Weltkriege

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Das Zeitalter der W. prägte die globale Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jh. grundlegend. Zugl. reichten die Wirkungen dieser Zäsur weit über 1918 und 1945 hinaus. Zu den Kriterien für den tiefgreifenden Erfahrungsumbruch zählen der Untergang von Imperien und Monarchien am Ende des Ersten W.s, die Revolution der Bolschewiki in Russland 1917, die damit einsetzende Konkurrenz zwischen Demokratien und Diktaturen sowie die von Wladimir Iljitsch Lenin und Woodrow Wilson verkörperte Spannung zwischen einer kommunistischen Weltrevolution und einer Weltdemokratie, die sich nach 1945 im Kalten Krieg fortsetzen sollte. Beide W. entwickelten sich zu Höhepunkten weltweiter Gewalterfahrungen, in denen sich Staatenkriege (Krieg), Bürgerkriege, ethnisch-rassische Gewalt und Genozide (Völkermord) überlagerten, bevor im Verlauf des Zweiten W.s im Holocaust die systematisierte Gewalt eskalierte. Mit annähernd 20 Mio. zivilen und militärischen Opfern im Ersten und über 60 Mio. Toten im Zweiten W. handelte es sich um ein in der neueren Geschichte beispielloses Ausmaß an Gewalt und Zerstörung.

Der Ausbruch des Ersten W.s bedeutete eine elementare Krise des noch jungen 20. Jh. Schon im Sommer 1914 suchten Zeitgenossen nach angemessenen Bezeichnungen, um das Neuartige dieses Krieges zu erfassen. So sprachen britische Zeitgenossen sehr bald vom Great War, Franzosen von der Grande Guerre und deutsche Beobachter vom „W.“. Die bis in die Gegenwart gängigen Bezeichnungen – die „Urkatastrophe des 20. Jh.“, die „Krise der Moderne“, der „Zivilisationsbruch“, der Auftakt zu einem „zweiten Dreißigjährigen Krieg“ zwischen 1914 und 1945 oder der Beginn einer Phase, in der Europa zu einem „dunklen Kontinent“ der Gewalt wurde – verweisen auf ein entscheidendes Kennzeichen des 20. Jh., nämlich den aus dem Rückblick von 1945 formulierten Zusammenhang zwischen 1914 und 1945, also den Eindruck eines verdichteten Zeitalters kontinuierlicher Gewalt und politischer Umbrüche als Signum des 20. Jh. Doch konnten die Menschen weder im August 1914 noch im November 1918 voraussehen, dass es 1939 zu einem Zweiten W. kommen sollte. Tatsächlich richteten sich seit dem Herbst 1918 viele Hoffnungen von Zeitgenossen darauf, dass der W. mit seinen enormen Opfern ein war to end all wars sein und eine neuartige Friedensordnung auf der Basis neuer Institutionen wie dem Völkerbund schaffen und so eine Wiederholung einer Gewaltexplosion wie nach 1914 verhindern sollte.

Der Ausbruch des Ersten W.s im Sommer 1914 markierte den Beginn eines Konflikts, der sehr schnell über seine regionalen Anlässe hinauswies, also den Konflikt zwischen der Habsburgermonarchie und dem Zarenreich vor dem Hintergrund der Orientalischen Frage, dem langsamen Rückzug des Osmanischen Reichs und der Entstehung eines gefährlichen Machtvakuums in Südosteuropa. Durch die Einbeziehung der Kolonialreiche der europäischen Mächte in Asien, Afrika und im Pazifik, durch die amerikanische Unterstützung für die europäischen Alliierten in Paris, London, St. Petersburg und Rom und durch den frühen Kriegseintritt Japans mit seinen eigenen Expansionsinteressen in Ostasien auf Kosten Chinas handelte es sich von Anfang an um einen W. Seine Opferzahlen, die industrialisierte Kriegführung und die zunehmende Einbeziehung der Heimatfronten bis hin zu einer modernen Kriegspropaganda (Propaganda) machten ihn zu einem „totalisierten Krieg“. Vor dem Hintergrund der Weltkriegserfahrungen deutete sich seit 1914 zumal ein expandierender Wohlfahrtsstaat an, was sich an der kontinuierlichen Ausweitung sozialpolitischer Interventionen und neuer Formen der staatlichen Wirtschaftslenkung oder Mischformen des „organisierten Kapitalismus“ erwies. Auch wenn die W.s-Erfahrungen keinesfalls als Durchbruch der Frauenemanzipation (Emanzipation) interpretiert werden können, erschütterten die Kriegsgesellschaften tradierte Rollengefüge der Geschlechter. Diese Prozesse deuteten sich bereits im Ersten W. an. V. a. bewiesen das Ende des Zarenreichs und die Revolution der Bolschewiki, dass der Fortgang des Krieges die Existenz der überkommenen Monarchien in Kontinentaleuropa in Frage stellen und den Durchbruch zur politischen und sozialen Demokratie auf die Agenda des Nachkriegs setzen würde. Obwohl der Ausgang des W.s 1918 nicht per se bereits den Zweiten W. determinierte, belasteten die Folgen des Krieges und der politischen Neuordnung von 1919 die Nachkriegsgesellschaften außenpolitisch und innergesellschaftlich schwer.

