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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr
I. Wirtschaftswissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Begriff und Wesen
Als Z. (latein census = Abschätzung; später auch Synonym für Abgabe) wird der Preis für eine zeitweilige Überlassung des Produktionsfaktors Kapital bzw. einer Geldsumme bezeichnet. In diesem Sinne können auch Entgelte wie Miete und Pacht, z. B. für Immobilien oder bewegliche Wirtschaftsgüter, als Z. verstanden werden. Allgemeine Voraussetzung für eine solche Kapital- oder Geldüberlassung ist die Existenz von Eigentum sowie das Bestehen entsprechender Handlungs- und Verfügungsrechte. Da jede Überlassung den zeitweiligen Verzicht des Gläubigers auf die Verfügung über sein Eigentum bedeutet, lassen sich Z.en aus ökonomischer Perspektive nicht zuletzt als Opportunitätskosten interpretieren.
Ausgedrückt wird der Z. für gewöhnlich als Prozentsatz (Z.-Satz, Z.-Fuß), bezogen auf ein bestimmtes Zeitintervall (Z.-Periode); i. d. R. ein Jahr (p. a.). Das fällige Entgelt für eine Überlassung schlägt sich einerseits beim Gläubiger als Z.-Ertrag und andererseits beim Schuldner als Z.-Aufwendung nieder. So erfolgen die fälligen Z.-Zahlungen etwa bei der Vergabe eines Kredits durch den Kreditnehmer an den Kreditgeber, bei einer Geld- oder Kapitalanlage durch den Emittenten an den Anleger. Typischerweise liegen die Z.-Sätze für Kreditaufnahmen und Kapitalanlagen mit langer Laufzeit höher als die für kurze Zeiträume (normale Z.-Struktur). Unter bestimmten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. bei Erwartung einer Rezession, kann es jedoch auch zu einer inversen Z.-Struktur kommen.
2. Finanzmathematische Grundlagen
In der finanzmathematischen Z.-Rechnung wird prinzipiell die einfache Verzinsung, bei der die anfallenden Z.-Beträge nicht mit dem zu verzinsenden Anfangskapital addiert werden, von der Z.es-Z.-Rechnung unterschieden. Die einfache Z.-Rechnung ist v. a. dann von Bedeutung, wenn der angefallene Z.-Betrag separat anfällt oder der Zeitraum der Überlassung kürzer ist als eine Z.-Periode. In diesem Fall erfolgt die Berechnung des Z.-Betrages mithilfe folgender Formel:
Abb. 1: Berechnung Zinsbetrag (Zt) einfache Verzinsung
Die Höhe des Z.-Betrages hängt somit generell von drei Einflussgrößen ab: Anfangskapital, Z.-Satz und Dauer der Überlassung. Das Endkapital eines Verzinsungsprozesses ergibt sich aus der Addition des Anfangskapitals mit dem angefallenen Z.-Betrag:
Abb. 2: Berechnung Endkapital (Kt) einfache Verzinsung
Ist der Zeitraum der Überlassung länger als eine Z.-Periode und wird zugleich der angefallene Z.-Betrag nicht separat fällig, sondern durch Kapitalisierung in den nachfolgenden Z.-Perioden zum Bestandteil des zu verzinsenden Kapitals, tritt der Effekt des Z.es-Z.es ein. Ein Beispiel hierfür ist die Kapitalisierung des Z.-Betrages bei unbefristeten Spareinlagen (z. B. in Form eines Sparbuches). Für die Berechnung des Endkapitals nach n Z.-Perioden wird folgende Formel verwendet:
Abb. 3: Berechnung Endkapital (Kn) Zinseszins
Werden die anfallenden Z.-Erträge kapitalisiert, führt dies zu einem exponentiellen Wachstum des überlassenen Kapitals. Der Unterschied zwischen dem exponentiellen Wachstum im Falle eines kapitalisierten Z.es-Z.es und dem linearen Wachstum im Falle einer einfachen Verzinsung lässt sich grafisch verdeutlichen. Abb. 4 veranschaulicht das ungleiche Wachstumspotenzial eines Anfangskapitals von 10 000 Euro innerhalb von 25 Z.-Perioden bei unterschiedlicher Art und Höhe der Verzinsung:
