Gesundheitspolitik

  1. I. Allgemein
  2. II. Ökonomisch

I. Allgemein

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1. Das „Menschenrecht auf Gesundheit“

G. „umfasst die Formulierung von Zielen, die politische Auseinandersetzung um sie, die Wahl der Instrumente sowie ihre Anwendung und Überprüfung“ (Schwartz/ Kickbusch/Wismar 2000: 172). Gesundheitspolitische Ziele sind vielfältig, abhängig von gesellschaftlicher Entwicklung, politischen Strukturen sowie der Entwicklung der Medizin. In modernen Industriegesellschaften können sie in fünf Kategorien zusammengefasst werden: Gesundheitsstatus verbessern; Risikofaktoren reduzieren; Gesundheitsbewusstsein der Öffentlichkeit sowie Gesundheitsdienstleistungen verbessern; Durchführung überwachen und evaluieren. Gesundheitspolitische Forderungen werden häufig mit einem formal nicht existenten „Menschenrecht auf Gesundheit“ begründet. Viele Krankheiten sind Folge der individuellen Konstitution von Menschen (etwa: Erbkrankheiten), von nicht menschengemachten Umweltereignissen (etwa: Erdbeben) oder von selbstbestimmten Lebensweisen. Im völkerrechtlich verbindlichen IPwskR wird „das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ anerkannt (Art. 12 Abs. 1 IPwskR); Art. 12 Abs. 2 d IPwskR verlangt die „Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuß medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen“.

2. Gesundheitssysteme

Auf der Grundlage verschiedener nationaler Entwicklungspfade sind drei unterschiedliche Typen von Gesundheitssystemen entstanden:

a) Das Sozialversicherungsmodell stellte die Grundlage der 1883 von Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführten Krankenversicherung dar. Es beruht auf Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in formellen Beschäftigungsverhältnissen (später durch verschiedene Komponenten erweitert). Zentrale Charakteristika sind die Dreiecksbeziehung zwischen Pflichtversicherten, Krankenkassen und Leistungserbringern, die direkt mit den Krankenkassen abrechnen, sowie nach Einkommen gestaffelte Beiträge. Grundsätzlich besteht dieses Modell in Deutschland bis heute; auch in den Niederlanden, Österreich, Belgien und Frankreich ist es grundlegend.

b) Das Marktmodell geht von der Versicherungsfreiheit mit risikoabhängigen Beiträgen aus; Leistungen werden zwischen Patienten und Anbietern abgerechnet und (je nach Vertrag) von den Versicherungen erstattet. Beispiele sind v. a. die USA und Schweiz.

c) Im staatlichen Modell stehen nationale Gesundheitsdienste im Mittelpunkt, weitestgehend aus Steuermitteln finanziert und auf einer hierarchischen staatlichen Ressourcenallokation beruhend; Beispiele liefern v. a. Großbritannien, Spanien, Schweden und Italien. Überall sind diese Modelle allerdings durch Reformen modifiziert worden, so dass aufbauend auf den jeweiligen Grundstrukturen gemischte Systeme entstanden sind.

G. ist gekennzeichnet durch kontinuierliche politische Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der Systeme, um prioritäre Gesundheitsziele sowie durch die Einflussnahme einer Vielzahl von Interessengruppen. Hier spielen einerseits die Ausgestaltung politischer Institutionen und die entspr.e Kompetenzverteilung (Föderalismus, Rechte von Verbänden), andererseits die Entwicklung von Policy-Netzwerken zwischen verschiedenen Akteuren eine wichtige Rolle. Verteilungskonflikte führen häufig zum Auftreten neuer Akteure bzw. zur Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen Akteuren und setzen Reformprozesse in Gang. Starke Akteursgruppen (Ärzteverbände, Versicherungsverbände, Verbände der pharmazeutischen Industrie, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften) beeinflussen die G. u. a. durch die Präsenz ihrer Vertreter im Umfeld von Politikern, Ministerien sowie Parlamenten, die hier den Informationsbedarf in einem komplexen Politikfeld ausnutzen (Lobby). Da das Gesundheitswesen insgesamt in Deutschland jährlich mit ca. 300 Mrd. Euro finanziert wird und fast fünf Mio. Beschäftigte umfasst, geht es hier um hohe Einsätze.

