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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
1. Gegenstand und Ausgangslage
Die Anfänge des modernen U.s liegen sowohl auf europäischer Ebene als auch in Deutschland in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Angestoßen nicht zuletzt durch die UN-Umweltkonferenz von Stockholm 1972 war das U. von Beginn an in eine starke internationale Entwicklung eingebunden. Seither ist das U. sukzessive zu einem eigenständigen, stark vom Europa- und auch vom Völkerrecht geprägten Rechtsgebiet herangewachsen. Auch wenn die Notwendigkeit eines effektiven Umweltschutzes anerkannt ist, steht dieser in einem Spannungsverhältnis zu anderen Staatszielen und gesetzgeberischen Zwecken, v. a. der Wirtschafts- und Forschungsförderung sowie sozialen Nutzungsansprüchen. Das U. dient nicht zuletzt dem geforderten Ausgleich.
Gegenstand des U.s sind alle rechtlichen Regelungen, die auf den Schutz der Umwelt gerichtet sind. Nicht immer handelt es sich um Umweltgesetze im engeren Sinn. Viele Regelungen haben, ohne die Umwelt spezifisch zu regulieren, hohe umweltrechtliche Relevanz (z. B. Vorschriften des BauGB, EnWG). Diese umweltrelevanten Vorschriften zählen zum U. im weiteren Sinn. Das U. im engeren Sinn ist dessen ungeachtet v. a. mit Blick auf einzelne Umweltmedien in vielerlei Hinsicht spezifisch geregelt (z. B. BImSchG, WHG, BBodSchG).
Zu den Schutzgütern des U.s zählen Menschen, insb. die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (Biodiversität), Flächen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, das kulturelle Erbe und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Schutzgütern. Der damit bezeichnete Umweltbegriff mittlerer Reichweite, der exemplarisch in § 2 Abs. 1 UVPG geregelt ist, liegt der Sache nach den meisten modernen Umweltgesetzen zugrunde. Der europarechtlich vorgegebene Ansatz eines integrierten Umweltschutzes verfolgt das Ziel, die Gesamtheit der umweltrelevanten Tätigkeiten und Auswirkungen zu berücksichtigen, um Belastungsverlagerungen zu verhindern und die Umwelt insgesamt bestmöglich zu schützen.
2. Rechtsgrundlagen
Umweltgefahren und Umweltrisiken können lokal begrenzt sein, regional auftreten sowie nationale oder auch globale Herausforderungen darstellen. Zahlreiche völkerrechtliche Verträge, aber auch Völkergewohnheitsrecht (Gewohnheitsrecht) und soft law prägen das internationale U. Erhebliche Bedeutung hat das europäische U. sowohl auf der Ebene des Primär- als auch des Sekundärrechts (Europarecht). Im nationalen Recht wirkt das Umweltverfassungsrecht v. a. über die Schutzpflichtdimension der Grundrechte, die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte und über die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG auf das U. ein. Umweltgesetze formulieren unterschiedliche Anforderungen an (potenziell) umweltverschmutzende Tätigkeiten und stellen sie teilweise unter Genehmigungsvorbehalt. Die materiellen Anforderungen, die häufig in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen geregelt sind, werden vielfach durch untergesetzliche Regelwerke (Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften etc.) präzisiert. Neben dem öffentlichen U. gibt es auch ein Umweltprivatrecht und ein Umweltstrafrecht. Das Umweltprivatrecht bietet zivilrechtlichen Schutz vor Umweltbelastungen (v. a. Immissionen) und gewährt Restitution im Schadensfall. Das Umweltstrafrecht stellt bestimmte umweltverschmutzende Tätigkeiten unter Strafe. Beiden Rechtsgebieten kommt neben dem öffentlichen U. Bedeutung v. a. als Ergänzungs- und Auffangordnungen zu.
Das Vorhaben eines Umweltgesetzbuchs war der Versuch, das zersplitterte und doch an vielen Stellen verknüpfte U. durch eine einheitliche Kodifikation zu harmonisieren. Zwei Umweltgesetzbuch-Entwürfe (Professorenentwurf 1999 und Referentenentwurf 2005) scheiterten jedoch im Gesetzgebungsverfahren. In der 16. Legislaturperiode (2005–2009) wurden verschiedene Teile des Referentenentwurfs als Einzelgesetze verabschiedet.
