Schwangerschaftsabbruch

Version vom 16. Dezember 2022, 06:12 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Schwangerschaftsabbruch)

  1. I. Sozialethisch
  2. II. Rechtlich
  3. III. Soziologisch

I. Sozialethisch

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1. Rechts- und theologiegeschichtliche Aspekte

Das Problem des S.s bewegt die Menschen seit jeher. Während in der antiken Welt der S. nur als ein Sachdelikt angesehen wurde, das die Rechte des Staates, des Vaters, der Familie und im Ausnahmefall auch der Mutter, aber niemals des Kindes verletzte, rückte im hellenistischen Judentum erstmals die Perspektive des Embryos in den Blick. Die Septuaginta-Version von Ex 21,22–25 bezog den zu sühnenden Schaden nicht auf die Verletzung der Mutter, sondern auf die Schädigung des Fötus und brachte diese mit der aristotelischen Unterscheidung der beseelten und unbeseelten Leibesfrucht in Verbindung. Nur im Frühstadium seiner Entwicklung konnte die Zerstörung des Embryos durch eine materielle Bußleistung abgegolten werden. War dieser dagegen nach Proportion und Form zur menschlichen Gestalt ausgebildet, galt sie als Tötungsdelikt. Nach Philo von Alexandrien, dem seit Tertullian die christliche Theologie folgte, ist der beseelte Embryo als ausgebildeter Mensch zu betrachten, der in der Werkstatt der Natur nur zurückgehalten wird. Die frühchristliche Ethik sah im Verbot des S.s ein Unterscheidungsmerkmal, durch das sich die junge Kirche von der spätantiken Gesellschaft abhob.

Im Mittelalter galt die Abtreibung als Tötungsdelikt, das jedoch unterschiedlich schwer bestraft wurde, je nachdem, ob der Fötus beseelt oder noch unbeseelt war. Dieser von Thomas von Aquin aufgrund der naturwissenschaftlichen Autorität des Aristoteles bekräftigten Unterscheidung (STh I, 118,1–2; II-II, 64,1 und 8; Summa contra gentiles III, 22), die später vom kirchlichen Recht auf das weltliche überging, wurde vonseiten des Lehramtes erstmals unter Sixtus V. (1588) eine Absage erteilt; von Pius IX. (1869) wurde sie endgültig aus der kirchlichen Rechtsprechung verbannt. Als sich die zeitgenössische Medizin aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse (Entdeckung des weiblichen Eis; eigener Blutkreislauf eines Fötus) der Annahme einer Simultanbeseelung zuneigte, kam es auch im weltlichen Recht zu einem Umschwung. Das PrALR, das unter dem Einfluss aufgeklärten Gedankenguts 1794 erlassen wurde, stellt erstmals die frühesten Lebensstadien des Menschen unter den Schutz der staatlichen Rechtsordnung: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis an“ (§ 10 Abs. 1 S. 1 PrALR). Zugleich schränkten die Reformgesetze der Aufklärungszeit Strafmaß und Umfang der Abtreibungsdelikte (Zuchthaus statt Todesstrafe, genaue Berücksichtigung der Tatumstände) ein. Die Aufmerksamkeit der aufgeklärten Rechtswissenschaft galt v. a. dem Zusammenhang zwischen der staatlichen Pönalisierung und der gesellschaftlichen Realität der Abtreibung. In den Mittelpunkt trat das sozialpolitische Ziel der Verhütung von Schwangerschaftsabbrüchen (S.en), das nur durch Entkriminalisierung sexueller Verfehlungen und sozialpolitische Maßnahmen wie Armutsbekämpfung und Schulbildung erreichbar erschien. Mit der Forderung, die Strafbarkeit des S.s einzuschränken und sozialpolitischen Maßnahmen den Vorzug zu geben, wiesen diese Reformideen weit nach vorne.

Bei den zurückliegenden Reformen des deutschen Abtreibungsrechts betonten Befürworter wie Gegner einer strafrechtlichen Freigabe des S.s, diese stelle die moralische Missbilligung des S.s durch den demokratischen Rechtsstaat nicht in Frage. Inzwischen ist die befürchtete Wirkung, die Entpönalisierung durch das staatliche Recht werde im gesellschaftlichen Bewusstsein einer moralischen Anerkennung gleichkommen, weithin eingetreten. Der Strafverzicht des Staates trug dazu bei, die Einsicht in den Unrechtscharakter der Abtreibung zu minimieren, und förderte das Missverständnis, die demokratische Rechtsordnung anerkenne ein moralisches Recht der Frau auf den S. Dennoch erscheint der Verzicht auf strafrechtliche Sanktionen im Blick auf die mögliche existenzielle Konfliktlage der Frau angemessen. Die körperliche und psychische Symbiose zwischen Mutter und Kind während der Schwangerschaft stellt eine analogielose „Zweiheit in Einheit“ (BVerfGE 88,203 [253]) dar, in der zwei personale Rechte miteinander konkurrieren können: Der Anspruch der Frau auf autonome Selbstbestimmung steht dem fundamentalen Recht des Kindes auf Leben gegenüber.