3. Systemwandel

Die von O. von Bismarck eingeführte GKV, verbunden mit einer korporatistischen Steuerung (Korporatismus) des Gesundheitssystems durch Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigungen als selbstverwaltete K.d.ö.R. wurde 1949 weitergeführt. Es stellt bis heute das Grundgerüst der Finanzierung des Systems dar. Allerdings hatte die Pflichtversicherung zunächst die Aufgabe, die Gesundheitsversorgung der einkommensschwachen Bevölkerungsschichten abzusichern; von allen, die keiner Versicherungspflicht unterlagen, wurde erwartet, sich privat zu versichern. Dieses duale System besteht fort; auch die PKV wird durch Gesetze und VO reguliert (Tarife, Wettbewerbsrecht usw.). Mit 9,39 Mio. waren laut Mikrozensus 2011 rund 11,65 % aller Versicherten in Deutschland privat krankenvollversichert. Die DDR behielt 1949 das Sozialversicherungsmodell formell bei, ohne jedoch die Selbstverwaltungsstrukturen zu übernehmen; d. h. die Leistungen wurden weitestgehend staatlich organisiert, private Krankenversicherungen wurden verboten.

Arbeitslose sind auf der Grundlage des AVAVG (1927) krankenversichert; vergleichbare Regelungen wurden in der BRD weitergeführt. Auch die „Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht“ (1924; Schaffung von Fürsorgeverbänden, um nicht GKV-gesicherte Bedürftige zu unterstützen) wurde übernommen und erst 1961 durch das BSHG ersetzt, das auch das Recht auf „Krankenhilfe“ (§ 37) festschrieb. 1995 trat als letzter Zweig der Sozialversicherung die Pflegeversicherung hinzu. 1969 wurde mit der Zusammenfassung der zahlreichen Einzelgesetze zu einem Sozialgesetzbuch begonnen (SGB V: GKV).

Die 1960er und frühen 1970er Jahren sind durch erhebliche Kostensteigerungen gekennzeichnet. Investitionen in den Ausbau der Krankenhäuser, Einführung weiterer Leistungen der Krankenkassen, Aufnahme neuer Berufsgruppen (Selbständige, Landwirte) in die GKV und die Einzelleistungsvergütung der Kassenärzte ohne Rahmenvereinbarung führten zu einer „Kostenexplosion“, die angesichts der 1973/74 einsetzenden Wirtschaftskrise erhebliche Finanzierungsprobleme mit sich brachte. „Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetze“ von 1977 und 1981 standen am Anfang mehrerer Gesundheitsreformen (bis 1992), die sich zunächst am Erhalt bestehender Strukturen orientierten (Übertragung von Steuerungskompetenzen an Krankenkassen und Verbände der Leistungsanbieter; Reform der Gebühren und Modifizierung der Vergütungsverordnung; Privatisierung von Behandlungskosten durch individuelle Zuzahlungen).

Nachdem es trotz der Kostendämpfungspolitik Anfang der 1990er Jahre wieder zu hohen Defiziten der GKV kam, wurden – beeinflusst durch ein zunehmend wirtschaftsliberales Umfeld – seit 1992 v. a. wettbewerbsorientierte Strukturreformen angestrebt wie freie Krankenkassenwahl und Pauschalen bzw. Individualbudgets bei der Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern (u. a. von der Verweildauer unabhängige Pauschalen, Fallpauschalengesetz 2002). Das sog.e Beitragsentlastungsgesetz (1996) brachte erhebliche Zuzahlungen der Kassenpatienten, die Ende 2003 noch einmal erhöht wurden (u. a. Einführung der Praxisgebühr; GKV-Modernisierungsgesetz). Die Handlungsmöglichkeiten der Krankenkassen zur Einführungen von Selbstbehalten, Beitragsrück- und Kostenerstattungen wurden erweitert. Am 1.10.2004 beschloss der Bundestag einen Sonderbeitrag für Arbeitnehmer von 0,9 %, womit zum ersten Mal die Parität der Beitragszahlung aufgehoben wurde (Begrenzung der Lohnnebenkosten).

