Regionalisierung, Regionalismus
1. Regionalisierung als Raumgliederungsprozess und Gegenstand wissenschaftlicher Disziplinen mit Raumbezug
Der Begriff der Regionalisierung (R.isierung) kann zunächst ganz allg. als ein Raumgliederungs- bzw. räumlicher Differenzierungsprozess verstanden werden. Es bedarf i. d. R. einer sich an raumbezogenen Ordnungsmustern orientierenden Systematisierung und Kategorisierung von Prozessen, um diese als „R.isierung“ greifbar zu machen. R.isierung gehört daher zu jenen Begrifflichkeiten, die erst im Kontext des für die jeweilige Disziplin konkret benennbaren Raumbezuges und der dazugehörigen Systematisierungen ihre inhaltliche Bedeutung erlangen können.
So ist R.isierung als ein nach territorialen Kriterien bestimmbarer Raumgliederungsprozess schon immer Gegenstand der Geographie – sowohl der Physischen als auch der Humangeographie. Physiogeographische R.isierungen sind bspw. in Gestalt geoökologischer Zonen als „Teile“ der Erdoberfläche oder auch als Landschaftsgürtel zu finden. Diesen R.isierungen liegt eine sich an Faktoren wie Klima, Boden, Pflanzen- und Tierwelt orientierende Systematik zugrunde, aufgrund derer diese Zonen als „räumliche Wirkungsgefüge“ bezeichnet werden können (Gebhardt u. a. 2016: 16). Es handelt sich um die Erde (Geo) als Gesamtsystem betreffende naturräumliche Gliederungsprozesse. Nach territorialen Kriterien bestimmbare Raumgliederungsprozesse sind jedoch auch Gegenstand der Sozial-, Stadt-, Wirtschafts- und Politischen Geographie und ihrer Schnittfelder.
Europa, Nordamerika, Ostasien, Südostasien, Südamerika (Lateinamerika und Karibik) werden als Regionen verstanden: Als R.isierungen liegen ihnen territorial bestimmbare, mit Blick auf ihre Grenzen jedoch häufig umstrittene Raumgliederungsprozesse zugrunde, deren übergeordneter Referenzpunkt auch hier die „Welt“ bzw. Erde (Geo) ist. R.isierung meint also eine Systematik von Prozessen, mit denen die Welt in territoriale, zugl. aber auch ökonomisch, kulturell, politisch, institutionell oder auch religiös bestimmbare Räume gegliedert wird.
Die genannten Beispiele lassen erkennen: R.isierung ist ein grundlegender und zentraler Begriff raumbezogener Wissenschaften: Dazu gehören auch Raum- und Städteplanung (Raumordnung und Landesplanung) bzw. Stadt- und Regionalplanung, Verkehrswissenschaften, Metropolenforschung, Klimaforschung, grundsätzlich alle Geo-, aber auch integrative Wissenschaften wie Tourismuswissenschaften. Mit den Regionalwissenschaften (area studies) existiert eine Disziplin, die sich explizit mit der Erforschung bestimmter Weltregionen befasst.
Im Gegensatz zur Geographie und den weiteren genannten Beispielen raumbezogener Wissenschaften ist der Raumbezug sozialwissenschaftlicher Disziplinen wie der Politikwissenschaft auf den ersten Blick nicht ganz so explizit wie geographische naturräumliche R.isierungen. Raumgliederungsprozesse sind für das Politische als Gegenstand Politischer Wissenschaften jedoch geradezu konstitutiv, ist der Begriff des Politischen doch eng an die Raumvorstellung des Staates geknüpft und gründet in seiner modernen Ausprägung historisch auf dem mit dem Westfälischen Frieden konstituierten Staatstypus des „Territorialstaats“ und einem internationalen System souveräner Staaten. Mit Blick auf die europäische politisch-historische Entwicklung ist der moderne Territorialstaat selbst als Ergebnis eines Raumgliederungsprozesses zu verstehen, der die räumliche Ordnung eines zwischenstaatlichen Systems konstituiert: Die Entwicklung moderner Staatlichkeit ist eine R.isierung. Inner- und zwischenstaatliches politisches Handeln ist in einem modernen Verständnis daher immer raumbezogen. Binnenstaatliche föderale Strukturen (Föderalismus), bspw. in Gestalt der deutschen Bundesländer oder der Schweizer Kantone, oder auch die französischen Gebietskörperschaften (collectivités territoriales) sind ihrerseits wiederum sich an politischen, ökonomischen, administrativen, funktionalen Kriterien orientierende Raumgliederungsprozesse innerhalb des modernen Territorialstaates. Raumgliederungsprozesse im „Außenbereich“ des Staates finden sich bspw. in Gestalt über-staatlicher ökonomischer und politischer Makro-R.isierungen, die zur Herausbildung von „Handelsblöcken“ führen.