2. Konfliktsituationen und ethische Bewertungsansätze

Wer ein moralisches Recht der Schwangeren postuliert, nach eigenem Ermessen einen S. vornehmen zu lassen, kann dies entweder mit dem Hinweis auf ihre Selbstbestimmung oder dadurch begründen, dass er die Schutzwürdigkeit des Embryos herabsetzt. Das Autonomieargument kann allerdings nicht begründen, warum der Schwangeren in der Ausübung ihrer Selbstbestimmung das Recht zustehen sollte, über das noch ungelebte Leben ihres Kindes zu verfügen. Zudem beginnt die Ausübung von Autonomie bereits vor der Entdeckung der Schwangerschaft. In einem umfassenden Sinn meint Autonomie die Fähigkeit und das Recht zur selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Lebensführung, was die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns auch dann einschließt, wenn diese ungewollt eintreten. Das Argument einer nur graduellen Schutzwürdigkeit des Embryos trägt zur ethischen Beurteilung von Schwangerschaftskonflikten wenig bei, da der Zeitpunkt, nach dem auf der Basis einer solchen Position dem extra-korporalen Embryo bereits ein uneingeschränktes Lebensrecht zukommt, nämlich die Nidation, schon zurückliegt, so dass dem Nasciturus jedenfalls vom Zeitpunkt der Einnistung an ein uneingeschränktes Recht auf Leben zukommt (BVerfGE 88,203). Dieses gründet in der Menschenwürde, die nicht auf einem sozialen Zuschreibungs- oder Anerkennungsakt der Gesellschaft oder der Eltern basiert, sondern dem Ungeborenen ebenso wie jedem Menschen unabhängig von einer bestimmten Entwicklungsstufe oder der Ausbildung kognitiver Fähigkeiten zukommt. Die Schwangere hat daher grundsätzlich die Pflicht, die Schwangerschaft anzunehmen und auszutragen; diese Pflicht ist Teil der gemeinsamen Elternverantwortung, die beide Partner, also auch der Vater des Kindes, durch seine Zeugung übernommen haben. Weigert sich der Vater, zu seiner Verantwortung zu stehen, oder drängt er die Schwangere gar zum Abbruch, begeht er in moralischer Hinsicht schweres Unrecht, das allerdings rechtlich kaum erfassbar ist, da es sich in dem Kernbereich privater Lebensführung abspielt, in den die staatliche Ordnung nicht eingreift.

Das kirchliche Lehramt anerkennt keinen einzigen Grund, der einen S. objektiv rechtfertigen könnte. „Die direkte, d. h. als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung [stellt] immer ein schweres sittliches Vergehen [dar], nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen“ (Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae“: 62). Seit dem 19. Jh. gilt der S. im Fall einer vitalen Indikation, also bei bestehender Lebensgefahr für die Mutter, einer zunehmenden Zahl von Moraltheologen jedoch auch als ethisch vertretbar, weil von der Mutter die Gefährdung des eigenen Lebens, auch aus Rücksichtnahme auf bereits geborene Kinder, nicht verlangt werden kann. Die gegenwärtige Moraltheologie bevorzugt zur Begründung eine genauere Güterabwägung: Wenn die Fortführung der Schwangerschaft die Mutter in eine medizinisch nicht abwendbare Lebensgefahr bringen würde (z. B. bei einer Eileiterschwangerschaft) steht das rettbare Leben der Mutter gegen das ohnehin unrettbare Leben des Kindes, so dass die größere Überlebenschance der Mutter auch in moralischer Hinsicht den Ausschlag geben darf. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass in der extremen Konfliktsituation, in der das Leben des Kindes und das Leben der Mutter gegeneinanderstehen, keine Güterabwägung oder Vorzugswahl im üblichen Sinn vorgenommen wird. Der Tod des Kindes wird auch nicht als indirektes Mittel gewollt, um die Lebensrettung der Mutter als Handlungsziel zu erreichen. Bei jeder dieser Rechtfertigungsstrategien würde gegen das grundlegende moralische und rechtliche Verbot verstoßen, das Leben eines Menschen gegen das eines anderen abzuwägen. Tatsächlich vergleicht der Arzt nicht zwei Leben, sondern zwei Handlungsweisen miteinander. Wenn er die Wahl zwischen Handeln und Nicht-Handeln hat, wobei als Folge seines Nicht-Handelns der Tod von Mutter und Kind eintritt, während er das Leben der Mutter retten kann, ist die Variante des Nicht-Handelns in moralischer Hinsicht nicht wählbar. Der Arzt ist in dieser Situation verpflichtet, alles ihm Mögliche zu tun, um Leben zu retten.

