Kapitalismus

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  1. I. Geschichte
  2. II. Wirtschaftswissenschaft
  3. III. Philosophie
  4. IV. Sozialethik

I. Geschichte

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1. Begriff und Gehalt

K. ist eine seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. zunächst selten verwendete, seit der Wende zum 20. Jh. populär werdende Bezeichnung für die als neu empfundene Art des Wirtschaftens und Lebens. Große Industrie und Großstadt, die Proletarier, aber auch die Technisierung des Alltags und die Durchdringung der Welt mit Marktbeziehungen einerseits, das offenkundige soziale Elend der jungen Industriestädte andererseits, luden die Begriffsbildung von Beginn an normativ auf. Zum einen diente K. zur Bezeichnung des Neuen im Unterschied zur herkömmlichen Welt von Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) und Handwerk; zum anderen markierte er seit Karl Marx eine bestimmte Sicht der sozialen Ungleichheit, die auf der Basis von Marx’schen Überlegungen bei Werner Sombart zur Vorstellung eines Wirtschaftssystems des K. verdichtet wurde. Damit bekam der Begriff seinen Doppelcharakter als historische Unterscheidung und polemische Beschreibung, der ihn bis heute kennzeichnet. Seine Verwendung verbreitete sich im 20. Jh. dementsprechend weniger in den ökonomischen Wissenschaften, sondern mehr in der kritischen Soziologie und den Kreisen der Arbeiterbewegung. Im englischen Sprachraum fehlte und fehlt der polemische Unterton weitgehend; hier wurde von Capitalism zumeist deskriptiv gesprochen, was sich seit den 1990er Jahren in der Debatte über die Varieties of Capitalism weltweit durchgesetzt hat. Die normative Aufladung des Begriffs wurde allerdings nie völlig getilgt; seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 (Finanzmarktkrise) zeichnet sich erneut ein kritischer Sprachgebrauch ab.

Dennoch bleibt der Begriff, zumal mit seinen polemischen Verknüpfungen, problematisch. Schon der von W. Sombart popularisierte Systembegriff unterstellt eine Geschlossenheit und historische Abgrenzbarkeit der modernen Wirtschaft, die empirisch nicht zu zeigen ist. Der Verweis auf soziale Ungleichheit und Ausbeutung ist zwar nicht gegenstandslos, doch ist es fraglich, ob diese Kennzeichen wirklich typisch für die moderne Wirtschaft sind oder sich nicht auch überall dort finden lassen, wo nicht nach kapitalistischen Gesichtspunkten gewirtschaftet wurde oder wird.

Mithin sind einige konzeptionelle Präzisierungen notwendig. Zunächst sollte nicht von kapitalistischem Wirtschaftssystem, sondern von kapitalistischer Wirtschaftsordnung gesprochen werden (kapitalistisch ist v. a. die Ordnung der ökonomischen Transaktionen). Im Mittelpunkt steht zweifellos die Ordnung des Handelns eigennutzorientierter Akteure durch preisbildende Märkte, aber das allein macht eine Wirtschaft nicht kapitalistisch. Entscheidend hierfür ist die kapitalintensive Produktion für anonyme Massenmärkte. In funktionaler Hinsicht muss ein Teil der Wertschöpfung zur Kapitalakkumulation verwendet werden und steht damit nicht dem Konsum zur Verfügung. Da in personeller Hinsicht dieses Kapital einzelnen Personen als Eigentum zugeordnet ist, entsteht soziale Ungleichheit. Das Privateigentum garantiert, dass die Nutzung des akkumulierten Kapitals dezentral und nach Nutzenkalkül (Nutzen) erfolgt. Nur hierin unterscheidet sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung von sozialistischen Ordnungen, die den Entscheidungsmechanismus über preisbildende Märkte zugunsten administrierter Transaktionen ersetzten. Sie zerstörten damit zugl. die Innovationsdynamik (Innovation) der Wirtschaft, da sie die dezentrale ökonomische Evolution, also die spontane Entstehung von Handlungsvarianten entspr. des jeweiligen Markterfolges, mit staatlicher Planung (Zentralverwaltungswirtschaft) nicht hinreichend simulieren konnten; es gab hier keinen Grund, von einmal gefundenen Lösungen abzuweichen, während im K. die permanente Verschiebung der relativen Preise stets neue Handlungsanreize setzt. Die damit gegebene Unruhe, kritisch formuliert die Anarchie und Krisenanfälligkeit des Marktes, die nach Joseph A. Schumpeter andauernde kreative Zerstörung, ist in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung also ein wesentlicher Vorteil, zumal die Folgen dieser Zerstörung lokalisierbar bleiben und sozial abgefangen werden können. Krisen sind auch für den K. kennzeichnend, doch sind sie zumeist Begleiterscheinungen eines aufwärtsgerichteten Trends, solange die Innovationsfähigkeit nicht abreißt.

