Geld
I. Wirtschaftswissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Geldbegriff
G. gibt es bereits seit Jahrtausenden, es existierte allerdings in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Sein Ursprung geht zurück auf die Verwendung als Rangzeichen und Schmuck sowie für sakrale Zwecke. Gegenüber einer Naturalwirtschaft hat eine G.-Wirtschaft Effizienzvorteile, die sich v. a. in der Senkung von Informations- und Transaktionskosten manifestieren.
Historisch gesehen gehen die Anfänge auf eine Warengeldwirtschaft zurück, in der der G.-Wert auf dem Stoffwert beruhte. Als Waren-G. fungierten dabei seltene und werthaltige Güter, wie z. B. Kaurimuscheln, Salz, Federn, Tierfelle oder Vieh (aber auch Zigaretten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland). So leitet sich der lateinische Begriff für G. (pecunia) von pecus, das Vieh, ab. Später ging man im Rahmen einer Wägegeldwirtschaft auf Edelmetalle über, v. a. Gold, Kupfer und Silber. Die höchste Entwicklungsstufe erreichte das Waren-G. in Form von Kurantmünzen (vollwertige Münzen). Die ersten Münzgeldwirtschaften gab es bereits ca. 700 v. Chr. Bei Kurantmünzen entspr. der aufgeprägte Nennwert dem Gewicht und dem Feingehalt der Münze. Darauf aufbauende Systeme hatten häufig mit „Gresham’s Law“ zu kämpfen. Dieses besagt, dass in vielen Fällen nur noch Münzen mit geringem Metallgehalt im Umlauf waren, da „schlechtes“ G. das „gute“ verdrängte. Mit dem Aufkommen von Scheidemünzen (unterwertige Münzen) und Banknoten erfolgte Schritt für Schritt der Übergang zum stoffwertlosen G. Der G.-Wert ist hierbei völlig unabhängig vom Substanzwert. Er leitet sich vielmehr aus der Knappheit des G.es und – daraus resultierend – dem Vertrauen in seine Wertbeständigkeit sowie allgemeine Akzeptanz ab. Heutzutage haben wir einen reinen Papiergeldstandard ohne Deckung (Fiduziärsystem bzw. Fiat-Geldsystem). Mit der Verbreitung der bargeldlosen Gehaltszahlung bildete sich auch das Giral-G. (Buch-G.) heraus, das nur eine Buchungsgröße in Bankbilanzen darstellt. Daneben gibt es als neuere Innovation elektronisches bzw. virtuelles (digitales) G. Darunter fallen G.-Arten, die auf einem Chip gespeichert sind (z. B. die G.-Karte) oder mit Hilfe der Blockchain-Technologie ohne individuellen Herausgeber als reiner Zahlencode im Internet geschaffen werden (z. B. Bitcoins).
Volkswirtschaftlich wird der G.-Begriff von den sogenannten G.-Funktionen her definiert. (1) Die Tausch- und Zahlungsmittelfunktion besagt, dass G. bei Güter- und Dienstleistungskäufen allgemein akzeptiert wird. Ohne diese Eigenschaft ist eine vernetzte und arbeitsteilige Wirtschaft mit Spezialisierung schwerlich vorstellbar. (2) Die Wertaufbewahrungsfunktion bezieht explizit die intertemporale Perspektive mit ein und verweist auf den Vermögenscharakter von G. Da G. allerdings den höchsten Liquiditätsgrad besitzt, gibt es andere Vermögensgegenstände, die zur Werterhaltung besser geeignet sind. D. h., die G.-Haltung ist mit Opportunitätskosten verbunden. (3) Die Funktion der Recheneinheit bezieht sich darauf, dass durch G. ein Wertmaßstab geliefert wird, mit dem einzelne Güter miteinander verglichen werden können. Dadurch verringert sich auch die Anzahl der Preise. Zudem dienen G.-Preise als Grundlage für alle Formen der Wirtschaftsrechnung wie Unternehmensbilanzen, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Gehaltszahlungen, etc. Alle drei Funktionen werden beeinträchtigt, wenn der G.-Wert permanent zu- oder abnimmt und somit keine geordneten Währungsverhältnisse vorliegen.
Der Gesetzgeber verleiht üblicherweise G. die Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel. In Deutschland sind Euro-Banknoten und Euro-Umlaufmünzen gesetzliches Zahlungsmittel. Dies ergibt sich aus Art. 128 Abs. 1 des AEUV, Art. 16 des ESZB-Statuts, Art. 10 und 11 der VO Nr. 974/98 über die Einführung des Euro sowie § 14 Abs. 1 des BBankG. Euro-Banknoten sind unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel, Euro-Münzen dagegen nur beschränkte gesetzliche Zahlungsmittel, da niemand verpflichtet ist, mehr als 50 Münzen oder Münzen im Wert von über 200 Euro anzunehmen. In diesem gesetzlichen Rahmen kann niemand die Annahme von Euro-Banknoten und -Münzen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit ablehnen, ohne rechtliche Nachteile zu erleiden. Der Annahmezwang unterliegt allerdings in Deutschland der Einschränkung durch das Prinzip der Vertragsfreiheit. Dieses ermöglicht es, bei Abschluss eines Vertrages dessen Inhalt frei zu bestimmen. So ist es den Vertragspartnern möglich, eine bestimmte Art der Erfüllung zu vereinbaren oder auch auszuschließen. D. h., vertragliche Regelungen können vorsehen, dass eine Verbindlichkeit unbar zu begleichen ist. Ebenso können solche Regelungen vorsehen, dass eine Forderung nur mit bestimmten Banknotenstückelungen erfüllt werden kann (z. B. an Tankstellen). Das muss allerdings für die Konsumenten vor Vertragsabschluss deutlich erkennbar sein. Auch gesetzliche Regelungen, z. B. des Steuerrechts, können solche Einschränkungen enthalten. In der großen Mehrzahl der Fälle kann jeder frei das Zahlungsmittel wählen, das ihm am günstigsten erscheint. Letztendlich aber wird die Verwendung und Annahme des G.es von der Wertbeständigkeit abhängen, nicht von gesetzlichen Festlegungen.
2. Geldmengendefinitionen
Generell ist zu unterscheiden zwischen Zentralbank-G. und Geschäftsbanken-G. Zentralbank-G. besteht aus Banknoten und Sichteinlagen bei der Zentralbank. Letztere werden hauptsächlich von Banken aus Zahlungsverkehrsgründen und zur Erfüllung der Mindestreserve gehalten. Geschäftsbanken-G. (Buch-, Giral-G.) sind die Einlagen von Unternehmen und Privatpersonen beim Geschäftsbankensystem. Beide G.-Formen werden durch eine entsprechende Verlängerung der Zentral- bzw. Geschäftsbankenbilanz geschaffen. Vergibt die Zentralbank bspw. einen Kredit an eine Geschäftsbank, erhöht sich ihr Forderungsbestand und gleichzeitig wird auf dem Zentralbankkonto der Geschäftsbank der jeweilige Betrag gutgeschrieben. G. wird somit durch Monetisierung von Aktiva der Zentralbank bzw. des Geschäftsbankensystems geschaffen. Über die Kreditvergabe der Banken entstehen neue Einlagen im Geschäftsbankensystem. Deshalb macht die G-Menge ein Vielfaches des Zentralbank-G.es aus. Man spricht von einer multiplen Giralgeldschöpfung. Die Banken müssen allerdings berücksichtigen, dass im Zuge dieses Prozesses Abzüge von Zentralbank-G. in Form von Bargeldabhebungen und zunehmender Mindestreserveverpflichtungen erwachsen. Analog entspr. G.-Vernichtung einer entsprechenden Bilanzverkürzung.