3. Europäisierung und Internationalisierung
Weite Teile des U.s haben sich im Verbund von internationalem, europäischem und nationalem Recht entwickelt. Das rasche und weite Ausgreifen insb. des europäischen U.s hat zur Folge, dass das deutsche U. immer stärker zu einem Umsetzungsrecht für europäische Vorgaben geworden ist. Dabei haben sich die europäischen Vorgaben insofern verändert, als sie sukzessive eigene gesetzgeberische Konzepte und Systemansätze verfolgt haben.
Von grundlegender Bedeutung für die Effektivierung des U.s ist die Aarhus-Konvention, die als völkerrechtlicher Vertrag sowohl die EU als auch Deutschland bindet. Mit ihren drei umweltrelevanten Regelungsaspekten
a) Zugang und Anspruch auf Umweltinformationen,
b) Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltrelevanten Entscheidungsverfahren sowie
c) Zugang zu gerichtlichen und anderen Verfahren zur Überprüfung staatlicher Entscheidungen
verfolgt die Aarhus-Konvention das Ziel, durch eine in Umweltangelegenheiten informierte, in Umweltverwaltungsverfahren einbezogene und mit Rechtsschutzmöglichkeiten versehene Öffentlichkeit das U. zu effektivieren.
4. Umwelt und Verfassung
Mit Blick auf die Bedeutung der Verfassung für das U. gilt es zwei Aspekte in Rechnung zu stellen: Zum einen muss das Ziel des Umweltschutzes stets mit anderen Verfassungsaussagen zum Ausgleich gebracht werden. Zum anderen ist das U. fast immer mehrpolig angelegt. Verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte können einerseits für den Schutz vor Umweltbelastungen, andererseits für die rechtlichen Grenzen staatlicher Umweltschutzmaßnahmen geltend gemacht werden. In Ermangelung eines Grundrechts auf Schutz vor Umweltbelastungen sind mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz vor Umweltbelastungen grundrechtliche Schutzpflichten und die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte in den Vordergrund getreten, wobei eine Verletzung von Schutzpflichten nur bejaht wird, wenn der Staat angesichts bestehender Gefährdungslagen nichts oder nur evident Ungeeignetes tut. Auf der anderen Seite setzen die Grundrechte staatlichen Umweltschutzmaßnahmen auch Schranken, so dass prinzipiell alle rechtsstaatlichen Vorkehrungen zur verhältnismäßigen Begrenzung staatlicher Eingriffe zur Anwendung kommen.
Das seit 1994 im GG verankerte Staatsziel Umweltschutz ist über lange Jahre gefordert und politisch erkämpft worden. Die verfassungsrechtliche Verankerung steht für ein spezifisches Legitimationsniveau (Legitimation), das die umweltstaatliche Dimension ausdrücklich einbezieht. Als objektiv-rechtlich wirkender, unmittelbar verbindlicher Verfassungsrechtssatz gibt Art. 20a GG das Ziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen auch im Interesse künftiger Generationen vor. Die Umsetzung im Einzelnen obliegt den drei staatlichen Gewalten, wobei die Konkretisierungsleistung in erster Linie dem Gesetzgeber aufgegeben ist.
5. Prinzipien
Das U. stützt sich auf eine Reihe von Grundprinzipien, zu denen als klassische Trias das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und das Kooperationsprinzip gezählt werden. Kennzeichnend für das deutsche U. ist eine starke Ausrichtung am Vorsorgegrundsatz. Danach dürfen (freiheitseinschränkende) vorsorgende Maßnahmen auch getroffen werden, wenn nur begründete Verdachtsmomente bestehen. In der Ausprägung der Ressourcenvorsorge fordert das Vorsorgeprinzip eine schonende Inanspruchnahme der Naturgüter und Lebensräume und weist damit starke Bezüge zum Prinzip der Nachhaltigkeit auf, das eine langfristig vorausschauende Sicherung der Lebensgrundlagen für die Nutzung auch durch künftige Generationen fordert. Das Verursacherprinzip wendet sich v. a. an den Gesetzgeber mit der Maßgabe, Umweltgesetze so zu fassen, dass Verursacher vorrangig die sachliche und finanzielle Verantwortung für die von ihrem Verhalten ausgehenden Umweltbelastungen und Umweltschäden tragen. Der Kooperationsgedanke, dessen Prinzipiencharakter nicht einhellig anerkannt ist, trägt der Erkenntnis Rechnung, dass die Umweltverwaltung im modernen Staat auf eine Kooperation mit den gesellschaftlichen Kräften angewiesen ist.
