Unlauterer Wettbewerb

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1. Begriff, Rechtsnatur und historische Entwicklung

Das UWG regelt das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, der Marktgegenseite (Verbraucher und gewerbliche Abnehmer) und der Allgemeinheit („Schutzzwecktrias“, § 1 UWG). Gemeinsam mit dem Kartellrecht verfolgt es den Zweck, den Wettbewerb vor Verfälschungen zu schützen (Protokoll Nr. 27 zum AEUV) und damit die Funktionsbedingungen einer auf Wettbewerb gegründeten Marktwirtschaft zu sichern. Während das Kartellrecht eine Marktstrukturkontrolle bewirkt und auf einer Makroebene den freien Wettbewerb gegen Beschränkungen schützt, dient das Recht gegen den u.n W. auf einer Mikroebene der Marktverhaltenskontrolle. Solange der Mitbewerberschutz stark im Vordergrund stand, wurde das Recht gegen u.n W. oft als Wettbewerbsrecht bezeichnet. Seit der Verbraucherschutz aber als gleichwertiger Schutzzweck anerkannt wurde und zudem auch das Kartellrecht verbreitet als „Wettbewerbsrecht“ bezeichnet wird, erscheint es präziser, vom „Lauterkeitsrecht“ zu sprechen und es mit dem Kartellrecht zum „Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne“ zusammenzufassen.

Das Lauterkeitsrecht verbietet unerlaubtes Marktverhalten und ist insofern Sonderdeliktsrecht. Es unterscheidet sich vom Bürgerlichen Recht durch seinen kollektivrechtlichen Charakter. Verbraucher und Mitbewerber werden nicht nur individuell, sondern auch in ihrer Gesamtheit durch Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geschützt, die gewerblichen Verbänden, Verbraucherschutzorganisationen und den Industrie- und Handelskammern (IHKs) zustehen (§ 8 Abs. 3 UWG). Methodisch ist das Lauterkeitsrecht in besonderem Maße von unbestimmten Rechtsbegriffen, von Richterrecht und von Flexibilität geprägt.

Das Bedürfnis nach einer Regelung des Marktverhaltens zeigte sich erst, als sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. moderne Marktbedingungen entwickelten. Anders als die französischen Gerichte sah sich das RG an einer Rechtsfortbildung auf deliktsrechtlicher Grundlage durch das Bestehen eines sondergesetzlichen Markenschutzes gehindert. Der Gesetzgeber reagierte 1896 durch Erlass des ersten deutschen UWG, das seit 1909 in § 1 UWG a.F. jeden Verstoß gegen die guten Sitten zum Zweck des Wettbewerbs verbot. Auf der Grundlage dieser „großen Generalklausel“ entwickelte sich, weitgehend ohne gesetzgeberische Intervention, ein umfangreiches Richterrecht, aus dem sich im Laufe der Jahrzehnte Fallgruppen herausbildeten. Zugleich wurde der Wettbewerb stark reglementiert, etwa durch Verbote von Rabatten, Zugaben, Sonderverkäufen außerhalb enger Ausnahmen und von vergleichender Werbung. In den 1990er Jahren kam es unter dem Einfluss des Unionsrechts und des Verfassungsrechts zu einer allmählichen Liberalisierung, die in der UWG-Novelle von 2004 ihren Abschluss fand. Bei dieser auf wissenschaftlichen Vorarbeiten (Entwurf von Helmut Köhler, Joachim Bornkamm und Frauke Henning-Bodewig) beruhenden Neufassung des UWG wurden die bisherigen richterrechtlichen Fallgruppen kodifiziert. Zeitgleich kam es aber auf EU-Ebene zu einer teilweisen Harmonisierung, die 2008 und 2015 weitgehende Änderungen des UWG erzwang.

2. Völker- und unionsrechtlicher Rahmen

International bestehen im Lauterkeitsrecht erhebliche Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen. Während das deutsche Recht in einem integralen Ansatz (Monismus) alle Marktbeteiligten durch ein Spezialgesetz schützt, unterscheidet das französische Recht dualistisch zwischen dem zivilrechtlichen Schutz der Mitbewerber vor u.m W. und dem in einem eigenen Kodex geregelten Verbraucherschutz. In den common law-Ländern stellt das Recht gegen unfair competition kein einheitliches Rechtsgebiet dar. Seine Funktionen erfüllen Tatbestände des Wirtschaftsdeliktsrechts, des Verbraucherschutzrechts und in den USA auch des Markenrechts, die durch die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft ergänzt werden. Anders als im Bereich des geistigen Eigentums (Immaterialgüterrecht) gibt es wegen dieser Divergenzen kaum konventionsrechtliche Vorgaben. Lediglich Art. 10bis PVÜ verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, Schutz gegen u.n W., umschrieben als Verstoß gegen die „anständigen Gepflogenheiten“ (usages honnêtes), zu gewähren, und nennt die Irreführung, das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr und die Behauptung falscher Tatsachen über Mitbewerber als Beispiele.