Der G.-Angebotsprozess ganz allgemein ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Zentralbank, der Geschäftsbanken und der privaten Nichtbanken (v. a. private Haushalte und Unternehmen), die alle mit ihren eigenen Zielen und Vorstellungen auftreten. Die Zentralbank verfolgt die ihr per Statut vom Gesetzgeber übertragenen Ziele. Die Geschäftsbanken streben nach Rendite unter Beachtung von Risikoaspekten. Zudem haben sie Liquiditäts- und Solvenzgesichtspunkte zu berücksichtigen. Die privaten Nichtbanken versuchen, ihr Portfolio unter Ertrags- und Risikoerwägungen zu optimieren, wobei allerdings Zahlungsverkehrsgewohnheiten diese Entscheidung überlagern. Die Ziele dieser drei Gruppen sind in der Regel nicht aufeinander abgestimmt.
Die G.-Menge lässt sich weder theoretisch eindeutig (nach den G.-Funktionen) definieren noch ist sie ein endgültig feststehender Begriff. Sie lässt sich letztendlich nur empirisch bestimmen und kann sich auch im Zeitablauf je nach Finanzmarktentwicklung (Finanzmärkte) in der Zusammensetzung verändern. Im Eurosystem (die EZB und die nationalen Zentralbanken der Länder, die den Euro eingeführt haben) gibt es die drei G.-Mengenbegriffe M1, M2 und M3. Statistische Grundlage stellt die Konsolidierte Bilanz der Monetären Finanzinstitute im Euro-Währungsgebiet dar. Es handelt sich jeweils um kurzfristige Anlageformen, die bilanztechnisch auf der Passivseite zu finden sind. Kurzfristig bedeutet, dass sie relativ schnell für Güter- und Dienstleistungskäufe zur Verfügung stehen. Diese potenzielle Kaufkraft soll mit der G.-Menge abgedeckt werden.
Beim Bar-G. zählt (aus statistischen Gründen) dessen gesamter Umlauf außerhalb des Euro-Bankensystems zur G.-Menge. Die restlichen Teile umfassen kurzfristige Verbindlichkeiten von im Euro-Währungsgebiet ansässigen („inländischen“) Monetären Finanzinstituten, dem sogenannten G.-Schöpfungssektor, gegenüber Nichtbanken im Euro-Währungsgebiet, dem sogenannten geldhaltenden Sektor. Die Währung, auf die sie lauten, spielt dafür keine Rolle, d. h. es sind auch Fremdwährungseinlagen in den G.-Mengenaggregaten enthalten.
Die Geldmengenbegriffe im Eurosystem
(Stand Ende Dezember 2016, Mrd. €)
Bargeldumlauf (1.087,3),
+ täglich fällige Einlagen (6.150,9),
= M1 (7.238,2)
+ Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit bis 2 Jahren (1.326,4),
+ Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten (2.167,6),
= M2 (10.732,2)
+ Repogeschäfte (63,0),
+ Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu 2 Jahren (inkl. Geldmarktpapiere) (93,1),
+ Anteile an Geldmarktfonds (504,0)
= M3 (11.392,3)
Quelle: Europäische Zentralbank.
Täglich fällige Einlagen sind vergleichbar mit Sichteinlagen, Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit mit Termineinlagen und Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist mit Spareinlagen. Der engste offizielle G.-Mengenbegriff ist M1. Dessen Komponenten sind am direktesten in Transaktionen einsetzbar. Im Unterschied zu M2 sind in M3 auch sogenannte „marktfähige Finanzinstrumente“ enthalten. Diese umfassen Repogeschäfte (eine i. d. R. durch Wertpapiere besicherte kurzfristige Termineinlage), Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren, Anteile an G.-Marktfonds und G.-Marktpapiere. Die aufgenommenen Komponenten fassen die wichtigsten kurzfristigen Finanzinstrumente in den Euro-Ländern zusammen. Die unterschiedlichen M’s werden zumindest in allen IWF-Ländern erhoben, sind allerdings je nach nationaler Finanzmarktstruktur unterschiedlich abgegrenzt.
3. Geldwert
Der reale Wert einer G.-Einheit wird bestimmt durch die Gütermenge, die man dafür bekommt. Die Kaufkraft des G.es variiert somit mit den Güterpreisen. Durch Inflation, also einen anhaltenden Anstieg des Preisniveaus, sinkt die Kaufkraft. Auf der anderen Seite würde eine Deflation, also ein anhaltender Rückgang des Preisniveaus, die Kaufkraft erhöhen. Folglich herrscht Preisstabilität bei Konstanz des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus und der Kaufkraft des G.es. Im Fokus stehen hierbei nicht die Einzelpreise, sondern der Durchschnitt aller Güterpreise, also das gesamtwirtschaftliche Preisniveau. In der Praxis zieht man zur Messung des G.-Werts i. d. R. einen Verbraucherpreisindex heran. Er misst an einem repräsentativen Warenkorb, der die Verbrauchsgewohnheiten eines typischen Haushalts abbildet, die Kaufkraftentwicklung für die Konsumenten. Im Euro-Währungsgebiet findet hierfür der Harmonisierte Verbraucherpreisindex Verwendung.
Ganz allgemein kommt es zu Veränderungen des G.-Wertes, wenn die monetäre Gesamtnachfrage von der (potenziellen) Güterproduktion abweicht. Diese Veränderungen können sowohl angebots- als auch nachfrageseitig bedingt sein. Letztlich geht es darum, eine dauerhafte und gesamtwirtschaftliche Preisniveauänderung zu begründen. Bei Inflation, also einem dauerhaft sinkenden G.-Wert, würde die monetäre Nachfrage die Güterproduktion übersteigen. Bei Deflation gilt dementsprechend die umgekehrte Relation. Dies kommt kompakt in der sogenannten Quantitätsgleichung des G.es zum Ausdruck, nach der das Produkt aus G.-Menge (M) und Umlaufsgeschwindigkeit (v), die monetäre Gesamtnachfrage, gleich dem Produkt aus Preisniveau (P) und Güterproduktion (Y) ist: Mv <$>\equiv<$> PY. Der G.-Bestand M muss dabei um die Umlaufgeschwindigkeit des G.es v korrigiert werden, da volkswirtschaftlich ein Euro in einer bestimmten Zeitperiode mehrfach für Güterkäufe eingesetzt werden kann. Löst man diese Identität nach P auf, resultiert: P <$>\equiv<$> (M/Y)v. Historisch konnte man für alle Währungsgebiete und zu allen Zeiten feststellen, dass Inflation mit einem Anstieg von M/Y, d. h. einem im Verhältnis zur realen Güterproduktion zu hohen G.-Bestand, einherging. Milton Friedman fasste diese Beobachtung in dem Satz zusammen: „Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon“ (Friedman 1968: 39). Die Umlaufgeschwindigkeit des G.es verändert sich im Zeitablauf sowohl kurzfristig aufgrund konjunktureller Effekte, als auch trendmäßig. Gründe für einen häufig feststellbaren rückläufigen Trend liegen in den vielfältigen Motiven der G.-Haltung neben dem Transaktionsmotiv, z. B. dem Wertaufbewahrungs-, Haftungs- oder Vorsichtsmotiv.