Nach diesen marktorientierten Reformen privatisierten v. a. öffentliche Träger viele ihrer Kliniken: Während die Gesamtzahl der Krankenhäuser von 1991 bis 2013 von 2 411 auf 1 995 sank (davon öffentlich finanzierte von 1 109 auf 596), stieg die Zahl der privatwirtschaftlich betriebenen Kliniken in ders. Zeit von 358 auf 693).

Die Einführung eines sog.en Gesundheitsfonds 2007 brachte eine wichtige Strukturveränderung mit sich: Alle Beiträge (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Staat) werden in diesen vom Bundesversicherungsamt verwalteten Fonds eingezahlt und über diesen an die Krankenkassen verteilt – unter Berücksichtigung der Struktur ihrer Mitglieder (morbiditätsorientierte Mittelzuweisung). Die Kassen können wiederum Prämienrückzahlungen vornehmen bzw. Zusatzzahlungen verlangen. Darüber hinaus wurde eine Versicherungspflicht für alle Bürger eingeführt.

Den letzten Reformschub brachte das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (2011). Im Vorfeld gab es kontroverse Diskussionen über die Einführung einer sog.en Gesundheitsprämie („Kopfpauschale“), einkommensunabhängig von jedem Familienmitglied über 18 Jahre zu zahlen. Damit wäre das urspr.e Solidaritätsprinzip der GKV aufgehoben worden. Lediglich Geringverdiener sollten einen Ausgleich aus Steuermitteln erhalten: ein nicht durchsetzbares Modell. Die Reform konzentrierte sich auf ein verändertes Finanzierungsmodell der Krankenkassenbeiträge (Einfrieren der Beiträge, Finanzierung von Kostensteigerungen allein durch die Arbeitnehmer über einen von der Kasse festzulegenden Zusatzbeitrag) sowie auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, um eine Senkung der Medikamentenpreise zu erreichen.

Während das Versicherungssystem die Erbringung der meisten Leistungen durch private, korporativ organisierte Anbieter vorsieht, spielen in einigen Bereichen Ausgaben der öffentlichen Haushalte (Bund, Länder und Gemeinden) eine erhebliche Rolle, etwa in der Finanzierung von Kliniken (aufgrund der Privatisierungen rückläufig), Forschung und Ausbildung, Rehabilitations- und Pflegemaßnahmen und im öffentlichen Gesundheitsdienst.

4. Der öffentliche Gesundheitsdienst

Die wichtigsten Arbeitsbereiche des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bestehen neben der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems im Gesundheitsschutz, der Krankheitsbekämpfung, der Biomedizin und der Schaffung und Erhaltung von gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen im Umwelt- und Sozialbereich. Diese Bereiche sind weitgehend gesetzlich geregelt (u. a. InfSchG, TPG, ESchG und StZG). Das BMG ist auch für die Rahmenvorschriften für die Herstellung, klinische Prüfung, Zulassung, Vertriebswege und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verantwortlich. Weiterhin ist eine Zentralabteilung für „Europa und Internationales“ zuständig.

Diesen Zielen dienen eine Reihe von Fachbehörden und wissenschaftlichen Institutionen, die dem BMG zugeordnet und aus dem 1994 aufgelösten Bundesgesundheitsamt entstanden sind:

a) das RKI (zentrale Einrichtung des Bundes auf den Gebieten der Krankheitsüberwachung und -prävention und der biomedizinischen Forschung),

b) das PEI (Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel),

c) das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (Zulassung, Verbesserung der Sicherheit, Risikoerfassung und -bewertung),

d) die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ (Prävention und Gesundheitsförderung) und

e) das „Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information“ (Datenbanken für Arzneimittel, Medizinprodukte und Versorgungsdaten sowie zur Bewertung gesundheitsrelevanter Verfahren, Telematik).

