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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
1. Begriff
Die V. einer Rechtsposition tritt durch Zeitablauf ein. Sie führt dazu, dass diese nicht mehr durchgesetzt werden kann. In erster Linie können Ansprüche betroffen sein, also das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, § 194 Abs. 1 BGB. Ihre Erscheinungsformen sind allerdings in den unterschiedlichen Rechtsgebieten vielgestaltig. Die Dauer des Zeitablaufs, an den die V. anknüpft, unterscheidet sich in den jeweiligen Regelungszusammenhängen ebenfalls erheblich.
Auch die mit dem Institut der V. verfolgten Zwecke unterscheiden sich und werden keineswegs einheitlich bestimmt. Jedenfalls schützt die V. den (vermeintlichen) Schuldner eines verjährten Anspruchs, aber auch den (vermeintlichen) Täter einer Straftat, der aufgrund der V. nicht mehr verfolgt werden kann. Die V. trägt damit in abstrakter und generalisierender Weise dem Umstand Rechnung, dass sich infolge des Zeitablaufs die Entlastungsmöglichkeiten des von der V. Begünstigten verschlechtert haben können („verdunkelnde Macht der Zeit“ [o. V. 1888: 291]). So schützt die V. den Schuldner einer Forderung, dass er nach Ablauf der V. eine ihm bei Zahlung erteilte Quittung vernichten kann, ohne bei abermaliger Inanspruchnahme Gefahr zu laufen, seine schuldbefreiende Zahlung nicht nachweisen zu können. Gleichzeitig legitimiert der Zeitablauf, dass die verjährte Rechtsposition nicht durchgesetzt wird.
Die V. weist eine einheitliche Struktur auf. Der Eintritt der V. setzt den Ablauf einer V.s-Frist voraus. Die teils erheblichen Unterschiede bei der Länge der jeweiligen Frist tragen der Bedeutung der verjährenden Rechtsposition Rechnung. Für den Lauf der Frist muss ein bestimmter Beginn festgelegt sein. Dieser liegt üblicherweise nicht vor Entstehung der Rechtsposition (objektive Anknüpfung), kann aber zusätzlich noch von subjektiven Umständen wie Kenntnis abhängig gemacht werden. Der Lauf der Frist kann durch gesetzlich geregelte Umstände aufgehalten werden, was als Hemmung oder Ruhen der V. bezeichnet wird, oder aufgrund anderer Umstände von Neuem beginnen, was auch als Unterbrechung bezeichnet wird.
2. Privatrecht
Der V. unterliegen im Privatrecht allein Ansprüche. Nach Eintritt der V. steht dem Schuldner ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht zu, § 214 Abs. 1 BGB. Diesem obliegt die Wahl, ob er durch Erhebung der V.s-Einrede davon Gebrauch macht.
Die allgemeinen Regelungen finden sich in §§ 194–218 BGB. Sie haben zum 1.1.2002 eine grundlegende Reform erfahren. Die mangels spezieller Vorschriften einschlägige sogenannte regelmäßige V.s-Frist beträgt drei Jahre, § 195 BGB. Die Frist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB erst, wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den tatsächlichen Umständen Kenntnis erlangt hat, die den Anspruch begründen. Dem steht allerdings gleich, dass er grob fahrlässig diese Kenntnis nicht erlangt hat, von ihm also zu erwarten war, Kenntnis zu nehmen. Es kommt bei alledem nicht auf die Rechtskenntnis vom Anspruch selbst, sondern auf die Kenntnis von den tatsächlichen Grundlagen des Anspruchs an. Schließlich knüpft das Gesetz aus Vereinfachungsgründen an den Schluss des Jahres an, in dem diese Voraussetzungen eintreten, sogenannte Ultimo-V.
Dieses subjektive V.s-System mit einer recht kurzen V.s-Frist, die aber erst kenntnisabhängig zu laufen beginnt, steht in einem deutlichen Gegensatz zu dem hergebrachten V.s-System des BGB. Danach betrug die V.s-Frist 30 Jahre, sie begann dafür aber schon mit Anspruchsentstehung zu laufen. Das objektive System lebt aber noch in V.s-Höchstfristen fort, die eine Anspruchs-V. abhängig vom verletzten Rechtsgut nach zehn oder 30 Jahren vorsehen. Die regelmäßige V. wird ferner durch zahlreiche Spezialregelungen verdrängt. Hervorzuheben ist, dass Ansprüche wegen Mängeln bei Kauf- oder Werkvertrag unabhängig von der Kenntnis vom Mangel strikt in zwei oder bei Bauwerken in fünf Jahren verjähren. In diesem Bereich erfüllt so die V. auch die Funktion, das Risiko der Mangelhaftigkeit zu verlagern.
Das BGB enthält darüber hinaus ein differenzierendes und abgestimmtes System, welche Umstände zur Hemmung oder zum Neubeginn der V. führen. Dabei ist der Neubeginn beschränkt auf die Fälle, dass der Schuldner die Forderung anerkennt oder der Gläubiger einen Vollstreckungsversuch zur Durchsetzung der Forderung unternimmt. Sonstige Maßnahmen, die der Durchsetzung der Forderung unter Zuhilfenahme dafür eingerichteter Stellen dienen, in allererster Linie also die Erhebung der Klage, führen lediglich zur Hemmung der V. Gleiches gilt, wenn die Parteien über den Anspruch verhandeln.
