Zweck
Der Ausdruck „Z.“ (griechisch telos bzw. skopós, lateinisch finis) wird meist bedeutungsgleich mit „Ziel“ verwendet. Doch während beim Z. stets die Beziehung zu den Mitteln mitgedacht ist, ist dies beim Ziel nicht unbedingt der Fall. Z.e haben ihrerseits häufig die Funktion von Mitteln zu anderen Z.en, sind demnach relative Ziele und gelten als absolute Ziele nur, wenn ihnen etwas „Selbstzweckhaftes“, „Endhaftes“, Vollendetes und Erfüllendes eignet. Ganz allgemein ist der Z. das Objekt und das Worumwillen (to hou heneka) eines Strebens und Tuns und das Wozu, die Bestimmung und Funktionsausrichtung eines Geräts, einer Institution etc. Der Begriff ist wesentlich in der Struktur menschlichen Handelns (Handlungstheorie), Durchführens und Machens verankert, i. S. eines dinglichen bzw. prozesshaften Gegenstandes bzw. Sachverhalts, den wir beabsichtigen und durch unser Tun verwirklichen bzw. zu realisieren trachten. Doch wir sprechen auch im Bereich des Lebendigen davon, dass Organe, Gestalten, Gebärden, Farben etc. für das individuelle und artspezifische Leben einen Z. erfüllen bzw. dass organische Prozesse zielgerichtet verlaufen und Tiere sich zweckorientiert verhalten.
Es war Aristoteles, durch den der Z.- bzw. Ziel-Begriff in der Naturphilosophie ebenso wie in der Epistemologie, der Ethik und Politik zu einem universalen Strukturprinzip avancierte: Nicht nur jede Fachkunde, jede Praxis, jede Methodik und Erkenntnisbemühung von Menschen strebt nach einem jeweiligen Ziel (telos) ihres Tuns, auch in Prozessen von Dingen der Natur sind Z.e bzw. Zielzustände als Ursachen am Werk (vgl. Aristot. phy. II.3 und 8; metaph. IV.2; part. an. I.1; NE I.1–3). Für Aristoteles bildet die Ziel- bzw. Z.-Ursache neben Form-, Material- und Bewegursache eine der vier Ursachen, die wir nennen, wenn wir Antwort geben auf das Warum eines Dinges oder Geschehens (Aristot. phy. II.7, 198a 14–16). Die Ziel- bzw. Z.-Ursache stellt dasjenige dar, dessentwegen etwas da ist oder geschieht (Aristot. phy. II.3, 194b 32). Doch während Aristoteles davon ausgeht, dass in der Welt eine Vielzahl von sich gegenseitig nicht bedingenden Z.-Ursachen wirksam ist, prägt der Pantheismus der Stoa den Gedanken einer geschlossenen kosmologischen Teleologie: Alle einzelnen Dinge und Geschehnisse im Kosmos sind diachron und synchron miteinander vernetzt und sinn- und zweckvolle Momente, in die die vernünftige Allnatur sich „methodisch“ und „kunstgerecht“ entfaltet und periodisch wieder zurücknimmt. Die im Rahmen des Christentums entwickelte Philosophie nimmt diese Traditionen in Verbindung mit dem jüdischen und platonischen Schöpfungsmythos (des biblischen Genesisberichts und des platonischen „Timaios“) auf: Die Welt ist ihr eine strukturierte, hierarchisch gegliederte, sinnvolle und zweckmäßige Schöpfung eines transzendenten Gottes (Transzendenz), aus Güte und zum Z. seiner Ehre geschaffen, die durch die Sünde des Menschen in Unordnung geraten ist, doch durch seinen alles wissenden und lenkenden vernünftigen und allmächtigen Willen zu einer endgültigen Ordnung zurückgeführt wird. Dabei ist der v. a. in der Stoa vorgeprägte Gedanke leitend, dass (in der sublunaren Region) die anorganische Welt, die Pflanzen und die Tiere auf den Menschen zu seinem Nutzen und seiner Obhut hin geordnet sind. Ein gewisses Korrektiv zu diesem sogenannten Anthropozentrismus bietet der gleichfalls