisierungs-R. auf.
 
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F. Meinel: Repräsentation, I. Idee, politische Bedeutung und Praxis, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Repräsentation}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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J. Weiß: Repräsentation, II. Soziologische Bedeutung, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Repräsentation}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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J. Weiß: Repräsentation, II. Soziologische Bedeutung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Repräsentation}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 8. Juni 2022, 08:18 Uhr

  1. I. Idee, politische Bedeutung und Praxis
  2. II. Soziologische Bedeutung

I. Idee, politische Bedeutung und Praxis

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1. Ideengeschichte

Schon im mittelalterlichen Rechtsdenken ist der Dualismus zwischen der R. des politischen Körpers durch eine Einzelperson (caput-R.) bzw. eine kollegiale Teilkörperschaft (corpus-R.) als Problem präsent. Das politische Denken der Neuzeit hat R. zunächst im Kern als Übertragung einer dem Individuum von Natur aus zustehenden Rechtsmacht auf einen absolutistischen Souverän (Thomas Hobbes), eine legislative Versammlung (John Locke) oder ein Ensemble republikanischer Amtsträger (James Madison) zum Zwecke der Begründung, Befestigung oder Beschränkung staatlicher Ordnung verstanden. R. ist in diesem bis heute grundlegenden Sinne ein Vorgang der Autorisierung von Herrschaft, der die Freiheit der Repräsentanten von jedweden Instruktionen impliziert. Jean-Jacques Rousseau lehnte die Idee der Autorisierungs-R. darum scharf ab. Während der Französischen Revolution ergänzte Emmanuel Joseph Sieyès diese Vorstellung um die Idee der R. der souveränen Nation durch eine eben darum souveräne Versammlung (Souveränität). Die natur- bzw. vernunftrechtlichen Prämissen dieses Modells gerieten jedoch um 1800 in eine schwere Krise. Die deutschen Verfassungskämpfe um die „landständische R.“ und die Repräsentativverfassung im Vormärz konnten schon nicht mehr auf dem R.s-Begriff der bürgerlichen Revolutionen aufbauen und fielen stattdessen teils zurück auf den altständischen R.s-Gedanken der vertraglichen Beschränkung absolutistischer Macht durch Volk und Stände, wie er sich namentlich bei Johannes Althusius findet, teils auf zivilistisch geprägte Vorstellungen von der Stellvertretung der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber dem monarchischen Staat. Unterdessen beschrieb Karl Marx in der Legitimation des Ausschlusses der Vielen von der Herrschaft den bürgerlich-ideologischen Kern des R.s-Prinzips. Im Zuge der Entstehung moderner politischer Parteien und des Verhältniswahlrechts Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. verschob sich der R.s-Begriff (etwa bei John Stuart Mill) zunehmend von der R. von und durch Personen zur R. von und durch Gruppen, bevor Max Weber die „freie Repräsentation“ (Weber 1980: 172) unabhängiger Amtsträger als Korrelat legaler Herrschaft in der Massendemokratie deutete. Die dadurch eingeleitete soziologische Wende der R. führte zur Renaissance oder vielmehr modernen Fassung des Gedankens der Ähnlichkeits-R., wonach Repräsentierte und Repräsentanten einander möglichst weitgehend entsprechen sollen. Neben die staatliche R. trat in dieser Zeit eine Fülle neuer Formen der R. durch Weltanschauungsparteien, Gewerkschaften u. a. intermediäre Organisationen. Im politischen Existenzialismus der Zwischenkriegszeit haben als Reaktion auf diesen Pluralismus der R. vor allem Carl Schmitt und Gerhard Leibholz einen Begriff von R. als symbolische Vergegenwärtigung eines höheren Seins, nämlich der politischen Einheit des Volkes, entwickelt, der die notwendigen institutionellen Vermittlungen politischer R. absichtsvoll unterschlug. Diese Vorstellungen hatten damit eine inhärente Affinität zur plebiszitären R. der Autokratie. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben dann v. a. Hanna F. Pitkin und Hasso Hofmann das Konzept der R. im Anschluss an die frühneuzeitliche Theoriegeschichte einer Revision unterzogen. In den letzten beiden Jahrzehnten ist unter dem Eindruck tiefgreifender Veränderungen der Parteiensysteme einerseits, zunehmender Diversität westlicher Gesellschaften andererseits so intensiv wie seit langem nicht mehr über die Theorie der R. nachgedacht worden.