Die umweltrechtlichen Leitprinzipien geben dem Gesetzgeber Anleitung und Rechtfertigung bei der Gestaltung des U.s. Dem Rechtsanwender dienen sie zur Ausfüllung von Auslegungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielräumen (Ermessen).
6. Instrumente
Die verfassungsrechtliche Einfassung, die bes. Langfristigkeit, die ausgeprägte Vorsorgedimension sowie die starke Abhängigkeit von Expertenwissen haben bewirkt, dass sich im U. eine Reihe neuartiger Regelungsstrukturen und Regulierungsbausteine ausgeformt und etabliert haben. Zu den konsentierten Erkenntnissen zählt, dass effektiver Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht mehr allein durch traditionelle staatliche Kontrollinstrumente erreicht werden kann, sondern einer Ausweitung und Dynamisierung der Anforderungen und Instrumente bedarf. Das U. ist damit zum Referenzgebiet für ein Nachdenken über neue Formen der staatlichen Verwaltung und neue Steuerungsinstrumente (Steuerung) geworden. Einen Schwerpunkt der umweltrechtlichen Entwicklung bildet die Ausweitung und Ausdifferenzierung von Instrumenten indirekter Verhaltenssteuerung von Umweltabgaben, über Umweltaudit bis hin zu privaten und halbstaatlichen Gremien der Standardsetzung.
In dem Maße, in dem das U. (bspw. beim Umgang mit Risiken) Schwierigkeiten ausgesetzt ist, eindeutige und klar kontrollierbare inhaltliche Regelungen zu treffen, haben verfahrensrechtliche Instrumente an Bedeutung gewonnen. Neben einem erheblichen Ausbau von Informationsrechten sowie der Öffentlichkeitsbeteiligung in nahezu allen Bereichen des U.s zählt die Umweltverträglichkeitsprüfung zu den wichtigsten verfahrensbezogenen Instrumenten. In der Sache geht es darum, dass im Vorfeld von Entscheidungen, die für die Umwelt relevant sein können, die absehbaren Folgen für die Umwelt ermittelt und bewertet werden, so dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sind und berücksichtigt werden können.
7. Rechtsschutz
Den traditionellen Einengungen des deutschen Verwaltungsrechts entspr. ist der Rechtsschutz im U. begrenzt. Umweltrechtliche Normen können als „drittschützend“ nur angegriffen werden, wenn sie zumindest auch dazu bestimmt sind, einen abgrenzbaren Personenkreis zu schützen und subjektive Rechte vermitteln. Während Normen, die der Abwehr von Gefahren dienen, grundsätzlich drittschützend sein sollen, ist die Reichweite des Drittschutzes bei anderen Normen (Vorsorgeregelungen, verfahrensrechtlichen Vorschriften etc.) durch Auslegung zu ermitteln und wird nur ausnahmsweise bejaht. Die Rechtsschutzkonzeption des deutschen Rechts gerät jedoch zunehmend unter den Einfluss des europäischen Rechts, das vergleichbare Einschränkungen des Rechtsschutzes nicht kennt und im Falle von Kollisionen zwischen europäischem und nationalem Recht auch nicht ohne weiteres akzeptiert.
Einen Meilenstein im U. stellt der Erlass des UmwRG im Jahr 2006 dar. Es geht auf die Aarhus-Konvention und daran anknüpfende EU-Richtlinienbestimmungen zurück. Es enthält verwaltungsprozessuale Sondervorschriften bei U.s-Behelfen. V. a. gewährt es Umweltverbänden weitgehend unabhängig von der Rüge der Verletzung eigener Rechte ein Klagerecht in Umweltangelegenheiten. Entgegen der ursprünglichen Ausrichtung auf Verbandsklagen entwickelt sich das UmwRG – seinem weit gefassten Namen entspr. – mehr und mehr zu einem Gesetz, das U.s-Behelfe auch von Individualklägern erfasst.
