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Version vom 8. Juni 2022, 08:17 Uhr
O. ist eine Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, die auf die Festlegung von Regeln und Institutionen (d. h. einer Rahmenordnung) für die wirtschaftlichen Entscheidungsträger abzielt, innerhalb derer diese wirtschaftliche Dispositionen treffen können. O. unterscheidet sich also von einer diskretionären, interventionistischen Wirtschaftspolitik, bei der die Politik versucht, wirtschaftliche Ergebnisse, etwa durch eine administrative Festsetzung von Preisen, vorab festzulegen. Das Zusammenspiel von Akteuren in einer Volkswirtschaft soll innerhalb dieses Rahmens ohne staatlichen Dirigismus ablaufen können. Der Staat setzt wie ein Schiedsrichter auf dem Fußballfeld die Regeln einer solchen Rahmenordnung durch, spielt aber selbst nicht aktiv mit. O. ist v. a. Wirtschaftsverfassungspolitik und nicht deckungsgleich mit dem Ordnungsrecht der Wirtschaft. Die O. hat verschiedene Ursprünge. Sie lässt sich einerseits in den deutschen Wirtschaftswissenschaften, andererseits in der frühen Chicagoer Schule verorten und beeinflusst die Wirtschaftspolitik bis heute.
1. Ursprünge der Ordnungspolitik in Deutschland
Walter Eucken bildete mit dem Juristen Franz Böhm die Freiburger Schule der Ordnungsökonomik. W. Euckens „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ (1952) sind grundlegend für die O. Er arbeitete daran mehrere Jahre und begriff diese als Fortsetzung und Ergänzung seiner „Grundlagen der Nationalökonomie“ (1940). W. Eucken nahm zum Ende der NS-Diktatur, in Verbindung mit der Widerstandsbewegung, und kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs Einfluss auf die von Ludwig Erhard ins Werk gesetzte Soziale Marktwirtschaft. Insb. die Re-Etablierung marktwirtschaftlicher Prinzipien durch die Preisfreigabe einer Vielzahl von Gütern im Zuge des Leitsätzegesetzes und die Schaffung einer Wettbewerbsordnung (Wettbewerb) durch das Wettbewerbsrecht, das im Jahr 1957 mit dem GWB zustande kam, waren zentrale Anliegen der Freiburger Schule. Die Wettbewerbspolitik ist bis heute ordnungspolitisch geprägt.
Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow zeichnen sich durch eine soziologische, im Fall von W. Röpke auch eine stärker konservative Ausrichtung der O. aus (Rieter 2010). W. Röpke analysierte die Auswüchse des Staatsinterventionismus, insb. wie daraus eine Interventionsspirale entsteht, welche die marktwirtschaftliche Ordnung auszuhöhlen droht. A. Rüstow entwickelte die Idee eines neuen Liberalismus (Neoliberalismus) in Abgrenzung zum Laissez-faire des klassischen Liberalismus des 19. Jh.
Während die Freiburger Schule auf die Verwirklichung einer Wettbewerbsordnung abzielte, setzte die Kölner Schule der Ordnungsökonomik stärker auf Sozialpolitik als Korrektiv politisch unerwünschter Verteilungsergebnisse. Alfred Müller-Armack, der den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ formte (Müller-Armack 1947: 88), betrachtete Einkommensumverteilung durch ein Steuer-Transfer-System als Idealfall eines marktgerechten Eingriffs, weil Preise dadurch nicht administrativ festgesetzt würden. Zudem könnten Sozialversicherungen marktkonform ausgestaltet werden. So gilt das Äquivalenzprinzip in der Gesetzlichen Rentenversicherung, also die Abhängigkeit der individuellen Rentenzahlung von der Höhe und Dauer der Beiträge, als wesentliches Ordnungselement der staatlichen Altersvorsorge.
2. Ursprünge der Ordnungspolitik in den USA
Die frühe Chicago-Schule war v. a. durch Frank Knight und Henry Simons geprägt. H. Simons stellte die Verhinderung von Marktmacht durch die Wettbewerbspolitik und eine regelbasierte Geldpolitik in den Mittelpunkt seiner wirtschaftspolitischen Vorstellungen.
Aus der Chicago-Schule entwickelte sich die Diskussion um eine Regelorientierung in der Wirtschaftspolitik, v. a. der Geldpolitik, weiter. So greifen Notenbanken für die Begründung geldpolitischer Entscheidungen heute regelmäßig auf geldpolitische Regeln zurück. Diese Diskussion mündete in der Bedeutung von Zentralbankunabhängigkeit für die Preisstabilität.