4. Geldpolitik
Die Geldpolitik wird von Zentralbanken durchgeführt. Im Euro-Währungsgebiet erfüllt die EZB diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken. Insgesamt spricht man vom sogenannten Eurosystem. Es kam in seinen Befugnissen mehr oder weniger unabhängig von politischen Entscheidungsträgern agieren.
4.1 Geldpolitische Ebenen
Bei der Analyse geldpolitischer Fragen ist strikt zwischen den unterschiedlichen geldpolitischen Ebenen zu trennen. Auf der Instrumentenebene entscheidet eine Zentralbank über den Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente. Heutzutage handelt es sich dabei üblicherweise um drei Arten: Mindestreserven auf bestimmte Bankpassiva bzw. eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Zentralbankguthaben; Offenmarktgeschäfte, die auf Initiative der Zentralbank durchgeführt werden; ständige Fazilitäten, die den Banken jederzeit zur Verfügung stehen, um Mittel anzulegen und aufzunehmen.
Auf der Instrumentenebene legt die Zentralbank die Notenbankzinssätze nach ihren Vorstellungen fest, um damit zunächst operative Ziele zu erreichen. Als operatives Ziel verwenden die Zentralbanken inzwischen fast überall eine Preis- und nicht eine Mengengröße, wie z. B. die G.-Basis. Dabei wird in der Regel versucht, den Zinssatz für Tages-G. am Interbanken-Geldmarkt auf einem bestimmten (expliziten oder impliziten) Zielniveau zu steuern. Im Eurosystem übernimmt diese Funktion i. d. R. der Hauptrefinanzierungssatz, in den USA das Federal Funds Rate Target. Damit eine Zentralbank den Tagesgeldsatz kontrollieren kann, muss eine ausreichende Nachfrage nach Guthaben bei der Zentralbank vorhanden sein. Dies wird durch eine mindestreservebedingte Nachfrage nach Reserven oder Anreize zur freiwilligen Reservehaltung gewährleistet. Die Zinssätze der ständigen Fazilitäten bestimmen einen Korridor bzw. Kanal, innerhalb dessen sich der Tagesgeldsatz bewegen kann.
Auf der Indikatorebene geht es um Variablen, die frühzeitig Informationen darüber liefern, wie die operativen Ziele anzupassen sind, um die Endziele zu erreichen. Sie sollten einen möglichst stabilen oder zumindest prognostizierbaren Zusammenhang zum Endziel aufweisen. Auf der Endzielebene geht es um die letztlich von der Zentralbank anzustrebenden Ziele. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten sowohl in der Theorie als auch in der Praxis als Konsens herausgebildet, dass sich Zentralbanken primär auf die Bekämpfung von Inflation bzw. die Gewährleistung von Preisstabilität konzentrieren sollten. Als Zeithorizont sollte dabei eine mittelfristige Perspektive zugrunde gelegt werden. Alle anderen Ebenen sind letztlich dieser Ebene unterzuordnen.
Der Transmissionsprozess der G.-Politik befasst sich damit, über welche Kanäle geldpolitische Maßnahmen auf die Endziele einwirken. Wie diese Übertragungswege zwischen monetären Impulsen und bestimmten realen oder nominalen Größen letztlich genau aussehen und welche zeitlichen Verzögerungen bestehen, ist weder theoretisch noch empirisch eindeutig. Die Identifikation und Einschätzung des Transmissionsprozesses wird auch dadurch erschwert, dass es sich nicht nur um eine einseitige Wirkungsrichtung von einer geldpolitischen Maßnahme auf das (wichtigste) Endziel Preisstabilität handelt, sondern auch Rückwirkungen von der (erwarteten) Entwicklung der Zielgröße auf die (Dosierung der) Instrumentvariablen bestehen.
4.2 Geldpolitische Instrumente
Das geldpolitische Instrumentarium muss die Zentralbank in die Lage versetzen, in einem ersten Schritt ihr operatives Ziel zu steuern (im Euro-Währungsgebiet den Tagesgeldsatz) und klare geldpolitische Signale zu setzen. Geschäftsbanken fragen Zentralbank-G. in Form von Banknoten und Guthaben (Einlagen) bei der Zentralbank nach. Letztere stellen den geldpolitischen Ansatzpunkt im Rahmen der operativen Umsetzung der G.-Politik dar. Zentralbank-G. kann nur geschaffen werden, wenn die Kreditinstitute Geschäfte mit der Zentralbank tätigen. Die drei generellen Formen geldpolitischer Instrumente lassen sich am Beispiel des Eurosystems erläutern. Als Geschäftspartner für die geldpolitischen Operationen des Eurosystems kommen dabei nur Banken in Betracht, die der Mindestreservepflicht unterliegen.
Die Mindestreserve verpflichtet die Kreditinstitute, für bestimmte Verbindlichkeiten in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes Guthaben beim Eurosystem zu halten. Im Durchschnitt einer Mindestreserveerfüllungsperiode müssen diese Einlagen auf Girokonten beim Eurosystem (mindestens) dem erforderlichen Mindestreserve-Soll entsprechen (Durchschnitts-Mindestreserve). Um das Instrument der Mindestreserve international wettbewerbsneutral zu gestalten, werden Guthaben bei den nationalen Zentralbanken bis zur Höhe des Mindestreserve-Solls mit dem Zinssatz des wichtigsten geldpolitischen Geschäfts (Hauptrefinanzierungsgeschäft) verzinst. Dadurch fallen keine mindestreservebedingten Zentralbankgewinne mehr an. Das Mindestreservesystem erfüllt im Wesentlichen zwei Funktionen: Es dient zum einen zur Herbeiführung oder Vergrößerung einer strukturellen Liquiditätsknappheit beim Geschäftsbankensystem (sogenannte Anbindungsfunktion). Zum anderen führt es über die Ausgestaltung als Durchschnittsreserve zu einer Stabilisierung der G.-Marktsätze (sogenannte Stabilisierungsfunktion) bzw. als Liquiditätspuffer für die Geschäftsbanken. Um diese Funktionen zu erfüllen, reicht ein konstanter (und niedriger) Mindestreservesatz weitgehend aus.
Der regelmäßige Einsatz von Offenmarktgeschäften und ständigen Fazilitäten dient dem Eurosystem dazu, über die Zentralbankzinssätze und die Bankenliquidität den Tagesgeldsatz zu steuern und Signale über den beabsichtigten geldpolitischen Kurs zu setzen.
Bei den Offenmarktgeschäften handelt es sich um geldpolitische Operationen, die auf Initiative der Zentralbank durchgeführt werden. Sie können entweder als definitive Käufe bzw. Verkäufe abgeschlossen werden oder als Wertpapiergeschäfte mit Rückkaufsvereinbarung, die nur für einen kurzfristigen Liquiditätseffekt sorgen. Bei Letzteren kauft/verkauft die Zentralbank temporär Vermögenswerte (und schließt gleichzeitig ein entgegengesetztes Termingeschäft ab) oder gewährt befristet Kredite gegen Verpfändung von Sicherheiten bzw. nimmt befristet Einlagen entgegen. Offenmarktgeschäfte des Eurosystems werden normalerweise in Form von Tendern, also im Zuge einer Ausschreibung, durchgeführt. Beim Mengentender setzt das Eurosystem vorab den Zinssatz fest, zu dem es bereit ist, Geschäfte abzuschließen. Dagegen zeichnet sich der Zinstender dadurch aus, dass die Kreditinstitute neben der Betragshöhe auch den Zinssatz angeben müssen, zu dem sie bereit sind, Geschäfte mit dem Eurosystem abzuschließen.