Außer im Fall der vitalen Indikation, in der das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft bedroht ist, sind keine weiteren Rechtfertigungsgründe für einen S. erkennbar. Auch eine voraussichtliche Behinderung des Kindes kann keinen ausreichenden Grund zum Abbruch der Schwangerschaft darstellen (eugenische Indikation). Über das vermeintliche Glück oder Unglück, das dieses Kind in seinem Leben erfahren wird, lässt sich keine prospektive Bewertung von außen vornehmen, zumal sein Wohlergehen auch von der Einstellung abhängt, die seine Umgebung und insb. sein näheres familiäres Umfeld ihm gegenüber einnehmen. Die Anerkennung einer eugenischen Indikationsstellung zum S. liefe zudem auf die Ungleichbehandlung eines Nasciturus mit hohem genetischem Risiko auf eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung hinaus, die gegen das Diskriminierungsverbot (Diskriminierung) verstößt. Der deutsche Gesetzgeber hat dem insofern Rechnung getragen, als er die frühere eugenische Indikation bei der letzten Reform des § 218 der Sache nach in einer erweiterten medizinischen Indikation aufgehen ließ. Demnach ist der S. in einem solchen Fall nicht aufgrund der mutmaßlichen Behinderung des Kindes, sondern deshalb gerechtfertigt, weil das Leben mit einem behinderten Kind von der Mutter als eine unzumutbare Gesundheitsbedrohung angesehen wird. Eine derartige Behauptung, die im Falle schwerster körperlicher Beeinträchtigungen des Kindes, die eine 24-Stunden-Betreuung des Kindes erfordern, einleuchten kann, lässt sich jedoch kaum auf alle Arten von körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen übertragen, v. a. nicht auf solche, die die selbstständige Lebensfähigkeit des Kindes (wie in den meisten Fällen einer Trisomie 21) kaum einschränken. Eine allgemeine soziale oder psychische Notlage der Eltern, wie sie die frühere psycho-soziale Notlagen-Indikation vorsah, kann für die betroffene Frau zwar äußerst belastend sein, doch zu keiner moralischen Legitimation des S.s führen. In einem sozialen Rechtsstaat, der sich der Würde des Menschen und dem Grundrecht jedes Menschen auf Leben verpflichtet weiß, müssen existenzielle Belastungen und Zumutungen anders als durch die Tötung fremden Lebens, nämlich durch eine umfassende materielle und soziale Unterstützung der Schwangeren, abzuwenden sein.

Eine bes. tragische Konfliktsituation liegt vor, wenn die Schwangere vergewaltigt wurde (kriminologische Indikation). Da die Frau selbst Opfer einer Gewalttat wurde, greift das Prinzip der Verantwortungsübernahme für die Folgen des eigenen Handelns nicht. Dennoch lässt sich das an der Frau geschehene Unrecht nicht dadurch ausgleichen, dass man ihm durch die Tötung des im Mutterleib der Schwangeren heranwachsenden Kindes ein zweites hinzufügt. Das Heranwachsen des Fötus kann zwar in der Schwangeren die traumatische Erinnerung an die verbrecherische Tat wach halten, so dass sie die Präsenz des Fötus psychologisch mit dem Erleiden der Vergewaltigung identifiziert, doch kann dieser nicht als Mittäter betrachtet werden; er ist an dem Verbrechen ebenso unbeteiligt wie die Schwangere, die zu seinem ersten Opfer wurde. Eine Auflösung dieser Tragik, die auch der Lage der Frau gerecht wird, erscheint nur unter Zuhilfenahme einer Unterscheidung möglich, die für die ethische Bewertung von Schwangerschaftskonflikten generell von großer Bedeutung ist: Die normative Beurteilung eines allgemeinen Handlungstyps, nach der ein S. als Tötung unschuldigen menschlichen Lebens ein schweres Unrecht darstellt, reicht nicht aus, um eine konkrete Handlung und ihre besonderen Umstände zu bewerten. Dass eine Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorgeht, hebt zwar den Unrechtscharakter der Tötung des Kindes nicht auf, doch lässt sich die moralische Verantwortung für dieses zweite Unrecht nicht der Schwangeren zur Last legen, die zum ersten Opfer des Verbrechens wurde.

Eine moralisch einwandfreie Auflösung dieser Konfliktlage würde von der Schwangeren die Bereitschaft erfordern, das Kind dennoch anzunehmen und dem erlittenen Unrecht einen Akt lebensbejahender Liebe und Hingabe entgegenzusetzen. Wenn die Schwangere zu einer solchen supererogatorischen Handlungsweise, die über das Zumutbare hinausgeht, das Recht und Moral von ihr als Pflichtleistung einfordern können, nicht fähig ist, trifft sie gemäß dem Grundsatz ultra posse nemo tenetur (= „Über das eigene Können hinaus ist niemand verpflichtet“) keine persönliche moralische Schuld am Unrecht des S.s. Vielmehr fällt das zweite Unrecht des S.s auf den Vergewaltiger zurück, indem die Folgen seiner Tat auch das aus ihr hervorgegangene Leben zerstören.