Für die Wirtschaftswissenschaften interessant sind ökonomische R.isierungen, bspw. innerstaatliche Wirtschaftsregionen wie Baden-Württemberg, Bayern oder das Ruhrgebiet, oder auch lokale industrielle Cluster in Form von Netzwerken von Produzenten, Zulieferern, Forschungseinrichtungen, Dienstleistern etc. So führen externe Skaleneffekte (external economies of scale) zu geographischen Konzentrationen von Industrien. Ähnlich sind sog.e Wachstumsdreiecke (growth triangles) Beispiele für ökonomische Raumgliederungsprozesse: In ihnen liegen die Produktionsfaktoren in räumlicher Nähe, gehören jedoch zu unterschiedlichen Staaten, und durch den Abbau von wirtschaftlichen Barrieren entsteht eine Wachstumsregion (z. B. das Singapore-Johor-Riau-Wachstumsdreieck).
1.1 Regionalisierung und Region
R.isierung betont das Prozesshafte der Raumgliederungen. Bezugspunkt sind dabei Entwicklungen, die als für einen räumlichen Bereich typisch wahrgenommen werden.
Die Region als räumliche Einheit ist in diesem Sinne eine Vergegenständlichung dieser Raumgliederungsprozesse. Nur aufgrund der spezifischen Merkmale wird sie als eine „Einheit“ (Unit) bestimmbar. Sie ist, wie oben für den Staat beschrieben, aufgrund ihrer internen Qualitäten nach außen abgrenzbar und beruht auf Differenz. Als Raumgliederungsprozess ist R.isierung daher immer auch ein Prozess der Differenzierung in aufgrund bestimmter Merkmale abgrenzbare räumliche „Einheiten“, die Regionen.
1.2 Größenordnungen und Hierarchien räumlicher Differenzierung
R.isierung als räumliche Differenzierung bedarf immer eines übergeordneten Bezugspunktes der räumlich untergliedert wird. Dies wurde eingangs für die physiographischen, naturräumlichen R.isierungen bereits verdeutlicht: Bezugspunkt naturräumlicher Gliederung ist die Erde (Geo). Im philosophischen Sinne geht es um Bezüge zwischen dem „Ganzen und seinen Teilen“.
Regionen sind daher „units or ‚zones‘ based on groups, states, or territories whose members share some identifyable traits. […] A central character of such zones is that they are smaller than the international system of states, but larger than any individual state or non-state unit; they may be permanent or temporary, institutionalized or not“ (Fawcett 2005: 24; Herv. i. O.).
Die Mikroregion ist folglich „größer“ als lokale Einheiten und „kleiner“ als das (ganze) staatliche System, in dem sich die Mikroregion herausbildet. „Kleiner“ und „größer“ stehen für eine Systematik von R.isierung, die Territorialität von Einheiten über „Größe“ bzw. Fläche ordnet. Zugl. werden räumliche Gliederungen hierarchisch i. S. einer Über- und Unterordnung systematisiert:
Abb. 1: Ebenen der Regionalisierung
Deutlich wird: In Abhängigkeit vom jeweils übergeordneten Bezugspunkt kann jede Einheit als „regional“ systematisiert werden.
Die inhaltliche „Anreicherung“ der über- und untergeordneten räumlichen Einheiten ist fachspezifisch. Für den Bereich der Internationalen Beziehungen ist die räumliche Gliederung des „Globalen“ bzw. des „internationalen Systems“ relevant: „Global“ ist hier bspw. die Welthandelsordnung mit der in die WTO inskribierten Leitidee globalen Freihandels oder aber auch das globale kollektive Sicherheitssystem der UNO mit der Leitidee globalen Friedens und globaler Sicherheit. Die dem Globalen untergeordneten Units bzw. Regionen können entspr. ökonomische Makroregionen wie NAFTA/USMCA, MERCOSUR oder die EWWU sein, oder im Bereich Sicherheit die sog.en regionalen Abmachungen (z. B. regionale Sicherheitsorganisationen wie die OAS oder die ASEAN) nach Kap. VIII der UN-Charta.
