Schiedsgerichtsbarkeit: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. November 2022, 05:59 Uhr
1. Ausgangslage
Staatliche Gerichte (Gerichtsbarkeit) sind Ausdruck der Monopolisierung von Staatsgewalt („Judikative“) zur Bereitstellung staatlichen Rechtsschutzes als Ausgleich prinzipiell verbotener Selbsthilfe. Für den Bürger als den „Staatsunterworfenen“ korrespondiert hiermit der Anspruch auf Bereitstellung von Organen der Rechtsprechung zur Entscheidung von Streitigkeiten (sog.er Justizgewährungsanspruch). Der Staat leistet damit als traditionelle Aufgabe Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Var. 3 GG) – in Abgrenzung zu Rechtspflegeakten, Gerichtsorganisation, Justizverwaltung etc. Man muss aber sehen, dass er sich um diese allg.e Verpflichtung inzwischen gerne „herumdrückt“ und immer stärker Formen einvernehmlicher Lösung fördert („Schlichten ist besser als Richten“: Mediation; Güteverfahren; Vergleich – sog.e Alternative Dispute Resolution). Im Unterschied zu diesen Ansätzen bleibt freilich S. immer (Rechts-)Streitentscheidung.
Schiedsgerichte sind private Gerichte, ohne dauerhafte Verankerung in staatlicher Organisation. Hierin liegt ihre große Stärke (Flexibilität: Orte, Personen, Zeit etc.), aber auch ihre Schwäche (Notwendigkeit zusätzlicher Konstituierung). Der Staat erlaubt teilweise ein opt out aus staatlichem Rechtsschutz. Anfangs eher suspekt (normativ nur „geduldet“), ist doch längst eine starke S. im staatlichen Interesse erwünscht. Die S. bietet – staatlich behutsam eingehegt – letztendlich „im Prinzip gleichwertige[n] Rechtsschutz“ (BT-Drs. 13/5274, S. 34 rechte Sp. zu § 1030 ZPO). Weder Art. 92, 101 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 1 EMRK stehen privatrechtlichen Schiedsgerichten entgegen, wenn sie denn unabhängig neutral entscheiden und freiwillig vereinbart wurden.
Mit präventiven und repressiven Kontrollmechanismen sorgt der Gesetzgeber vor, dass rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden, ohne in das Schiedsverfahren zu stark einzugreifen. Gesehen wird hierbei auf die Verfahrensgestaltung wie auch die Jurisdiktionsgrundlage (entspr.e – gültige – Schiedsbindung) und (allerdings nur beschränkt) den materiellen, nämlich „richtigen“, Entscheidungsinhalt (ordre-public-Verstoß?). Dies leisten namentlich der Aufhebungsantrag (§ 1059 ZPO) bei einigen tiefgehenden, enumerierten Mängeln und die Vollstreckbarerklärung (§§ 1060, 1061 ZPO) als Analogon vor Erlaubnis staatlicher Vollstreckung, aber z. B. auch Befangenheitskontrolle (§ 1037 Abs. 3 ZPO) – sog.e intervention (im Unterschied zur sog.en assistance). Am Ende entscheidet ein Schiedsgericht in ganz äquivalenter Form (Schiedsspruch als Surrogat eines Urteils: Rechtskraft, § 1055 ZPO), und wirkt die S. ebenbürtig als materielle Rechtsprechung.
2. Kategorisierungen
2.1 Typen der Schiedsgerichtsbarkeit nach Rechtsgebieten
Entspr. rechtlicher Konstruktion lassen sich drei miteinander verwobene, freilich dogmatisch gänzlich selbständige Rechtsgebiete unterscheiden.
a) Völkerrechtliche S. Gemeint ist hiermit die vereinbarte Streitlösung zwischen Staaten untereinander, urspr. als Errungenschaft des Kriegsvölkerrechts, um bewaffneten Auseinandersetzungen vorzubeugen. Es geht hier um Formalisierung zwischenstaatlicher Konfliktstoffe (Beispiele: Ständiger Schiedsgerichtshof [Permanent Court of Arbitration] und IGH in Den Haag; US/Iran Claims Tribunal). Hier fehlt eine verfestigte supranationale Gerichtsbarkeit, und das Schiedsgericht wirkt dann als Gerichtsersatz. Als Frage bleibt immer, ob denn am Ende der Schiedsspruch die nötige Akzeptanz aller Streitteile findet.