3. Mentalitätsverschiebungen und ethische Bewusstseinsbildung

Die gemeldete Zahl der S.e ist seit Jahren leicht rückläufig. Das kann als Beleg dafür gewertet werden, dass sexuelle Aufklärung, die allgemeine Zugänglichkeit wirksamer Methoden der Empfängnisregelung und die wachsende Erkenntnis, dass Familienplanung ein verantwortlicher Dienst am Leben ist, die Zahl der gewollten Schwangerschaften aufsteigen lassen. Doch muss auch das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass im Fall einer ungewollten Schwangerschaft der S. nicht als moralisch zulässige Methode einer nachsteuernden Geburtenplanung betrachtet werden kann. In der Öffentlichkeit wird der S. im Fall ungewollter Schwangerschaften zwar als Privatangelegenheit des betroffenen Paares toleriert, doch darf diese Duldung nicht mit einer moralischen Gutheißung verwechselt werden. Der Versuch, einer drohenden Mentalitätsverschiebung in dieser Richtung entgegenzuwirken, muss v. a. die Väter in die Verantwortung für das ungeborene Leben einbeziehen. Die Straflosigkeit des S.s sichert das Selbstbestimmungsrecht der Frau nur gegenüber dem Staat, nicht aber gegenüber ihrem privaten Lebenskreis, in dem der Wegfall der Strafandrohung sie sogar erhöhtem Druck aussetzen kann, da sie nun nicht mehr zu einer Straftat gedrängt wird. Tatsächlich betrachten viele Frauen, die den S. entgegen ihren eigenen Wünschen und Gefühlen auf das Verlangen des Partners hin durchführen lassen, den Vorgang des S.s als einen Akt der Selbstschädigung, der im Widerspruch zu ihren eigenen Gefühlen steht. Eine soziologische Untersuchung zu den Verarbeitungsmechanismen eines S.s gelangt zu dem Ergebnis: „Die Frauen, die abtreiben, waren wohl noch nie so allein wie jetzt“ (Boltanski 2007: 228).

Die seelische Verarbeitung eines S.s durch die Schwangere wird häufig durch eine von dem Paar vorgenommene Unterscheidung erleichtert, die die Bedeutung der biologischen Zeugung für die Entstehung neuen Lebens herabstuft. Der Fötus, der als Ergebnis einer ungewollten Schwangerschaft angesehen wird, gilt noch nicht als personales Wesen (Person), dem Einzigartigkeit und Singularität zukommt. Diese qualitativen Auszeichnungen sollen ihm erst dann zukommen, wenn zu der Zeugung durch das Fleisch, aus der ein „tumoraler“ Fötus hervorgeht, die Zeugung durch das Wort hinzutritt, durch die das Paar ein „elterliches Projekt“ kundtut, das die Bereitschaft zur Annahme des Kindes beinhaltet (Boltanski 2007: 92). Der Fötus, der aus einem unachtsamen Sexualverkehr hervorging und nicht Gegenstand eines elterlichen Projektes ist, wird dagegen in seiner Wahrnehmung durch die Eltern, die darin von vielen Ärzten unterstützt werden, dekonstruktivistisch ausgeblendet. Eine solche Dissoziation der biologisch-körperhaften und der geistig-sozialen Sphäre der menschlichen Existenz wird jedoch weder dem gerecht, was aufseiten des Fötus durch die physische Zeugung geschah, noch entspricht es dem vollen Umfang der elterlichen Verantwortung. Denn auch die Eltern handeln in der Zeugung durch das Fleisch nicht nur als körperhafte Wesen, sondern in der leib-seelischen Einheit ihrer personalen Existenz, die in der sexuellen Begegnung ihren Ausdruck findet und in der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für das durch die Zeugung entstandene Leben des Kindes vollendet wird. Die neugewonnene sexuelle Freiheit bleibt nur unter der Bedingung der Ausdruck einer umfassenden Selbstbestimmung von Frau und Mann, dass sich die Partner ihrer Verantwortung füreinander und ihrer Verantwortung für ein möglicherweise gezeugtes Kind bewusst bleiben.

II. Rechtlich

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1. Definition

Unter Schwangerschaft ist eine intakte Gravität zu verstehen; S. ist die bewusste und gewollte Beendigung derselben, die eine vorsätzliche Tötung des Embryos in vivo darstellt. In zeitlicher Hinsicht erfasst das deutsche Strafrecht als S. (§ 218 Abs. 1 StGB) die Tötung eines ungeborenen Menschen im Mutterleib (Leibesfrucht) von der Nidation bis zur Geburt. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Nidation eintreten, werden strafrechtlich nicht erfasst (§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB). Unter S. im Sinne des StGB muss daher jede, nicht auf bloße Nidationshemmung angelegte Einwirkung auf die Schwangere oder den Embryo verstanden werden, die final darauf gerichtet ist, das Absterben des Embryos im Mutterleib oder dessen Abgang in nicht lebensfähigem Zustand herbeizuführen.

