Erbrecht
Aufgabe des E.s ist es, die Weitergabe des in einer Gesellschaft verfügbaren Privatvermögens anlässlich des Generationenwechsels zu regeln.
1. Regelungsbedarf
Ein E. ist freilich nur erforderlich, soweit einerseits eine Gesellschaft über Privatvermögen verfügt und andererseits dieses Vermögen von Individuen getragen wird.
In archaischen Gesellschaften, in denen das Privatvermögen potentiell unsterblichen Familienverbänden zugewiesen war, nicht aber ihren sterblichen Mitgliedern, bedurfte es keiner Rechtsnachfolge von Todes wegen, die vom E. beherrscht wird. So betont etwa Max Weber in „Wirtschaft und Gesellschaft“, dass die Hausgemeinschaft „Etwas unserem ‚E.‘ Entsprechendes“ nicht gekannt habe: „An dessen Stelle steht vielmehr der einfache Gedanke: daß die Hausgemeinschaft ‚unsterblich‘ ist. Scheidet eins ihrer Glieder aus […], da ist bei ‚reinem‘ Typus von keiner Abschichtung eines ‚Anteils‘ die Rede. Sondern der lebend Ausscheidende läßt durch sein Ausscheiden eben seinen Anteil im Stich und im Todesfall geht die Kommunionwirtschaft der Ueberlebenden einfach weiter“ (Weber 1922: 196). Es verwundert deshalb nicht, dass jedenfalls in der jüngeren Geschichte Gesellschaften ohne E. äußerst selten waren. Das Privatvermögen wird universell, und sei es auch nur mittelbar, Individuen und nicht mehr Familien zugewiesen. Letzte Relikte generationenübergreifender Familienvermögen wurden Anfang des 20. Jh. in den meisten Rechtssystemen abgeschafft (s. aber unten 6.), etwa die südslawische Zadruga, die noch in einigen Gesetzbüchern des 19. Jh. als erbrechtsloses Vermögen auftaucht (§ 42, § 516 serbisches Gradjanski zakonik [1844] und Art. 686, Art. 964 f. montenegrinisches Op&shatsch;ti imovinski zakonik [1888]).
Auch kommen Gesellschaften bereits seit Längerem nicht ohne Privatvermögen aus. Zwar wurde in Sowjetrussland als Maßnahme des Kriegskommunismus im Jahr 1918 die Privaterbfolge, wie vom Kommunistischen Manifest gefordert, abgeschafft (s. § 1 sowjetrussisches Dekret Vserossijskogo Central’nogo Ispolnitel’nogo Komiteta „Ob otmene nasledovanija“), aber nur kurze Zeit später wieder eingeführt. Denn auch in kommunistischen Gesellschaften bestand ein Bedarf für ein E., solange das Privatvermögen nicht vollständig kollektiviert wurde.
2. Rechtsquellen und Rang in der Rechtsordnung
Das E. ist in den meisten Rechtsordnungen gesetzlich geregelt. Soweit die entsprechende Rechtsordnung über eine Zivilrechtskodifikation verfügt, wie etwa in Deutschland mit dem BGB, bildet das E. regelmäßig einen eigenständigen Abschnitt dieser Kodifikation. In einigen Rechtsordnungen ist das E. Gegenstand von speziellen E.s-Gesetzen. Bemerkenswert ist, dass selbst in den vom common law geprägten Rechtsordnungen (Anglo-amerikanischer Rechtskreis), also in England und Wales und den Vereinigten Staaten, regelmäßig der Gesetzgeber im E. tätig wird, obwohl in diesen Systemen das Privatrecht traditionell vom Richterrecht beherrscht wird.