Makroregionen können wiederum selbst Referenzpunkt untergeordneter, quasi intra-makroregionaler Raumgliederungen sein: Die Europaregionen wie Euregio Bodensee, die Europaregion Donau-Moldau oder die Metropolregion Oberrhein bzw. die „Förderregionen“ der EU sind Beispiele dafür.
Analog ist der Staat oder auch ein Bundesland Referenzpunkt untergeordneter R.isierungen: Baden-Württemberg und Bayern gelten als Wirtschaftsregionen Deutschlands, so auch die Metropolregion München und „Autostädte“ wie Ingolstadt, Stuttgart, Wolfsburg in Bezug auf das jeweilige Bundesland.
Diese beschriebene Art der Systematisierung räumlicher Gliederungen widerspiegelt einen für die positivistischen Wissenschaften typischen ontologischen Partikularismus, methodologischen Individualismus und Reduktionismus.
Zusammenfassend kann festgehalten werden: R.isierungen sind sich an räumlichen Kriterien orientierende Systematisierungen von Raumgliederungsprozessen (und damit etwas, was wir im Grunde genommen durch die Art der Organisation unserer Wahrnehmungsprozesse permanent tun). „Raum“ ist neben „Zeit“ eine Grundkategorie menschlichen Denkens und Wahrnehmens. Insofern ist jede R.isierung letztlich immer eine soziale Konstruktion (Konstruktivismus), gebunden an die grundlegende Organisation von Wahrnehmungsprozessen. Mit der durch R.isierung möglichen räumlichen Unterteilung der Welt wird daher zum einen eine Reduktion von Komplexität erzielt. Zugl. werden durch R.isierungen spezifische räumliche Ordnungen konstruiert, deren „Elemente“ auf Differenz beruhende Regionen sind.
Diese recht abstrakten Überlegungen werden im Folgenden an Beispielen aus politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Bezügen weiter vertieft und konkretisiert.
2. Politisch-ökonomische Regionalisierungen und Regionalismus
2.1 Raumgliederung: Differenzierung durch Konzentration und Verdichtung
Die R.isierung zugrundeliegenden und Differenzierung ermöglichenden Prozesse können als „messbare Verdichtung bzw. Konzentration internationaler Transaktionen zwischen nationalen Einheiten (Nationalstaaten, Volkswirtschaften, nationalen Gesellschaften), zum Beispiel durch Außenhandel, Finanzströme, Tourismus, Migration, Telekommunikation usw. […]“ (Hummel/Menzel 2004: 422 f.; Herv. durch Autorin) beschrieben werden.
In Bezug auf die Intensivierung internationaler Handelsbeziehungen wird von „Verdichtung und Konzentration“ und damit R.isierung gesprochen, wenn das Merkmal dieser Austauschbeziehungen ein schnelleres Wachstum (Wirtschaftswachstum) der regionalen im Vergleich zu den weltweiten Außenbeziehungen einer Staatengruppe in einem geographisch definierten Gebiet ist. Es handelt sich also um eine Intensivierung der Import-Export-Beziehungen einer Anzahl von Staaten. So handeln bspw. die am Europäischen Binnenmarkt beteiligten europäischen Staaten verstärkt miteinander – relativ zu ihren Handelsbeziehungen zum „Rest der Welt“. Verdichtung und Konzentration sind messbar und finden ihren Ausdruck in den entspr.en Indikatoren für „intraregionalen“ in Relation zu „extraregionalem Handel“. Der R.isierung von Handelsbeziehungen vergleichbar sind Verdichtungs- und Konzentrationsprozesse der Finanz- und Kapitalbeziehungen, die sich bis hin zu gemeinsamen Währungsräumen mit einer einheitlichen, gemeinsamen Währung entwickeln können. Globalisierung ist entspr. ein Prozess der Zunahme und Intensivierung weltweiter wirtschaftlicher Austauschbeziehungen.