2. Verfassungsrechtliche Einordnung und Bewertung

Das ungeborene menschliche Leben besitzt nach deutschem Verfassungsrecht ein eigenes Lebensrecht, und ihm kommt auch bereits Menschenwürde zu. „Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen“ (BVerfGE 88,203 [252]). Das Lebensrecht, das nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet wird, sondern dem Ungeborenen schon aufgrund seiner Existenz zusteht, ist das elementare und unveräußerliche Recht, das von der Würde des Menschen ausgeht.

Die Garantie der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) gebieten dem Staat die Gewährung ausreichenden Schutzes für das vorgeburtliche Leben, und zwar für jedes einzelne, auch gegenüber der Mutter, und erlauben keine Differenzierungen der staatlichen Schutzverpflichtung mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens oder die Bereitschaft der Frau, es weiter in sich leben zu lassen.

Hinreichender rechtlicher Schutz des Ungeborenen gegenüber seiner Mutter setzt voraus, dass der S. grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist, d. h. der schwangeren Frau damit prinzipiell die Rechtspflicht auferlegt wird, das Kind auszutragen (BVerfGE 88,203 [253]). Die kollidierenden Grundrechtspositionen der Frau, insb. ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) führen allerdings dazu, dass in Ausnahmelagen der prinzipielle Vorrang des Lebensrechts des Ungeborenen zurücktritt. Solche Ausnahmelagen zeichnen sich durch von der Normalsituation einer Schwangerschaft deutlich abweichende, bes. Belastungen aus, die der Frau ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte abverlangen, dass die Auferlegung einer unbedingten Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes unzumutbar wäre.

Danach von Verfassungs wegen rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche (S.e) unter Strafe zu stellen, ist eine dem Gesetzgeber mögliche, aber nicht unter allen Umständen gebotene Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben. Wenn (präventive) Schutzmaßnahmen anderer Art in ausreichendem Maß getroffen werden, kann von einer Strafdrohung für nicht gerechtfertigte S.e in begrenztem Umfang abgesehen werden (BVerfGE 88,203 [258]).

3. Das geltende Recht

Der Gesetzgeber ist 1993 mit grundsätzlicher Billigung des BVerfG für den Schutz des ungeborenen Lebens zum sogenannten Beratungskonzept übergegangen. Nach dem neuen, an die Stelle der vorher geltenden Indikationenregelung getretenen Schutzkonzept liegt in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten der Schwerpunkt auf der Beratung der schwangeren Frau, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen. Im Blick auf die notwendige Offenheit und Wirkung der Beratung wird auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Arzt als Dritten verzichtet. Jede schwangere Frau, die sich zuvor von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle hat beraten und eine Beratungsbescheinigung hat ausstellen lassen (§ 219 Abs. 2 StGB), kann sodann – bei Einhaltung einer Dreitagefrist zwischen Beratung und Eingriff – eine von ihr gewünschte Abtreibung durch einen Arzt binnen zwölf Wochen seit der Empfängnis straffrei durchführen lassen (§ 218a Abs. 1 StGB). Ein solcher S. ist strafrechtlich tatbestandlos, darf aber vom Gesetzgeber nicht für gerechtfertigt (d. h. nicht rechtswidrig) erklärt werden, weil eine dafür erforderliche Ausnahmelage nicht durch Dritte oder Gerichte festgestellt worden ist und aus der Wahrnehmung der unkontrollierten Eigenverantwortung, die der Frau mit der Beratungsregelung überlassen ist, keine Rechtfertigung des von ihr zu verantwortenden Abbruchs im Wege der Selbstindikation folgen kann.

Die Beratung dient gemäß § 219 Abs. 1 StGB dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Der Frau muss bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und dass deshalb nach der Rechtsordnung ein S. nur ausnahmsweise bei außergewöhnlichen Belastungen in Betracht kommen kann, bei denen die Schwangeren zumutbare Opfergrenze überschritten ist. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Die Beratung hat nach dem SchKG durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen.

Außer dem straflosen S. nach Beratung besteht die Möglichkeit des S.s nach einer weit gefassten medizinischen oder kriminologischen Indikation, deren Vorliegen der schriftlichen Feststellung eines Arztes, der nicht selbst den S. vornimmt, bedarf (§ 218b Abs. 1 StGB). Nach § 218a Abs. 2 StGB ist der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene S. nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. Gleiches gilt, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf einer schweren Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 176–178 StGB) beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

In Reaktion auf die bes. Problematik von Spätabtreibungen körperlich oder geistig geschädigter Kinder hat der Gesetzgeber mittlerweile eine Beratung der Schwangeren und ein Vermittlungsangebot zur Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines auf die medizinische Indikation nach § 218 Abs. 2 StGB gestützten S.s erhoben: Nach § 2a Abs. 2 SchKG hat der die Indikation stellende Arzt vorher die Schwangere über die medizinischen und psychischen Aspekte eines S.s zu beraten, über den Anspruch auf weitere und vertiefende psychosoziale Beratung nach § 2 SchKG zu informieren und im Einvernehmen mit der Schwangeren Kontakte zu Beratungsstellen nach § 3 SchKG zu vermitteln. Die Indikationsfeststellung darf nicht vor Ablauf von drei Tagen nach der Mitteilung der Diagnose der Gesundheitsschädigung des Kindes oder nach der Beratung vorgenommen werden. Mit der dreitägigen Bedenkzeit soll ein überstürzt durchgeführter Abbruch aufgrund des Schocks über die diagnostizierte Gesundheitsschädigung des Kindes vermieden und die Chance gewahrt werden, der Schwangeren im Rahmen einer fundierten Beratung Perspektiven für ein Leben mit dem behinderten Kind (Behinderung) zu eröffnen.

