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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:08 Uhr
I. Wirtschaftlich
Abschnitt drucken1. Definition
I. bezeichnet einen Prozess anhaltender, über einen festgelegten Schwellenwert hinausgehender Steigerungen des allgemeinen Preisniveaus. Anhaltende Senkungen des allgemeinen Preisniveaus werden als Deflation bezeichnet. Definitionsgemäß ausgenommen sind Einzelpreiserhöhungen sowie ein einmaliger Sprung des allgemeinen Preisniveaus, bspw. infolge einer Mehrwertsteueranhebung. Häufig muss die Änderungsrate des allgemeinen Preisniveaus wegen Messfehlern, die mit einer (regelmäßigen) Überschätzung der tatsächlichen Preisentwicklung einhergehen, mindestens 2 % pro Jahr erreichen, um als I. zu gelten.
2. Messung
Die amtliche Statistik misst I. mittels Preisindizes, wobei ein Preisindex nach Ernst Louis Étienne Laspeyres und ein Preisindex nach Hermann Paasche zur Auswahl stehen. Beide Indizes fragen, wie viel ein ausgewähltes Güterbündel („Warenkorb“) in einer Berichtsperiode im Vergleich zu einer Basisperiode kostet, wobei die Preise in beiden Perioden jeweils mit den Verbrauchsmengen der Güter gewichtet werden. Dabei verwendet der Laspeyres-Index die Mengen der Basisperiode als Wägungsschema und fragt, wie viel für diesen Warenkorb in der Berichtsperiode im Vergleich zur Basisperiode ausgeben werden muss. Dadurch spiegeln die Indexwerte zweier aufeinander folgender Berichtsperioden die reine Preisentwicklung wider und sind direkt miteinander vergleichbar.
Allerdings kann das Wägungsschema schnell veralten, wenn Güterarten und Güterqualitäten sich verändern oder Verbrauchsstrukturen variieren. Diese Mängel vermeidet der Paasche-Index, der die Mengen der Berichtsperiode als Wägungsschema verwendet und fragt, wie viel man für diesen Warenkorb in der Berichtsperiode im Vergleich zur Basisperiode ausgeben muss. Dadurch wird stets ein aktuelles Wägungsschema verwendet, was jedoch periodische Preisniveauvergleiche erschwert und aufgrund des hohen Informationsbedarfs natürlich auch kostenaufwändiger ist.
3. Inflationsursachen
Angebotsdrucktheorien sehen die I.s-Ursache auf der Angebotsseite der gesamtwirtschaftlichen Güter- und Faktormärkte und unterstellen, dass Anbieter ständig steigende Preisforderungen stellen, um ihre Verteilungsposition zu verbessern bzw. zu halten. Das Preisniveau wird durch fortlaufende Preiserhöhungen nach oben gedrückt (supply push). Nachfragesogtheorien führen I. auf eine im Verhältnis zum Wachstum des realen Güterangebots zu starke Expansion der wertmäßigen Güternachfrage zurück. Das Preisniveau wird durch ständig steigende Preisgebote nach oben gezogen (demand pull).
3.1 Angebotsdrucktheorien
Je nach Urheberschaft des autonomen Angebotsdrucks lassen sich verschiedene Angebotsdruckfaktoren unterscheiden. Gewinndrucktheorien unterstellen, dass Unternehmer auf oligopolistischen Märkten auf ihre Durchschnittskosten eine prozentuale Gewinnspanne (mark-up) aufschlagen, die hoch genug ist, um eine als angemessen betrachtete Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals zu erreichen. Diese Gewinnspanne erhöhen sie von Periode zu Periode, was zu einem stetig steigenden Preisniveau und damit zu I. führt.
Kostendrucktheorien betrachten I. als Folge ständig steigender Preise für Faktorleistungen, was Unternehmen nicht durch entsprechende Produktivitätssteigerungen auffangen können. Damit erhöhen Faktorpreissteigerungen die Produktionskosten. Je nachdem welche Faktorleistung teurer wird, lassen sich Lohnkostendruck-, Importgüterpreisdrucktheorien und Ähnliches unterscheiden.