2. Bedeutungsebenen und innere Widersprüche

Alle diese ideengeschichtlich bezeugten Aspekte des Begriffs spielen in die heutige Diskussion hinein, in der deswegen je nach Kontext und politischer Stoßrichtung unter R. höchst Unterschiedliches verstanden, ja in der die unterschiedlichen Bedeutungsebenen nicht selten gezielt gegeneinander ausgespielt werden. Die in der Gegenwart vielfach diagnostizierte „Krise der R.“ lässt sich auf einer begrifflichen Ebene deswegen als paradoxe Überlagerung unterschiedlicher Bedeutungsgehalte beschreiben.

2.1 Autorisierung von Herrschaft

Unverzichtbarer, weil schon mit dem Prinzip gesellschaftlicher Arbeitsteilung und der Etablierung eines bes.n politischen Systems notwendiger Bestandteil von R. ist dabei zum Ersten das formale Prinzip der Autorisierung von Herrschaft, das der Idee des Verfassungsstaates zugrunde liegt. Alle Demokratien sind darum repräsentative Demokratien. Die Technik dieser Autorisierung sind periodische Wahlen, weil sie politisch, wenn auch nicht rechtlich eine Rechenschaftspflicht etablieren und die kommunikative Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten auf diese Weise auf Dauer stellen. Unterschiedlichen Wahlverfahren liegen darum je unterschiedliche R.s-Prinzipien zugrunde. Das gilt auch jenseits staatlicher R., denn auch der Vertretungsanspruch gesellschaftlicher Großorganisationen (Verbände, Parteien, Gewerkschaften) in Bezug auf die durch sie Vertretenen entsteht i. d. R. durch elektorale Verfahren, wo sie nicht, wie namentlich im Fall der Kirche, theologisch begründet ist. Die Rechtsprechung ruft in der Formel „Im Namen des Volkes“ das Prinzip der Autorisierungs-R. auf.

2.2 Ähnlichkeitsrepräsentation; Spiegelbildlichkeit

Die zweite Bedeutungsebene ist materieller Art. Der formale Vorgang der Autorisierung bietet allein keine genügende Legitimation staatlicher Herrschaft. Es bedarf daher zusätzlicher, inhaltlicher Kriterien für den jeweiligen Modus der R. und die Form der auf diese Weise geschaffenen repräsentativen Institutionen. Solche Kriterien arbeiten in aller Regel mit der bildhaften Vorstellung von R. als Beziehung von Urbild und Abbild (metaphorisch falsch häufig im Parlaments- und Wahlrecht auch als „Spiegelbildlichkeit“ bezeichnet), indem eine bestimmte Form der Herrschaft als Darstellung des repräsentierten Gebildes ausgewiesen wird. So ist es möglich, die suggestive Kraft der Ähnlichkeits-R. für den politischen Körper in Anspruch zu nehmen.

Im Gegensatz zur Grundformel der absolutistischen R. rex est populus (Hobbes 1642: XII § 8) verstehen sich insb. auch die großen monokratischen Ämter der Staatsspitze wie die plebiszitär legitimierten republikanischen Präsidenten in den USA oder Frankreich als R. (der Einheit) des Volkes. Das Gebot der Ähnlichkeit führt dabei regelmäßig zu einem Inszenierungszwang der Durchschnittlichkeit. Ein institutionelles Problem ist das mimetische Prinzip aber v. a. im Zusammenhang mit der corpus-R. durch gewählte Versammlungen, insb. Parlamente. Hier sind die Folgerungen aus dem Prinzip der Ähnlichkeit umso uneindeutiger, je komplexer die Vorstellung von dem zu repräsentierenden politischen Verband ist. Das gilt v. a. für die R. durch gewählte Versammlungen, womit jedoch schon immer sehr Unterschiedliches gemeint war. So gibt es die Idee einer Abbild-R. für das Mehrheitswahlrecht, wo im Prinzip das Abbild der territorialen Gliederungen eines Staates im Vordergrund steht, ebenso wie für das Verhältniswahlrecht, durch das die politischen Meinungen oder Gruppen proportional abgebildet werden. Bes. komplex wird die Urbild-Abbild-Beziehung im Falle der supranationalen R., insb. durch das Europäische Parlament, das durch ein uneinheitliches Wahlrecht und nationale Sitzkontingente bei gleichzeitig partiell vereinheitlichtem Parteiensystem und politischer Fraktionsgliederung (Fraktion) im Inneren höchst verschiedene R.s-Prinzipien in sich aufnimmt.