Zu beachten ist, dass das E. in einigen Rechtsordnungen auch eine verfassungsrechtliche Dimension besitzt. So ist in Deutschland der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung seines E.s nicht frei. Vielmehr garantiert Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG neben dem Eigentum auch das E. Vornehmlich aus dieser Vorschrift leitet das Bundesverfassungsgericht eine verfassungsrechtliche Garantie einzelner Elemente des E.s (zu diesen Elementen s. sogleich 3.) ab, etwa die Existenz einer Privaterbfolge allgemein, die Testierfreiheit des Erblassers sowie den Pflichtteil der nahen Angehörigen (BVerfGE 112, 332). In dieser verfassungsrechtlichen Dimension des E.s setzt sich die alte Diskussion über einen naturrechtlichen Gehalt des E.s fort (Naturrecht). Naturrechtliche Begründungsmuster v. a. für die Testierfreiheit als Ausfluss des Eigentums, aber auch für die zwingende Nachlassbeteiligung überlebender Familienmitglieder als Folge familiärer Bindungen finden sich etwa bei Hugo Grotius und Christian Wolff einerseits sowie John Locke, James Kent und Georg Wilhelm Friedrich Hegel andererseits. Bes.s deutlich wird die Parallele zwischen naturrechtlichen und verfassungsrechtlichen Ableitungen des E.s in Rechtsordnungen wie den Vereinigten Staaten, die über keine verfassungsrechtliche Institutsgarantie des E.s verfügen (Einrichtungsgarantien). Hier lässt sich eine Höherrangigkeit des E.s, das der Gesetzgeber nicht antasten darf, allein mit einem vorrechtlichen Charakter des E.s begründen, den freilich in den Vereinigten Staaten der amerikanische Supreme Court bisher abgelehnt hat (Magoun v Illinois Trust & Savings Bank, 18 S.Ct. 594 [1898] 596: „the right to take property by devise or descent is the creature of the law, and not a natural right – a privilege – and therefore the authority which confers it may impose conditions upon it“).
Das E. ist nahezu ausschließlich im jeweiligen nationalen Recht geregelt, auch innerhalb der EU. Eine wichtige Rolle nimmt das Unionsrecht aber mittlerweile bei grenzüberschreitenden Erbfällen ein, wenn sich v. a. die Fragen des internationalen Privatrechts stellen, welche Gerichte und Behörden für einen Erbfall zuständig sind und welches E. auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbar ist. Diese und andere Fragen werden für die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit dem Jahr 2015 durch die europäische E.s-Verordnung (VO Nr. 650/2012) geregelt, die insoweit nationales Recht verdrängt.
3. Regelungsebenen
In nahezu allen Rechtsordnungen findet man drei Ebenen des E.s vor, auf denen der Gesetzgeber in unterschiedlicher Intensität die Rechtsnachfolge von Todes wegen regeln kann.
3.1 Gewillkürtes E., insb. Testierfreiheit des Erblassers
Zunächst gestattet der Gesetzgeber, jedenfalls in gewissen Grenzen, universell, dass der Einzelne ein gewillkürtes E. schafft und die Rechtsnachfolge von Todes wegen privatautonom festlegt. Die Gesetzgeber räumen dem Erblasser eine begrenzte Testierfreiheit ein (dazu unten 3.3). Wichtigstes Beispiel für die Ausübung der Testierfreiheit ist die Zuwendung des Vermögens oder einzelne seiner Bestandteile. Der Erblasser kann im Rahmen seiner Testierfreiheit durch Rechtsgeschäft – durch Verfügung von Todes wegen, insb. durch Testament – festlegen, an welche gewillkürten Erben oder in sonstiger Weise letztwillig Begünstigten sein Vermögen nach seinem Tod fallen soll. Die Verfügung von Todes wegen als zentrales erbrechtliches Rechtsgeschäft unterliegt in den meisten Rechtsordnungen eigenständigen Regelungen, die teils von den Rechtsgeschäften unter Lebenden abweichen. V. a. bestehen bes. Anforderungen an die Form der Verfügung von Todes wegen; so ist etwa in Deutschland nur ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament formwirksam (§ 2247 BGB), wenn der Erblasser kein öffentliches Testament mit notarieller Mitwirkung errichtet (§ 2232 BGB). Zumeist stellt das Gesetz bes. Anforderungen an die Testierfähigkeit des Erblassers, die von denen der allg.en Geschäftsfähigkeit abweichen (etwa § 2229 BGB).