Im Gegensatz zur Hoffnung vieler Zeitgenossen in den erschöpften Kriegsgesellschaften endete die Gewalt nicht mit dem Waffenstillstand im November 1918 und den formalen Friedensschlüssen (Friedensverträge) seit 1919. Seit dem Schlüsseljahr von 1917 ging der Staatenkrieg vor dem Hintergrund der Russischen Revolution der Bolschewiki, der Globalisierung des Krieges durch den Kriegseinritt der USA und des absehbaren Zerfalls der kontinentaleuropäischen Imperien, des Zarenreichs, der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Reichs, in neue Gewaltformen über. So überlagerten sich seit dieser Phase Staatenkrieg, Bürgerkrieg und ethnische Gewalt. Die Grenzen zwischen militärischer Front und Heimatfront, zwischen Kombattanten und Zivilisten verwischten vielerorts, zumal in Osteuropa, wo der W. seit 1917 in Bürgerkrieg und Staatsbildungskriege wie den polnisch-sowjetischen Konflikt überging. Obwohl die Opfer des Ersten W.s anders als im Zweiten W. mehrheitlich noch Soldaten waren, entstand seit 1914 eine neue Dimension der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, v. a. in Belgien und Nordfrankreich, in Serbien, Armenien und vielen Gebieten Osteuropas, aber auch in weiten Teilen Afrikas. So ging mit dem Ersten W. im Zeichen einer industrialisierten Kriegsführung eine Epoche zu Ende, in der das Ideal eines begrenzten und kurzen Krieges die politischen und militärischen Planungen bestimmt hatte. Als 1917 und 1918 auch das überkommene Ordnungsmuster der Monarchie in Revolutionen unterging, die Petrograd, Berlin und Wien erfassten, wurde dies zum Ausgangspunkt für die Entstehung neuartiger und radikaler Ideologien. Bei allen Unterschieden rekurrierten die russischen Bolschewiki (Kommunismus), bald nach Kriegsende die Faschisten (Faschismus) in Italien und seit dem Ende der 1920er Jahre die Nationalsozialisten (Nationalsozialismus) in Deutschland auf Kriegserfahrungen und wandten sich vor diesem Hintergrund entschieden gegen die Erbschaften des Liberalismus, gegen Verfassungs- und Rechtsstaat sowie Parlamentarismus (Parlament, Parlamentarismus), aber ebenso gegen die Strukturen des überkommenen Kapitalismus.

Bereits der Erste W. bedeutete im Vergleich mit früheren Kriegen der Neuzeit eine bisher ungeahnte quantitative und qualitative Steigerung von Gewalt, der annähernd zehn Mio. Soldaten und mehr als sechs Mio. Zivilisten zum Opfer fielen. Hinzu kamen noch die Opfer der Spanischen Grippe, die sich im Schatten des Kriegsendes weltweit verbreitete. Diese traumatischen Kriegserfahrungen waren verbunden mit einer bislang unbekannten Mobilisierung von Kriegsgesellschaften und Medien, von Wirtschaft und Finanzen, aber auch von Intellektuellen und Künstlern zur Rechtfertigung des Krieges. Zugl. war der Krieg von Anfang an nicht bloß ein Konflikt zwischen europäischen Staaten. Durch die Involvierung der europäischen Kolonialreiche, zumal des Britischen Empire und der französischen Kolonien in Afrika und Asien, und durch den Kriegseintritt Japans handelte es um eine wirklich globale Auseinandersetzung. Sie hatte enorme Auswirkungen auf die Gesellschaften Afrikas, Asiens, Süd- und Nordamerikas und förderte die Ausbildung eines eigenen Nationalbewusstseins in vielen dieser Gesellschaften. Selbst formal neutrale Staaten wie die Schweiz oder die Länder Skandinaviens wurden durch den Krieg tiefgreifend verändert.