Im Unionsrecht wurde der Schutz von Verbrauchern gegen unlautere Geschäftspraktiken durch die RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL, zuletzt geändert 2019) vollständig harmonisiert, während die Ausgestaltung des Schutzes von Unternehmern bisher weitgehend dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleibt, sieht man von der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung ab. Beide Richtlinien werden durch weitere, oft medien- oder produktspezifische Rechtsakte ergänzt.

3. Tatbestand: unlautere Handlungen

Der Anwendungsbereich des UWG ist nur bei einer geschäftlichen Handlung eröffnet, also einem Verhalten zugunsten eines Unternehmens, das der Förderung von Absatz oder Bezug von Produkten dient oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags objektiv zusammenhängt (§ 2 Abs. 1 UWG).

Ob eine geschäftliche Handlung unzulässig ist, wird in drei Stufen bestimmt. Erstens verbietet § 3 Abs. 3 UWG i. V. m. einem Anhang („schwarze Liste“) in Umsetzung der UGP-RL 30 präzise definierte unerlaubte Verhaltensweisen gegenüber Verbrauchern.

Zweitens bestimmen die Tatbestände der §§ 3a–6 UWG, dass die dort umschriebenen Handlungen als unlauter i. S. d. § 3 Abs. 1 UWG gelten. Einige dieser Verbote schützen im Wesentlichen Verbraucher und gewerbliche Abnehmer vor Irreführungen durch Tun oder Unterlassen (§§ 5, 5a UWG) und aggressiven Praktiken (§ 4a UWG). Andere dienen dem Schutz der Mitbewerber vor einer Schädigung ihres guten Rufs (§ 4 Nr. 1, 2 UWG), dem unlauteren Angebot nachgeahmter Produkte (§ 4 Nr. 3 UWG), der unlauteren Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) und der unlauteren vergleichenden Werbung (§ 6 UWG). Verboten, wenn auch ohne Verweis auf § 3 UWG, ist auch die Belästigung von Marktteilnehmern, etwa durch Telefon- oder E-Mail-Werbung ohne Einwilligung des Adressaten (§ 7 UWG). Der Verstoß gegen eine marktverhaltensregelnde Norm außerhalb des UWG stellt unter den Voraussetzungen des § 3a UWG eine unlautere Handlung dar. Diese Vorschrift bewirkt, dass das UWG praktisch in erheblichem Umfang der zivilrechtlichen Durchsetzung wirtschaftsverwaltungsrechtlicher (Wirtschaftsverwaltungsrecht) und berufsrechtlicher Normen dient.

Drittens kann sich auch eine nicht speziell verbotene Handlung nach der Generalklausel des § 3 UWG als unlauter erweisen, die für Handlungen gegenüber Verbrauchern durch die unionsrechtlichen Kriterien der unternehmerischen Sorgfalt und der Verbraucherrelevanz konkretisiert wird (§ 3 Abs. 2 UWG), während es für den Schutz von Unternehmern bei einer einzelfallbezogenen, durch Richterrecht geleiteten Bestimmung der Unlauterkeit bleibt (§ 3 Abs. 1 UWG).

4. Ansprüche und Rechtsfolgen

Verstöße gegen die §§ 3 und 7 UWG lösen die in §§ 8 ff. UWG geregelten Ansprüche aus. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche stehen Mitbewerbern, gewerblichen Verbänden, Verbraucherschutzeinrichtungen und den IHKs (§ 8 Abs. 3 UWG), Schadensersatzansprüche hingegen nur Mitbewerbern zu (§ 9 UWG). Verbände können den Gewinn aus vorsätzlich begangenen Verstößen abschöpfen (§ 10 UWG). Verbraucher haben bisher keine individuellen Ansprüche, weil ihre Interessen nach bisher überwiegender Ansicht hinreichend durch das BGB geschützt sind.

Anders als im Ausland spielt das Strafrecht bei der Durchsetzung des deutschen Lauterkeitsrechts keine wesentliche Rolle. Vorsätzliche Irreführungen und die Durchführung von Schneeballsystemen sind strafbar (§ 16 UWG), doch kommt es in der Praxis selten zur Verfolgung. Die unerlaubte Telefonwerbung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 20 UWG).