b) Investitionsrechtliche S. Sie zielt auf Streitlösung zwischen Privaten und Staaten (nämlich Investoren/Sitzländer – Investor-State Dispute Settlement) – und judiziert materiell auf Grundlage völkerrechtlicher Kriterien (Völkerrecht); das prozessuale Fundament gründet indes in einer kollektivrechtlich vereinbarten Schiedsbindung, sei es ein bilateral getroffenes Abkommen (sog.er BIT) oder Bestandteil multilateraler Übereinkommen (Beispiele: Weltbank-Übereinkommen, MIGA, Internationale Energiecharta). Jene stehen momentan unter starkem rechtspolitischen Argwohn (Stichworte: CETA, TTIP).
c) Prozessrechtliche S. Sie meint das Forum zur Streitlösung zwischen Privaten untereinander und bildet – klassisch-tradiert – den wahren Anwendungsfall des Schiedsrechts.
2.2 Nationale Ebene der Schiedsgerichtsbarkeit
Grundlegend ist die Unterscheidung von nationaler und internationaler S. Die S. findet dabei immer ihre Legitimation in nationalen Prozessordnungen; obwohl immer wieder gerne beschworen, gibt es kein „anationales Schiedsrecht“, das sich total frei von nationalen (Rechts-) Bindungen etablierte – jedes Schiedsgericht und jeder Schiedsspruch findet irgendwo seine nationale Verortung („Das Schiedsgericht thront nicht über der Erde, es schwebt nicht in der Luft, es muß irgendwo landen, irgendwo ‚erden‘.“ [Raape 1961: 557]). Die Lokalisation erfolgt mehrheitlich heute über den Schiedsort („Sitz“), welchen die Parteien selbst festlegen können bzw. welchen sonst das konkrete Schiedsgericht bestimmt (und der hilfsweise im Nachhinein zu ermitteln ist). Es gibt rechtstechnisch bloß allein nationale S., die sich auf eine nationale gesetzliche Gestattung stützen kann. Gleichwohl ist rechtspraktisch die spezifisch internationale Anknüpfung entscheidend: sie erlaubt, nationale (prozessuale) Eigenheiten abzuschütteln und ein neutrales Forum.
Die S. ist gemäß deutschem Recht nicht prinzipiell auf Handelsrecht oder Kaufleute beschränkt, hat jedoch dort historisch ihre Wurzel (Warenbörsen, Marktgerichte, Gilderegeln etc.). Man kann weitergehend nach Anwendungsbereich noch unterscheiden:
a) Schiedsgerichte im Privatinteresse. Gemeint ist hiermit das gesetzgeberische Regelungsmodell, so wie es §§ 1025–1065 ZPO zugrundeliegt. Der Normalfall ist die vereinbarte S. (§ 1029 ZPO), es gibt ausnahmsweise aber ebenso verordnete S. (§ 1066 ZPO); ausschlaggebend für die Kategorisierung ist, ob vertraglicher Konsens zugrundeliegt oder einseitige „Unterwerfung“ durch Testament oder Satzung.
b) Schiedsgerichte in Arbeitssachen, die legislativ einem eigenen Normenwerk unterstehen (§§ 101–110 ArbGG), das Schiedsgerichte weitestgehend Tarifpartnern vorbehält.
c) Sportschiedsgerichte, die der Gesetzgeber als Teil einer „Antidopingstrategie“ bewußt unterstützen möchte (§ 11 AntiDopG – international: Court of Arbitration for Sport; Doping).
d) Schiedsgerichte in Verbrauchersachen, für welche lediglich bloß verstreute Sonderregeln vorgesehen sind (insb. § 1031 Abs. 5 ZPO: Formpflicht der Vereinbarung) und die ansonsten allg.en Kriterien unterfallen (anders etwa in Österreich: § 617 öZPO). Das deutsche Recht setzt insoweit auf primär materielle Kontrollmechanismen (§§ 138, 242 BGB bzw. §§ 305 ff. BGB), um Verbraucher etwas abzusichern oder strukturelles Ungleichgewicht auszugleichen.