3.2 Nachfragesogtheorien
Nichtmonetäre Nachfragesogtheorien sehen ständige Erhöhungen der Nachfragekomponenten privater Konsum, private Investitionen, Staatsnachfrage und Außenbeitrag als I.s-Ursache an. Private Haushalte (Haushalt, privater), private Unternehmen, öffentliche Haushalte und das Ausland sind die I.s-Verursacher. Finanziert werden diese Ausgabenschübe durch eine Zunahme der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Monetäre Nachfragesogtheorien sehen ein im Verhältnis zum Wachstum des realen Güterangebots zu hohes Geldmengenwachstum als I.-Ursache an. Der Bankensektor ist damit der vorrangige I.-Auslöser. Aus dieser Sicht ist die gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage stabil, sodass ein erhöhtes Geldmengenwachstum langfristig nicht durch eine Abnahme der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kompensiert wird, sondern sich auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität und auf das Preisniveau überträgt.
4. Inflationswirkungen
I. hat (unerwünschte) Effekte, deren Ausmaß neben der Höhe der I.s-Rate v. a. davon abhängt, inwieweit die tatsächliche I.s-Rate korrekt erwartet und in Verträgen vorweggenommen (oder „antizipiert“) wird.
4.1 Umverteilungswirkungen
I. führt zu einer leistungsunabhängigen Umverteilung von Einkommen und Vermögen zwischen Wirtschaftssubjekten. Am Kreditmarkt sind die Gläubiger (Schuldner) I.s-Gewinner, wenn die tatsächliche I.s-Rate überschätzt (unterschätzt) wird (Gläubiger-Schuldner-Hypothese). Am Arbeitsmarkt sind die Arbeitsanbieter (Arbeitsnachfrager) I.s-Gewinner, wenn die tatsächliche I.s-Rate überschätzt (unterschätzt) wird (Wage-lag-Hypothese). In all diesen Fällen findet nur dann keine inflatorisch bedingte Einkommensumverteilung statt, wenn die I.-Rate korrekt antizipiert und vertraglich ausgeglichen wird.
4.2 Einkommens- und Beschäftigungseffekte
Mit den Verteilungseffekten verbunden sind häufig Beschäftigungs- und Einkommenseffekte, denn eine (unerwartete) I.s-Zunahme kann zu einem temporären Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung und des realen BIPs führen. In Volkswirtschaften mit erheblichem Strukturwandel existiert eine realwirtschaftliche, durch Informations- und Anpassungskosten bedingte, „natürliche“ Arbeitslosigkeit, die von monetären Einflüssen unabhängig ist und auch bei vollständiger I.s-Antizipation vorliegt. Sie setzt sich aus einer Suchkomponente (Sucharbeitslosigkeit) und einer friktionellen Komponente (friktionelle Arbeitslosigkeit) zusammen.
Eine I.s-Zunahme kann zu einem temporären Rückgang der tatsächlichen Arbeitslosenquote unter die „natürliche“ Arbeitslosenquote führen, der sich mithilfe der Wage-lag-Hypothese begründen lässt. War die I.s-Rate für längere Zeit (weitgehend) konstant, wird sie von den Marktteilnehmern korrekt erwartet und vollständig in Tarifverträgen umgesetzt. Kommt es dann zu einer überraschenden I.-Zunahme, sinkt das Wachstum der Reallöhne, und der Faktor Arbeit verbilligt sich für die Unternehmen, die mehr Arbeitskräfte einstellen.
Sobald die Marktteilnehmer den Erwartungsirrtum jedoch bemerken und in Verträgen umsetzen, verändern sie ihre I.s-Antizipation, und die tatsächliche Arbeitslosigkeit steigt wieder auf das natürliche Niveau an. Langfristig ist ein Anstieg der I.s-Rate sogar mit einer zunehmenden Variabilität der I.s-Rate verbunden, was den Informationsgehalt der relativen Preise beeinträchtigt, Suchprozesse auf Arbeitsmärkten verstärkt und die „natürliche“ Arbeitslosigkeit erhöht.
