Umweltökonomik
1. Umweltökonomik als Teil der VWL
U. ist ein Teil der modernen VWL (Wirtschaftswissenschaft). In ihr geht es um die Anwendung von ökonomischen Instrumenten zur Analyse von Umweltfragen. In Abgrenzung zum Umwelt- oder Ordnungsrecht, in dem es um sämtliche Rechtsnormen zum Schutz der Umwelt, aber auch um die strafrechtliche Bewertung von Verstößen gegen den Umweltschutz und die unmittelbare Gefahrenabwehr geht, versucht die U., durch Anreize die Marktteilnehmer (Markt) und Menschen zu umweltgerechtem Verhalten zu bewegen. Zur Erreichung der verfassungsrechtlich und international festgelegten Schutzziele bedarf es eines Zusammenspiels von U. und Umweltrecht.
Zunehmend entwickelt sich die internationale Verflechtung zu einem entscheidenden Teil bei der wissenschaftlichen Analyse der U. und der politischen Umsetzung der Lösungsvorschläge, da grenzüberschreitenden Umweltverschmutzungen nur durch internationale Vereinbarungen – wie etwa das Pariser Klimaschutzabkommen – Einhalt geboten werden kann. Die Erreichung von Umweltzielen erfordert internationale Kooperation, da Umweltschädigungen in einem Land sich fast immer auf Nachbarstaaten oder auf das Klima und die Weltmeere auswirken.
Eng verbunden mit der U. ist die Ressourcenökonomik, in der es um eine sparsame und nachhaltige Verwendung knapper natürlicher Ressourcen geht. Die Grenzen zwischen beiden Teilgebieten sind fließend.
2. Historische Einordnung der Umweltökonomik
Der nachhaltige und verantwortungsbewusste Umgang mit natürlichen Ressourcen ist keine Erfindung der Gegenwart, obwohl dies durch die starke mediale Wahrnehmung des Themas so erscheint. Schon in der Nürnberger Waldordnung von 1294 findet sich ein Hinweis, dass die Holzressourcen des Waldes vor Übernutzung zu schützen sind. Bei Hans Carl von Carlowitz, der gemeinhin als Erfinder der Nachhaltigkeit gilt, findet sich 1713 in seiner Schrift „Sylvicultura oeconomica“ die Anweisung, dass dem Wald nur so viel Holz zu entnehmen ist, wie natürlich nachwachsen kann. Der Erhalt der natürlichen Ressourcen und der Schutz der Umwelt hat also eine lange historische Tradition. Im Zeitalter der industriellen Revolution (Industrialisierung, Industrielle Revolution) traten Umweltziele jedoch stark hinter wirtschaftliche Entwicklungsziele zurück. Wasser und Luft etwa wurden damals mehr oder minder wie freie Güter behandelt, so dass ein starker Anstieg der Umweltverschmutzung in den industrialisierten Ländern zu verzeichnen war. In Deutschland standen hierfür symbolisch die rauchenden Schornsteine des Ruhrgebietes und des Saarlandes. Für die stärkere Wiederbeachtung der Umweltziele sind auch die politischen Umweltbewegungen mit verantwortlich. Das erste Naturschutzgebiet weltweit wurde 1864 auf Betreiben des Umweltpioniers John Muir mit dem Yosemite-Nationalpark in Kalifornien eingerichtet. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg gewann diese Bewegung in Deutschland an Bedeutung: Das Europäische Naturschutzjahr 1970 gilt als Geburtsjahr der Umweltbewegung, die in allen europäischen Ländern zu einer starken politischen Kraft geworden ist.
3. Ziele der Umweltökonomik
In Anlehnung an Horst Zimmermann, Klaus-Dirk Henke und Michael Broer können verschiedene Ziele und Gestaltungsprinzipien der U. unterschieden werden. Schutzziele sind letztlich die Gesundheit der Menschen, der Schutz der Natur sowie der Erhalt der Artenvielfalt (Biodiversität). So haben die Vereinten Nationen im Mai 2019 einen viel beachteten Bericht vorgelegt, nach dem ca. eine Mio. Arten in den nächsten Jahrzehnten unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Die eigentliche Festlegung der Schutzziele ist vergleichsweise einfach. Allerdings ist die tatsächliche Anwendung des Verursacherprinzips schwierig und politisch umstritten.
Für bestimmte Sektoren und Bereiche können Qualitätsziele vorgegeben werden, etwa für die Reinheit des Wassers und die Schadstoffbelastung in der Luft. Die ökonomische Verfolgung dieser Ziele kann dann mit Steuern, Gebühren, Abgaben oder anderen finanzpolitischen Instrumenten vorgenommen werden. Für einige Marktteilnehmer und Emittenten können quantitative Emissionsziele vorgegeben werden, aber auch der Handel mit Verschmutzungszertifikaten (Emissionshandel) als ein marktwirtschaftlicher Ansatz zur effizienten Schadstoffreduktion wäre ein Instrument.