Die Reihe erfasst indes nur normativ verfestigte Bereiche, rein faktisch bestehen kaum Anwendungsschranken, und also darum auch die Möglichkeit vielfältiger Variationen (Medienschiedsgericht, Notargerichtshof, Familienschiedsgericht etc.).
2.3 Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Internationale S. ist dann nur noch die S. mit grenzüberschreitenden Bezügen, die aber durch nationale Rechtsordnungen teilweise eigenständige, großzügigere Regelung erfährt (wie in der Schweiz [Art. 176–194 IPRG] oder Frankreich [Art. 1504–1527 c. p. c.]), teilweise indes auch bloß mit einigen Sonderregelungen eines Gesamtgesetzes bedacht ist (so wie in Deutschland [§§ 1025–1066 ZPO] oder Österreich [§§ 577–618 öZPO]). Dabei besteht oftmals große Parallelität nationaler Vorschriften, weil sie sich oft am UNCITRAL-Modellgesetz vom 21.6.1985 über die internationale Handels-S. (mit Modifikationen aus 2006) orientieren, das rund 80 Länder bereits zum Vorbild nahmen (dazu zählt auch Deutschland mit dem Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz vom 22.12.1997, BGBl I Nr. 88: 3224 [in Kraft ab 1.1.1998]). Garant für die weltweite Akzeptanz ist das sog.e UNÜ, das New Yorker Übereinkommen über die internationale Handels-S. vom 10.6.1958 (BGBl 1961 II Nr. 11: 121 – gilt für Deutschland seit dem 28.9.1961: BGBl 1962 II Nr. 7: 102).
3. Grundbedingungen
Als opt out aus hoheitlich bereitgestellter Judikative bedarf die Begründung schiedsgerichtlichen Entscheids fester Grundlagen. Dafür ist meist eine entspr.e Vereinbarung erforderlich, die sich auf schwebende wie zukünftige Streitigkeiten erstrecken kann (§ 1029 Abs. 1 ZPO – im Unterschied zu altem romanischen Recht: compromis/clause compromissoire). Möglich ist hierfür eine selbständig getroffene Abmachung (§ 1029 Abs. 2 Var. 1 ZPO: Schiedsabrede) oder eine Zusatzklausel im Vertragswerk (§ 1029 Abs. 2 Var. 2 ZPO: Schiedsklausel), die dann aber nicht mit jenem sog.en Hauptvertrag „steht und fällt“ (§ 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO). Ja, das Schiedsgericht hat eine (vorläufige) Kompetenz-Kompetenz, über Zustandekommen und Rechtsgültigkeit der Schiedsvereinbarung in einem ersten Zugriff zu entscheiden (staatliche Nachprüfung allerdings vorbehalten). Bei Klage vor einem Staatsgericht muss man einredeweise dann die Schiedsbindung aber explizit noch entgegenhalten (sog.e Schiedseinrede, § 1032 Abs. 1 ZPO).
Die Schiedsvereinbarung unterliegt meist einem Formzwang (§ 1031 ZPO), der verschieden stark ausgeprägt ist, international unter Kaufleuten sogar mitunter ganz entfällt, national gegenüber Verbrauchern bes. qualifiziert wurde (§ 1031 Abs. 5 ZPO: eigenhändige Unterschrift; separat verfasste Urkunde). Ein Formmangel wird allerdings durch eigenes rügeloses Einlassen geheilt (§ 1031 Abs. 6 ZPO). Der Staat ist meist großzügig bei der Zulassung schiedsgerichtlicher Tätigkeit (sog.e Schiedsfähigkeit). Er hat sich nur wenige tatsächliche „Reservatbereiche“ oder „Judikatsmonopole“ vorbehalten, sei es aus persönlichen Gründen (subjektive Schiedsunfähigkeit), sei es für einzelne sachliche Bereiche (objektive Schiedsunfähigkeit). Im Grundsatz sind sämtliche vermögensrechtlichen Ansprüche schiedsfähig (§ 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO), nichtvermögensrechtliche Ansprüche allein bei Vergleichsfähigkeit (§ 1030 Abs. 1 S. 2 ZPO) – mit Schranken im Einzelfall (§ 1030 Abs. 2, 3 ZPO).