Ständige Fazilitäten können die Geschäftsbanken auf eigene Initiative in Anspruch nehmen. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, jederzeit Kredite bei der Zentralbank aufzunehmen oder Mittel bei ihr anzulegen. Sie werden v. a. aus zwei Gründen genutzt: Der erste ist ein generelles Liquiditätsungleichgewicht, also eine generelle Liquiditätsüber- oder -unterversorgung des gesamten Bankensektors im Verhältnis zum gesamten Mindestreserve-Soll. Dies kommt normalerweise nur gegen Ende einer Mindestreserve-Erfüllungsperiode vor. Die Banken müssen dann in großer Zahl auf die ständigen Fazilitäten zurückgreifen. Ein zweiter Grund für die Inanspruchnahme der ständigen Fazilitäten liegt in unerwarteten Zahlungsströmen (Zahlungseingängen oder -abflüssen) bei einzelnen Instituten gegen Geschäftsschluss, wenn der G.-Markt nicht mehr liquide ist. Im Rahmen der ständigen Fazilitäten gibt es eine Kredit- und eine Einlagefazilität. Die dabei veranschlagten Zinssätze runden das Zinsspektrum der Zentralbank nach oben und unten ab.
Die Spitzenrefinanzierungsfazilität bietet den Geschäftspartnern des Eurosystems die Möglichkeit, sich bis zum nachfolgenden Geschäftstag Liquidität zu einem vorher festgelegten Zinssatz zu beschaffen. Sie soll zur Deckung eines vorübergehenden Liquiditätsbedarfs dienen. Für die Inanspruchnahme gibt es keine Höchstgrenze. Allerdings müssen Sicherheiten gestellt werden. Der Zinssatz liegt über den sonstigen Kreditzinssätzen der Zentralbank. Auf der anderen Seite besteht für die Geschäftsbanken auch die Möglichkeit, Guthaben bis zum nächsten Geschäftstag beim Eurosystem zu einem vorher festgesetzten Zinssatz anzulegen (Einlagefazilität). Der Einlagesatz liegt dabei unter den sonstigen Zinssätzen, die für Anlagen von Liquidität bei der Zentralbank angeboten werden. Dadurch bilden die Zinssätze der beiden ständigen Fazilitäten einen Korridor, innerhalb dessen sich der Tagesgeldsatz bewegt.
4.3 Geldpolitische Strategie
Die primäre Aufgabe einer Zentralbank ist üblicherweise die Gewährleistung von Preisstabilität. Allerdings kann eine Notenbank die Preise nicht direkt kontrollieren, sondern sie versucht, Preisstabilität über eine angemessene geldpolitische Strategie zu erreichen. Die geldpolitische Strategie bildet das Grundgerüst für die laufende G.-Politik. Sie beschreibt die konzeptionelle Vorgehensweise der Zentralbank bei Verfolgung ihrer letztendlichen Ziele. Insofern stellt sie ein mittel- bis langfristig ausgerichtetes und konsistentes Verfahren dar, nach dem im Sinne einer Grundsatzentscheidung über den Instrumenteneinsatz zur Erreichung der geldpolitischen Endziele entschieden wird. Darüber hinaus soll sie den geldpolitischen Entscheidungsprozess innerhalb der Zentralbank als auch die Darstellung und Begründung der Entscheidungen nach außen erleichtern. Die Verfolgung einer geldpolitischen Strategie empfiehlt sich aufgrund der unvollständigen Kenntnis des genauen Transmissionsprozesses der G.-Politik. Die von Veränderungen der Notenbanksätze ausgehenden Effekte auf die Zielvariablen sind sowohl in ihrer Stärke als auch in ihrer Verteilung über die Zeit variabel. Über ein in sich geschlossenes und glaubhaftes Konzept soll vor diesem Hintergrund eine Verstetigung der G.-Politik erreicht werden.
Die optimale Strategiewahl hängt von den Gegebenheiten in dem jeweiligen Währungsgebiet, speziell der Größe, der außenwirtschaftlichen Verflechtung und den Finanzmarktstrukturen ab. Einerseits werden dabei Strategien diskutiert, die sich auf offiziell hervorgehobene geldpolitische Indikatoren oder sogar Zwischenziele stützen (z. B. G.-Mengen- oder Wechselkursziele). Sie befinden sich im geldpolitischen Transmissionsprozess zwischen den direkt kontrollierbaren operativen Zielen (z. B. dem Tagesgeldzins) und den gesamtwirtschaftlichen Endzielen, z. B. der Preisstabilität. Andererseits verfolgen etliche Zentralbanken eine Politik mit direkten Inflationszielen. Mit dieser sogenannten einstufigen Strategie wird versucht, das Endziel ohne Verfolgung spezieller Indikatorvariablen zu erreichen. Das Eurosystem steht in diesem Zusammenhang vor dem Problem, dass es bei der Wahl der Strategie nicht nur gewisse Leitlinien beachten, sondern auch das zunächst neue und im weiteren Verlauf unsicherere geldpolitische Umfeld in seine Überlegungen mit einbeziehen muss. Diese Leitlinien sind: (1) Ausrichtung auf das Endziel Preisstabilität; (2) Publikation der mit der Strategie verbundenen Daten, Verfahren und Ziele; (3) mittel- bis langfristige Ausrichtung: kurzfristige Zielabweichungen müssen vereinbar mit der Strategie sein; (4) falls die Zentralbank Unabhängigkeit besitzt, muss die Strategie damit vereinbar sein; (5) schnelle und präzise Datenverfügbarkeit.
Die Strategie des Eurosystems umfasst drei Hauptelemente
a) Eine quantitative Definition von Preisstabilität („der Anker“)
Nach dem EU-Vertrag ist dem Eurosystem als primäres Ziel die Gewährleistung von Preisstabilität vorgegeben. Um dieses Ziel inhaltlich zu konkretisieren, definiert das Eurosystem Preisstabilität als einen Anstieg des HVPI in der EWWU gegenüber dem Vorjahr von unter 2 %. Im Jahre 2003 konkretisierte die EZB diese Feststellung und verfolgt seither einen Wert von unter, aber nahe 2 %. Alleine Messfehler bei der Preisentwicklung legen es nahe, nicht eine Inflationsrate von Null anzustreben. Je geringer der Preisanstieg ist, desto mehr fallen diese statistischen Messprobleme ins Gewicht. Zusätzlich trägt die Sicherheitsmarge von knapp unter 2 % dem Deflationsrisiko und den Auswirkungen von Inflationsunterschieden innerhalb der Währungsunion Rechnung. Preisstabilität soll dabei mittelfristig erreicht bzw. eingehalten werden. Temporäre Verfehlungen (z. B. aufgrund von Ölpreis- oder Wechselkursschocks) sind also durchaus vereinbar mit dem Ziel.