Referenz- und Bezugspunkt der beschriebenen Verdichtungsprozesse sind zunächst geographisch bestimmbare Räume. Freihandelszonen, Zollunionen (Wirtschaftsgemeinschaften), Gemeinsame Märkte und Währungsräume umfassen zwangsläufig ein bestimmtes Gebiet und lassen sich kartographieren, da ihnen zwischenstaatliche Vertragswerke zugrunde liegen und das ökonomische Austauschgebiet in Form der beteiligten Staaten territorial bestimmbar ist. „Im-port“ und „Ex-port“ stehen begrifflich nach wie vor für zwischenstaatliche Austauschbeziehungen und gründen in der Vorstellung territoriale Grenzen passierender physischer Handelsgüter. Die Rückbindung ökonomischer R.isierung an Territorialität gilt jedoch nur noch eingeschränkt, sind die tatsächlichen „Verdichtungs- und Konzentrationsprozesse“ doch zunehmend virtuell, wie die weltweiten Finanz- und Kapitalströme zeigen. In Form von „Finanzplätzen“ wie London und Frankfurt gibt es jedoch auch hier noch einen „Ort“.
An den genannten Beispielen wird deutlich, warum historisch betrachtet auch der Staat als eine R.isierung begriffen werden kann: Die spezifische politische Organisationsform des Territorialstaates beruht auf Verdichtungs- und Konzentrationsprozessen i. S. einer zunehmenden Zentralisierung und Monopolisierung von Staatsgewalt, einer territorialen Rückbindung an ein klar begrenztes Staatsgebiet mit einem Staatsvolk. Nach außen ist der moderne Territorialstaat abgegrenzt (Staatsgrenze [ Grenze ]) und über „Souveränität“ im System der Staaten (wechselseitig) anerkannt. Der Territorialstaat, der seit dem 19. Jh. auch ein Nationalstaat ist, ist also eine Entwicklung organisationaler Art im Verlauf der europäischen Geschichte. Dazu bedurfte es ganz grundlegend der „Idee des Staates“, also einer Ordnungsvorstellung für die Organisation des Politischen. Auch die Idee der Nation repräsentiert Verdichtungs- und Konzentrationsprozesse: Ontologisch ist sie eine „kognitive“, also „gedachte“ Region, auch „imagined community“ genannt (Anderson 1983). Dies gilt auch für regionale Identitäten und Wertegemeinschaften, wie bspw. die Südostasiatische Wertegemeinschaft der ASEAN oder die Idee einer Europäischen Identität.
Die Beispiele verdeutlichen: R.isierung als über Verdichtung und Konzentration begreifbarer Raumgliederungsprozess beruht immer auch auf Raumordnungsvorstellungen. Für die Politikwissenschaft bes. interessant sind daher R.isierungen als politisch geplante Prozesse.
2.2 Regionalisierung als politisch gesteuerter Prozess: Regionalismus
Die politische Steuerung von R.isierung, also von auf Verdichtung und Konzentration beruhenden Raumgliederungsprozessen, wird als Regionalismus (R.ismus) bezeichnet. So kann das oben beschriebene schnellere Wachstum der intra-regionalen im Vergleich zu den weltweiten ökonomischen Außenbeziehungen einer Gruppe von Staaten durch politische Entscheidungen initiiert und gesteuert werden: Freihandelszonen, Zollunionen, Gemeinsame Märkte oder Wirtschafts- und Währungsunionen sind Formen ökonomischer Integration und werden, wie die letztlich zur Gründung des USMCA führenden Neuverhandlungen der NAFTA gezeigt haben, durch zwischenstaatliche Vertragswerke ins Leben gerufen oder verändert. Ihnen liegen also politische Entscheidungen zur Abschaffung tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse (Freihandelszonen), darüber hinaus zur Etablierung eines gemeinsamen Außenzolls (Zollunionen), zur vollständigen Integration der zuvor fragmentierten nationalen Märkte zu einem Gemeinsamen Markt bis hin zu Wirtschafts- und Währungsunionen zugrunde. Eine solche gezielte politische Steuerung von Verdichtungs-und Konzentrationsprozessen, also von R.isierung, wird als R.ismus bezeichnet. So sind die beschriebenen Formen politischer Entscheidungen als ein R.ismus in Form einer Politik regionaler Marktintegration zusammenfassbar.
Der Begriff der regionalen Integration geht weit über den Begriff der R.isierung hinaus und denkt sie weiter, avisiert er doch letztlich eine Verdichtung bis zu dem Grade, dass ein „neues Ganzes“ aus zuvor fragmentierten „Einheiten“ (Volkswirtschaften, Gesellschaften, Staaten) entsteht: eine Politische Union.