Die Länder führen Bundesgesetze in den Bereichen des BSeuchG, des LFGB sowie des AMG durch und verfügen über entspr.e Untersuchungseinrichtungen. In den meisten Ländern bestehen Ministerien, die Gesundheit mit anderen Bereichen (meist Arbeit und Soziales) zusammenfassen, sowie Landesgesundheitsämter, deren Koordination über die Gesundheitsministerkonferenz erfolgt. Sie verfügen über Gemeinschaftseinrichtungen wie die „Akademien für öffentliches Gesundheitswesen“ in Düsseldorf und München sowie das „Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen“.

Gesundheitsaufgaben vor Ort werden von den kommunalen Gesundheitsämtern übernommen (Medizinalaufsicht über Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Gesundheitshygiene und Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und -vorsorge, gutachterliche Tätigkeit; Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung).

5. Gesundheitspolitik und Medikamente

Medizinische Forschung, die Entwicklung von Medikamenten und der Zugang zu diesen (Finanzierung) spielen eine wichtige Rolle. Nach Angaben des StBA wurden 2014 etwa 15,9 % der gesamten deutschen Gesundheitsausgaben (51 098 von 321 720 Mrd. Euro) für Medikamente ausgegeben. Da die Preise unter Patentschutz Monopolpreise sind, gibt es hier erheblichen Verhandlungsspielraum zwischen Herstellern und Vertretern des Gesundheitssystems, der im Zusammenhang mit Kostendämpfungsmaßnahmen zunehmend genutzt wird: Das „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes“ (2011) verlangt von den Herstellern für alle Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen bei der Markteinführung Nachweise über den Zusatznutzen. Damit können die pharmazeutischen Unternehmen die Preise für ihre Arzneimittel nicht mehr nach eigenem Ermessen festlegen. Während die Pharmaindustrie dieses Vorgehen kritisch sieht, da sie hohe Preise – wie sie ihnen das Patentrecht national und im Rahmen des TRIPS-Abkommens auch international zubilligen – mit der Amortisierung hoher Entwicklungskosten für Medikamente rechtfertigt, halten Kritiker dem entgegen, dass die entspr.e Grundlagenforschung durchweg an staatlich finanzierten Forschungsinstituten betrieben wird. Ein bes. ernstes Problem stellen hohe Preise für neue Medikamente für Entwicklungsländer dar, die diese Kosten im Rahmen sehr viel niedrigerer Gesundheitsbudgets nicht tragen können – selbst bei Preisrabatten von Seiten der Hersteller.

6. Internationale Gesundheitspolitik

Die Kontrolle von Infektionskrankheiten war bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Ausgangspunkt der Gründung internationaler Gesundheitsorganisationen. Die WHO wurde 1948 „als leitende (‚directing‘) und koordinierende Autorität in der internationalen Gesundheitsarbeit“ gegründet (UN-WHO 1947: Kap. 2a).

Die WHO entwickelte eine Vielzahl von Tätigkeitsfeldern (u. a. Verhandlungen und Verwaltung der International Sanitary/Health Regulations; Diskussionsforum für die Koordination internationaler G.; Förderung der Entwicklung von Gesundheitssystemen; Klassifikation von Krankheiten und entspr.e medizinische wie technische Expertise und Koordination für spezifische Probleme wie etwa Gesundheit und Flugreisen, essentielle Medikamente). Je nach Themenbereich wurde mit anderen IGOs kooperiert, etwa mit UNICEF bei der Erklärung „Gesundheit für alle“ und der Forderung nach dem Aufbau von Basisgesundheitssystemen in Entwicklungsländern (Konferenz von Alma Ata 1978) oder bei der Bekämpfung tropischer Krankheiten. Die Position der WHO veränderte sich seit den 1990er Jahren u. a. als Folge des Globalisierungsprozesses erheblich. Global Health war während der 1990er Jahre noch stärker als andere Felder von Global Governance (Governance) durch rasche Zunahme einflussreicher Akteure geprägt. Neben einer wachsenden Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen interagieren neue globale Initiativen (z. B. „Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria“; die „Globale Impfallianz“) mit nationalen Regierungen und IGOs. Das Konzept Global Health Governance wurde in den akademischen Diskurs eingeführt, um das (durchaus konfliktive) Zusammenspiel von verschiedenen institutionellen Formen und Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen zu analysieren. Kritik an mangelnder Effektivität der WHO wurde zum Anlass, ihr Budget einzufrieren, was die Handlungsfähigkeit der Organisation erheblich reduzierte.