Das Testament ist in vielen Rechtsordnungen nicht die einzige zulässige Verfügung von Todes wegen. Vereinzelt gestatten die Gesetzgeber auch letztwillige Verfügungen, welche die beteiligten Erblasser binden und, anders als einfache Testamente (etwa §§ 2253 ff. BGB), nicht ohne Weiteres vom Erblasser widerrufen werden können. So kennt etwa das deutsche Recht den Erbvertrag (§§ 2274 ff. BGB) sowie das gemeinschaftliche Ehegatten- oder Lebenspartnertestament (§§ 2265 ff. BGB, § 10 Abs. 4 LPartG) als zwei miteinander verknüpfte letztwillige Verfügungen von Todes wegen, die jedenfalls dann erbvertragsähnliche Bindungen entfalten, wenn sich die Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner als Erblasser gegenseitig bedenken (§ 2270 Abs. 2, § 2271 BGB). Andere Rechtsordnungen, v. a. die des romanischen Rechtskreises, stehen solchen Verfügungen von Todes wegen, mit denen sich der Erblasser selbst bindet, kritisch gegenüber und verbieten diese (etwa in Art. 968, Art. 1130 Abs. 2 französischer Code Civil; Art. 458, Art. 589 italienischer Codice civile; Art. 4:93 niederländisches Burgerlijk Wetboek; Art. 2028, 946, Art. 2181 portugiesischer Código civil; Art. 669, Art. 1271 spanischer Código civil). Der Erblasser soll in diesen Rechtsordnungen stets frei über seine Rechtsnachfolge von Todes wegen neu bestimmen und seine Testierfreiheit nicht einschränken können.
3.2 Intestat-E., v. a. gesetzliche Erbfolge
Eine wichtige Rolle nimmt regelmäßig das Intestat-E. ein, das immer dann zum Zuge kommt, wenn der Erblasser seine Testierfreiheit nicht ausübt. Wichtigstes Element des Intestat-E.s ist die gesetzliche Erbfolge, in welcher der Gesetzgeber festlegt, wer dem Erblasser als gesetzlicher Erbe nachfolgt.
Die gesetzlichen Erben werden universell zunächst aus dem Kreis der Erblasserfamilie rekrutiert. Gesetzliche Erben sind in nahezu allen Rechtsordnungen – soweit vorhanden – die Abkömmlinge des Erblassers, also v. a. seine Kinder (etwa § 1924 BGB), und zwar regelmäßig ohne Rücksicht auf ihre Ehelichkeit, ihr Alter (keine Primogenitur oder Ultimogenitur) und Geschlecht (kein Vorrang des Mannes- oder Frauenstamms) zu gleichen Teilen (etwa § 1924 Abs. 4 BGB). Nur noch selten werden einzelne Abkömmlinge bei der Erbfolge benachteiligt, etwa in Japan immer noch nicht-eheliche Kinder (§ 900 Nr. 4 Satz 2 japanisches Minpō), oder mit einer höheren Erbquote privilegiert, etwa im islamischen Recht die Söhne des Erblassers (Sure 4:11; auch Art. 907 Satz 4 iranisches Qānūn-e madanī) oder im mosaisch-talmudischen Recht der Erstgeborene (Dtn 21,17). Überleben den Erblasser keine Abkömmlinge, so weichen die E.s-Ordnungen bei der Bestimmung der als gesetzliche Erben zum Zuge kommenden Verwandten im Detail voneinander ab. Das deutsche Recht folgt einem Parentelsystem, wonach die Verwandten in verschiedene Ordnungen aufgeteilt werden, die sich durch die Abstammung von bestimmten Voreltern des Erblassers definieren (§§ 1924 ff. BGB). Überlebt den Erblasser ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung, so werden Verwandte höherer Ordnungen nicht zur Erbfolge berufen (§ 1930 BGB).