Insofern liegt Raumgliederungsprozessen aller Art eine politische, bzw. noch breiter gefasst, eine soziale Intentionalität zugrunde. Dies gilt für Stadt- und Landschaftsplanung, Verkehrsplanung, Klimapolitik, Tourismus und die planerische Gestaltung von Metropolen, Ballungsgebieten, Energie-Regionen und Mega-Cities ebenso wie für die beispielhaft benannte regionale ökonomische Integration.
Analog kann für verschiedene Politikfelder der Internationalen Beziehungen argumentiert werden: Regionale Sicherheits-, Menschenrechts- oder auch Klimapolitik sind Beispiele für intentionale Raumgliederungen, also Regionalismen. Sie führen zu Verdichtung und Konzentration und damit zur Bildung neuer regionaler Einheiten im internationalen System: Sicherheitsregionen, regionale Menschenrechtsregime, Klimaregionen.
Soziale und politische Intentionalität, also das Moment einer gezielten sozialen und politischen Steuerung und Gestaltung von Raumgliederungsprozessen, ist i. d. R. an das Handeln von Akteuren gebunden. Dies gilt auch für wirtschaftliche R.isierungen, die sich aufgrund ökonomischer Prozesse auf vermeintlich „natürlichem“ Wege oder „spontan“ durch die Verdichtung des Waren- und Dienstleistungsaustausches und der Kapitalverflechtungen entwickelt haben (z. B. Produktionsnetzwerke im südostasiatischen Raum). In diesem Fall wird die R.isierung zwar nicht durch zentrale öffentliche Institutionen (Staat) gesteuert, jedoch von der Mikroebene der Unternehmen aus, die Vorteile in verdichteten Produktions- und Absatzgebieten suchen. Insofern sind auch diese Prozesse nicht „spontan“ oder „natürlich“, sondern Resultat intentionalen Handelns sozialer, in diesem Fall ökonomischer, Akteure.
3. Regionalisierungen und Regionalismus als Gegenstand der wissenschaftlichen Analyse
Aus dem erörterten Verständnis von R.isierung und R.ismus erschließt sich, warum es keine expliziten Theorien der R.isierung oder Theorien des R.ismus geben kann. Um dennoch eine Betrachtung der wissenschaftlichen Analyse möglich zu machen, wird das bereits beschriebene hierarchische Ordnungsprinzip räumlicher Gliederung nochmals nutzbar gemacht: Entspr. der „Richtung“ des Argumentationsgangs lassen sich grob zwei Perspektiven unterscheiden: Aufsteigend (bottom-up) und absteigend (top-down). Der Beziehungszusammenhang zwischen dem jeweils über- und untergeordneten Raum ist also von bes.m wissenschaftlichen Interesse, wenn es um die Erklärung von R.isierung und R.ismus geht.
3.1 Bottom-up: Regionalisierung als regionale Integration
In einer bottom-up-Perspektive wird aufsteigend vom relativ Kleinräumigen auf das jeweils übergeordnete Großräumige geschlossen. So erklärt bspw. liberale ökonomische Theorie (z. B. klassische und neoklassische Handelstheorien ausgehend von Adam Smith und David Ricardo) R.isierung und R.ismus aufgrund der Wohlfahrtseffekte durch internationale Spezialisierung und Arbeitsteilung: Insb. große Unternehmen haben ein Interesse an der Erweiterung nationaler Märkte, und sie werden die politischen Entscheidungsträger drängen, Handelsverträge abzuschließen. Aufbauend auf liberaler ökonomischer Theoriebildung liefern politikwissenschaftliche Integrationstheorien (z. B. Funktionalismus, Neofunktionalismus) Begründungen, warum eine solche R.isierung wirtschaftlicher Austauschbeziehungen im staatlichen Interesse liegt: Wohlfahrt gehört neben Sicherheit zu den Kernfunktionen des Staates. Das Interesse der Staaten, mittels einer Politik regionaler Marktintegration (R.ismus) Wohlfahrtseffekte durch Freihandel zu generieren, ist also groß.
Abb. 2: Regionalisierung als regionale Integration
3.2 Top-down: Regionalisierung als Fragmentierung größerer Einheiten
In einer top-down-Perspektive wird von der jeweils übergeordneten (z. B. globalen Ebene) auf untergeordnete Strukturen (z. B. Makroregionen) geschlossen. So können regionale Handelsblöcke (als Ergebnisse der oben beschriebenen bottom-up-Perspektive/Integrationsaspekt) aus einer top-down-Perspektive als Fragmentierung übergeordneter globaler (z. B. weltwirtschaftlicher) Zusammenhänge betrachtet werden.