Entspr. ihrer Verfassung hat die WHO die Initiative zur Verhandlung neuer Vertragswerke übernommen („International Health Regulations“ von 2005 und die Tabak-Konvention „Framework Convention on Tobacco Control“). Wichtige Themen – Stärkung von Gesundheitssystemen, Zugang zu neuen, teuren Medikamenten in armen Ländern, zunehmende Bedrohung durch Infektionskrankheiten, wachsende Resistenz von Krankheitserregern gegen bisher wirksame Medikamente – machen eine effektive Koordination internationaler G. wichtiger denn je. Gerungen wird um Reformen der WHO, in denen es um die Führungsrolle in Global Health, aber auch um eine gesicherte Finanzierung der Weltorganisation geht.

International wichtig ist die regionale Kooperation. Im Rahmen des Vertrags über die EU (Maastricht 1992) blieb G. zwar in der Kompetenz der Einzelstaaten, doch wurden die Mitglieder im Rahmen der „Offenen Methode der Koordinierung“ aufgefordert, ihre Gesundheitssysteme an freiwillig vereinbarten gemeinsamen Zielsetzungen zu orientieren. Im Zusammenhang mit den Mobilitätsrechten besteht weitreichende Koordinierung der Krankenkassen. Weiteres Beispiel ist die Errichtung des „European Centre for Disease Prevention and Control“ in Stockholm.

II. Ökonomisch

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1. Definition

In einer umfassenden Sichtweise lässt sich G. als politisches Handeln definieren, mit dem Ziel, die Gesundheit und die Verteilung der Gesundheit in der Bevölkerung positiv zu beeinflussen. Eine engere Sichtweise stellt auf Maßnahmen ab, welche die Gestaltung des Gesundheitswesens betreffen. Üblicherweise wird diese engere Sichtweise eingenommen. Die umfassende Betrachtung weist jedoch darauf hin, dass politische Maßnahmen aus den Bereichen der Umwelt-, Bildungs-, Verkehrs- und Sozialpolitik ebenfalls Gesundheit prägen, indem sie die Lebensumstände der Menschen sowie deren Gesundheitsverhalten beeinflussen.

2. Ziele

Die konkreten Ziele der G. werden im politischen Prozess festgelegt. Auf einer abstrakten Ebene ist in den meisten Ländern unstrittig, dass alle Bürger Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung haben sollten. In entwickelten Ländern ist diese Grundversorgung sehr weitreichend definiert. Im Rahmen von solidarischen Gesundheitssystemen sollen alle Bürger Zugang zu neuen und teuren Technologien haben. Das ökonomische Ziel besteht darin, dass die Leistungen wirtschaftlich, d. h. zu geringstmöglichen Kosten erstellt werden. Für die GKV ist dieses Ziel in § 12 SGB V verankert.

3. Gesundheit aus ökonomischer Sicht

Aus ökonomischer Sicht ist Gesundheit zum einen ein Gut, das Menschen schätzen, weil Krankheit zu Leid und Einschränkungen führt. Zum anderen trägt Gesundheit zur Arbeitsfähigkeit und Arbeitsproduktivität bei. Manche Verbesserungen der Gesundheit können sich durch höhere Steuer- oder Beitragseinnahmen deshalb teilweise oder ganz selbst finanzieren. In einer dynamischen Perspektive steht Gesundheit in enger Beziehung zu Bildung, Arbeitsmarkterfolg und gesellschaftlicher Teilhabe (Partizipation).

4. Gesundheitspolitik und Gesundheitsverhalten

Gesundheit wird in erheblichem Maße vom Gesundheitsverhalten beeinflusst. Insb. Ernährung, Bewegung und risikobehaftete Lebensgewohnheiten wie Rauchen oder der Konsum von Drogen bestimmen die Gesundheit. Dieses Verhalten kann durch Bildung und Aufklärung beeinflusst werden. In einem gewissen Umfang können auch Besteuerung (z. B. von Zigaretten und alkoholischen Getränken) und Subventionierung (z. B. von Breitensport) zu einem gesünderen Lebensstil beitragen. Insofern Menschen Schwierigkeiten haben, Pläne für ein gesundheitsförderliches Verhalten umzusetzen, können auch verhaltensökonomische Interventionen, insb. „Nudges“ nützlich sein.