Aus Gründen der Achtung der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG; [ Gewissen, Gewissensfreiheit ]) ist niemand verpflichtet, an einem S. mitzuwirken, es sei denn seine Mitwirkung ist notwendig, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden (§ 12 SchKG). Die Länder sind verpflichtet, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von S.n sicherzustellen (§ 13 Abs. 2 SchKG).

Für die Vornahme eines S.s, dessen Rechtmäßigkeit festgestellt wird (§ 218a Abs. 1 und 2 StGB), besteht ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 24b SGB V). Dies gilt nicht für die lediglich nicht mit Strafe bedrohten S.e nach der Beratungsregelung. Die Schwangere kann aber in diesem Fall Leistungen nach dem Schwangerenhilfegesetz beanspruchen, wenn ihr die Aufbringung der Mittel für einen S. nach § 218a Abs. 1 StGB nicht zuzumuten ist. Die Leistungen werden auf Antrag durch die gesetzliche Krankenkasse gewährt, bei der die schwangere Frau gesetzlich krankenversichert ist; die Länder erstatten den gesetzlichen Krankenkassen die ihnen dadurch entstehenden Kosten. Für indizierte und beratene S.e besteht gleichermaßen ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 2 EntgeltfortzahlungsG).

4. Kritik

Von der seit der Jahrtausendwende abnehmenden, in den letzten drei Jahren bei etwa 100 000 liegenden Gesamtzahl der statistisch erfassten S.e entfallen mehr als 96 % auf die Beratungsregelung.

Hier entscheidet am Ende allein die Schwangere über den S. (sogenannte Letztverantwortung). Sie muss weder gegenüber der Beratungsstelle (s. § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG) noch gegenüber dem Arzt (s. § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB) die Gründe für den von ihr gewünschten S. darlegen. Damit nimmt der Staat bewusst hin, dass S.e auch dann vorgenommen werden können, wenn sie materiell verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind. Hinzu kommt, dass einige Beratungsstellen den Auftrag der Schwangerenkonfliktberatung, dem Schutz des ungeborenen Lebens zu dienen, nicht (hinreichend) erfüllen.

Den vom BVerfG geforderten hinreichenden Schutz für jedes einzelne ungeborene Leben vermag das Beratungskonzept jedenfalls nicht zu leisten. Zudem ist das verfassungsrechtliche Rechtswidrigkeitsverdikt in erheblichem Umfang zurückgenommen, um Nachteile zu vermeiden, die der Frau Veranlassung geben könnten, sich dem Beratungsverfahren und dem ärztlichen Gespräch zu entziehen. Durch die gesetzliche Ausgestaltung der Beratungsregelung und die staatliche Finanzierung beratener S.e ist das Rechtsbewusstsein hinsichtlich des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des ungeborenen Lebens erodiert. Der S. wird heute verbreitet als eine selbstverständliche medizinische „Dienstleistung“ eingeschätzt und in Anspruch genommen und nicht mehr als Abtötung menschlichen Lebens eingeordnet (vgl. die Debatte um das strafbewehrte Werbeverbot des § 219a StGB).

Die vom BVerfG geforderte Vergewisserung, ob das Konzept die erwarteten Schutzwirkungen tatsächlich entfaltet oder ob sich Mängel des Konzepts oder seiner praktischen Durchführung offenbaren, ist ausgeblieben.

III. Soziologisch

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Als S. wird das „durch äußere Einwirkung herbeigeführte vorzeitige Beenden einer Schwangerschaft“ (Krolzik-Matthei 2019: 4) bezeichnet. Neben diesem werden außerdem die Begriffe „Abtreibung“ und insb. im medizinischen Kontext „Abruptio“, „Interruptio“ oder „indizierter Abort“ verwendet (Krolzik-Matthei 2019: 4). S. stellt in der BRD einen Straftatbestand dar, bleibt unter bestimmten Bedingungen jedoch straffrei (Beratungsschutzkonzept). Geregelt ist er in den §§ 218–219b des 16. Abschnitts des StGB (Straftaten gegen das Leben) und wird ergänzt durch das SchKG.

Die Debatte um S. hat in Deutschland eine lange Tradition und kreist dabei um ständig im Wandel begriffene Fragen der Menschen- und Frauenrechte, der Medizin, Ethik, Religion, u. a. Geprägt wird sie v. a. von zwei sich diametral gegenüberstehenden Positionen, die einen dem S. inhärenten Konflikt repräsentieren: dem Schutz des ungeborenen Lebens einerseits und der körperlichen Autonomie und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren andererseits. Nachhaltig geprägt wurde die öffentliche Debatte im letzten Jahrhundert v. a. durch die Neuen Frauenbewegungen (NFB).

