Kindheitspädagoge

1. Bildungspolitischer Hintergrund

Seit der Gründung des ersten deutschen Kindergartens im Jahre 1840 in Bad Blankenburg durch Friedrich August Wilhelm Fröbel wurden schon zahlreiche Reformen und Anstrengungen zur Steigerung der Ausbildungs- und Qualifizierungsqualität sowie zur Aufwertung der öffentlichen Anerkennung des kindheitspädagogischen Fachpersonals unternommen, „mit – freundlich formuliert – bestenfalls mäßigen Erfolg“ (Rauschenbach 2006: 14). Doch erst die wenig schmeichelhaften Ergebnisse der PISA-Studie im Jahre 2001, welche eigentlich Kompetenzen 15jähriger Schüler untersuchte, lenkten völlig unvorhergesehen die Fachdiskussion auf den Elementarbereich. So stand aus einer qualitativen Sicht nicht nur die bildungsökonomische Leistungsfähigkeit der vorschulischen Institutionen der Betreuung, Erziehung und Bildung zur Disposition, sondern auch aus einer quantitativen Sicht wurde infolge verschiedener bildungs- und beschäftigungspolitischer Maßnahmen eine tiefgreifende Reform des Elementarbereichs als nötig erachtet. Die sog.e Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000 etwa, welche i. S. v. Wirtschaftswachstum auf eine verbesserte Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowie auf eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen zielt, fordert einen enormen Ausbau der Betreuungsplätze auch für Kinder unter drei Jahren. Etwa die seit 2006 im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beauftragte Bildungsberichterstattung oder das seit 2008 regelmäßig auf die drei Handlungsfelder „Teilhabe sichern“, „Investitionen sinnvoll einsetzen“ und „Bildung fördern – Qualität sichern“ bezogene Monitoring soll eine indikatorengestützte Entwicklung des Feldes sichern. Neben sog.en Bildungs- oder Orientierungsplänen für Kindertagesstätten in allen Bundesländern (2007), dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige (2013) oder dem seitdem veränderten Bild von kindlicher Bildung, von Frauen und Familie ist das neu entstandene Berufsbild der K.n ein weiteres Ergebnis dieses tiefgreifenden Reformprozesses. Dieser aus der Debatte um die Akademisierung des elementarpädagogischen Arbeitsfeldes entstandene hochschulische Qualifizierungsweg für K.n soll einerseits zur weiteren Professionalisierung der Arbeit in Kindertageseinrichtungen beitragen und andererseits Potenziale neuer und insb. männlicher Fachkräfte für das Arbeitsfeld eröffnen.

2. Qualifizierungswege

Neben den 219 Berufsfachschulen für Kinderpflege, den 328 Berufsfachschulen für Sozialassistenz, den 593 Fachakademien bzw. Fachschulen für Sozialpädagogik zur Ausbildung staatlich anerkannter Erzieher werden seit 2004 einschlägige Studiengänge zur akademischen Qualifizierung kindheitspädagogischer Fachkräfte angeboten. Obschon die an Berufsfachschulen und Fachakademien ausgebildenten Fachkräfte den Großteil der 660 000 in Kindertagesstätten Beschäftigten ausmachen, arbeiten seit längerem auch akademisch qualifizierte Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, zumeist als Leitungskräfte. Wiewohl sich ihr Anteil zwischen 2006 und 2016 fast verdoppelte, so machen sie aktuell lediglich einen Anteil von 5 % aus. Von allen aktuell etwa 33 000 Fachkräften mit Hochschulabschluss in Kindertagesstätten haben 15 % einen Abschluss als K. Diese werden seit der Gründung des ersten kindheitspädagogischen Bachelor-Studiengangs im Jahre 2004 zu etwa 80 % an Fachhochschulen und zu 20 % an Universitäten ausgebildet. Nach einem Jahrzehnt rapiden Aufwuchses hat sich die Zahl der explizit kindheitspädagogischen Bachelor-Studiengänge auf 69 bzw. die Zahl der Hochschulstandorte auf 51 mit etwa 2 300 Absolventen pro Jahr eingependelt. Weitere Studienangebote der Erziehungswissenschaft, der Sozialen Arbeit oder der Sonder- und Heilpädagogik, welche durchaus kindheitspädagogische Schwerpunkte aufweisen, aber dennoch generalistischer angelegt sind, werden hier nicht näher beleuchtet, da der dort erworbene Abschluss nicht zum Führen des Titels staatlich anerkannter K. qualifiziert. Die kindheitspädagogischen Bachelor-Studiengänge sind zu 6 % additiv bzw. konsekutiv angelegt und setzen die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher voraus, weitere 20 % setzen eine einschlägige Berufsausbildung und 71 % keine Vorkenntnisse oder einschlägige Qualifikationen voraus. Dual oder als Verbund zwischen Fachschule und Hochschule angelegte Qualifizierungswege, wordurch die Ausbildung zum Erzieher und zum K.n verschränkt wird, sind die Ausnahme. K.n studieren in zumeist grundständigen Bachelor-Studiengängen an Fachhochschulen bzw. Hochschulen der angewandten Wissenschaft, Universitäten sowie, in Baden-Württemberg, an Pädagogischen Hochschulen oder Dualen Hochschulen sowohl in Vollzeit oder in Teilzeit. Neben den geltenden jeweiligen Landeshochschulgesetzen sind die Studienangebote an unterschiedlichen gemeinsamen Orientierungsrahmen für Studiengänge der Kindheitspädagogik angelehnt (z. B. Gemeinsamer Orientierungsrahmen „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ der Jugend- und Familienkonferenz/Kultusministerkonferenz). Eine große Anzahl von Masterstudiengängen erlaubt eine Verbreiterung oder Vertiefung der kindheitspädagogischen Expertise.