Die V. ist abzugrenzen vom Institut der Verwirkung, das nicht eigens geregelt ist, sondern aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB hergeleitet wird. Diese setzt zusätzlich zum Zeitablauf voraus, dass der Schuldner berechtigterweise infolge des Gläubigerverhaltens darauf vertraut hat, dass der Gläubiger sein Recht nicht geltend macht.
3. Öffentliches Recht
Das Öffentliche Recht kennt zahlreiche spezielle Regelungen zur V., es fehlt aber eine allgemeine. Bspw. beschränkt sich § 53 des VwVfG des Bundes und der Länder darauf, Einwirkungen eines Verwaltungsakts auf die V. zu regeln. Das Recht ist daher lückenhaft. Zur Lückenschließung wird weithin auf die regelmäßige V. des BGB zurückgegriffen. Das ist in dogmatischer Hinsicht nicht unproblematisch, weil die Gesetzgebungskompetenz für viele öffentlich-rechtliche Ansprüche nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liegt. Auch stellt sich die Frage, ob im Wege der Analogie die Lücke durch die seit 2002 geltenden neuen Regelungen oder durch das alte von 1900–2001 geltende Recht zu füllen ist. Die Rechtspraxis kommt mit diesen Ungewissheiten zurecht. Vorbehaltlich anders lautender Spezialregelungen ist angesichts des Rückgriffs auf das Privatrecht allein die V. von Ansprüchen möglich. Andere Rechtspositionen können allerdings der Verwirkung unterliegen.
Spezielle Regelungen zur V. enthalten Steuer- und Sozialrecht, allerdings auf ganz unterschiedliche Weise. § 45 SGB I knüpft für das Sozialrecht an die Regelungen des Bürgerlichen Rechts an. Es wird für Ansprüche auf Sozialleistungen eine spezifische V.s-Frist von vier Jahren angeordnet sowie ein spezifischer objektiver V.s-Beginn nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch entstanden ist. Das Steuerrecht sieht indessen mit der Festsetzungs-V. in §§ 169–171 AO und der Zahlungs-V. in §§ 228–232 AO eigenständige Ausprägungen der V. vor. Die Festsetzungs-V. knüpft an den Umstand an, dass Steuerforderungen zwar kraft Gesetzes entstehen, aber noch der Festsetzung bedürfen. Ein solches Festsetzungsverfahren wird durch die Festsetzungs-V. gesperrt. Die Abgabenordnung enthält für diese V. stark differenzierende Regelungen zu Frist, Beginn und Ablaufhemmung. Die Zahlungs-V. hat die V. des festgesetzten und daher fälligen Steueranspruchs zum Gegenstand. Die Eigenständigkeit auch dieser V.s-Regelung zeigt sich daran, dass sie nicht wie die bürgerlich-rechtliche V. nur ein Leistungsverweigerungsrecht begründet, sondern zum Erlöschen der verjährten Forderung führt. Auch Frist (fünf oder zehn Jahre), Beginn (Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch fällig wird), Unterbrechung und Hemmung der V. haben in der Abgabenordnung eine eigenständige Regelung erfahren.
4. Strafrecht
Die V. im Straf- und im Ordnungswidrigkeitenrecht (Ordnungswidrigkeit) ist in §§ 78–79b StGB bzw. §§ 31–34 OWiG geregelt. Es sind die Verfolgungs- und Vollstreckungs-V. zu unterscheiden.
Die Verfolgungs-V. steht als Verfahrenshindernis der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Täter entgegen. Die Länge der jeweiligen V.s-Fristen ist abhängig vom angedrohten Höchstmaß der zu verhängenden Strafe. Die Fristen liegen zwischen drei und 30 Jahren. Mord ist unverjährbar. Die V. beginnt objektiv mit Beendigung der Tat, spätestens mit Eintritt des Taterfolgs. Die V. ruht, wenn der Strafverfolgung ein Verfahrenshindernis entgegensteht, ferner bei Straftaten insb. gegen die sexuelle Selbstbestimmung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers, schließlich im Falle eines Auslieferungsersuchens. Zu einer Unterbrechung der V. führen Maßnahmen der Strafverfolgung.
Die Vollstreckungs-V. steht der Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Strafe oder Maßnahme entgegen. Die V.s-Fristen sind in ähnlicher Weise wie die der Verfolgungs-V. gestaffelt. Ausgenommen von der V. sind die lebenslange Freiheitsstrafe, die Sicherungsverwahrung sowie die unbefristete Führungsaufsicht. Die V. beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, in der die Strafe oder Maßnahme verhängt wird. Sie kann ähnlich der Verfolgungs-V. ruhen. Eine Unterbrechung gibt es hingegen nicht. Allerdings kann auf Antrag der Vollstreckungsbehörde die V.s-Frist verlängert werden, sofern sich der Verurteilte in einem Gebiet aufhält, aus welchem eine Auslieferung oder Überstellung nicht möglich ist.
Literatur
M. Asholt: Verjährung im Strafrecht, 2016 • O. Remien (Hg.): Verjährungsrecht in Europa – zwischen Bewährung und Reform, 2011 • A. Piekenbrock: Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung, 2006 • A. Guckelberger: Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004 • K. Spiro: Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, 2 Bde., 1975 • o. V.: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. I (Allgemeiner Theil), 1888.
Empfohlene Zitierweise
F. Jacoby: Verjährung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Verj%C3%A4hrung (abgerufen: 24.11.2024)