Abb. 4: Kapitalwachstum (10 000 € innerhalb von 25 Zinsperioden)
Durch Abzinsung (Diskontierung) des Endkapitals wird hingegen der Gegenwartswert (auch Barwert) einer verzinsten Kapitalüberlassung bestimmt. Auf diese Weise kann z. B. der gegenwärtige Wert zukünftiger Ablaufleistungen von Spar- und Versicherungsverträgen ermittelt werden. Der Barwert ist ein grundlegendes finanzmathematisches Konzept, das es u. a. ermöglicht, zukünftige Zahlungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig sind, vergleichbar zu machen. Die Formel zur Berechnung des Barwertes lautet:
Abb. 5: Berechnung des Barwertes (Kn)
3. Als Gegenstand der Ökonomik
Wissenschaftliches Erkenntnisobjekt ist der Z. insb. in der Wirtschaftswissenschaft (der VWL und BWL), aber u. a. auch in der Rechtswissenschaft, der Soziologie und der Sozialphilosophie (speziell der Sozialethik). Aus ökonomischer Perspektive bilden sich Z.en im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung, wie Preise generell, aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Ein Angebotsüberschuss an entsprechendem Kapital bzw. Geld führt demnach zu einem sinkenden Z., während ein Nachfrageüberschuss zu einem steigenden Z. führt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das komplexe gesamtwirtschaftliche Verhältnis zwischen Kapitalangebot und -nachfrage sowie den diversen daraus resultierenden Z.-Sätzen vielschichtigen und wechselseitigen kontextualen Einflüssen unterliegt.
Die Höhe bestimmter Z.-Sätze sowie des allgemeinen Z.-Niveaus in einer Volkswirtschaft sind darüber hinaus instrumentale Zielgrößen der Wirtschaftspolitik; insb. im Hinblick auf Konjunktur- und Wachstumspolitik. Vor diesem Hintergrund versucht etwa die Zentralbank die Höhe maßgeblicher Z.-Niveaus durch Maßnahmen der Geldpolitik zielführend zu beeinflussen. Der Einsatz des Z.es als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument setzt belastbare Kenntnisse über die Wirkungs- und Transmissionsmechanismen sich verändernder Z.-Niveaus voraus. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Berücksichtigung realer Z.-Sätze. Während sich der Begriff des Z.es in aller Regel auf die nominale Höhe des für eine Überlassung fälligen Entgeltes bezieht, prozentual also als Nominal-Z.-Satz ausgedrückt wird, berücksichtigt der jeweilige Real-Z.-Satz auch die (erwartete) Wirkung von Inflation bzw. Deflation. Der Real-Z.-Satz ergibt sich aus der Differenz zwischen Nominal-Z.-Satz und Inflationsrate:
Real-Z.-Satz = Nominal-Z.-Satz – Inflationsrate
Übersteigt die Inflationsrate den Nominal-Z.-Satz, besteht folglich ein negativer Real-Z. In diesem Fall verliert der Gläubiger durch die Überlassung real Kapital. Orientiert an der tatsächlichen Kaufkraft, wird insb. realen Z.-Sätzen ein Einfluss auf das Konsum- und Sparverhalten privater Haushalte, die Investitionen von Unternehmen und die Finanzierung des Staatshaushaltes attestiert.
4. Zinstheorien im Wandel
Die Erklärung des Z.-Phänomens und mit ihr die Beantwortung der Fragen nach dem ökonomischen Wesen und der jeweiligen Höhe von Z.en unterlag historisch einem ständigen Wandel. Theoriegeschichtlich schlug sich die Vielfalt dieser Deutungsversuche in einer entspr. großen Anzahl an Z.-Theorien nieder.