bewahrte aristotelische Gedanke, das Kontinuum des Entstehens, Sichentwickelns, Blühens und Vergehens eines Lebewesens als einen Prozess zu verstehen, der immanent zielgerichtet (entelechial) eine für sich stehende bestimmte Wesenform (eidos) verwirklicht. Bereits der antike Atomismus (Demokrit, Epikur, Lukrez) hatte sich gegen die Lehre von Natur-Z.en gewandt, die Vorstellung eines Schöpfergottes verneint und den Gedanken eines das Weltgeschehen leitenden und ordnenden universalen Vernunftgesetzes zugunsten von Zufall und mechanisch wirksamer Notwendigkeit zurückgewiesen. In der frühen Neuzeit sind es dann Autoren wie Francis Bacon, Thomas Hobbes, Galileo Galilei, René Descartes u. a., die die Z.-Ursachen aus der philosophischen und empirischen Naturinterpretation und Naturforschung verabschieden. Berühmt ist der von F. Bacon geprägte programmatische Satz, die Erforschung von Z.-Ursachen sei unfruchtbar und einer gottgeweihten Jungfrau gleich, die nichts gebiert (De augmentis scientiarum III.5). Für den Bereich des Lebendigen war es dann v. a. die von Charles Darwin begründete und bis heute verfeinerte Evolutionstheorie (Evolution), die es ermöglicht, nur mechanisch und chemisch wirksame Ursachen und ein Zufallsprinzip in Ansatz zu bringen, um über sie gleichwohl zweckmäßig und zielgerichtet erscheinende Phänomene an Lebendigem (im Rahmen des struggle of life) zu erklären. Die Nützlichkeit bzw. Funktionalität bestimmter, auf eine spezifische Weise strukturierter Abläufe macht im Bereich der Biologie und Biogenetik eine teleologische bzw. teleonome Sprache denn auch heute unverzichtbar; bzgl. manchem tierischem Verhalten sind starke teleologische Erklärungen kaum entbehrlich, da Tiere Ziele (der Selbst- und Arterhaltung) verfolgen und Tiere verschiedener Arten ganz offensichtlich Z.-Mittel-Relationen erfassen und entspr. agieren.
Der Mensch ist ein Wesen, das nicht nur nach Z.en handelt, sondern sich selbst Z.e setzt. Dabei ist zwischen Machen bzw. Herstellen und Handeln zu unterscheiden. Das Ziel des Machens und Herstellens ist immer ein relatives Ziel; es dient anderen Zielen, seien es wiederum relative oder aber absolute Ziele, als Mittel. Absolute Ziele sind solche, die wir, nicht als spezifisch Fachkundige, sondern als Menschen, um ihrer selbst willen verfolgen. Aristoteles entwickelt eine Hierarchie der Ziele des Herstellens und Handelns, indem er zwischen verschiedenen über- und untergeordneten Fachkunden (téchnai) und Formen des unser Handeln leitenden Wissens unterscheidet. Die Hierarchie muss in einem höchsten und umfassenden Ziel aller Ziele (teleiotaton telos; finis ultimus) und einer dieses Endziel erforschenden und bestimmenden „architektonischen“ Wissenschaft einen Abschluss haben, andernfalls würde unser Leben der vernünftigen Orientierung und Einheit entbehren. Dieses nicht gesetzte, sondern immer schon erstrebte Endziel ist die Eudaimonia, das gute Leben des Menschen als Menschen und die entsprechende Wissenschaft, die Wissenschaft von der guten (und schlechten) Polis (episteme politike, vgl. NE VII.12; I.1); dies deshalb, weil der Mensch als geselliges Wesen sein Menschsein im Vollsinn des Wortes nur in einer wohlgeordneten politisch organisierten Gemeinschaft verwirklichen kann. Der Staat, so Aristoteles, entsteht um des Lebens willen, und besteht um des guten Lebens willen (Aristot. pol. I.2, 1252b 29 f.).