8. Bes. Regelungsbereiche
Die maßgebenden spezielleren Referenzgebiete des Umweltschutzes sind nach und nach zu einem besonderen Teil des U.s ausgeformt worden. Dazu zählt das Immissionsschutzrecht, das seit dem Inkrafttreten des BImSchG im Jahr 1974 eine dynamische Entwicklung genommen hat. Wichtige Neuerungen betrafen und betreffen den integrativen und medienübergreifenden Regelungsansatz der Industrieemissionsrichtlinie, die neuen Instrumente des Lärmschutzes und nicht zuletzt das europäische Luftqualitätsrecht. Hinzu kommen die Regelungen des Klimaschutz-, Klimafolgen- und Energierechts, die zu einer der größten Herausforderungen des internationalen, europäischen und nationalen Rechts geworden sind. Im Bereich des Gewässer- und Meeresumweltschutzes steht die Sicherung von Wasserressourcen in ausreichender Menge und in guter Qualität weit oben auf der umweltrechtlichen Agenda. Der starke Nutzungsdruck auf die Weltmeere durch Fischerei, Schifffahrt, Nährstoff- und Schadstoffeinträge, Meeresbergbau, Marinekulturen und Tourismus haben auch den Meeresumweltschutz immer stärker in den Vordergrund gerückt. Im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege, Bodenschutz, Tierschutz und Artenschutz haben europäische und völkerrechtliche Regelwerke entscheidende Weichenstellungen herbeigeführt und zu einer Verbesserung der Lage beigetragen. Auch das Gentechnikrecht (Gentechnik) mit der europäischen System- und der Freisetzungsrichtlinie hat das nationale Recht maßgebend geprägt und ist in gewisser Weise zum Modellbereich für den Umgang mit Umwelt- und Gesundheitsrisiken geworden. Im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht ist es der internationalen und der europäischen Ebene zu verdanken, dass durchgreifende rechtliche Veränderungen eingeführt wurden und der Weg von einer Abfallwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft beschritten wurde. Ohne Zweifel sind mit Blick auf die Ressourceneffizienz aber weitere Anstrengungen und Fortentwicklungen des Rechts nötig. Große Bedeutung gewonnen hat das U. auch als Querschnittsmaterie und Scharnier zu anderen Aufgaben und Regulierungsbereichen. Dies gilt in besonderem Maße für die Verknüpfung von Umwelt und Verkehr als maßgebendem Faktor für Schadstoffausstoße, Lärm, Flächenverbrauch und Landschaftszersiedelung. Hinzu kommt als weitere Querschnittsmaterie der Umweltschutz im öffentlichen Baurecht, im Raumordnungs- und im Fachplanungsrecht (Raumordnung), die in gewisser Weise zu Teilbereichen des U.s avanciert sind. Das Ziel, konkrete Nutzungsansprüche an den Boden nicht nur möglichst konfliktarm zuzuordnen, sondern mit Grund und Boden insgesamt sparsam umzugehen, den Schutz von Natur und Landschaft zu gewährleisten, eine Zersiedelung der Landschaft zu vermeiden, Verkehrswege zu bündeln und zugleich einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, steht im U. nach wie vor weit oben auf der Agenda.
Literatur
W. Kahl/K. F. Gärditz: Umweltrecht, 112019 • A. Epiney: Umweltrecht in der Europäischen Union, 42019 • H.-J. Koch/E. Hofmann/M. Reese (Hg.): Hdb. Umweltrecht, 52018 • E. Rehbinder/A. Schink (Hg.): Grundzüge des Umweltrechts, 52018 • A. Proelß (Hg.): Internationales Umweltrecht, 2017 • M. Kloepfer: Umweltrecht, 42016 • K. Meßerschmidt: Europäisches Umweltrecht, 2011.
Empfohlene Zitierweise
I. Appel: Umweltrecht, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Umweltrecht (abgerufen: 24.11.2024)