In der klassischen Z.-Theorie, die maßgeblich durch Beiträge von David Ricardo und John Stuart Mill geprägt wurde, wird die Höhe des Z.es durch das Aufeinandertreffen von Kapitalangebot (Ersparnisse, positiv abhängig vom Z.) und Kapitalnachfrage (Investitionen, negativ abhängig vom Z.) bestimmt. Je höher das gesamtgesellschaftliche Sparen, desto niedriger der Z. (und vice versa). Auf den Überlegungen aufbauend, dass der Kapitalmarkt nicht unabhängig vom Geldmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) sei sowie Sparen und Investitionen nicht ausschließlich Funktionen des Z.-Satzes, haben sich eine Reihe ergänzender oder alternativer Theorien herausgebildet.
Die neoklassische Lesart der Z.-Theorie Knut Wicksells erweitert die Annahmen der klassischen Lehre dahingehend, dass zwischen der Existenz zweier (hypothetischer) Z.-Sätze unterschieden wird. Der natürliche Z. beschreibt den Z.-Satz, der unter der Annahme einer reinen Tauschwirtschaft auf dem Kapitalmarkt zustande kommt. Der Geld-Z. (monetary rate of interest) hingegen beschreibt den (Kreditmarkt-)Z., der sich durch Angebot und Nachfrage nach Krediten herausbildet. Die Erweiterung um den Kreditmarkt führt dazu, dass Geldmengenerhöhungen – etwa durch Zentralbanken oder durch Kreditgeldschöpfung von Geschäftsbanken (Banken) – ebenfalls auf den Kapitalmarkt-Z. wirken können. Modelltheoretisch bedeutet dies, dass das zinsniveaubestimmende Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt durch den Schnittpunkt von Investitionen und der Summe aus Sparen und Geldmengenveränderungen ermittelt wird.
Ebenfalls maßgeblich für die Herausbildung einer neoklassischen Z.-Theorie waren die Überlegungen Irving Fishers, die sich im Wesentlichen durch die Beschreibung einer dynamischen, nicht-stationären Wirtschaft von seinen theoretischen Vorläufern unterscheidet. Er versteht den Z. als Entschädigung für Konsumverzicht und begründet damit eine intertemporale Betrachtung von Konsum-Spar-Entscheidungen unter subjektiver Gegenwartspräferenz. Ein weiterer Beitrag I. Fishers ist die Idee eines Preiserwartungseffekts, welchem zufolge Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung von Inflationsraten bilden. In der Konsequenz führen veränderte Inflationserwartungen zu einer proportionalen Veränderung des Nominal-Z.-Niveaus.
Die (neo-)klassischen Z.-Theorien wurden nachhaltig von der Theorie des britischen Ökonomen John Maynard Keynes herausgefordert. Ein maßgeblicher Unterschied besteht in der Annahme der Liquiditätspräferenz, nach welcher der Z.-Satz als der Preis für das Verlangen der Wirtschaftssubjekte verstanden werden kann, Vermögen in Bargeld zu halten (Liquiditätsprämie). Der negative Zusammenhang zwischen Z.-Satz und Geldnachfrage war zentral für die theoretische Weiterentwicklung der VWL (neoklassische Synthese). In dem hierzu von John Richard Hicks formulierten IS-LM-Modell (Investment-Saving /Liquidity preference-Money supply) wird ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht – simultan auf dem Güter- und Geldmarkt – durch Kombinationen von Volkseinkommen und Z.-Satz abgebildet. Die keynesianische Liquiditätstheorie findet darin Berücksichtigung in Form der LM-Kurve (positiv abhängig vom Volkseinkommen, negativ abhängig vom Z.). Ein spezielles Szenario bildet die sogenannte Liquiditätsfalle: Liegt das Z.-Niveau unterhalb dessen, was die Wirtschaftssubjekte als „normal“ betrachten, so wäre es theoretisch denkbar, dass diese in Erwartung zukünftig steigender Z.en ihr Vermögen zu Spekulationszwecken vollständig in Bargeld halten. Die Geldnachfrage, und damit die LM-Kurve, wären vollkommen zinselastisch. Der Einsatz expansiver Geldpolitik, mit dem Ziel durch sinkende Z.en positive Impulse auf das Volkseinkommen zu generieren, bliebe im Rahmen des IS-LM-Modells wirkungslos; der Einsatz fiskalpolitischer Maßnahmen wäre notwendig.