Eine wichtige Rolle bei der gesetzlichen Erbfolge spielt neben den Verwandten des Erblassers der überlebende Ehegatte (Ehe) oder eingetragene Lebenspartner (Eingetragene Lebenspartnerschaft) des Erblassers. Dieser gehört mittlerweile in den meisten Rechtsordnungen zum Kreis der gesetzlichen Erben (etwa § 1931 BGB, § 10 Abs. 1 LPartG), wobei einige Systeme den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner – und sei es auch nur wirtschaftlich – zu dessen Lebzeiten oder bis zu einer Wiederverheiratung den gesamten Nachlass zuweisen (etwa Art. 4:13 ff. niederländisches Burgerlijk Wetboek). Hinzukommt, dass der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner oftmals auch güterrechtlich begünstigt wird, weil durch den Tod des erstversterbenden Ehegatten oder Lebenspartners der Güterstand beendet wird (etwa § 1371 BGB). In Deutschland erbt deshalb der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner neben Kindern des Erblassers erb- und güterrechtlich die Hälfte des Nachlasses.
In einigen Rechtsordnungen knüpfen die Gesetzgeber bei der gesetzlichen Erbfolge nicht mehr nur an diese klassischen Statusverhältnisse – Verwandtschaft, Ehe, Lebenspartnerschaft – an, sondern berücksichtigen auch rein faktische Nähebeziehungen. So werden Partner in nichtehelichen Lebensgemeinschaften in einigen Rechtsordnungen, etwa wenn die Partner eine bestimmte Mindestdauer zusammenleben oder Kinder haben, erbrechtlich sogar wie Ehegatten behandelt (s. etwa Art. 441–2, Art. 452–1 ff. i. V. m. Art. 234–1 lit. a, b katalanischer Codi civil; § 8 Abs. 2 kroatisches Zakon o naslje&dbalk;ivanju; Art. 18 Abs. 1 kubanischer Código de familia; Sec. 77 neuseeländischer Administration Act; Art. 10 Abs. 2 slowenischer Zakon o dedovanju). Österreich hat kürzlich ein außerordentliches E. für nichteheliche Lebensgefährten eingeführt (§ 748 österreichisches ABGB nF).
Die gesetzliche Erbfolge muss auch festlegen, wer dem Erblasser nachfolgt, wenn dieser von keinen erbberechtigten Familienmitgliedern überlebt wird oder – etwa im Falle des deutschen Rechts – diese nicht festgestellt werden können. Denn jedenfalls das deutsche E. folgt dem Grundsatz eines unbegrenzten Verwandten-E.s, das selbst entfernteste Verwandte des Erblassers als sog.e „lachende Erben“ zur Rechtsnachfolge von Todes wegen beruft (§ 1929 Abs. 1 BGB). Erbenlose Nachlässe fallen meist an den Staat, sei es als „letzter Erbe“ aufgrund eines Fiskus-E.s (§ 1936 BGB) oder als Hoheitsträger durch Ausübung eines öffentlichrechtlichen Aneignungsrechts (s. nunmehr § 32 des IntErbRVG).
Das Intestat-E. ist in den meisten Gesellschaften praktisch äußerst relevant. Studien zeigen, dass zahlreiche Erblasser nicht testieren und deren Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Intestat-E. unterliegt. Diese Testierscheu lässt sich v. a. auch sozialpsychologisch erklären. Das Auseinandersetzen mit dem eigenen Tod – das stets Voraussetzungen für die Ausübung der Testierfreiheit ist – verursacht bei Erblassern oftmals kognitive Dissonanzen, die zahlreiche Erblasser von einem Testieren abhalten. Allerdings ist der Wille des Erblassers im Intestat-E. nicht völlig unbeachtlich. Jedenfalls um Transaktionskosten zu mindern, sollte sich ein Gesetzgeber v. a. am hypothetischen Erblasserwillen orientieren, wenn er sein Intestat-E. ausgestaltet. Bereits H. Grotius, Samuel von Pufendorf und C. Wolff haben betont, dass das Intestat-E. lediglich aussprechen soll, was die Mehrheit der Erblasser ohnehin anordnen würde. Dies schließt aber nicht aus, dass der E.s-Gesetzgeber auch eigene Gerechtigkeitsakzente setzt, wie dies etwa bei der Gleichstellung nichtehelicher Kinder des Erblassers in zahlreichen Rechtsordnungen geschehen ist, ohne Rücksicht auf den hypothetischen Willen der Erblasser.