Bei der Festlegung von umweltpolitischen Zielen können Wechselwirkungen mit anderen volkswirtschaftlichen Zielen, etwa einem hohen Beschäftigungsstand, bestehen. Die Effekte sind nicht immer eindeutig: So können durch Fördermittel und unternehmerische Innovationen im Umweltschutz auch neue Wachstumsimpulse entstehen. Es existieren zahlreiche Felder, in denen zwischen Ökonomie und Ökologie Synergien bestehen.
4. Theoretische Instrumente zur Analyse von Umweltfragen
4.1 Umwelt als ein ökonomisches Gut
Die entscheidende theoretische Fragestellung der U. dreht sich um die Klassifizierung von Umweltgütern, um die Analyse von Nutzungskonflikten und Ressourcenverbrauch und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen zur Problemlösung. Mit Sicherheit ist Umwelt kein freies Gut mehr, das von jedem unbegrenzt genutzt werden kann. Dies ist aus theoretischer Perspektive wie auch vor dem Hintergrund praktischer und historischer Erfahrungen nicht mehr zielführend. Ein erster zweckmäßiger Ansatz definiert Umweltqualität als öffentliches Gut, für das die zwei Kriterien der Nicht-Rivalität im Konsum und der Nicht-Ausschließbarkeit gelten. Da kein Individuum von der Nutzung sauberer Luft ausgeschlossen werden kann, selbst wenn es als Verschmutzer ungestraft zu seiner Qualitätsverschlechterung beigetragen hat, entsteht ein aus der Spieltheorie bekanntes Gefangenendilemma, das zu individueller und kollektiver Selbstschädigung der Teilnehmer führen kann. Das öffentliche Gut hohe Umweltqualität wird nur dann ausreichend bereitgestellt und gesichert, wenn die Schädiger zur Finanzierung herangezogen werden und der Rechnungszusammenhang i. S. d. Verursacherprinzips geschlossen wird. Dies berührt den Bereich staatlicher Ordnungspolitik, die für die Einhaltung der Spielregeln in der Wirtschaftsordnung zuständig ist.
In einer weiteren Perspektive kann eine hohe Umweltqualität als meritorisches, also als bes. „verdienstvolles“ Gut betrachtet werden. Die unversehrte Natur ist per se ein wertvolles Gut, so dass die öffentliche Hand zum Schutz der Natur beitragen soll – ähnlich wie bei der Kulturförderung oder der Bildung. Der Begriff der Meritorik ist jedoch unter Ökonomen umstritten, da in der staatlichen Auswahl, welche Güter als verdienstvoll eingestuft werden, ein gewisser Paternalismus mitschwingt.
4.2 Externe Effekte und Pigou-Steuer
Einen starken Erklärungsbeitrag zur U. leistet die Theorie der externen Effekte. Es wird zwischen positiven und negativen externen Effekten unterschieden, wobei von den positiven Effekten (etwa Innovationen) i. d. R. zu wenig und von den negativen i. d. R. zu viel produziert werden. Die Bereitstellung von positiven externen Effekten wird durch die Ordnungspolitik gefördert – etwa durch den Schutz von Innovationen und geistigem Eigentum durch Patente, während der Produktion von negativen externen Effekten entgegengewirkt werden soll.
Ein Stahlwerk, das direkt an einem Fluss liegt und sowohl die Wasserqualität wie auch die Luftqualität beeinträchtigt, übt einen negativen externen Effekt auf das weiter abwärts gelegene Freibad aus. Die eigentlichen Kosten der Stahlproduktion werden von den Besuchern des Freibades getragen. Bleiben dort die Kunden aus, kann dies zum Konkurs des Betreibers führen, was in der Konsequenz als ein Marktversagen anzusehen wäre.
Ein erster theoretischer Lösungsansatz wäre nun, dass das Stahlwerk und das Freibad eine gemeinsame Gewinnmaximierung durchführen müssten: Wie kann Stahl kostendeckend produziert und gleichzeitig der Badebetrieb aufrechterhalten werden? Theoretisch wäre eine gemeinsame wirtschaftliche Kalkulation unter einem Dach eine elegante Lösung, die jedoch in der praktischen Anwendung nur wenig Relevanz hat.
Ein zweiter theoretischer Lösungsansatz schlägt vor, den Schädiger zu zwingen, die tatsächlichen Umweltkosten in seine Kalkulation einzuplanen: Die Stahlproduktion würde teurer werden. Zu diesem Zweck hat der Ökonom Arthur Cecil Pigou eine Steuer vorgeschlagen, die aber eigentlich keinen fiskalischen Effekt der Einnahmenerzielung hat, sondern die v. a. eine Lenkungswirkung i. S. einer Vermeidung von Umweltbelastungen erzielen soll. Diese sogenannte Pigou-Steuer, die in verschiedenen Varianten existiert, lässt sich in einfachen Zusammenhängen – wie dem obigen Beispiel – zumindest in der Theorie leicht anwenden, obwohl die objektive Feststellung der Höhe der Steuer zur Erzielung des gewünschten Lenkungseffektes nicht trivial ist. Die aktuelle Debatte um die Einführung einer CO2-Steuer ist nichts anderes als der Vorschlag einer Pigou-Steuer. In komplexen Zusammenhängen, etwa bei der Diskussion über die Maßnahmen gegen die Erderwärmung und den Klimawandel, sind sowohl die theoretische Lösung wie auch die praktische Umsetzung schwierig.