Z.-Theorien wichtiger Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, wie z. B. Eugen von Böhm-Bawerk oder Murray Newton Rothbard, verschieben den Fokus der Analyse vornehmlich hin zu einer intertemporalen, güterwirtschaftlichen Betrachtung. Demnach erklärt sich die Höhe des Z.-Satzes durch unterschiedlich ausgeprägte Zeitpräferenzen (Bevorzugung gegenwärtigen gegenüber zukünftigen Konsums) und durch die Mehrergiebigkeit von Produktionsumwegen. Letztere beschreibt die Entscheidung von Unternehmen, Konsumgüter (Gegenwartsgüter) oder alternativ Kapitalgüter (Zukunftsgüter) zu produzieren, welche wiederum zur späteren Produktion von mehr bzw. besseren Konsumgütern verwendet werden können. Der Z.-Satz wird hier als der Preisunterschied zwischen Gegenwarts- und Zukunftsgütern beschrieben. Die diesbezüglichen Überlegungen E. von Böhm-Bawerks können allerdings nicht nur in Abgrenzung zu den neoklassischen Beiträgen verstanden werden. So nehmen u. a. auch K. Wicksell und I. Fisher auf einzelne Elemente seiner Z.-Theorie Bezug.
5. Wichtige Zinssätze und aktuelle Entwicklungen
Während die zuvor genannten Z.-Theorien häufig nur das Vorliegen eines Z.-Satzes oder weniger Z.-Sätze annehmen, zeigt sich in realen Ökonomien eine große Bandbreite (z. B. Kreditmarkt-, Geldmarkt-, Bank- und Sparkassen-Z.-Sätze).
Von entscheidender Bedeutung sind Zentralbank-Z.-Sätze, da sie den Preis der Geldeinlage und -aufnahme der Geschäftsbanken bestimmen sowie den Interbankenhandel beeinflussen. Im Rahmen der Geldpolitik verfolgen Zentralbanken für ihren jeweiligen Währungsraum die Durchsetzung volkswirtschaftlicher Ziele, wie z. B. Preisniveaustabilität. Das zentrale politische Instrument ist dabei die Festsetzung sogenannter Leit-Z.en. Hierzu zählen für die Eurozone der Einlage-, Hauptrefinanzierungs- und Spitzenrefinanzierungssatz der EZB. Eine historische Besonderheit stellt dabei die „Nullzinspolitik“, eine Phase expansiver Geldpolitik mit sehr niedrigen Leit-Z.en zur Bekämpfung der Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2007–09, dar. So liegt der Hauptrefinanzierungssatz der EZB seit 2016 bei 0 %, die Einlagenfazilität wurde im Jahr 2012 auf 0 %, ab 2014 sogar auf negative Niveaus festgelegt.
Kritiker dieser Maßnahmen verweisen u. a. auf wachsende Risiken für die Altersvorsorge, öffentliche Haushalte und Finanzmarktstabilität und fordern einen raschen Ausstieg aus der Niedrig-Z.-Phase. Befürworter verweisen jüngst auch darauf, dass es Hinweise auf einen durch ein verändertes Spar- und Investitionsverhalten gesunkenen natürlichen Z. im Wicksell’schen Sinne gibt. Dieser Argumentation folgend, würden sich die Leit-Z.en dem gesunkenen natürlichen Niveau angleichen.
Weitere wichtige Leit-Z.-Sätze sind das Federal Funds Rate-Zielband des Federal Reserve Systems der USA, der Diskontsatz der Chinesischen Volksbank und die Official Bank Rate der Bank of England. Für die Bewertung der Z.-Entwicklung auf dem Geldmarkt werden auch Interbankengeschäfte beobachtet und für den Euroraum z. B. in den Referenz-Z.-Sätzen Euribor oder EONIA abgebildet.