4.3 Allokations- und Wachstumseffekte
I. bedingt Umlenkungen von Produktionsfaktoren und verursacht langfristige Wachstumseinbußen. Weil es mit steigender I.s-Rate teurer wird, Kasse zu halten, reduzieren Wirtschaftssubjekte ihre reale Geldnachfrage und verzichten auf mögliche Vorteile aus der Nutzung eines allgemein anerkannten Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittels. Sie nehmen höhere Transaktionskosten, bspw. in Form häufiger Bankbesuche (shoe leather costs) in Kauf. Hinzu treten die Transaktionskosten, die durch notwendige Preisanpassungen verursacht werden (menu costs), denn Kataloge, Speisekarten usw. müssen periodisch neu erstellt werden. Erfolgen die Preisanpassungen diskontinuierlich, entstehen relative Preisveränderungen, sofern Unternehmen ihre Preise zu unterschiedlichen Zeitpunkten anpassen, und diese Preisverzerrungen führen zu Fehlallokationen. Zudem steigen mit wachsender I. die realen Kapitalkosten, solange die Steuerabzüge für Abschreibungen nicht mit der I. zunehmen, was die Investitionstätigkeit bremst.
Literatur
O. Issing: Einführung in die Geldtheorie, 2011 • D. Cassel: Inflation, in: T. Apolte, u. a.: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 2007, 331–395 • M. Friedman: Nobel lecture: Inflation and unemployment, in: JPE 85/3 (1977), 451–472 • M. Friedman: The role of monetary policy, in: AER 58/1 (1968), S. 1–17 • P. Cagan: The monetary dynamics of hyperinflation, in: M. Friedman (Hg.): Studies in the quantity theory of money, 1956, 25–117.
Empfohlene Zitierweise
U. Vollmer: Inflation, I. Wirtschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Inflation (abgerufen: 24.11.2024)
II. Historisch
Abschnitt drucken1. Begriff
I. ist eine Preissteigerung, die einen Kaufkraftverlust des Geldes zur Folge hat. Man unterscheidet dabei insb. aus historischer Perspektive zwischen einer schleichenden bzw. langanhaltenden I. (säkulare I.) und einer galoppierenden I. (Hyper-I. oder Währungskrise). Neben säkularen Preissteigerungen wie der sog.n Preisrevolution des 16. Jh., die mit dem Zufluss von Gold und Silber aus der Neuen Welt in Verbindung gebracht wird, haben die Historiker immer wieder die kurzfristigen Hyper-I.en interessiert, die meist aus kriegsbedingten Verschlechterungen des Münzwesens oder zerrütteten Staatsfinanzen resultierten.
2. Münzverschlechterungen
Die heftigsten Abwertungen erlebte Frankreich während des Hundertjährigen Krieges (1337–1453). Bereits in dessen Anfangsphase versuchten die französischen Könige Philipp VI. und Johann II., durch kontinuierliche Münzverschlechterung die Kriegskosten zu bestreiten. Dies stieß auf heftigen Protest der adligen und geistlichen Grundherren, denn die Verringerung des Silbergehaltes der Münzen reduzierte ihre Renteneinkommen. Erst 1422 stellte man die monetäre Stabilität wieder her und finanzierte die Rückeroberung Nordfrankreichs durch das Aufkommen aus der taille (Herdsteuer).