Die konkrete Formulierung des Ziels durch das Eurosystem hat drei weitere wichtige Implikationen: Erstens ist die Preisentwicklung im gesamten Euro-Raum relevant, nicht in einzelnen Ländern. Zweitens wird die Teuerung auf Verbraucherebene gemessen, nicht an anderen Preisgrößen. Drittens sind sowohl Preissteigerungen über und deutlich unter 2 % als auch Deflation (negative Wachstumsraten des HVPI) unvereinbar mit Preisstabilität.
b) Die Monetäre Analyse („Monetäre oder langfristige Säule“)
Eine geldpolitische Strategie ist mittel- bis langfristig ausgerichtet. Da auf Dauer Inflation auf eine relativ zum Produktionspotenzial übermäßige Ausweitung der G.-Menge zurückgeführt werden kann, hat auch das Eurosystem G.-Mengenentwicklungen eine hervorgehobene Stellung unter den Inflationsindikatoren eingeräumt. Dies findet in der Monetären Säule ihren Niederschlag, im Rahmen derer versucht wird, aus den monetären Daten den langfristigen Inflationstrend herauszufiltern. Zunächst basiert die Monetäre Analyse auf einer Beurteilung der Liquiditätslage entspr. der G.-Mengenaggregate, ihrer Komponenten und Bilanzgegenposten, insb. der Kreditgewährung. Zusätzlich werden verschiedene Messgrößen für die existierende Überschussliquidität analysiert. Dabei geht es um einen Vergleich der tatsächlichen mit einer stabilitätsgerechten Entwicklung. Dies wird ergänzt um eine institutionelle Analyse der Finanzintermediäre. All diese Ansätze dienen letztlich dem Ziel, sich ein Urteil über die in der Entwicklung von G. und Kredit enthaltenen Risiken für die Preis- und Finanzstabilität zu bilden.
c) Eine umfassende Beurteilung der Preisperspektiven („Wirtschaftliche oder kurzfristige Säule“)
Aufgrund der Schwierigkeiten einer verlässlichen Einschätzung und Interpretation von G.-Mengenentwicklungen baut die Strategie des Eurosystems noch auf einer weiteren Säule auf. Diese beinhaltet eine breit fundierte Beurteilung der Preisperspektiven anhand mehrerer weiterer Inflationsindikatoren. Zwar ist Inflation auf Dauer ein monetäres Phänomen, auf kurze Sicht wird dieser Zusammenhang allerdings von einer Vielzahl von Faktoren überlagert. Da sich diese Einflüsse verfestigen können, ist diese kurze Frist durchaus geldpolitisch relevant.
Um sich ein Gesamtbild von der Preisentwicklung zu verschaffen, werden innerhalb dieser Säule die Preise auf verschiedenen Stufen des Preisbildungsprozesses näher untersucht (Erzeuger-, Vorleistungsgüter-, Investitionsgüter- und verschiedene Konsumgüterpreise). Daneben werden kurzfristige Konjunkturindikatoren (z. B. der Output Gap als ein Maß für die Kapazitätsauslastung sowie generell angebots- und nachfrageseitige Einflüsse), Finanzmarktindikatoren (z. B. Zinsstrukturkurven, Aktienkursindices) sowie Branchen- und Verbraucherumfragen (z. B. den „Survey of Professional Forecasters“ der EZB) analysiert. Im Rahmen der Wirtschaftlichen Säule veröffentlicht die EZB auch eigene Prognosen für die Veränderung des HVPI und das BIP-Wachstum und weiterer Größen, sogenannte makroökonomische Projektionen.
Literatur
M. Krüger/F. Seitz: Kosten und Nutzen des Bargelds und unbarer Zahlungsinstrumente: Der Nutzen von Bargeld (Modul 2), 2017 • D. Gerdesmeier: Fundamentals of Monetary Policy in the Euro Area, 2014 • E. Görgens/K. Ruckriegel/F. Seitz: Europäische Geldpolitik, 62014 • P. de Grauwe: Economics of Monetary Union, 102014 • P. Spahn: Geldpolitik – Finanzmärkte, neue Makroökonomie und zinspolitische Strategien, 32012 • O. Issing: Einführung in die Geldtheorie, 152010 • R. Anderegg: Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik, 2007 • U. Vollmer: Geld- und Währungspolitik, 2005 • M. Friedman: Dollars and Deficits: Inflation, Monetary Policy and the Balance of Payments, 1968.
Empfohlene Zitierweise
F. Seitz: Geld, I. Wirtschaftswissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Geld (abgerufen: 21.11.2024)
II. Sozialethisch
Abschnitt drucken1. Kultur- und sozialwissenschaftliche Zugänge
G. ist nicht allein in der Nationalökonomie eine zentrale Problemstellung, auch Philosophie, Rechtswissenschaften, Ethnologie sowie Kultur- und Sozialwissenschaften nehmen sich dieses umfassenden Themas an. Sie bieten ihrerseits unterschiedliche Sichtweisen und vermitteln spezifische Aspekte und Zugänge. Neben der Nationalökonomie setzen sich intensiv die Sozialwissenschaften und darin insb. die Soziologie mit den Grundfragen des G.es auseinander. Im Unterschied zu den ökonomischen Theorieansätzen liegt hier das Augenmerk auf dem sozialen Charakter des G.es. Als „unmittelbare Existenzform dieser entäußerten Arbeit“ (MEW 13: 42) spiegelt G. die Vergesellschaftungsformen, in denen Menschen ihre Tausch- und Sozialverhältnisse vermitteln. G. erweist sich als ein Band, das Individuen an die Gesellschaft bindet, in gleicher Weise aber auch wieder trennt. Karl Marx nennt es daher „die wahre Scheidemünze, wie das wahre Bindungsmittel, die galvanochemische Kraft der Gesellschaft“ (Marx 2004: 132 f.; Herv. i. O.).
In Aufnahme von Überlegungen Talcott Parsons’ wird in den kommunikationstheoretischen Zugängen das G. neben der politischen Macht als zweites wichtiges gesellschaftliches Steuerungsmedium reflektiert, das nicht nur das ökonomische Funktionssystem reguliert, sondern dieses zugleich überschreitet und tief in die Sphären anderer Funktionssysteme, v. a. auch in die als autonom konzipierte Lebenswelt, eingreift. G. ermöglicht „eine generalisierte strategische Einflussnahme auf die Entscheidungen anderer Interaktionsteilnehmer unter Umgehung sprachlicher Konsensbildungsprozesse“ (Habermas, Bd. 2, 1995: 273; Herv. i. O.). Dadurch erscheint der lebensweltliche Kontext, in den Verständigungsprozesse stets eingebettet waren, nicht mehr länger als unabdingbar für die reflexive Gestaltung gesellschaftlichen Lebens. Mehr noch: G. und Macht „ersetzen Sprache als Mechanismus der Handlungskoordinierung“ (Habermas 1995, Bd. 1: 458).
Systemtheoretische Ansätze (Systemtheorie) betonen die Funktion des G.es als Steuerungselement, das die Gleichzeitigkeit der Zugriffsbedürfnisse von Marktteilnehmern regelt. Wenn jemand etwas haben möchte und damit auf eine begrenzte Ressource zugreift, halten alle anderen still, weil für den Erwerb eine Zahlung erfolgt: „Geld wendet für den Bereich, den es ordnen kann, Gewalt ab – und insofern dient eine funktionierende Wirtschaft immer auch der Entlastung von Politik. Geld ist der Triumph der Knappheit über die Gewalt“ (Luhmann 1996: 253).