Die Parteien können die Regeln des Verfahrens selbst gestalten, sind nur an ein paar einzelne, zwingende Grundsätze gebunden (§ 1042 Abs. 1 ZPO: Fairnessgebot, Gleichbehandlung, Gehörsgewähr). Ansonsten können sie jedoch sämtliche Abläufe bestimmen, durch eigene verfasste Regeln (individualisierte Verfahrensgestaltung, § 1042 Abs. 3 Var. 1 ZPO) bzw. durch den Bezug auf anderweit ausgearbeitete Regelwerke (standardisierte Verfahrensgestaltung, § 1042 Abs. 3 Var. 2 ZPO). Das Gesetz gibt ferner ein Gerüst grundsätzlich dispositiver Auffangregeln, nur subsidiär entscheidet letztlich das Schiedsgericht (§ 1042 Abs. 4 S. 1 ZPO: „nach freiem Ermessen“). Im Unterschied zu staatlichen Gerichten mit verfassten Spruchkörpern müssen Schiedsgerichte im Regelfall erst gebildet werden (sog.e Konstituierung der „Gerichtsbank“: §§ 1034–1039 ZPO – Vorteil freier [Richter-] Auswahl!); das kann einmal anders sein (institutionelle Schiedsgerichte bzw. „Schiedshöfe“), oft begleiten Schiedsinstitutionen das Verfahren nur logistisch (administrierte Schiedsgerichte), es gibt aber auch ebenso unabhängig erfolgte Gestaltung (individuelle [sog.e ad hoc] Schiedsgerichte).
4. Abgrenzung
S. ist Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten seitens neutraler Dritter. Sie ist abzugrenzen von
a) Schiedsgutachten, die sich auf tatsächliche Feststellungen konzentrieren (§§ 317, 319 BGB) und einzelne Entscheidungselemente abklären, ohne dass aber weitere (namentlich: prozessuale) Folgen zur Debatte stehen. Schiedsrichter (arbiter) und Schiedsgutachter (arbitrator) liegen womöglich verbal beinander, sind juristisch aber grundsätzlich zu unterscheiden.
b) Verbandsgerichte von politischen Parteien, Vereinigungen etc. sind oft bloß Vereinsorgane und treffen nur organschaftliche Entscheidungsakte (sie sind – rechtlich – Teil der Streitparteien, niemals neutraler Dritter bzw. ureigen unabhängige, nicht parteiliche Instanz). Als Folge der Verbandsautonomie findet indes dann nur beschränkte gerichtliche Überprüfung statt, entweder durch Staats- oder Schiedsgerichte. Abzugrenzen ist schließlich von
c) Schiedsvorschlägen als Endergebnis vermittelnder Tätigkeiten seitens eines Dritten (Mediation, Schlichtung, Güteverfahren), dem aber an sich die nötige Entscheidungsgewalt abgeht: es ist an den Parteien, nachträglich zu entscheiden, ob sie denn jenen Vorschlag mittragen mögen. Allemal steht dabei stärker die Beseitigung des Konflikts im Vordergrund („Coming to Yes“), weniger der Maßstab des Rechtes.
Literatur
J. Münch: Schiedsverfahren vs. staatliche Gerichtsbarkeit – Vorzüge der Schiedsgerichtsbarkeit, in: Bitburger Gespräche in München, Bd. 6, 2016, 53–109 • R. A. Schütze: Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016 • R. Wolff: Empfiehlt sich eine Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts?, in: SchiedsVZ 14/6 (2016), 293–306 • J.-P. Lachmann: Hdb. für die Schiedsgerichtspraxis, 32008 • J. Münch: Die Privatisierung der Ziviljustiz – von der Schiedsgerichtsbarkeit zur Mediation, in: R. Stürner (Hg.): Bitburger Gespräche, Bd. 1, 2008, 179–214 • K. H. Schwab/G. Walter: Schiedsgerichtsbarkeit, 72005 • K. P. Berger: Internationale Schiedsgerichtbarkeit, 1992 • L. Raape: Internationales Privatrecht, 51961 • H. Krause: Die geschichtliche Entwicklung des Schiedsgerichtswesens in Deutschland, 1930.
Empfohlene Zitierweise
J. Münch: Schiedsgerichtsbarkeit, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Schiedsgerichtsbarkeit (abgerufen: 21.11.2024)