3.3 Zwingendes Erbrecht, v. a. zwingende Nachlassteilhabe der Familie und des Staates
Regelmäßig agiert der E.s-Gesetzgeber aber auch noch auf einer dritten Regelungsebene, dem zwingenden E. Jedenfalls bei funktionaler Betrachtung können die Erblasser in nahezu allen Rechtsordnungen nicht unbegrenzt ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen auf der Ebene des gewillkürten E.s durch Ausübung ihrer Testierfreiheit festlegen.
Zu den wichtigsten einseitigen Schranken des gewillkürten E.s gehört der Pflichtteil, also die zwingende Nachlassteilhabe naher Angehöriger des Erblassers. In vielen Rechtsordnungen kann ein bestimmter Anteil am Nachlass den Familienangehörigen des Erblassers nicht entzogen werden. Die Ausgestaltung des Pflichtteils ist unterschiedlich. Teils können die Pflichtteilsberechtigten, wie etwa in Deutschland, einen ihrem Pflichtteil entsprechenden Geldbetrag vom Erben verlangen (§§ 2303 ff. BGB), teils werden die Pflichtteilsberechtigten sogar echte Noterben, also wie andere Erben auch dinglich am Nachlass beteiligt (s. etwa Art. 470, 471 schweizerisches ZGB). Aber auch jenseits dieses starren Quotenpflichtteils, also einer quotalen Mindestbeteiligung der Pflichtteilsberechtigten am Nachlass, werden überlebende Familienmitglieder vor der einseitigen Ausübung der Testierfreiheit des Erblassers geschützt. So sehen etwa im anglo-amerikanischen Rechtskreis die E.e regelmäßig vor, dass ein Gericht die Erbfolge korrigieren kann, v. a. wenn der Erblasser bedürftige Familienmitglieder nicht ausreichend bedenkt (s. für England und Wales der Inheritance [Provision for Family and Dependants] Act 1975). Pflichtteilsberechtigt sind regelmäßig jedenfalls die Abkömmlinge sowie der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner, teils aber auch Eltern des Erblassers.
Das Pflichtteilsrecht ist freilich nicht die einzige einseitige Grenze des gewillkürten E.s. Zu nennen ist v. a. auch die Gesetzes- und Sittenordnung, die der Erblasser in seinem Testament nicht verletzen darf. Die Bedeutung dieser Schranke nimmt jedoch ab. Jedenfalls in Deutschland werden sog.e Geliebtentestamente nicht mehr als sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB angesehen, selbst wenn die erbrechtliche Begünstigung allein zur Förderung sexueller Handlungen erfolgen würde (was praktisch nicht nachweisbar ist); die Wertungen des Prostitutionsgesetzes schlagen auch auf das E. durch. Auch die Enterbung naher Angehöriger verstößt per se nicht gegen die guten Sitten, da diese bereits über ihren Pflichtteil geschützt werden. Des Weiteren werden sog.e Behindertentestamente, mit deren Hilfe der Nachlass im Hinblick auf einen bedürftigen Erben dem Zugriff des Sozialleistungsträgers entzogen wird, nicht als sittenwidrig angesehen. Raum für einen Verstoß gegen die guten Sitten besteht aber bei Ebenbürtigkeitsklauseln, wenn Hausgesetze ehemals hochadliger Häuser, die in letztwillige Verfügungen übernommen wurden, auf den Erbprätendenten „einen für diesen unzumutbaren Druck bei der Eingehung einer Ehe […] erzeugen“ (BVerfG – BvR 2248/01).