Literatur
R. Anderegg: Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik, 2014 • C. Coen/R. Baldwin (Hg.): Secular Stagnation, 2014 • J. M. Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 112009 • M. N. Rothbard: Man, Economy, and State. A Treatise on Economic Principles, 22009 • J. R. Hicks: IS-LM. An Explanation, in: JPKE 3/2 (1980), 139–154 • F. A. Lutz: Zinstheorie, 21967 • K. Wicksell: Interest and Prices. A Study of the Causes Regulating the Value of Money, 21965 • I. Fisher: The Theory of Interest. As Determined by Impatience to Spend Income and Opportunity to Invest It, 1930 • E. von Böhm-Bawerk: Capital und Capitalzins, Bd. 2, 1902 • Ders.: Kapital und Kapitalzins, Bd. 1, 41884.
Empfohlene Zitierweise
M. Buchner, M. Störring: Zins, I. Wirtschaftswissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Zins (abgerufen: 21.11.2024)
II. Sozialethisch
Abschnitt drucken1. Wirtschaftsethische Tradition
Nach dem AT gibt es im Judentum ein Z.-Verbot (Ex 22,24; Lev 25,35–38; Dtn 23,20). Dies erstreckt sich auf Angehörige des eigenen Volkes, nicht aber auf Kredite an Fremde (z. B. Kredite für Karawanen von Fernhändlern). Im NT geht Jesus davon aus, dass Geld verzinslich angelegt wird (Lk 19,23). Das alttestamentliche Z.-Verbot wird von Christentum und Islam (Z. = riba) übernommen. In Anlehnung an Aristoteles lehnt Thomas von Aquin Z.en ab, weil die Funktion von Geld Tauschmittel ist und es selbst keinen Mehrertrag hervorbringt. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit vergaben oder nahmen kirchliche Vermögensträger Kredite gegen Z.en. Zur Rechtfertigung des Z.-Nehmens wurden Legitimationsstrategien entwickelt, indem Kredite bewusst nach dem vereinbarten Zahlungstermin zurückgezahlt wurden, so dass der Kreditgeber einen auszugleichenden Schaden (damnum emergens) erlitt, Z.en eine Entschädigung für entgangene Gewinne des Kreditgebers (lucrum cessans) darstellten, eine Risikoprämie (periculum sortis) beinhalteten etc. Kirchliche Erträge aus Bodenbesitz (Grund-Z.) wurden hingegen nie in Frage gestellt.
Zwischen Wucher und Z. wird weder im Hebräischen noch im Deutschen bis Martin Luther unterschieden, der immer von Wucher spricht, selbst wenn im heutigen Verständnis von Z. die Rede ist. Johannes Calvin eröffnet die Möglichkeit zum Z.-Nehmen, indem er das Z.-Verbot als rein binnenjüdische Vorschrift deutet, während die Erlaubnis, von Ausländern Z.en zu nehmen, eine generelle Erlaubnis des Z.-Nehmens ermöglicht. Papst Pius VIII. hob 1830 das Z.-Verbot ohne nähere Begründung auf. Das gegenwärtige Kirchenrecht geht davon aus, dass kirchliches Vermögen verzinslich angelegt wird. Das Z.-Verbot entstammt einer vormodernen Gesellschaft, in der es kein oder nur ein sehr geringes Wirtschaftswachstum gab und die Kreditaufnahme häufig aus einer Notlage entsprang, weil es keine sozialen Sicherungssysteme gab. In einer solchen Null-Summen-Konstellation kam es bei Z.en zu einer Umverteilung von i. d. R. ökonomisch Schwächeren zu Wohlhaberenden. Daher ist Z.-Nehmen in einer vormodernen Wirtschaft zugleich auch Wucher.
Durch Z.- und Z.es-Z.-Effekte kann dort die Aufnahme eines Notlagenkredits zu einer Schuldenspirale führen, aus der es kein Entrinnen mehr gibt und die entweder zu einem totalen Vermögensverlust (z. B. des Familienbesitzes an Boden) führt oder sogar eine Schuldknechtschaft zur Folge hat. Solche Bedingungen sind in der Gegenwart noch in manchen Entwicklungsländern (z. B. Indien) anzutreffen.