Damit markierte der W. einen entscheidenden Einschnitt für die Wahrnehmung Europas und der Glaubwürdigkeit der von seinen Staaten repräsentierten Ordnungsmodelle in der Welt. Mit dem seit 1917 vom amerikanischen Präsidenten W. Wilson und den Bolschewiki vertretenen Schlüsselbegriff der „Selbstbestimmung der Völker“ intensivierten sich nicht nur die Forderungen nach einem Ende der kontinentaleuropäischen Imperien und der Gründung neuer Nationalstaaten, sondern auch die Debatten um die Zukunft des europäischen Kolonialismus und der Dekolonialisierung, die das 20. Jh. bis in die 1970er Jahre prägen sollten.

Zu den neuen Kennzeichen beider W. zählten Millionenheere und eine neuartige Maschinerie des Militärs, die eine umfassende Infrastruktur und eine immer weitergehende Mobilisierung aller Ressourcen voraussetzte. Für beide W. galt, dass sie nicht mehr allein in Schützengräben entschieden wurden, sondern ebenso in den Fabriken und auf den Versorgungsrouten der Weltmeere. Während die Kavallerie an Bedeutung einbüßte, gewann schon in der Endphase des Ersten W.s die Panzerwaffe eine neue Bedeutung, die Mobilität und Feuerkraft miteinander verknüpfte. Auch die Ursprünge der modernen Luftwaffe als strategische Waffengattung lagen im Ersten W., charakterisierten dann aber v. a. den militärischen Verlauf nach Ausbruch des Zweiten W.s 1939. Jetzt wurden Großstädte, Verkehrsknotenpunkte und Produktionszentren der Rüstungsindustrie zu Angriffszielen.

Bedeutete der Erste W. bereits eine Totalisierung der Kriegsgewalt, so stand der Zweite W. für das Bild eines „totalen Krieges“: Zum einen in der Zuspitzung der militärischen Waffentechnologie durch die Perfektionierung des Luftkrieges gegen die Zivilbevölkerung, der bis zur Entwicklung der Atombombe (ABC-Waffen) und ihres Einsatzes durch die USA gegen Japan 1945 reichte, aber auch in der Entfesselung rassistisch begründeter Gewalt durch das nationalsozialistische Regime im Holocaust (Shoa). Die gezielte Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen war bereits im Ersten W. erkennbar geworden, so in der Gewalt im Rahmen des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich seit 1915, erreichte aber im Zweiten W. im Holocaust ein singuläres Ausmaß.

Die Epoche der beiden W. wirkte als tiefgreifende Umbruchphase für staatliche Ordnungsmodelle und die internationale Politik. An die Stelle der autokratischen Monarchien traten seit 1917/18 mit der Sowjetunion und den neuen Republiken in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa ganz neue politische Regime. Nach den Umwälzungen des Zweiten W.s waren es dann von Moskau z. T. gewaltsam eingerichtete und abhängige sog.e „Volksdemokratien“, die in Osteuropa bis zum Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der UdSSR 1989–1991 die politische Landkarte und die innergesellschaftliche Entwicklung bestimmen sollten. Im Zeitalter der beiden W. veränderte sich die internationale Ordnung schneller und tiefgreifender als in anderen Epochen der neueren Geschichte zuvor. 1918 besiegelte das Ende der Pentarchie, also des aus Großbritannien, Frankreich, dem Zarenreich, der Habsburgermonarchie und Preußen/Deutschland bestehenden fünfgliedrigen Systems europäischer Großmächte, das Europa seit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges und im Zeichen eines Gleichgewichts der Mächte geprägt hatte. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 erneuert, hatte dieses Prinzip auch im Zeitalter neuer Nationalstaatsbildungen und kolonialer Expansion in Europa den Ausbruch eines großen Krieges verhindern können. Nachdem diese Ordnungsprinzipien durch den Ausbruch des W.s 1914 zerstört worden waren, verstärkte sich die Suche nach alternativen Ordnungsmodellen. Viele Zeitgenossen forderten nach 1918 bereits eine stärkere Integration der europäischen Staaten als Basis für einen stabilen Frieden. So schrieb der britische Mäzen und Vordenker der europäischen Einigung Max Leonard Waechter 1919: „Es gibt einen Weg, diese Interessengemeinschaft zwischen den europäischen Völkern zu stärken. Er besteht darin, alle europäischen Mächte in einer Föderation nach dem Modell der Vereinigten Staaten von Amerika zusammenzuschließen und mit einem System von freiem Handel und freiem Austausch über den ganzen Kontinent untereinander zu verbinden. Eine solche Föderation, davon bin ich überzeugt, ist die einzige mögliche Alternative zum Krieg“ (zit. n. von Plessen 2003: 256).