Allerdings bestehen nicht nur einseitige, sondern auch allseitige Schranken des gewillkürten E.s, von denen auch die Erblasser und Erben nicht gemeinschaftlich abweichen können. Bereits über den Pflichtteil können die Beteiligten nicht in allen Rechtsordnungen im Voraus disponieren (Art. 1130 Abs. 2, Art. 791 Fall 1 belgischer Code Civil; Art. 458 Satz 2 italienischer Codice civile; Art. 4:4 Abs. 2 niederländisches Burgerlijk Wetboek; Art. 2170 portugiesischer Código civil; Art. 816 spanischer Código civil), anders als in Deutschland (§ 2346 BGB). In vielen Systemen treten allseitig zwingende Regelungen v. a. in Gestalt der Erbschaftsteuer als eine zwingende Nachlassbeteiligung des Staates auf, wobei der Staat entweder den Nachlass oder den Erbanfall bei den Begünstigten besteuern kann. Privilegiert werden im Erbschaftsteuerrecht regelmäßig durch Freibeiträge und niedrigere Steuersätze nahe Angehörige des Erblassers, aber auch der Erwerb bestimmter – in den Augen des Gesetzgebers – erhaltenswerter Vermögenseinheiten, etwa unternehmerisch oder landwirtschaftlich genutztes Vermögen.
4. Mechanik des Erbgangs
Das E. beschäftigt sich jedoch nicht nur mit der Frage, welchen Personen das Vermögen des Erblassers nach dessen Tod zufallen soll. Es muss auch den Erbgang als solches ausgestalten, also den Übergang des Vermögens vom Erblasser auf die Erben. Hier stellen sich zahlreiche Fragen: Auf welche Weise erhalten die Erben das Vermögen? Wer verwaltet den Nachlass in der Übergangsphase? Inwieweit können die Gläubiger des Erblassers auf den Nachlass und das Vermögen der Erben zurückgreifen? Wie bestimmt sich der Erbgang, wenn mehrere Erben zum Zuge kommen?
Der Erbgang kann unterschiedlich vonstattengehen. Einige Rechtsordnungen, wie das deutsche Recht, folgen den Grundsätzen der Universalsukzession und des Vonselbsterwerbs. Das Vermögen des Erblassers – mit all seinen Aktiva und Passiva – geht als Ganzes mit dem Tod des Erblassers auf die Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB). Es bedarf damit Regelungen, die das Verhältnis des Nachlasses zum übrigen Vermögen der Erben definieren, etwa im Hinblick auf Nachlassverbindlichkeiten (§§ 1967 ff. BGB). Auch muss den Erben gestattet werden, mittels einer Ausschlagung den Erberwerb zu verhindern (§§ 1942 ff. BGB).
Es bestehen für die Mechanik des Erbgangs aber auch andere Regelungsvarianten. So geht etwa in den meisten vom common law geprägten Rechtsordnungen das Vermögen des Erblassers mit seinem Tod als Ganzes über, allerdings nicht unmittelbar auf die Erben, sondern zunächst auf einen personal representative (einen vom Gericht bestellten administrator oder vom Erblasser bestimmten executor), der das Vermögen verwaltet, die Nachlassschulden begleicht und lediglich den Überschuss an die Erben auskehrt (für England und Wales Sec. 33 Administration of Estates Act 1925). Auch im schwedischen Recht stellt der Nachlass zunächst eine juristische Person dar (Kap. 18 § 1 ff. schwedisches Ärvdabalk). Teils wird aber auch der Erberwerb durch die Erben von einem Hoheitsakt (so etwa in Österreich mit seiner Einantwortung, §§ 797, 819 österreichisches ABGB) oder von einer Annahmeerklärung durch die Erben (Art. 459, Art. 528 ff. italienischer Codice civile) abhängig gemacht.
5. Funktionen
Dem E. wird traditionell erhebliches gesellschafts-, wirtschafts- und familienpolitisches Potential attestiert. So beschreibt etwa Alexis de Tocqueville in seinem Werk „De la démocratie en Amérique“ das E. als eine Maschine, die der Gesetzgeber nur einmal einstellen müsse, um für eine entsprechende Vermögensverteilung in einer Gesellschaft zu sorgen. Auch Lorenz von Stein betont in seiner „Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich“, dass die Ausgestaltung des E.s „diese Frage [sei], auf der die ganze Zukunft der socialen Gestaltung Europas in den nächsten beiden Generationen beruhen wird“ (von Stein 1850: 227).