In den Geistes- und Kulturwissenschaften hat sich in jüngster Zeit ein interdisziplinär orientierter Zweig etabliert, der die Auswirkungen monetärer Transformationsprozesse untersucht, wie sie spätmittelalterlich bzw. seit der frühen Neuzeit etwa durch die Gründung großer Handelsbanken (1472: Monte dei Paschi di Siena) und staatlicher Banken (1694: Bank of England) eingeleitet wurden. Die sozial- und kulturgeschichtlichen Zugänge können zeigen, wie tiefgreifend die teils radikalen Veränderungen im G.-Wesen das Handeln, Denken und Wahrnehmen der Menschen als auch die Entwicklung der gesellschaftlichen Institutionen beeinflussen.
In den Rechtswissenschaften liegt ein Fokus auf der Frage nach dem Verhältnis der weitgehend autonom agierenden Zentralbanken zu den (gewählten) politischen Entscheidungsträgern. Darüber hinaus hat sich auf dem Erfahrungshintergrund der jüngsten Staatsschuldenkrisen gezeigt, dass der Macht der Finanzinvestoren vielfach keine adäquaten Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Institutionen gegenüberstehen. Es bedarf einer politischen und rechtlichen Neubestimmung des Verhältnisses von Zentralbanken, internationalen Finanzinstituten und demokratischer Gesellschaft, um eine weitere Aushöhlung staatlicher Durchsetzungsmacht und Legitimität zu verhindern und das Vertrauen der Menschen in die Lösungskompetenz des demokratischen Rechtsstaats aufrechtzuerhalten bzw. wiederzugewinnen.
Eine bis heute einflussreiche und viel diskutierte Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Problemen des G.es stammt von Georg Simmel, der sich in seiner voluminösen Studie „Philosophie des Geldes“ (1996, Erstausgabe 1900) dem nahezu geschichtsphilosophischen Anspruch stellte, „dem historischen Materialismus ein Stockwerk unterzubauen, derart, daß der Einbeziehung des wirtschaftlichen Lebens in die Ursachen der geistigen Kultur ihr Erklärungswert gewahrt wird, aber eben jene wirtschaftlichen Formen selbst als das Ergebnis tieferer Wertungen und Strömungen, psychologischer, ja, metaphysischer Voraussetzungen erkannt werden“ (Simmel 1996: 13).
Erkenntnistheoretisch führt dies zu einem elaborierten Konzept der Wechselwirkung, die durch eine permanente Spiegelung und Brechung der Perspektiven idealistische mit realistischen und transzendentalphilosophische mit nationalökonomischen Ansätzen vermittelt. Von der Oberfläche der materialen Austauschbeziehungen wird gleichsam „ein Senkblei in seine letzten Tiefen“ (Simmel 1996: 719) geworfen und nach den genealogischen Tiefenstrukturen der menschlichen Bewusstseinsstruktur zurückgefragt. Mit der gleichen Intensität wird der Fokus auch auf die umgekehrte Perspektive gelegt, inwiefern die großen Ideen, die fundamentale Bedürfnisstruktur (Bedürfnis) und das kognitive Potential menschlicher Existenz die ökonomischen Strukturen und Regelsysteme beeinflussen. Ziel dieser interdisziplinär angelegten Einbettung und Kontextualisierung des G.es ist es, „eine Philosophie des ganzen geschichtlichen und sozialen Lebens“ (Simmel 2008: 343) vorzulegen. G. Simmel verweist auf die unauflösbare Doppelstruktur des G.es. Einerseits ist es durch seine ideell vorgebildete Totalität „die Formel unseres Lebens überhaupt“ (Simmel 1996: 624), zugleich aber auch „der fürchterlichste Formzerstörer“ (Simmel 1996: 360), weil in ihm alle spezifischen Eigenschaften eines Gegenstandes jenseits seines ökonomischen (Tausch)Wertes herausdifferenziert werden und so zu einem Symbol für die Kälte und Abstraktheit moderner Lebenswelten geworden ist.
2. Entstehungstheorien
Die Entstehung des G.es, seine historischen Ursprünge und seine anfänglichen Formen liegen weitgehend im Dunkeln. Im Wesentlichen haben sich zwei Entstehungstheorien herausgebildet: kommerzielle und nichtkommerzielle. Erstere verorten den Ursprung im Kontext des erwerbsmäßigen Handels, der bei wachsender Intensität eines adäquaten Mittels bedürfe, um die auftretenden Reibungs- und Wertverluste möglichst klein zu halten und die Transaktionskosten zu verringern. Einer der prononciertesten Vertreter der kommerziellen Entstehungstheorien, die auch als nichtkonventionalistische, reale oder naturwüchsige Theorien bezeichnet werden, war Carl Menger. Er kritisierte die klassischen Theorien dahingehend, dass sie Aristoteles folgend G. als Ergebnis menschlicher oder gesellschaftlicher Übereinkunft definierten (Konventionstheorie). Diese konzipieren G. in absolutem Gegensatz zur Ware, als etwas, das von den Menschen als ein künstlich geschaffenes Mittel des Tausches eingeführt wurde. Für C. Menger aber wird etwas zum G., „sobald und insoweit es in der geschichtlichen Entwickelung des Güterverkehrs eines Volkes die Funktion eines allgemein gebräuchlichen Tauschvermittlers (bezw. die Konsekutivfunktionen des letzteren) tatsächlich übernimmt“ (Menger 1909: 92).
Nichtkommerzielle Theorien führen den Ursprung des G.es auf den sakralen Bereich oder auf eine staatliche Festsetzung zurück. In Anlehnung an Georg Friedrich Knapp, wonach es keinen von der (Güter-)Kaufkraft abgeleiteten oder metallisch relevanten Wert des G.es gebe, sondern dieser allein durch den Staat mit seiner Rechtsordnung geschaffen und garantiert werde (geldtheoretischer Nominalismus, Chartalismus, staatliche Theorie des G.es), führt Bernhard Laum den Ursprung auf das Tempelopfer zurück. Erst die hohe sakrale Bedeutung des Rindes, v. a. in der homerischen Zeit, mache es zu einem allgemeinen Wertmesser über die religiöse Sphäre hinaus. Geld hat seinen Anfang „im Kultus, nicht im Handel“ (Laum 1924: 27), daher ist das Heiligtum die „Keimzelle des Tauschhandels und die Priesterschaft das erste Handelskollegium“ (Laum 1924: 101). Über seine Funktion als Träger des Kultes ist der Staat dann Schöpfer des G.es geworden, weshalb die Geschichte des G.es „letzten Endes die Geschichte der Säkularisation der kultlichen Formen“ ist (Laum 1924: 158).
Im kulturwissenschaftlichen Kontext wird als weiteres Argument für den sakralen Ursprung des G.es häufig eine gewisse sprachanaloge Begrifflichkeit angeführt, wonach zentrale ökonomische Termini religiöser Provenienz sind: Kredit (lateinisch: credo), Schuld und Schulden (lateinisch: pecunia, pecus; Opfertier), Gläubiger, Messe, Tempelschatz (lateinisch: thesaurus) etc. Das umgangssprachlich geläufige Wort Moneten wird von der römischen Göttin Juno hergeleitet, die als Schutzpatronin der Eheleute (insb. der Frauen) und des Staates bzw. seiner Jungkrieger auch den Beinamen Moneta (Warnerin, Mahnerin) trug: Vertrauen und Verlässlichkeit braucht es auch in G.-Fragen.