2. Entstehung und Dynamik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung

Eine historisch präzise Chronologie kapitalistischen Wirtschaftens lässt sich nicht geben. Zur dominanten Form wurden entspr.e Handlungen seit dem 17. Jh. zunächst in den Niederlanden und Großbritannien, um sich von hier aus dann über den europäischen Kontinent und in die sog.en Western offshoots (USA, Kanada, Neuseeland, Australien), später auch in Teilen Lateinamerikas und Asiens auszubreiten. Über die Anfänge des K. in Europa gibt es eine Fülle an Literatur. Mittlerweile gelten Ein-Faktor-Erklärungen (etwa Protestantische Ethik, der Staat, Gewalt und Krieg, Technik etc.) als unzureichend. Neuere Erklärungen gehen vielmehr vom historisch kontingenten Zusammenspiel zahlreicher Faktoren aus, die zuerst in den Niederlanden, dann in Großbritannien ein Klima der Dynamik schufen, das v. a. mit der Versorgung städtischer Zentren und der Organisation der dortigen Produktion und Finanzen korrespondierte, zudem von der Verschiebung der Handelswege seit dem 16. Jh. (Häfen als Knotenpunkte weltwirtschaftlicher Beziehungen) profitierte. Hier entstanden neue Formen der Unternehmung und Finanzierung, wurde spekulatives Handeln als wirtschaftlich produktiv erkannt, wurden neue semantische Zugänge zur Welt und eine nutzenorientierte Umgestaltung der Institutionen möglich, trugen Wissenschaften und die vergleichsweise große Durchlässigkeit der sozialen Hierarchien zur Durchsetzung neuer Techniken und Arbeitsverfahren bei. Diese erwiesen sich als profitabel, weil in Europas großen Städten frühzeitig das Phänomen des Massenabsatzes entspr. hergestellter Güter erkennbar wurde. In ebendieser Verknüpfung von Eigentumsnutzung und Massenkonsum über kapitalintensive Produktion liegt das eigentlich Neue der Wirtschaftsordnung.

Ihr Erfolg begründete den Aufstieg der Niederlande und Großbritanniens, verschärfte aber auch die Konkurrenz der Staaten, die für sich die jeweils günstigsten ökonomischen Bedingungen sichern wollten. Es kam zur sog.en Great Divergence, d. h. Staaten, die den Übergang zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung verpassten, fielen ökonomisch zurück und verloren auch die Basis nationaler Machtentfaltung (v. a. China, Indien). Der Aufstieg des britischen Empire war insofern Folge, Bedingung und Ursache der globalen Ausbreitung des K. Entscheidend hierfür war neben den Verbesserungen der Transporttechnik die (mitunter auch kriegerische) Durchsetzung der von Großbritannien kontrollierten Regeln der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (freier Handel, stabile Geldverhältnisse/Goldstandard, etc.).

3. Globalisierung

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung war von Anfang an nicht auf nationale Kontexte begrenzt. Je nach Kontext bestanden unterschiedliche Ausprägungen des K. (varieties of capitalism). Mit der Durchsetzung moderner kapitalintensiver Produktionsverfahren nahmen die zunächst regionalen, später globalen Wertschöpfungsketten an Bedeutung stark zu, globalisierten sich die Liefer- und Absatzbeziehungen, ohne dass dies mit einem einfachen Ausbeutungsschema hinreichend zu erfassen wäre. Zwar waren die ersten Globalisierungsphänomene im Kontext des atlantischen Dreieckshandels von Gewalt, Sklaverei und Krieg geprägt, doch zeigt die Entwicklung seither, dass derartige Phänomene gerade nicht typisch sind. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist viel stärker durch technisch getriebenen Wandel mit globalen Dimensionen gekennzeichnet. Entscheidend waren das Absinken der Transportkosten und eine entspr. effiziente Organisation der Handelsströme durch den Ausbau der Transportlogistik, ferner die Skaleneffekte von Massenproduktion, mit denen die Begrenztheit nationaler Märkte rasch offenkundig wurde. Schließlich wurde dadurch auch eine Homogenisierung des Nachfrage- und Konsumverhaltens befördert, das selbst wiederum zum Träger der Globalisierung avancierte.