In der Tat lässt sich kaum bestreiten, dass das E. wichtige Funktionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Familie übernehmen kann. Man muss sich nur für einen Augenblick vorstellen, wie eine Welt ohne ein E. aussähe. So kann das E. womöglich dafür sorgen, dass potentielle Erblasser – also alle Mitglieder der Gesellschaft – produktiv und sparsam bleiben, weil sie wissen, dass sie das Vermögen, das sie nicht mehr für sich selbst verbrauchen, an die nächste Generation weitergeben können (Erblassermotivationsfunktion). Das E. kann aber auch als Umverteilungsmechanismus eingesetzt werden, zwar weniger – wie noch in der Französischen Revolution erhofft – um eine Machtkonzentration durch große Vermögen in einer Gesellschaft aufzubrechen, aber um die Vermögensungleichverteilung innerhalb der Gesellschaft auszugleichen bzw. durch das E. nicht zu verstärken (Umverteilungsfunktion). Diese Funktion kann v. a. im zwingenden E. die Erbschaftsteuer (oben 3.3) übernehmen. Dem E. kann aber auch die Aufgabe zukommen, dafür zu sorgen, dass jede Generation über das in der Gesellschaft verfügbare Privatvermögen entscheiden kann. Das E. kann Vermögensbindungen durch eine Testamentsvollstreckung oder Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft beschränken und damit die wirtschaftliche Ausrichtung des Vermögens in jeder Generation aktualisieren (Aktualisierungsfunktion). Eine wichtige Rolle nimmt das E. innerhalb der Familie ein, wo es Keim, aber auch Motor einer (speziell intergenerationellen) Solidarität sein kann (Solidaritätsfunktion). Schließlich kann es Aufgabe des E.s sein, durch Privilegien beim Pflichtteil oder der Erbschaftsteuer für eine Erhaltung wirtschaftlicher Einheiten zu sorgen und damit eine intergenerationelle Kontinuität bspw. von Unternehmen sicherzustellen (Kontinuitätsfunktion). Konkret wird in zahlreichen Rechtsordnungen v. a. landwirtschaftlich genutztes Vermögen beim Generationenwechsel geschützt, um eine Fortführung des Hofes durch die Familie zu ermöglichen. Inwieweit ein E.s-gesetzgeber diese Funktionen umsetzen kann, hängt freilich von zahlreichen ökonomischen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren ab.
6. Schutz vor privater Erbrechtsetzung
Solange es das E. gibt, versuchen Einzelne, ihr Vermögen dem E. zu entziehen und privaten Nachfolgeregelungen zu unterwerfen, und zwar nicht nur für den eigenen Erbfall, sondern generationenübergreifend für eine unbestimmte Anzahl von nachfolgenden Generationenwechseln. Ziel einer solchen privaten E.-Setzung ist es v. a., das Vermögen dauerhaft für einen bestimmten, vom Vermögensinhaber definierten Zweck – etwa als dynastisches Familienvermögen – zu erhalten.
Für eine generationenübergreifende Vermögensbindung bestehen und bestanden verschiedene Rechtsinstitute. In der Vergangenheit wurden große Vermögen etwa durch Hausgesetze des hohen Adels (solange dieser nicht dem bürgerlichen E. unterlag) oder Familienfideikommisse dem E. entzogen; die gebundenen Vermögen unterlagen alleine der vom Stifter festgelegten Nachfolgeordnung. Aber auch heute kann der Einzelne für sein Vermögen generationenübergreifend das E. ausschalten. Insb. bietet sich hier die Stiftung des bürgerlichen Rechts an (§§ 80 ff. BGB), etwa in Form der Familienstiftung, oder der dynastische trust in den vom common law geprägten Rechtsordnungen. Ein E.s-Gesetzgeber, der mit seinem E. Funktionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Familie erreichen möchte (oben 5.), muss solche privaten E.-Setzungsmechanismen freilich beschränken, etwa durch inhaltliche oder zeitliche Schranken, wie das in einigen Rechtsordnungen der Fall ist.
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Empfohlene Zitierweise
A. Dutta: Erbrecht, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Erbrecht (abgerufen: 22.11.2024)