3. Hochschulische Vertretung der Kindheitspädagogik

Innerhalb der Wissenschaften konnte sich die Kindheitspädagogik als eigenständige (Sub)Disziplin etablieren. Die bereits in den 1970er Jahren gegründete Sektion Pädagogik der Frühen Kindheit bildet zusammen mit der Sozíalpädagogik eine eigenständige Sektion der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, die hauptsächlich universitäre Belange vertritt. Parallel dazu arbeitet der 2011 gegründete Studiengangstag Pädagogik der Kindheit an Fragen der Forschung, Lehre, Hochschulpolitik, Akkreditierung, Ausbildungslandschaft, Anerkennung von Vor- und Studienleistungen, Standards von Prüfungen, Qualitätssicherung, des Wissenstransfers in die Praxis oder des wissenschaftlichen Nachwuchses. Er stellt eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Fachbereichstags Soziale Arbeit, eine deutschlandweite Versammlung der Dekaninnen und Dekane von Fachbereichen bzw. Fakultäten mit dem Studienangebot Soziale Arbeit (früher Sozialpädagogik/Sozialarbeit), und des Erziehungswissenschaftlichen Fakultätentages. Dem Studiengangstag Pädagogik der Kindheit gehören etwa 50 Studiengänge der Pädagogik der Kindheit an Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Universitäten an.

4. Berufsprofil und staatliche Anerkennung

2015 wurde vom Studiengangstag Pädagogik der Kindheit das Berufsprofil K.in/K. beschlossen, da die gesetzlich eingeführte einheitliche Berufsbezeichnung, Fragen der tariflichen Einordnung und die zu erwartenden Zugänge zu Arbeitsfeldern über Kindertageseinrichtungen hinaus eine präzise und differenzierte Beschreibung des Berufsprofils erforderlich machten. Der Beruf des K.n ist demnach auf die familiäre und öffentliche Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit, die Lebenswelten, Kulturen und Lebensbedingungen von Kindern und Familien sowie die Zusammenarbeit mit Familien ausgerichtet. Die Tätigkeit hat ihre Schwerpunkte in der Erforschung, der Konzeptionierung und der didaktischen, organisationalen und sozialräumlichen Unterstützung von Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindheit und Familie. Dies umfasst ebenso die wissenschaftlich begründete, kritische Reflexion gesellschaftlicher Konstruktionen und Bedingungen von Kindheit und Familie sowie die Mitwirkung an der sozialen, politischen und kulturellen Gestaltung und Sicherung eines guten und gelingenden Aufwachsens von Kindern. Nach den Empfehlungen sowohl der Jugend- und Familienministerkonferenz als auch der Kultusministerkonferenz im Jahre 2011 zur Einführung des neuen, staatlich anerkannten Berufsprofils für die Hochschulabsolventen kindheitspädagogischer Studiengänge haben aktuell nahezu alle Bundesländer die Grundlagen dafür geschaffen. Mit der Vergabe der staatlichen Anerkennung ist beim Großteil dieser Bundesländer auch die Einführung der Berufsbezeichnung „staatlich anerkannter K.“ sowie die Aufnahme in relevante Fachkräftekataloge verbunden. K.n sind im Feld der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen tätig.

5. Ausblick

Die institutionalisierte Kindheit in Deutschland und damit die Anforderungen und Erwartungen an das System der öffentlich zu verantwortenden Kindertagesbetreuung haben sich in den letzten 15 Jahren massiv gewandelt, die Notwendigkeit einer weiteren Professionalisierung des frühpädagogischen Bereichs (Früherziehung) ist unstrittig und notwendig. Fraglich ist hierbei jedoch, inwieweit eine derartige Spreizung des Berufsfeldes von un- oder nur gering qualifizierten Personon in der Kindertagespflege über Sozialassistenten und Kinderpfleger an Berufsfachschulen und Erzieher an Fachschulen und Fachakademien bis hin zu den K.n an Fachhochschulen, Universtiäten und Pädagogischen Hochschulen sinnvoll ist? Auch muss kritisch nachgefragt werden, weshalb dieser Bedarf an Professionalisierung in der Kindheitspädagogik nicht selbstverständlich an den Prozess der Akademisierung gekoppelt ist? Hier „wiederholt sich offenkundig ein Stück Geschichte der sozialen Frauenschulen von vor rund 100 Jahren“ (Rauschenbach 2013: 32).