2.3 Repräsentation als Repräsentativität: symbolische Präsenz im öffentlichen Raum

Daraus ergibt sich eine enge Beziehung zur dritten Bedeutungsdimension von R. als symbolischer Präsenz im öffentlichen Raum. Moderne Verfahren der politischen R. sind Verfahren der Sichtbarmachung politischer Entscheidungsträger, namentlich angesichts einer immer stärker durch eine visuelle Kommunikation zwischen Repräsentanten und Bürgern geprägten Form von politischem Handeln. Die Modalitäten der politischen R. entscheiden insofern darüber, wer auf der sichtbaren Bühne des Politischen Sitz und Stimme hat und wer nicht. Das lässt sich v. a. daran zeigen, dass die angemessene Vertretung von gesellschaftlichen Gruppen auch bei der Besetzung exekutiver Spitzenämter, etwa parlamentarischer Regierungskabinette, eminente Bedeutung gewonnen hat. Diese symbolische Dimension von R. widerspricht dem Ähnlichkeitsprinzip insofern, als sie v. a. darauf hinweist, was aus dem vermeintlich im Abbild enthaltenen Urbild in Wahrheit ausgeschlossen ist. Diese Exklusionswirkung von R. betraf bis ins 20. Jh. namentlich die Frage wahlrechtlicher Besitzqualifikationen oder die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Männer. Nach der Beseitigung politischer Privilegien bezieht sich die Kritik heute vornehmlich auf die faktische Exklusivität demokratischer R. Die Stärkung der Präsenz gesellschaftlich marginalisierter Gruppen in den politischen Institutionen gilt dabei vielfach als Schlüssel zu einer besseren R., doch der Weg zu diesem Ziel ist umstritten. Dieses Problem, das sich in den USA wegen des Mehrheitswahlrechts in verschärfter Form stellt und dort seit der Bürgerrechtsära (Bürgerrechtsbewegungen) für die Frage der R. ethnischer Minderheiten im Kongress diskutiert wird, hat ungeheuer an Bedeutung gewonnen, seit die Parteiensysteme in den westlichen Demokratien ihre frühere Integrationswirkung verloren haben. Die Frage der Repräsentativität der R. ist in vieler Hinsicht die Schlüsselfrage des R.s-Verständnisses der Gegenwart.

2.4 Substanzielle Repräsentation, Interessenvertretung

R. bezeichnet schließlich auch die aktive Wahrnehmung bestimmter Interessen, d. h. eine agency-Beziehung. Ganz dominant ist dies bei der R. organisierter Interessen durch Verbände oder bestimmter öffentlicher Interessen durch Beauftragte. Im Bereich parlamentarischer R. schließt die formale Autorisierung der Repräsentanten jede direkte rechtliche Bindung an die Vertretung bestimmter Interessen aus; im Gegenteil gibt es aber zahlreiche rechtliche Instrumente, die die Indienststellung von Repräsentanten durch Sonderinteressen verhindern oder erschweren sollen. Das gilt etwa für das Recht der Parteien- und Wahlkampffinanzierung, die Strafvorschriften gegen Abgeordnetenbestechung oder die Offenlegungspflichten für Nebeneinkünfte. Die Formel von der Vertretung des „ganzen Volkes“ (Art. 38 Abs. 1 GG) hat dagegen nichts mit der Verpflichtung von Repräsentanten zur Wahrnehmung eines holistischen Gesamtinteresses zu tun, sondern verweist auf die unitarisch-nationale Legitimationsgrundlage parlamentarischer R.