Auch in der Frühen Neuzeit löste der akute Finanzbedarf der frühmodernen Staaten (Kriegsführung) immer wieder I.en aus. Die Fürsten versuchten, einen Teil der Mittel für den Krieg durch Münzverschlechterung aufzubringen. Dabei setzte man dem Silbergeld immer mehr Kupfer zu. In Deutschland war die Münzverschlechterung (Kipper- und Wipperzeit) eng mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges verbunden. Indes dauerte sie nur an, bis das schlechte Geld über die Steuern zurück in die staatlichen Kassen floss. Als dies 1623 zunehmend der Fall war, werteten die meisten Staaten das Kippergeld drastisch ab und kehrten zu stabilen Währungsverhältnissen zurück. Der Lerneffekt war gering: Österreich verzichtete im 18. Jh. (Erbfolgekrieg, Siebenjähriger Krieg) darauf, die Kriegskosten durch Münzprägung zu bestreiten, baute vielmehr auf Anleihen und Banknotenemission; Friedrich II. aber hatte keine Scheu, Münzprägung zur Aufbesserung der Staatsfinanzen zu nutzen. Er verpachtete die Münzstätten im eroberten Sachsen an den Großunternehmer Veitel Ephraim, der dort unterwertige sächsische und polnische Münzen prägte. Bes. dramatisch war die Situation der französischen Staatsfinanzen aufgrund der permanenten Kriege Ludwigs XIV. Bei seinem Tod (1715) war Frankreich mit 3 Mio. Livres tournois verschuldet und konnte die fälligen Zinsen nicht zahlen. In dieser Situation fand der Vorschlag des schottischen Geldspezialisten John Law Gehör. Dieser gründete eine Notenbank, die die Notenemission ausweitete und damit eine Papiergeld-I. auslöste.
3. Hyperinflation
Bis zum Ersten Weltkrieg erwies sich der internationale Goldstandard als wirksames Instrument der Währungsstabilität. Der Zusammenbruch des Goldstandards und die Verschuldung der kriegführenden Staaten waren die Ursachen für die einsetzenden I.en. Das Deutsche Kaiserreich nahm in neun Kriegsanleihen (1914–18) insgesamt 96,9 Mrd. Mark auf; zudem gab das Reich Schatzanweisungen für 51,2 Mrd. Mark aus, die, soweit im Besitz der Reichsbank, als Deckungsreserve der Notenemission dienten und den Notenumlauf aufblähten. Jedoch war dies erst der Anfang einer Papiergeldexpansion, die mit der Hyper-I. 1922/23 ihren Gipfel erreichte. Spätestens im Herbst 1922 war klar, dass die Mark nicht länger die grundlegenden Geldfunktionen des Wertaufbewahrungsmittels, der Recheneinheit und des Tauschmittels erfüllen konnte. Die Reichsbank emittierte Banknoten zu 10 000 und 50 000 Mark, im Februar 1923 wurden erstmals Notenwerte von 1 Mio. Mark in Verkehr gebracht, im September überschritt man die Mrd.-, Anfang November sogar die Billionenschwelle. Das Kilogramm Brot kostete Ende Oktober 680 Mio. Mark. Eine Sanierung der Währung war unausweichlich. Als Übergangswährung führte man die Rentenmark ein. Dazu wurde am 15.10.1923 die Deutsche Rentenbank gegründet, deren Grundkapital von 3,2 Mrd. Rentenmark Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Handel und Gewerbe aufbrachten. Dafür gab die Bank Rentenbankscheine mit Nennwerten bis zu 1 000 Rentenmark aus, in die die entwertete Papiermark im Verhältnis von 1 Billion Mark zu 1 Rentenmark eingetauscht werden konnte. Da der Umlauf von 3,2 Mrd. Rentenmark begrenzt war, blieb die Rentenmark erstaunlich stabil. Der Zweite Weltkrieg führte erneut zur I., die allein durch die Währungsreform von 1948 beendet werden konnte.
Literatur
M. North: Kleine Geschichte des Geldes. Vom Mittelalter bis heute, 2009 • R. Metz: Inflation, in: ENz, Bd. 5, 2007, 935–938 • M. North: Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, 1995 • C.-L. Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923, 1980.
Empfohlene Zitierweise
M. North: Inflation, II. Historisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Inflation (abgerufen: 24.11.2024)