Letztlich bleiben die Ursprünge des G.es unbekannt. Alle Entstehungstheorien sind Versuche, die großen Leerstellen im Wissen zu füllen. Eine hohe Plausibilität kommt nach wie vor den kommerziellen Ansätzen zu, weil sie ohne Extrapolationen auf das (weitgehend unbekannte) Prähistorische und ohne Spekulationen über das Vor- oder Unbewusste auskommen. Aber auch die chartalistischen Ansätze erscheinen plausibel, weil sie deutlich machen können, dass es ohne staatliche Autorität oder zumindest ohne eine „seigniorale Macht“ (Vogl 2015: 69) nicht möglich gewesen wäre, ein weithin akzeptiertes und universal gültiges Tauschmittel zu entwickeln. In jedem Fall ist G. in seiner heutigen, weitgehend entmaterialisierten Form das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung, an deren Anfang wertvolle Zahlungsmittel standen. Unverändert ist lediglich, dass es Vertrauen und bestimmter Wertäquivalente bedarf. Waren es früher vorwiegend Könige und Fürsten, die diese garantierten (daher auch die Porträts auf zahlreichen Münzen), so erfüllen diese Funktion heute weitgehend die Staaten, i. d. R. mittels ihrer Zentralbanken. Wie ausufernde Inflation und schwankende Wechselkurse zeigen, hängt der Wert des G.es elementar an den gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Nichts kann eine Währung schneller in den Abgrund stürzen als ein nachhaltiger Vertrauensverlust und die dadurch ausgelöste Flucht aus ihr in andere Währungen, Immobilien, Anleihen etc. So bleibt neben einer Rückkoppelung an reale Wertschöpfungsketten das Vertrauen der Marktteilnehmer – und damit der Gesellschaft insgesamt – das zentrale Fundament für die Wertigkeit des G.es.
3. Funktionen
Über die drei grundlegenden ökonomischen Funktionen hinaus besitzt G. zahlreiche sekundäre oder transökonomische Funktionen, die sich i. d. R. hinter den primären verbergen, aber diese zugleich entscheidend bestimmen. Als wichtigste dieser sekundären Funktionen lassen sich nennen:
a) G. ermöglicht Antizipation von Zukunft, indem durch den Kredit der an sich erst in fernerer Zukunft mögliche Konsum schon heute realisiert werden kann.
b) G. ist eine Art, Vermögen zu halten: Wer G. hat, vermag etwas, ist in der Lage, Großes zu bewegen; er besitzt Macht und Einfluss, die in einer geldbestimmten Wirklichkeit mit der Höhe des Vermögens steigen.
c) G. ist Ausdruck von individueller und gesellschaftlicher Freiheit. Die potentiell unbegrenzten Möglichkeiten, mit G. Güter zu erwerben, verleihen in subjektiver Perspektive einen Freiheitsgrad, der strukturell den Erfahrungen von Transzendenz und Allmacht ähnlich ist. In jeder bestimmten G.-Summe steckt immer „der Wert jedes einzelnen Objekts, dessen Äquivalent sie bildet, plus dem Werte der Wahlfreiheit zwischen unbestimmt vielen derartigen Objekten – ein Plus, für das es innerhalb des Waren- oder Arbeitskreises kaum annähernde Analogien gibt“ (Simmel 1996: 268). Wer G. hat, ist nicht nur frei, er weiß auch darum. Darum wird G. mit einem berühmten Wort auch als „geprägte Freiheit“ (Dostojewski 1980: 125) bezeichnet.
d) G. besitzt ein stark egalitäres Moment. Es fragt nicht nach dem Erwerb und dem Besitzer, alles Spezifische jenseits seines quantitativen Aspektes ist herausdifferenziert. Ob G. aus einer Erbschaft, einem Raub oder aus harter Arbeit stammt, bleibt an ihm unsichtbar, weshalb es Alfred Sohn-Rethel eine „Realabstraktion“ nennt (Sohn-Rethel 1990: 33). Diese von G. Simmel als Charakterlosigkeit des G.es bezeichnete Eigenschaft ist von einer eigentümlichen Unparteilichkeit begleitet, insofern der Preis einer Ware oder eines Gutes nominell für alle Marktteilnehmer gleich ist (social neutralizer). In der Welt der Waren und Güter entscheiden vordergründig nicht Herkunft, Bildung oder sozialer Status über den Zugriff, sondern allein dessen Verfügbarkeit.
e) G. ermöglicht Partizipation am gesellschaftlichen Leben, es vermittelt und symbolisiert Zugehörigkeit, indem es soziale Differenzierungsprozesse verstärkt. Der Besitz eines bestimmten Produktes (z. B. Handy, Auto), der souveräne Zugriff auf kulturelles bzw. soziales Kapital (Theater, Festspiele) oder das Verfügen über ausreichend finanzielle Ressourcen eröffnen den Zugang zu verschiedensten Bereichen gesellschaftlichen Lebens.
f) G. ist eine wesentliche Voraussetzung und Quelle von Glück. Die jüngere Glücksforschung konnte zeigen, dass es einen engen, wenn auch keinen linearen Zusammenhang von G. und Glück gibt. Ein grundlegender materieller Wohlstand ist neben den sozialen Beziehungen, der Gesundheit und den politischen Rahmenbedingungen ein wesentlicher Faktor für ein glückliches Leben. Obwohl empirische Ergebnisse der Glücksforschung nahelegen, dass der Beitrag einer zusätzlichen G.-Einheit zum subjektiven Glücksgefühl mit steigendem Einkommen abnimmt, ist eine ausreichende Versorgung mit G. die Voraussetzung für ein gesundes, langes und zufriedenes Leben.
In diesen vielfältigen, über die ökonomischen Funktionen weit hinausreichenden Bedeutungsebenen des G.es liegt eine der wesentlichen Wurzeln für die Krisenanfälligkeit dieses Mediums. G. ist ein signifikanter Indikator ökonomischer Entwicklungen, in dem sich zugleich unzählige Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Ängste und Krisen bündeln.