3. Parlamentarische Repräsentation im Verfassungsstaat

Institutionelle Voraussetzung parlamentarischer R. ist das freie Mandat, d. h. die völlige Unabhängigkeit der Repräsentanten von jeglichem Rechtszwang in der Ausübung ihrer Herrschaftsbefugnisse. Das freie Mandat ist nicht notwendig etwas Demokratisches, sondern zunächst nur eine organisatorische Technik der Erzeugung rechtlich homogener und entscheidungsfähiger Beschlusskörperschaften. Zu einer Form demokratischer R. wird es erst durch seine elektorale Basis, also durch den offenen Wettbewerb um Mandate in einer demokratischen Grundsätzen entspr.en Wahl. Das ist der Sinn der Verknüpfung von freiem Mandat und Wahlrechtsgrundsätzen zu einer Verfassungsnorm in Art. 38 Abs. 1 GG. Erst durch diese Verknüpfung lässt sich die Freiheit der Repräsentanten als Institutionalisierung der politischen Freiheit der Repräsentierten denken. Trotzdem hat das deutsche Verfassungsrecht keinen konsistenten Begriff der parlamentarischen R. ausgebildet. Das liegt v. a. am deutschen Wahlrecht, das auf einer höchst komplizierten Vermischung von Elementen der unitarischen Parteien-R., föderaler Listen-R. und lokaler Wahlkreis-R. beruht und damit der demokratischen R. das nötige Element der Sinnfälligkeit verweigert. Es liegt aber auch daran, dass es wegen der Einbeziehung des von den Landesexekutiven gesteuerten Bundesrats in das Gesetzgebungsverfahren (Gesetzgebung) keinen normativen Zusammenhang von R. und Gesetzesbegriff gibt. Der Versuch insb. des BVerfG, aus dem R.s-Prinzip des Art. 38 Abs. 1 GG einen Abwehranspruch gegen die R. durch das Europäische Parlament und die europäische Integration überhaupt zu konstruieren, ist daher mit Blick auf diese konzeptionellen Defizite gerade des deutschen Verfassungsrechts zumindest bemerkenswert.

Diese institutionelle Form der Autorisierungs-R. wird entgegen einer alten und immer noch verbreiteten Fehlvorstellung nicht schon dadurch in Frage gestellt oder „überlagert“, dass substanzielle R., d. h. die Wahrnehmung, Aushandlung und Durchsetzung von Interessen, in weitem Umfang durch andere Organisationen wahrgenommen wird, namentlich von den in Art. 21 GG angesprochenen politischen Parteien oder Interessenverbänden. Dagegen hat die monokratische R. des Bundespräsidenten als Verkörperung der Einheit des Staates eine v. a. zeremonielle Bedeutung.

Als Problem der parlamentarischen R. wird aber zunehmend die Divergenz im soziologischen Profil der Parlamente im Vergleich mit der Wählerschaft und damit die symbolische R. der Parlamente empfunden, auch weil der Glaube an eine Bestenauslese (Elite) durch die Kandidatenaufstellung der Parteien nicht mehr sehr verbreitet ist. So finden sich unter Mitgliedern der Legislativen der meisten westlichen Staaten einschließlich der BRD auch heute noch zumeist Angehörige privilegierter sozialer Schichten. Zudem sind Frauen sowie Nichtakademiker, Migranten usw. dort typischerweise weniger häufig vertreten als in der Wählerschaft. Die Verfechter einer möglichst weitgehenden Repräsentativität der R. übersteigern das mimetische Prinzip der Ähnlichkeits-R. nicht selten zu der Vorstellung, jede Abweichung von den statistischen Größenverhältnissen der Wählerschaft bedeute einen Mangel an demokratischer Legitimation, und negieren damit oftmals das Prinzip der freien R. Schließlich beruht auch die gegenwärtige soziale Struktur der Parlamente ausschließlich auf der Autorisierung durch freie Wahlen, nicht zuletzt innerhalb von Parteien.

II. Soziologische Bedeutung

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Zum Bedeutungsfeld von R. (d. i. Vergegenwärtigung) gehört die als Vertretung, in der Juristen-, aber auch in der Alltagssprache genauer als Stellvertretung bezeichnete soziale Beziehung: ein Handeln natürlicher Personen, das, v. a. in seinem Ergebnis, nicht diesen zugerechnet wird, sondern anderen, ebenfalls natürlichen Personen, aber auch kollektiven Akteuren oder Korporationen (juristischen Personen). Die Juristenformel alieno nomine agere beschreibt dies zutreffend in rechtlicher wie in empirischer Perspektive.