4. Postkapitalismus

Auch wenn antikapitalistische Effekte weiterhin verbreitet sind, gibt es doch keine überzeugenden alternativen Ordnungsentwürfe, zumal eine kapitalintensive, akkumulierende Ökonomie kein Spezifikum des K., sondern jeder wachsenden, sich verändernden Wirtschaft ist und für die typisch kapitalistischen Momente (dezentrale Entscheidungen auf Basis von Privateigentum, preisbildende Märkte) funktionale Äquivalente bisher nicht gefunden sind. Die sozialistischen Experimente 1917–89 jedenfalls sind alle daran gescheitert, komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge zentral zu planen und in ihrem Ablauf indikativ zu steuern. Der K. ist krisenanfällig und enthält keinen systematischen Schutz gegen Fehlverhalten, Betrug und Opportunismus. Der erfolgreiche Strukturwandel der vergangenen 200 Jahre und das materielle Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung erweisen die kapitalistische Wirtschaftsordnung jedoch als die einzige, die es vermocht hat, eine substantielle Zunahme des Lebensstandards auch und gerade der sog.en kleinen Leute zu erreichen.

II. Wirtschaftswissenschaft

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Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht stellen sich bei der Beschäftigung mit dem K. vor allem zwei Fragen: Erstens jene nach dem institutionellen Vergleich kapitalistischer mit anderen Wirtschaftssystemen und der Wirkung verschiedener Effekte auf den Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung in diesen unterschiedlichen Systemen. Hierzu gehören auch die entspr.en wirtschaftlichen Interaktionen, die sich in Wirtschaftssystemen abspielen und Konsum bzw. Produktion steuern und wirtschaftlichen Output sowie Beschäftigungsgrad im Zeitverlauf beeinflussen. Zweitens geht es um die Interdependenz des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit dem politischen und institutionellen Gefüge von Gesellschaften und den Auswirkungen auf die in diesen Gesellschaften lebenden Menschen. Mit Hinblick auf die erste Frage ist festzuhalten, dass der K. sich Ende des 20. Jh. im Wettbewerb mit sozialistischen Systemen (Zentralverwaltungswirtschaft) als klar überlegenes System herausgestellt hat und gegenwärtig fast weltweit – wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen – als alternativlos angesehen wird. Aufgrund der ausführlichen Behandlung der Gründe dafür an anderer Stelle (z. B. Neue Politische Ökonomie, Liberalisierung) wird dieser Sachverhalt hier nicht weiter diskutiert. Entspr. steht im Folgenden die institutionelle Analyse im Vordergrund.

In den Modellwelten der Wirtschaftswissenschaft wurde historisch häufig beleuchtet, welche evolutiven Prozesse sich in kapitalistischen Systemen abspielen und wie sich kapitalistische Systeme über die Zeit wandeln. Grob lässt sich hier in Bezug auf die weitere Entwicklung und langfristige Beständigkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme zwischen „pessimistischen“ und „optimistischen“ Theorien unterscheiden. Geeint werden beide Theoriestränge dadurch, dass sie allesamt mehr oder weniger deterministisch sind und dem Ablauf von wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Prozessen innerhalb kapitalistischer Wirtschaftssysteme eine teleologische Dynamik unterstellen. Letztendlich handelt es sich bei Theorien des K. immer um Entwicklungstheorien. Im Folgenden werden die wichtigsten Ansätze zur Beschreibung der internen Dynamik kapitalistischer Wirtschaftssysteme vorgestellt.