1. Die Abtreibungsdebatte im 20. Jh.

Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 wurden die §§ 218–220 ins RStGB aufgenommen und klassifizierten den S. als Tötung: Eine Zuordnung, die bis heute im StGB verblieben ist.

In der ersten Hälfte des 20. Jh. war die Debatte zum S. eingebettet in die Auseinandersetzung um weitgreifende soziale und gesundheitliche Missstände, von denen maßgeblich die Arbeiterklasse betroffen war. Die besonderen Herausforderungen, vor die der § 218 StGB finanziell benachteiligte Schwangere stellt, brachte ihm den Namen des „Klassenparagraphen“ ein (Behren 2019: 13). Forderungen der Debatte reichten von der Verhinderung von S.en mittels sozialstaatlicher Maßnahmen durch konservative und bürgerliche Kräfte, über die Einführung der sozial-medizinischen Indikation durch Teile der Ärzteschaft und Politik, bis zur vollständigen Streichung des § 218 StGB durch KPD, Teile der SPD und den Bund für Mutterschutz und Sexualreform. In einer Gesetzesreform wurde S. 1926 zunächst vom Verbrechen zum Vergehen herabgesetzt und 1927 eine medizinische Indikationenregelung, die eine Güterabwägung bei Gefährdung des Lebens der Mutter zugestand, beschlossen. S. blieb jedoch ein Massenphänomen und die gesellschaftlichen Konflikte spitzten sich bis hin zu Massendemonstrationen zu.

Wie viele andere Emanzipationsbestrebungen brach auch die öffentliche Auseinandersetzung um den S. nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ab. Zum Rechtsgut des § 218 StGB wurde in dieser Zeit die „deutsche Volkskraft“ (Behren 2019: 14). 1935 wurde die eugenische Indikation eingeführt. Ab 1943 war für den S. die Todesstrafe vorgesehen.

In der Nachkriegszeit wurde die Debatte nur schleppend wieder aufgenommen. Ab den 1960er Jahren wurde der S., angestoßen durch den Contergan-Skandal und Fortschritte in der PND, wieder breiter diskutiert. Gegen Ende der 1960er, eingebettet in eine radikale Gesellschaftskritik der NFB, entstand darüber hinaus eine systematische Auflehnung gegen die konservative Sexual- und Familienpolitik der Nachkriegsjahrzehnte. Insb. die NFB, für die die erneute Politisierung der Abtreibung ein zentrales Moment darstellte, kritisierten den § 218 StGB als Form der frauenspezifischen Unterdrückung. Das Anliegen erhielt bes. Aufmerksamkeit durch die von Alice Schwarzer nach dem französischen Vorbild des „Manifeste des 343“ initiierte „Selbstbezichtigungsaktion“, die der Stern im Juni 1971 veröffentlichte. 374 Frauen bekannten öffentlich „Wir haben abgetrieben“, 230 Ärzte und Professoren „Ich war Komplize einer Abtreibung“.

Auch wenn die feministischen Initiativen (Feminismus) v. a. über die Forderung nach Selbstbestimmung wahrgenommen wurden, waren die Aktionen von differenzierten Debatten und weitergehenden Forderungen nach Verhütungsmitteln, sexueller Aufklärung und mehr Kinderbetreuungsplätzen oder Hilfen für Alleinerziehende begleitet. Damit wurde die Notwendigkeit der sozialen Infrastruktur betont, die diese Selbstbestimmung erst ermöglicht. 1974 mündeten die Bemühungen im 5. StrRG, welches eine Fristenlösung und somit die Straffreiheit im Falle eines bis zur zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführten S.s einführte. Bereits zu Beginn des Folgejahres wurde das Urteil jedoch vom BVerfG für nichtig und der § 218a StGB für verfassungswidrig erklärt: „Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbstständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung […]. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren […]“ (BVerfGE 39,1). Im Juni 1976 wurde dann mit dem 15. StRÄndG ein Modell eingeführt, dass bei S. in den ersten zwölf Wochen eine Straffreiheit bei medizinischer, eugenischer, ethischer oder sozialer Indikation vorsieht.

Auch in der DDR blieb der S. zunächst eine Straftat, jedoch mit dem Unterschied, dass eine enge (erb-)medizinische Indikation möglich war. 1965 wurde zusätzlich eine soziale Indikation eingeführt. Durch die sich auch in der DDR formierende Frauenbewegung und den Verweis auf die Rechtsprechung anderer sozialistischer Länder sowie die dort proklamierte Gleichstellung wurde 1972 mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Unterbrechung der Schwangerschaft“ (§§ 153–155 DDR-StGB) der S. bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei, kostenlos und ohne jedwede Begründung ermöglicht. Im Unterschied zur BRD blieb – wohl auch durch das Fehlen unabhängiger Medien – eine öffentliche Diskussion um den S. aus.