Die Spannbreite stellvertretenden Handelns ist sehr groß. Sie reicht von verbindlichen, insb. in jeder Hinsicht rechtlich normierten Formen bis zu sehr offenen, was die vertretene Sache, den Vertretungsumfang oder den Kreis der Vertretenen betrifft, wenig bestimmten Formen. Die stellvertretend zu erledigenden Aufgaben sind je nach Handlungssphäre höchst unterschiedlich. Per definitionem gilt nur, dass die Stellvertretung von natürlichen Personen vollzogen wird. Ihr Sinn und Zweck besteht eben darin: den Vertretenen ein ebensolches Handeln (jedenfalls „im Ergebnis“) zuschreiben zu können. Ob und in welchem Maße ggf. eine Stellvertretungsbeziehung „besteht“, bemisst sich an der Wahrscheinlichkeit, mit der eine solche Sinn- und Situationsdeutung für die im Blick stehenden Akteure gilt und tatsächlich handlungsbestimmend ist.

Sehr früh ist bemerkt worden, dass R. in genau diesem Sinne zunehmend zu einem bestimmenden Merkmal der „modernen“ Gesellschaft geworden war. Nicht nur rechtlich vorgesehene und normierte, sondern auch wenig geregelte, oft kaum bewusste Formen der Stellvertretung kennzeichnen sie. Diese Gesellschaften verlangen den Menschen ein immer größeres Maß an individuell verantwortetem, autonomem Handeln (Handeln, Handlung) ab, dies aber in zunehmend ausdifferenzierten, speziellen Aufgaben gewidmeten Erfahrungs- und Handlungssphären, die spezielles Wissen und Können erfordern. Je anspruchsvoller Wissen und Können und je existenzwichtiger die Aufgaben sind, desto mehr liegt es nahe, sich der sachkundigen, professionellen Stellvertretung zu bedienen. Von Anfang an wurde in dieser Lösung die Gefahr einer „Entmündigung durch Experten“ (Illich u. a. 1970) gesehen. Schon Karl Marx und Friedrich Engels hatten in den „besondern Sphären der Teilung der Arbeit“ (Marx/Engels 1953: 509) als solchen die Hauptursache einer Entfremdung gesehen, die nur durch den „sozialisierten Menschen“ der Zukunft aufgehoben werden könne – also in einem „Zustand, in dem jede Funktion repräsentativ ist, wie z. B. der Schuster, insofern er ein soziales Bedürfnis verrichtet, mein Repräsentant ist, […] wie jeder Mensch Repräsentant des anderen ist“ (Marx/Engels 1962: 415).

Ganz anders als die Problematik der politischen R. hat Stellvertretung in den empirischen Sozialwissenschaften, v. a. in der Soziologie, wenig Beachtung gefunden, auch im Unterschied zur Jurisprudenz. Das hat seinen Grund v. a. in der großen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der hier in den Blick zu nehmenden sozialen Phänomene sowie in der Dominanz der viel klarer und präziser zu bestimmenden politischen R. Im Übrigen verleitet der Umstand, dass Stellvertretung in vielen Fällen rechtlich geregelt und ein wichtiger Tatbestand des bürgerlichen Rechts ist, dazu anzunehmen, es gebe hier keine Aufgabe für die empirische Forschung.

In der klassischen Soziologie ist auf die sehr beachtenswerte Thematisierung bei Georg Simmel hinzuweisen. Sie betrifft die Bedeutung der Institution der Stellvertretung für die Erhaltung und Handlungsfähigkeit von Gruppen. Eine allg.ere und eingehendere Behandlung findet sich bei Max Weber. Bei ihm wird auf der theoretisch-grundbegrifflichen Ebene die Dichotomie von Solidaritäts- und Vertretungsbeziehungen eingeführt und bestimmt. Außerdem entwirft er im Rahmen der Herrschaftssoziologie eine Typologie der R. bei „Verbandsherrschaften“ (Weber 2013: 579) und auf dem Felde der „berufsständischen“ (Weber 2013: 587) Interessenvertretung. In der neueren theoretischen Soziologie steht ganz überwiegend die Frage im Vordergrund, dass und wie die Handlungsmacht kollektiver Akteure sich über personale Stellvertretung realisiert. Differenzierte Analysen unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Macht-Konfigurationen (Macht) in Organisationen (und darüber hinaus) finden sich bei Wolfgang Sofsky und Rainer Paris. Über den Wandel der Möglichkeit respektive Wirksamkeit der öffentlich-politischen Vertretung sozialer Klassen oder sozialer Minderheiten durch Intellektuelle informiert Johannes Weiß (2015).