Der Untergang des Zarenreichs, der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und 1922 auch des Osmanischen Reiches ließ eine Vielzahl neuer Staaten entstehen. Aber anders als es das Modell der nationalen Selbstbestimmung (Selbstbestimmungsrecht) nahelegte, waren diese Staaten keine ethnisch homogenen Nationalstaaten, sondern durch vielfältige Minderheitenprobleme (Minderheiten) gekennzeichnet. Sie provozierten nach 1918 Interventionen von außen und eine revanchistische Außenpolitik, so ganz bes. im Falle Deutschlands und Ungarns. Der Umschlag der zunächst friedlichen Revisionspolitik der Weimarer Republik nach 1919 in eine offene außenpolitische Aggressionsstrategie unter Adolf Hitler seit der Zerstörung der demokratischen Republik 1933 war eine entscheidende Voraussetzung für den Ausbruch des Zweiten W.s. Die Ziele A. Hitlers gingen zumal für Osteuropa und im Blick auf die Vernichtung der Juden von Anfang an weit über eine bloße Revision der Friedensordnung von 1919 hinaus – auch wenn es nach dem Sieg über Frankreich im Sommer 1940 vielen Deutschen erschien, als würden mit den deutschen Siegen im Westen lediglich die von vielen Deutschen als ungerecht empfundenen Folgen des Versailler Friedensvertrags zurückgenommen.

Demgegenüber bewies das Schlüsseljahr 1941 den ganz anderen Charakter des Zweiten W.s. Es markierte den Übergang des europäischen Krieges, der mit dem Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 begonnen hatte, in den W. und die Radikalisierung des überkommenen Staatenkrieges in einen ideologischen Vernichtungskrieg ohne Beispiel. Beide Aspekte wurden im Angriff Japans auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbour und dem amerikanischen Kriegseintritt im Dezember 1941 sowie dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 erkennbar. Dahinter stand die Absicht A. Hitlers, Osteuropa bis zum Ural als Siedlungsraum für ein künftiges „Großgermanisches Reich“ zu gewinnen und den „Weltanschauungskrieg“ gegen Juden und Bolschewiki mit allen Konsequenzen in die Praxis umzusetzen. Mit der fast gleichzeitig, im Juli 1941, getroffenen Entscheidung der japanischen Führung, in Richtung Südostasien und schließlich in den Pazifik vorzustoßen, erreichte der Zweite W. seinen eigentlichen Zenit. Erst danach gelang es den Alliierten, Deutschland in Osteuropa und schließlich auch Japan im Pazifik unter großen Opfern in die Defensive zu drängen.

Der tiefgreifende Umbruch der internationalen Ordnung wies sowohl nach 1918 als auch nach 1945 weit über Europa hinaus. Durch die W. veränderte sich das Verhältnis zwischen imperialen Akteuren wie zumal Großbritannien und Frankreich einerseits und ihren Kolonialgesellschaften andererseits. Geschwächt durch die Verluste nach 1918 und 1945, büßten die europäischen Mächte an Glaubwürdigkeit und Machtgrundlagen in ihren Kolonien in Asien und Afrika ein. Die Hoffnung vieler Kolonialsoldaten aus Indien, Asien und Afrika, die von den europäischen Staaten rekrutiert worden waren, dass ihre Loyalität in den W.n zu einer Verbesserung ihres Status, zu mehr Mitsprache und Unabhängigkeit führen würde, wurde zumeist enttäuscht. So markierten die Jahre 1918 und 1945 entscheidende Wendepunkte im Streben vieler asiatischer und afrikanischer Gesellschaften, ihre politische Unabhängigkeit zu erlangen. Doch erst nach dem Zweiten W. und angesichts der Erfahrung der Verwundbarkeit der europäischen Kolonialmächte, symbolisiert im Fall Singapurs gegen japanische Truppen 1942, beschleunigte sich die Dekolonisierung, etwa mit der Unabhängigkeit Indiens 1947. In Indochina und Algerien erwies sich in den 1950er Jahren für Frankreich, wie lange und schmerzvoll der Abschied vom Kolonialreich sein konnte.