2. Zinsen in einer modernen Wirtschaft
Z.en sind in einer modernen Wirtschaft sowohl Voraussetzung des wirtschaftlichen Wachstums, weil sie einen Anreiz zur Ersparnis und Kapitalbildung bieten und eine Lenkungsfunktion knappen Kapitals übernehmen, als auch dessen Ergebnis, weil sie die Kapitalbildung, den effizienten Kapitaleinsatz und Produktionssteigerungen ermöglichen, aus denen Z.en gezahlt werden können. Bei einem marktadäquaten Z. erhält der Darlehensgeber eines Investitionskredites einen gerechten Anteil an dem durch seinen Kredit ermöglichten Mehrertrag. Während in vormodernen Gesellschaften fast 90 % der Bevölkerung in Armut lebten, war das weltweit seit 1800 zugleich stattfindende Wachstum von Bevölkerung und Wohlstand auch durch den Aufbau eines Bank- und Finanzwesens (Banken) möglich, in dem Z.en eine zentrale Rolle spielen. Daher ist Z. als Steuerungselement für einen effizienten Kapitaleinsatz wie als Einkommensquelle ethisch gerechtfertigt. Der Verzicht auf Z.en als wichtige Steuerungselemente hat zum ökonomischen Rückstand und späteren Zusammenbruch sozialistischer Volkswirtschaften beigetragen. Die Z.-Höhe spiegelt auch das Rückzahlungsrisiko wieder, so dass risikobereite Anleger höhere Z.en erzielen, aber auch unsichere Kreditnehmer höhere Z.en zahlen müssen. Weiterhin können Z.en dem Schutz von Ersparnissen vor Inflation dienen, wenn sie die Geldentwertung zumindest ausgleichen. Sozialethisch wäre es ein Problem, wenn die Behauptung (von Thomas Piketty) zuträfe, dass der Z.-Satz in einer Marktwirtschaft tendenziell höher als die ökonomische Wachstumsrate ist, so dass es zu einer fortlaufenden Konzentration von Vermögen in Marktwirtschaften kommt. Diese Behauptung ist aber umstritten.
In der Gegenwart kann es aus normativer Sicht zu hohe bzw. zu niedrige Z.en geben. In Entwicklungsländern gibt es Mikrofinanzinstitute, die durch Arrangements, die die Transaktionskosten senken bzw. auch für mehr Wettbewerb auf Kreditmärkten (Geld- und Kapitalmarkt) sorgen, Z.en senken, um Wachstum unter ärmeren Bevölkerungsschichten zu fördern. Durch eine lockere Geldpolitik und den Aufkauf von Staatsanleihen durch Notenbanken wurden nach der Finanzmarktkrise 2008 in einer Reihe von Industrieländern die Z.en soweit gesenkt, dass deren volkswirtschaftliche Lenkungsfunktion beeinträchtigt wird und für Personen wie Institutionen, die auf Kapitalbildung (z. B. zur Alterssicherung) angewiesen sind, die Vorsorge erheblich erschwert wurde.
Literatur
R. H. Schmidt/H. D. Seibel/P. Thomes: From Microfinance to Inclusive Banking, 2016 • M. Casper/N. Oberauer/F. Wittreck (Hg.): Was vom Wucher übrigbleibt, 2014 • T. Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2014 • B. Noll: Grundriss der Wirtschaftsethik, 2010 • R. Kessler: Zins/Zinsverbot (2009), in: S. Alkier/M. Bauks/K. Koenen (Hg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, URL: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/35406 (abger.: 19.3.2020) • J. C. Gertz u. a.: Zins, in: TRE, Bd. 36, 2004, 668–691.
Empfohlene Zitierweise
J. Wiemeyer: Zins, II. Sozialethisch, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Zins (abgerufen: 21.11.2024)