Ab den 1980er Jahren stellten Entwicklungen im Bereich der Gen- und Reproduktionstechnologien insb. feministische Akteure und Akteurinnen vor neue Fragen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau und damit verbunden die programmatische Ablehnung eines von ihr unabhängigen Lebensrechts des Embryos wurden im Kontext neuer Möglichkeiten von PID und PND erneut kontrovers verhandelt. Ende der 1980er Jahre und im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erhöhte sich das Konfliktniveau abermals, da der § 218 DDR-StGB verfassungskonform in das StGB der neuen BRD eingegliedert werden musste. V. a. ostdeutsche Frauenverbände befürchteten eine Verschärfung der Regelung des S.s. Deutschlandweit standen sich dabei einerseits konservative und katholische und andererseits gewerkschaftliche, feministische und liberale Akteure gegenüber. Aufgrund des jeweils geringen Mobilisierungspotentials kam es schließlich zur „Einigung im mittleren Spektrum“ (Gerhards/Neidhardt/Rucht 1998: 20). Die 1992 nach langen Debatten beschlossene Fristenlösung mit Beratungspflicht wurde jedoch abermals beanstandet. Das BVerfG urteilte erneut zu Ungunsten eines vom Lebensrecht des Kindes losgelösten Selbstbestimmungsrechtes der Schwangeren „und [erlegte] ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht [auf], das Kind auszutragen […]“ (BVerfGE 88,203 [253]). Das aktuell geltende Gesetz, welches als Reaktion darauf beschlossen wurde, besteht seit 1996. Es stellt eine Kombination aus Fristen- und Indikationenlösung dar, bei der die Straffreiheit bis zur zwölften Schwangerschaftswoche um eine Beratungspflicht ergänzt wurde, die auf den „Schutz des ungeborenen Lebens“ ausgerichtet ist.

2. Jüngere Debatten

Ein erneutes Aufleben der Debatte ist in den 2000er Jahren mit der Neuformierung der sogenannten Lebensschutzbewegung zu verzeichnen, die sich durch eine hohe Professionalität und internationale Vernetzung auszeichnet. Zurückgehend auf die Gegenbewegungen zu den feministischen Mobilisierungen der 1970er Jahre, zeichnet sie sich durch ein Spektrum an Aktionsformen aus, die von tendenziöser Beratung über Lobbyarbeit bis hin zu Kundgebungen vor S. durchführenden Kliniken reichen. Auch die jährlichen „Märsche für das Leben“ sind diesem Kontext zuzurechnen. Das programmatische Ziel stellt dabei stets das völlige Verbot von S. und die Bekämpfung der entsprechenden medizinischen, rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Infrastruktur dar. Mit der AfD sitzt zudem seit 2013 erneut eine Partei im Bundestag, die sich explizit für einen unbedingten „Schutz des ungeborenen Lebens“ ausspricht.

Jüngst haben die Verfahren gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die sich weigerte, Informationen über die Leistungen zum S. ihrer Praxis von ihrer Homepage zu nehmen, für breites Aufsehen und schlussendlich eine Reform des Werbeverbots gesorgt. Im Zuge dessen brachen erneut alte Konfliktlinien zwischen konservativen und liberalen Akteuren auf. So bildeten sich zahlreiche feministische Initiativen, die darauf hinweisen, dass auch im Kontext der derzeitigen Regelungen die Möglichkeiten zum S. zunehmend eingeschränkt sind, da unter dem Druck konservativer Aktivisten immer weniger Ärzte Schwangerschaftsabbrüche (S.e) vornehmen. Auch internationale Institutionen wie der Europarat oder die UNO kritisieren die Beratungspflicht.

3. Empirische Daten

Die statistische Erfassung der S.e in der BRD wird durch §§ 15 ff. SchKG geregelt und erfolgt durch das StBA auf Grundlage einer vierteljährlichen Übermittlung der Zahlen durch die durchführenden Einrichtungen. In Deutschland sinkt diese Zahl seit Jahren stetig und beträgt 2019 über 100 000 S.e jährlich (4,4 pro 1 000 Frauen im gebärfähigen Alter). In der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ wird zusätzlich die Einstellung der Bevölkerung zu S.en erfasst. Dabei erreichen die medizinische und kriminologische Indikation seit Jahren eine Zustimmung von mehr als 90 %. Einem S. unabhängig einer Begründung stimmen ca. 50 % der Bevölkerung zu, wobei in Ostdeutschland eine deutlich höhere Akzeptanz zu verzeichnen ist. Die Zustimmung bei Frauen liegt dabei nur wenige Prozentpunkte höher als bei Männern. Weitere Studien befassen sich mit den psychischen Folgen des S.s. Hier können mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Studien belegen, dass ein freiwilliger S. kein höheres Risiko birgt, psychische Krankheiten auszulösen, als das Fortsetzen einer ungewollten Schwangerschaft. Die annahme einer Posttraumatischen Belastungsstörung (Post-Abortion-Syndrom) als wahrscheinliche Folge eines S.s wird dadurch relativiert.