Für Aristoteles ist derjenige Mensch frei, „der um seiner selbst willen und nicht um eines anderen willen existiert“ (metaph. I.2, 982b 26); er schließt nicht aus, dass ein Mensch (aus verschiedenen Gründen) ganz zum Mittel eines anderen Menschen wird. Die Neuzeit, speziell die Philosophie Immanuel Kants bricht mit diesem Gedanken: Der Mensch als vernünftiges, freies, zur Moralität fähiges Wesen „existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“ (Kant 1911: 428). Zwischen Personen und Sachen ist demnach strikt zu unterscheiden; nur Personen haben „absoluten Wert“ (Kant 1911: 428); nur im Personsein findet die Vernunft (Vernunft – Verstand) ein oberstes Prinzip praktischer Philosophie. Als Person ist der Mensch „letzter Zweck“ (Kant 1913: 426), „Endzweck“ der Natur (Kant 1913: 431); von ihm, als einem vernunft- und moralitätsfähigen Wesen, kann „nicht weiter gefragt werden: wozu (quem in finem) er existiere. Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich“, denn hier auf Erden ist „nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjecte der Moralität, […] die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht, ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist“ (Kant 1913: 435). Die philosophische Reflexion über den End-Z. gebührt nun nicht mehr der Philosophie des Politischen (Politische Philosophie), die die Ethik in sich schließt, sondern einer Ethik bzw. „Metaphysik der Sitten“ (Kant 1911), die die Rechts- und Tugendlehre umfasst. Der Mensch als Mensch wird nun zum Subjekt und Maß der politisch geordneten Gesellschaft. Die Würde der Person ist dem Staat vorgeordnet; aus ihr ergibt sich der Begriff des Staates als einer über einen vernünftigen Vertrag (Vertragstheorien) aller konstituiert gedachten „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“, die es dem Menschen, jedem Einzelnen ermöglicht, seine im nichtstaatlichen Zustand bestehende „wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich zu verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustand unvermindert wieder zu finden“ (Kant 1911: 316). Primärer bzw. notwendiger Staats-Z. ist demnach die Etablierung und Sicherung eines Rechtszustandes, die dem Staatsbürger ein Leben in Freiheit (der nach allgemeinen Gesetzen gebändigten Willkür ebenso wie der selbstbestimmten Moral) ermöglicht. Ein heute als zureichend erachteter Staats-Z. impliziert allerdings weitere bzw. differenziertere Ziele, um die Staatstätigkeit und den gebotenen Rechtsgehorsam der Bürger nach Gesichtspunkten der Vernunft zu legitimieren und ein Bewusstsein gelebter politischer Gemeinschaft zu bewahren: die umfassende Orientierung politischer Herrschaft am Gemeinwohl (d. h. staatliche Herrschaft hat nicht den Herrschenden, sondern allen im Staatsverbund lebenden Menschen zu dienen); die Friedenssicherung nach innen und außen; die Sorge um die Wohlfahrt der Bürger einschließlich der Stützung jener, die sich nicht selbst helfen können, die Gewährleistung individueller und korporativer Freiheit, die Pflege und den Schutz (auch spezifischer) kultureller Traditionen und Institutionen.
Literatur
M. Forschner: Die Philosophie der Stoa. Logik, Physik und Ethik, 2018 • T. S. Hoffmann: Zweck; Ziel, in: HWPh, Bd. 12, 2004, 1486–1510 • W. Wieland: Die aristotelische Physik, 31992, § 16 • R. Langthaler: Kants Ethik als „System der Zwecke“, 1991 • H.-C. Link/G. Ress: Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL, Bd. 48 (1990), 7–176 • R. Spaemann/R. Löw: Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens, 21985 • E.-M. Engels: Die Teleologie des Lebendigen, 1982 • R. Bubner/K. Cramer/R. Wiehl (Hg.): Teleologie, in: NHP 20 (1981) • W. Kullmann: Die Teleologie in der aristotelischen Biologie, 1979 • W. F. R. Hardie: The Final Good in Aristotle’s Ethics, in: Phil. 40/154 (1965), 277–295 • I. Kant: Kritik der Urteilskraft, in: AA, Bd. 5, 1913, 165–474 • Ders.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA, Bd. 4, 1911, 385–464.
Empfohlene Zitierweise
M. Forschner: Zweck, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Zweck (abgerufen: 21.11.2024)