Zudem war Chicago Ausgangspunkt der Politischen Ökonomik und Verfassungsökonomik, wie sie von James Buchanan und Gordon Tullock begründet wurde, die an der Universität Chicago im Jahr 1948 bzw. 1947 promovierten. Dieses Forschungsprogramm befasst sich systematischer und grundsätzlicher mit dem zur Behebung von Markt- und Politikmängeln geeigneten Regelrahmen, insb. auf der Verfassungsebene. J. Buchanan gehörte zu den Verfechtern von Fiskalregeln zur Beschränkung der Staatsverschuldung.
3. Die konstituierenden Prinzipien
Zwischen W. Euckens konstituierenden Prinzipien der Wirtschaftspolitik und H. Simons wirtschaftspolitischem Programm besteht eine gewisse Verwandtschaft. Gemäß W. Eucken sollten sieben konstituierende Prinzipien die Wirtschaftspolitik leiten. Als Grundprinzip gilt die Funktionsfähigkeit des Preissystems vollständiger Konkurrenz, das die Wettbewerbsordnung in den Mittelpunkt rückt. Daneben stellt W. Eucken das Primat der Währungspolitik. Ohne Stabilisierung des Geldwertes seien alle Bemühungen um eine Wettbewerbsordnung umsonst. Es folgen Prinzipien des klassischen Liberalismus, die Allgemeinplatz jeder marktwirtschaftlichen Ordnung sind: offene Märkte, Privateigentum (Eigentum), Vertragsfreiheit (Vertrag). Gleichwohl lassen sich fortwährend Störungen dieser Prinzipien feststellen – Protektionismus, Verstaatlichung und Enteignung, regulatorische Vorgaben. W. Eucken selbst erkannte gewisse Eingriffe in die Vertragsfreiheit an, etwa um Kartelle zu unterbinden. Ebenfalls grundsätzlich akzeptiert ist das Haftungsprinzip – „wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ (Eucken 1952: 279) –, wenngleich es häufig, bspw. in der Finanzmarktkrise der Jahre 2008/09, durchbrochen wird. Schließlich betont W. Eucken die Konstanz der Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftlichen Akteure müssten sich bei ihren intertemporalen Entscheidungen, v. a. bei Investitionen, auf das dauerhafte Bestehen einer wirtschaftlichen Rahmenordnung verlassen können.
Neben die konstituierenden Prinzipien stellt W. Eucken als regulierende Prinzipien Monopolkontrolle, Einkommenspolitik, Wirtschaftsrechnung und Vorkehrungen gegen ein anomales Angebotsverhalten. Wettbewerbsrecht und Monopolkontrolle sind zentral für eine Wettbewerbsordnung. Im Rahmen der Einkommenspolitik sollen Korrekturen der Einkommensverteilung durch das Steuer-Transfer-System vorgenommen werden. Unter dem Stichwort Wirtschaftsrechnung verweist W. Eucken auf externe Effekte, wie etwa Umweltschäden, die nicht in das Kalkül von Unternehmen oder Konsumenten einfließen, aber korrigiert werden müssten. Anomales Verhalten von Anbietern kann es insb. geben, wenn Löhne auf ein Subsistenzniveau sinken. Dann steigt bei sinkenden Löhnen das Arbeitsangebot. Für diesen, von W. Eucken als wenig wahrscheinlich erachteten Fall, könnten Mindestlöhne festgelegt werden.
Literatur
L. P. Feld: The Quest for Fiscal Rules, in: R. E. Wagner (Hg.): James M. Buchanan. A Theorist of Political Economy and Social Philosophy, 2018, 965–990 • H. Rieter: Kulturkonservativer Kämpfer für den Bürgergeist, in: Merkur 64/736–737 (2010), 836–843 • A. Rüstow: Die staatspolitischen Voraussetzungen des wirtschaftspolitischen Liberalismus. Rede auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik, 28. September 1932, in: ders.: Rede und Antwort, 1963, 249–258 • W. Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1952 • A. Müller-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, 1947 • W. Eucken: Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1940 • H. C. Simons: Rules Versus Authorities in Monetary Policy, in: JPE 44/1 (1936), 1–30 • Ders.: A Positive Program for Laissez Faire, 1934 • W. Röpke: Staatsinterventionismus, in: J. Conrad u. a. (Hg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 7, 41926, 861–882.
Empfohlene Zitierweise
L. Feld: Ordnungspolitik, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Ordnungspolitik (abgerufen: 24.11.2024)