4.3 Coase-Theorem und Verhandlungslösung
Ein zentraler Ansatz der U. wurde durch Ronald Harry Coase vorgelegt, der für diese Arbeiten mit dem Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde. Das Coase-Theorem besagt, dass negative externe Effekte durch Verhandlungen zwischen den Beteiligten effizient beseitigt werden können. Ein solches neues Marktgleichgewicht kann ohne staatliche Eingriffe erzielt werden und Pareto-effizient (Pareto-Kriterium) sein. Allerdings funktioniert das Coase-Theorem nur unter rigiden Annahmen: Erstens dürfen keine Transaktionskosten vorliegen, zweitens verfügen die Teilnehmer über vollkommene Informationen und drittens sind alle Eigentumsrechte (Property Rights) eindeutig definiert.
Der große Verdienst des Coase-Theorems liegt im Nachweis, dass effiziente Verhandlungslösungen möglich sind. Anders als beim klassischen Ordnungsrecht, das primär mit Verboten agiert, geht es im ökonomischen Ansatz i. S. d. Coase-Theorems um die Optimierung der Umweltschädigungen, auch in Relation zu anderen Zielen. Allerdings sind die kritischen Hinweise gegen das Coase-Theorem nicht von der Hand zu weisen: Die Annahmen fehlender Transaktionskosten und vollständiger Information haben keinerlei Realitätsbezug. Zudem ist die Annahme vollständig definierter Eigentumsrechte höchstens für einfache Zwei-Länder-Modelle denkbar, aber nicht für die reale Politikberatung in komplexen Zusammenhängen geeignet. Die Verhandlungsmacht von großen Ländern und potentiellen Schädigern ist um ein Vielfaches größer als die von kleinen und schwach entwickelten Volkswirtschaften. In der Realität lassen sich Verhandlungslösungen, wie R. H. Coase sie präferiert, nur durch die Vermittlung internationaler Organisationen realisieren.
5. Weiterentwicklungen und gesellschaftliche Akzeptanz
Eine neue Entwicklung der U. ist die Umweltethik. Das Fachgebiet der „ökologischen Ökonomik“ ist ebenfalls neu entstanden und erfährt eine starke Bedeutungszunahme. Nachhaltigkeit in ihrer stärkeren und ihrer schwächeren Ausprägung wird als normatives Kriterium der Umweltpolitik akzeptiert: Unnötiger Ressourcenverzehr ist unbedingt zu vermeiden.
Die offensichtlichen Folgen der Erderwärmung und des Klimawandels haben verdeutlicht, dass die Sicherung einer hohen Umweltqualität als ein menschliches Grundrecht angesehen werden kann. Aus ethischer Perspektive bes. schwierig ist der Umstand, dass die Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung sehr ungleich verteilt sind. Die von Hitze, Dürre, Tornados oder Überschwemmungen bedrohten Regionen sind häufig nicht die Verursacher und zudem mit den wirtschaftlichen Konsequenzen allein gelassen. Überdurchschnittlich häufig sind gerade ärmere und unterentwickelte Staaten betroffen.
U. und Umweltrecht sind in ihren Wirkungen begrenzt, wenn deren Instrumente nicht durch gesellschaftliche Akzeptanz unterstützt werden. So ist die deutsche Energiewende, obwohl deren langfristiger Erfolg noch keineswegs feststeht, ein Beispiel für einen Politik- und Paradigmenwechsel in der Energiepolitik mit gravierenden umweltökonomischen Folgen, der ohne ein breites gesellschaftliches Fundament nicht möglich wäre. Ein anderes Beispiel ist die Vermeidung von Plastikmüll, die sowohl bei Verbrauchern und Produzenten zu einem umweltpolitischen Ziel geworden ist. Wenn ein solches gesellschaftliches Bedürfnis neu entsteht, dann ist damit i. d. R. auch eine Zahlungsbereitschaft verbunden – und dann greifen die ökonomischen Lenkungsinstrumente relativ gut.
Literatur
B. Sturm/C. Vogt: Umweltökonomik, 2018 • R. Schomaker (Hg.): Die europäische Energiewende, 2017 • D. Wentzel (Hg.): Internationale Organisationen. Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche, 2013 • H. Zimmermann/K.-D. Henke/M. Broer: Finanzwissenschaft, 102009 • H. C. von Carlowitz: Sylvicultura oeconomica, 1713.
Empfohlene Zitierweise
D. Wentzel: Umweltökonomik, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Umwelt%C3%B6konomik (abgerufen: 21.11.2024)