Bei einigen Gesundheitsgütern treten externe Effekte auf. Dies trifft insb. auf Impfungen zu. Vielfach werden durch die Impfung nicht nur die Geimpften selbst geschützt, sondern auch nichtgeimpfte Personen, insofern durch die Impfung die Übertragungswahrscheinlichkeit sinkt. Dieser positive externe Effekt spricht für eine Subventionierung von Impfungen. Allerdings können die Wirkungen von Subventionen gering ausfallen, wenn die Impfentscheidung stark von der Prävalenz der Krankheit beeinflusst wird.

5. Krankenversicherung und die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen

Empirische Studien zeigen, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen mit dem Versicherungsschutz zunimmt. Diese Nachfragezunahme ist dann bedenklich, wenn sie zu einer Nachfrage nach Leistungen führt, die bei geringem Nutzen hohe Kosten verursachen. Zuzahlungen können diese Übernachfrage einschränken. Sie verringern jedoch den Versicherungsschutz und können auch dazu führen, dass sinnvolle Behandlungen nicht nachgefragt werden. Bei Zuzahlungen ist zudem zu beachten, dass Personen mit geringem Einkommen und schlechtem Gesundheitszustand stark belastet werden können. In der GKV in Deutschland sind die Zuzahlungen deshalb auf 2 % des Familienbruttoeinkommens beschränkt. Für chronisch Kranke beträgt die Belastungsgrenze 1 % des Jahreseinkommens.

6. Krankenversicherungsmärkte

Durch rein private Krankenversicherungsmärkte lässt sich ein Zugang für alle Bürger zu einer medizinischen Grundversorgung i. d. R. nicht gewährleisten. Der Schutz ist dann für Bürger mit geringem Einkommen nicht erschwinglich. Dies gilt auch für Menschen mit gesundheitlichen Problemen, weil Krankenversicherer diese Personen nicht oder nur zu hohen Prämien versichern. Eine solidarische Gesundheitsversorgung erfolgt deshalb üblicherweise durch staatliche Gesundheitssysteme wie z. B. in Großbritannien oder durch Sozialversicherungssysteme (Sozialversicherung) wie z. B. in Deutschland und den Niederlanden. Im Rahmen der deutschen sozialen Krankenversicherung stehen die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb. Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot sollen sicherstellen, dass jeder Berechtigte Zugang zu einer Krankenversicherung hat. Ein Problem hierbei ist der Anreiz zur Risikoselektion, insb. zur Vermeidung von teuren Versicherten. Ein Ausgleichssystem zwischen den Kassen, der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, soll dem entgegenwirken. Kassen erhalten dabei höhere Zuweisungen, wenn sie Personen mit Eigenschaften versichern, die höhere Ausgaben erwarten lassen.

Der Kassenwettbewerb soll zur Wirtschaftlichkeit der Versorgung beitragen, indem Kassen ihre Versorgung optimieren. In der Gestaltung ihrer Leistungen sind die Kassen jedoch stark eingeschränkt, da die meisten Leistungen einheitlich über das SGB V geregelt sind. Zudem werden viele Entscheidungen zu Leistungen und deren Vergütung im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung getroffen. In einigen Bereichen könnten die Kassen jedoch Selektivverträge mit ausgewählten Leistungserbringern schließen.