4. Kritik
Wo G. ist, ist auch Kritik. Zu allen Zeiten entwickelten Menschen ein Gespür für seine diabolische Macht und versuchten, die mit seiner Expansion verbundenen negativen Entwicklungen abzumildern. So ist das Zinsverbot, das sich in den meisten großen religiösen Traditionen findet und in der katholischen Kirche bis 1830 in Geltung war, als ein Versuch zu verstehen, die darin angelegten Ungleichgewichte zu reduzieren. Eine naturrechtliche Begründung, die allerdings noch nicht zwischen Zins und Wucher unterschied, findet sich etwa bei Aristoteles: „Geld ist um des Tausches willen erfunden worden“ (Politik, I, 1258 b), bei G.-Geschäften vermehrt aber der Zins das G., ist daher vom G. hervorgebrachtes G. Dies widerspricht aber seiner Bestimmung, weshalb diese Art des G.-Erwerbs „am meisten wider die Natur“ ist (Politik, I, 1258 b). In ähnlicher Weise argumentiert auch Thomas von Aquin. Das in der hebräischen Bibel nur an wenigen, aber zentralen Stellen formulierte Zinsverbot (Ex 22,24; Lev 25,36 f.; Dtn 23,20 f.) blieb bis in die Neuzeit ein Stachel im Fleisch des ungebremsten ökonomischen Fortschrittsdenkens. Das Wort aus Jesus Sirach „Wer das Gold liebt, bleibt nicht ungestraft, wer dem Geld nachjagt, versündigt sich.“ (Sir 31,5) gehört zu den häufig zitierten Sätzen der Bibel. Der Koran kennt zahlreiche Stellen, die jegliche Geschäfte verbieten, in denen direkt oder indirekt Zins (Riba) enthalten ist: „Gott erlaubte das Verkaufen und verbot den Zins.“ (Sure 2:275); er macht „den Zins zunichte, die Almosen vermehrt er“ (Sure 2:276). Die christliche Tradition hat kein konzises Verhältnis zum G. entwickeln können, weil sich im NT neben einer scharfen Ablehnung des G.es (Mt 6,24: „Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“; ähnlich Mk 10,17–31) auch eine ungebrochene Würdigung und Hochschätzung des Reichtums findet (Lk 16,9). Diese Ambivalenz führte in der christlichen Theologie zu zwei einander ausschließenden Verhältnisbestimmungen. Der affirmativ-identifizierenden Tradition fehlt ein grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber dem G., weil sie im G. eine momenthafte Vorwegnahme des Reiches Gottes erkennt. Alles komme darauf an, „der im Geld real gewordenen menschlichen Freiheit“ (Kasch 1979: 21) die nötige Anerkennung und Zustimmung zu verleihen. Das andere Ende bilden die Ansätze der negativ-exklusivierenden Tradition. Sie erkennen einen scharfen Gegensatz zwischen dem Glauben an den biblischen Gott und dem neuen Gott G. In Anlehnung an Martin Luthers Diktum „Denn die zwey gehoeren zuhauffe, glaube und Gott. Worauff du nu (sage ich) dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott.“ (Luther 1910: 133) ist das Verhältnis zwischen Gott und G. nur als eine radikale Alternative denkbar. Erst auf der Basis einer an die Wurzel gehenden „Entflechtung von Christentum und Religion“ (Ruster 2000: 193) könne der Glaube wieder an Überzeugungskraft gewinnen. Die Defizite beider Ansätze (unkritisches Verhältnis, utopische Fluchttendenzen) stärken die Argumente für ein drittes, das relativ-kritische Modell: G. bleibt darin im Prinzip ein herausragendes Medium, dessen Kritikpotential jedoch konsequent auf die Kategorie des Reiches Gottes hin entfaltet wird, ob und in welcher Weise es mehr Gerechtigkeit und mehr Freiheit in die Welt bringt – für alle. An diesem fundamentalen biblischen Kriterium lässt sich im Streit um das Für und Wider von G. eine verlässliche Orientierung gewinnen.
Im politischen Kontext hat spätestens mit der Entfesselung der kapitalistischen Produktivkräfte (Kapitalismus) im 19. Jh. die Kritik des G.es erneut an Schärfe und Intensität zugenommen. Zwar konnte die Expansion der G.-Ökonomie den individuellen Freiheitsgrad kontinuierlich erhöhen, weil sich durch die Monetarisierung eine vermittelnde Instanz zwischen Individuum und Objekt schob, zugleich aber verhinderte sie eine innerliche Bindung und Identifizierung. Sie führte zu einer allgemeinen Entwurzelung, wodurch sich, so eine berühmte Formulierung G. Simmels, erkläre, „dass unsere Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgend eine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird“ (Simmel 1996: 555).
Über die philosophische Kritik hinaus war und ist es insb. eine Domäne der Literatur, sich eingehend mit den Schattenseiten der expansiven G.-Kultur zu befassen. Ob Gustav Freytags „Soll und Haben“ (1855), Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ (1911) oder Rainald Goetz’ „Johann Holtrop“ (2012) – jede Epoche kennt unzählige Romane, die mit untrüglichem Blick die schleichende G.-Werdung und -Wertung des Lebens nachzeichnen. In der psychoanalytischen Tradition werden, oftmals in Fortführung der Sublimationstheorie Sigmund Freuds und in Aufnahme marxistischer Versatzstücke, die desaströsen Auswirkungen der G.-Fixierung auf die menschlichen Beziehungen herausgearbeitet. Daraus leitet sich mitunter ein praktischer Anspruch ab: Unser Wissen über die pathogenen Eigenschaften des G.es und des G.-Interesses müsse „umgemünzt werden in eine Psychotechnik zur Überwindung des Geldes, zur Überwindung der Kapitaltyrannei, zur Einübung in eine Gesellschaft frei von der Diktatur des Geldes“ (Borneman 1973: 458).
Die Finanz- (Finanzmarktkrise) und Schuldenkrisen der vergangenen Jahrzehnte in den westlichen Industriestaaten haben das Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des kapitalistischen Systems geschärft und die Suche nach Alternativen zum herrschenden G.-System vorangetrieben. Vorrangige Ziele liegen neben den ökonomischen wie einer verbesserten G.-Mengensteuerung, einer Vermeidung großer Konjunkturzyklen und einer Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe v. a. im gesellschaftspolitischen Bereich: die soziale Kohäsion zu erhöhen und die wachsenden Ungleichheiten zu reduzieren.
Literatur
C. Türcke: Mehr! Philosophie des Geldes, 2015 • J. Vogl: Der Souveränitätseffekt, 2015 • P. Degens: Alternative Geldkonzepte – ein Literaturbericht, in: Max-Plank-Institut für Gesellschaftsforschung (Hg.): Discussion Paper 13/1, 2013 • D. Gaerber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre, 2012 • R. Goetz: Johann Holtrop, 2012 • K.-H. Brodbeck: Die Herrschaft des Geldes. Geschichte und Systematik, 2009 • A. Halbmayr: Gott und Geld in Wechselwirkung. Zur Relativität der Gottesrede, 2009 • G. Simmel: Briefe 1880–1922, GA, Bd. 22, 2008 • J. Schumann: Zur Geschichte christlicher und islamischer Zinsverbote, in: H. G. Nutzinger u. a. (Hg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie, Bd. 21, 2007, 149–205 • K. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: I. Fetscher (Hg.): Karl Marx-Friedrich Engels Studienausgabe, Bd. 2, 2004, 38–135 • T. Ruster: Der verwechselbare Gott, 2000 • G. Fuchs: Geistliches Leben im „stahlharten Gehäuse“ in: KatBl 123/3 (1998), 153–161 • G. Heinsohn/O. Steiger: Eigentum, Zins und Geld, 1996 • N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, 21996 • G. Simmel: Philosophie des Geldes, 41996 • J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., 1995 • H. Riese: Geld. Das letzte Rätsel der Nationalökomonie, in: W. Schelkle/M. Nitsch (Hg.): Rätsel Geld, 1995, 45–62 • A. Sohn-Rethel: Das Geld, die bare Münze des Apriori, 1990 • V. A. Zelizer: The Social Meaning of Money: „Special Monies“, in: AJS 95/2 (1989), 342–377 • F. M. Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, 1980 • A. Hilka/O. Schumann (Hg.): Carmina Burana. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift, 1979 • W. F. Kasch (Hg.): Geld und Glaube, 1979 • E. Borneman: Psychoanalyse des Geldes. Eine kritische Untersuchung psychoanalytischer Geldtheorien, 1973 • B. Laum: Heiliges Geld, 1924 • H. von Hoffmansthal: Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, 1911 • M. Luther: Der große Katechismus, in: WA Bd. 30/1, 123–238 • C. Menger: Geld, in: J. Conrad u. a. (Hg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 4, 31909, 1–116 • G. Freytag: Soll und Haben, 1855.
Empfohlene Zitierweise
A. Halbmayr: Geld, II. Sozialethisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Geld (abgerufen: 21.11.2024)