Anders als 1918 bestimmten nach 1945 zwei Erbschaften des Zweiten W.s die weitere Entwicklung der Weltordnung: die ideologische und militärische Spaltung der Welt in Ost und West und das Atomzeitalter. Der Kalte Krieg entfaltete sich im Zeichen einer globalen Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und Kommunismus, exemplarisch in der Teilung Deutschlands und in zahlreichen Stellvertreterkriegen. In Asien und Afrika überlagerten sich als Folgen des Zweiten W.s Dekolonisierungskonflikte und die Spannung zwischen den atomaren Supermächten der UdSSR und der USA.

Die Erfahrungen von massenhaften Opfern nach 1914 und nach 1939 bedeuteten keine einfache Kontinuität von immer mehr Gewalt oder gar eine Zwangsläufigkeit des Zweiten aus den Konsequenzen des Ersten W.s. Gerade nach 1918 intensivierte sich die Suche nach neuen Formen der Friedenssicherung und der internationalen Kooperation. Das zeigte sich in der Etablierung des Völkerbunds 1919/20, aber auch im Briand-Kellogg-Pakt von 1928 zur Ächtung des Krieges. Auch die Gründung der Vereinten Nationen nach 1945 war eine Konsequenz aus den Gewalterfahrungen in der ersten Hälfte des 20. Jh. V. a. verstärkte sich nach dem Ende des Zweiten W.s der Fokus auf eine zunächst sicherheitspolitische und wirtschaftliche Integration der westeuropäischen Staaten. Exemplarisch beschrieb Jean Monnet 1945 die Notwendigkeit, die Fehler nach dem Ersten W. nicht zu wiederholen: „Es wird keinen Frieden in Europa geben, wenn sich die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität wiedererrichten […]. Wenn sich die Länder Europas erneut voreinander schützen, wird es wieder notwendig sein, große Armeen aufzustellen. Einige Länder könnten dies durch den zukünftigen Friedensvertrag, anderen wäre es verwehrt. Wir haben 1919 die Erfahrung dieser Unterscheidung gemacht und kennen deren Folgen. Innereuropäische Allianzen werden geschlossen werden: Wir kennen deren Folgen. Soziale Reformen würden durch das Militärbudget verhindert oder verzögert. Europa erstünde ein weiteres Mal in der Furcht“ (zit. n. von Plessen 2003: 295).

Insgesamt wirkte die enthemmte Gewaltgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jh. als Katastrophen- und Zerfallsphase weit über 1945 hinaus und prägt bis in die Gegenwart die Erinnerungskulturen der ehemaligen Kriegsgesellschaften. Zumal für die Staaten Westeuropas war das Konzept einer europäischen Integration (Europäischer Integrationsprozess) eine entscheidende Antwort auf die W. sowie die schmerzvolle Dekolonisierung als Erbschaft des Kriegsausgangs 1945. So folgte dem Zeitalter von Krieg und Diktatur eine Phase des stabilen Kalten Krieges und der Durchsetzung der demokratischen Massengesellschaft, zunächst in Westeuropa, und dann nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und dem friedlichen Ende des Kalten Krieges 1989–1991 schließlich auch in Osteuropa. Die Erfahrung von zwei W.n mit beispiellosen Opferzahlen hat die europäischen Gesellschaften für neue Formen transnationaler Kooperation geöffnet. Nach den Erfahrungen zweier W. wirkte die europäischen Integration nach 1945 als ein modellbildendes Friedensprojekt: zunächst nach 1945 durch die Einbindung Westdeutschlands, dann in der Phase des Übergangs autoritärer Regime in demokratische Ordnungen in Griechenland, Spanien, Portugal seit den 1970er Jahren und nach dem Ende des Kalten Krieges 1989–1991 für die Staaten Ostmittel- und Südosteuropas.