In einer neorealistischen Perspektive (Realismus) ergibt sich die Logik regionaler Machtblöcke konsequent aus den Erfordernissen einer globalen Machtgleichgewichtspolitik. Relevant für eine Politik makroregionaler Blockbildung ist hier die Struktur des globalen Systems, definiert als Machtverteilung. Staaten, die mittels Makroregionen territorial erweiterte Machtgleichgewichtspolitk und/oder Geopolitik betreiben, haben also mit Blick auf globale Machtverteilung ein Interesse an regionaler Blockbildung.
Neoinstitutionalistische Theorie begreift R.isierung und R.ismus dagegen als Antwort auf die Herausforderungen internationaler Interdependenz und Verflechtung, die mit dem Verlust staatlicher Steuerungsfähigkeit einhergehen. Mit regionaler Kooperation und dem Aufbau regionaler Institutionen (R.ismus) entstehen neue Steuerungsinstrumente einer globalen Governance regionalen Ursprungs.
Abb. 3: Regionalisierung als Fragmentation größerer Einheiten
Die gewählten Theorien sind exemplarisch und stark vereinfacht dargestellt. Andrew Hurrel referiert eine Vielzahl theoretischer Ansätze, die sich den genannten Argumentationslinien zuordnen lassen; Paul Reuber nimmt in seinem Beitrag zur Politischen Geographie zudem eine Einordnung der Theorien anhand ihrer wissenschaftstheoretischen Grundpositionen vor.
3.3 Kontroversen und Ausblick
Ein Großteil der theoretischen Kontroversen um R.isierung und R.ismus – so im Bereich der Internationalen Beziehungen – ist mit den Beziehungszusammenhängen zwischen „global“ und „regional“ befasst. Beispielhaft zu zeigen ist dies an der sog.en stepping-stone/stumbling bloc-Kontroverse. Im Bereich der Welthandelsbeziehungen steht die Frage im Zentrum, ob regionale Handelsarrangements im Widerspruch zur multilateralen, an Freihandel orientierten WTO stehen und die globale multilaterale Ordnung aushöhlen, auf lange Sicht gar obsolet machen, oder aber ob ökonomische R.isierungen „Stufen“ bzw. „Schritte“ auf dem Weg zum globalen Freihandel sind, quasi zunächst Freihandel regional begrenzter Reichweite. Eine vergleichbare Kontroverse wird für den Bereich der globalen Sicherheitspolitik geführt und betrifft den Beziehungszusammenhang zwischen dem globalen kollektiven Sicherheitssystem der UN und regionalen Sicherheitsorganisationen. Im Bereich Menschenrechte verläuft die Diskussion ähnlich als Debatte um Universalismus und Partikularismus, insb. mit Blick auf die von der Universalen Deklaration abweichenden regionalen Menschenrechtsregime in Südostasien, Afrika und im arabischen Raum.
Anhand des Aufbaus und der Begriffsbestimmung ist unschwer erkennbar, dass eine theoretische Bestimmung der Beziehungszusammenhänge zwischen „global“ und „regional“ immer abhängig von der gewählten Perspektive ist – eine wissenschaftliche Analyse von R.isierung und R.ismus geradezu zwangsläufig multiperspektivisch und disziplinübergreifend angelegt sein muss.
Die daraus resultierenden Spannungsverhältnisse und Kontroversen sind jedoch nicht nur theoretisch interessant, sondern hochgradig politisch relevant, da sie grundlegende Fragen nach den Steuerungsprinzipien globaler Politik aufwerfen und die Zukunft globaler multilateraler Ordnung (UNO, WTO) betreffen. Hochrelevant ist bspw. die Frage, ob eine regionalisierte, dezentrale Steuerung der bisherigen globalen, top-down-hierarchischen Steuerung bei der Bearbeitung von Gegenwarts- und Zukunftsproblemen womöglich überlegen ist, z. B. ob der Schutz des globalen Klimas schneller und wirksamer über regionalisierte Klimapolitik, also durch einen verstärkten Klima-R.ismus, erreicht werden kann.
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Empfohlene Zitierweise
M. Spindler: Regionalisierung, Regionalismus, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Regionalisierung,_Regionalismus (abgerufen: 24.11.2024)