7. Regulierung von Leistungserbringern

Die Märkte für Gesundheitsleistungen sind hoch reguliert. Eine freie Preisbildung ist in großen Bereichen ausgeschlossen. Niederlassungsentscheidungen unterliegen Bedarfsregulierungen. Aus gesundheitsökonomischer Sicht relevant ist insb. die Vergütung von Leistungserbringern. Empirische Studien zeigen, dass Leistungserbringer auf finanzielle Anreize reagieren. In den vergangenen Jahrzehnten wurde verstärkt die Kostenverantwortung auf die Leistungserbringer verlagert, etwa durch Kopfpauschalen in der ärztlichen Vergütung oder Vergütung nach Diagnosis Related Groups im Krankenhausbereich. Ziel war insb., Anreize zu wirtschaftlichem Handeln zu schaffen. Allerdings besteht die Gefahr, dass finanzieller Druck zu Lasten der Qualität geht. Zudem können Anreize zu unerwünschter Patientenselektion entstehen. Z. B. können Patienten mit hohen erwarteten Behandlungskosten Schwierigkeiten haben, behandelt zu werden, wenn die Pauschale nur die Kosten von durchschnittlichen Patienten deckt. Ein weiteres Problem besteht im sog.en Upcoding, d. h. der Höherkodierung von Patienten, um eine höhere Pauschalzahlung zu erhalten.

8. Preisregulierung von Arzneimitteln

Hersteller neuer patentgeschützter Arzneimittel versuchen vielfach, hohe Preise durchzusetzen. Viele staatliche Gesundheitssysteme regulieren diese Preise, um ihre Ausgaben zu begrenzen. In Deutschland werden die Preise für patentgeschützte Arzneimittel im Rahmen eines Verhandlungsprozesses zwischen Herstellern und dem GKV-Spitzenverband festgelegt. Grundlage hierfür ist die Feststellung eines Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Andere Länder regulieren Preise vielfach auf Grundlage internationaler Vergleichspreise. Dies kann negativ auf die Länder wirken, deren Preise als Referenz genutzt werden. Pharmaunternehmen können aus strategischen Gründen dort die Preise höher setzen oder den Markteintritt verzögern. Bei allen Formen der Preisregulierung von Arzneimitteln stellt sich die Frage, wie stark die Anreize zur Entwicklung neuer Medikamente beeinflusst werden.

9. Ausgabenentwicklung

In den letzten Jahrzehnten ist ein stetiger Anstieg des Anteils der Gesundheitsausgaben am Volkseinkommen zu beobachten. Hierfür werden insb. der medizinisch-technische Fortschritt und die Alterung der Gesellschaft verantwortlich gemacht. Inwieweit diesem Ausgabenanstieg auch eine bessere Gesundheitsversorgung gegenübersteht, ist auf aggregierter Ebene schwer zu messen. Die Lebenserwartung nimmt zwar stetig zu, wird allerdings von vielen Faktoren beeinflusst, insb. von besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Auf der Ebene einzelner Therapien können jedoch Aussagen darüber getroffen werden, ob erhöhten Ausgaben auch eine angemessene Zunahme an Gesundheit gegenübersteht. Hier besteht Evidenz, dass die zusätzlichen Kosten neuer Therapien vielfach einen hohen Nutzen hatten. Bes. Bedeutung haben in diesem Kontext gesundheitsökonomische Evaluationen. Diese ermitteln und vergleichen die Kosten und Gesundheitsverbesserungen für neue und bereits etablierte Therapien. Das bekannteste Gesundheitsmaß sind dabei qualitätsbereinigte Lebensjahre, welche zusätzlich gewonnene Lebensjahre mit einem Qualitätsfaktor gewichten. Gesundheitsökonomische Evaluationsmethoden und die damit verbundenen Werturteile werden kontrovers diskutiert.

10. Einfluss von Interessengruppen

Im Gesundheitswesen sind viele Interessengruppen in Verbänden organisiert, die versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung sind einige der Interessengruppen (Ärzte und Zahnärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen) direkt in die Entscheidungsprozesse in der GKV eingebunden. Diese Strategie ist mit Vor- und Nachteilen verbunden. Zum einen werden gesundheitspolitische Probleme in einem moderierten und fortdauernden Prozess gelöst. Zum anderen wird das Gesundheitswesen von Funktionären bestimmter Verbände dominiert. Leistungserbringer, die nicht eingebunden sind (z. B. Heilpraktiker und Physiotherapeuten) oder die sich in Verbänden nicht durchsetzen können, haben geringere Chancen, ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Gegen organisierte Interessen im Gesundheitswesen lassen sich allerdings kaum Reformen durchsetzen, weil Politiker bei der Durchführung auf die Mitwirkung dieser Verbände angewiesen sind.