Der prominenteste Ansatz, der einen unauflösbaren Widerspruch im K. verortet, ist jener von Karl Marx (Marxismus). In der marxschen Denkart wird der K. aufgrund des Gesetzes des Falls der Profitrate als langfristig nicht überlebensfähig angesehen: Kapitalisten müssten wegen des vermehrten Einsatzes von Maschinen – für K. Marx ist Wertschöpfung nur aus menschlicher Arbeit möglich – nach Einsparungsmöglichkeiten suchen. Diese nehmen i. d. R. die Form von Lohnkürzungen oder Arbeitszeitausweitungen an. Die Konkurrenz unter Kapitalisten verstärkt laut K. Marx diesen Prozess noch zusätzlich. Dadurch verschlechtern sich die Lebensverhältnisse großer Bevölkerungsteile laufend, was das revolutionäre Potential kapitalistischer Gesellschaften graduell erhöht. Mit zunehmender Pauperisierung des Proletariats werde, so K. Marx, die Revolution und der Übergang zu Sozialismus und Kommunismus schlussendlich unabwendbar. Diese Prognose von K. Marx ist freilich so nicht eingetroffen, lebt aber u. a. in den unterschiedlichen Theorien des Neomarxismus weiter fort, welche Widersprüche des K. nicht mehr in der Produktionsstruktur, sondern in den sozialen Beziehungen und kulturellen Werten, die dieser hervorbringe, verorten. Auch in rezenten Debatten über ökonomische Ungleichheit zeigt sich K. Marx’ Einfluss, bspw. wenn Entwicklungstendenzen in kapitalistischen Wirtschaftssystemen allzu vereinfacht dargestellt werden (z. B. Thomas Pikettys Gleichung r>g, die postuliert, dass Kapitalrenditen i. d. R. höher seien als das Wirtschaftswachstum, woraus Piketty eine dem K. innewohnende Tendenz zu immer weiter fortschreitender Ungleichheit ableitet). Generell zeigt sich aber, dass sich die unterschiedlichen Stufentheorien, nach welchen sich wirtschaftliche Entwicklung stets in denselben – und vom Wirtschaftswissenschaftler erkennbaren – Bahnen vollzieht, nur wenig Erfolg in der Erklärung und v. a. der Vorhersage der tatsächlichen Entwicklung haben. Ganz egal ob wir hierbei von (neo-)marxistischen Ansätzen sprechen oder aber von Friedrich Lists Entwicklung vom „Wilden Zustand“ zur Zeit des „Agrikultur-Manufaktur-Handelsstand“ (List 1959: 29), Karl Büchers Wirtschaftsstufentheorie oder von Walt Whitman Rostows „drive to maturity“ (Rostow 1991: 59) – die Vorstellung, dass sich der weitere Verlauf des Wirtschaftslebens ex-ante verstehen und somit korrekt prognostizieren lasse, hat sich wiederholt als fehlgeleitet herausgestellt.

Neben den materialistischen (Materialismus) Ansätzen von K. Marx u. a.n finden sich auch eher ideelle Theorien, die dem K. ein nahendes Ende prophezeien. So fragt auch Joseph Alois Schumpeter (1942) „Kann der Kapitalismus weiterleben?“ und gibt zur Antwort: „Nein, meines Erachtens nicht“ (Schumpeter 2005: 105). Grund für diese pessimistische Prognose J. A. Schumpeters sind angenommene Rückkopplungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf nicht-wirtschaftliche Voraussetzungen kapitalistischer Wirtschaftspraxis: soziale Normen, informelle Institutionen und kulturelle Muster. J. A. Schumpeter vermutete, dass langjährige gute wirtschaftliche Entwicklung – wie sie K. in der Regel in Gang setzt – gewisse Ansprüche an das System innerhalb der Bevölkerung entstehen lässt. Diese zehrten dann an den „schützenden Schichten“ der öffentlichen Moral, die das Bestehen des kapitalistischen Systems erst ermöglichen (Innovationsfreudigkeit, Akzeptanz einer gewissen ökonomischer Ungleichheit, Toleranz von ständigem Wandel) und machen somit das Bestehen einer kapitalistischen Zivilisation langfristig unmöglich. Zusätzlich führt die Entstehung von Großbetrieben im K. dazu, dass der schließliche Übergang in den Sozialismus gewissermaßen schon vorbereitet werde. Hierbei muss aber angemerkt werden, dass die wörtliche Auslegung von J. A. Schumpeters Formulierungen nicht unumstritten ist: so merkt Ingo Pies 2017 an, dass „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ eine gewisse Ironie zu eigen ist und J. A. Schumpeter eigentlich an einer kompromisslosen Verteidigung des K. gelegen war. Ähnliche Gedanken wie J. A. Schumpeter – wenn auch ohne die starke Determiniertheit – formuliert u. a. Wilhelm Röpke, der sich v. a. um stetige Zentralisierungstendenzen und die Erosion von sozialen Normen durch kapitalistische Wirtschaftspraxis sorgt. Auch wenn die Prognosen J. A. Schumpeters und die Befürchtungen W. Röpkes als übertrieben bezeichnet werden können, so weisen sie doch richtigerweise darauf hin, dass K. nicht als genuin wirtschaftliches Phänomen verstanden werden sollte. Es ist einleuchtend, dass K. auf gewissen Werten und Normen aufbaut, die das Wirtschaftssystem nicht alle aus sich heraus hervorbringen kann und deren Persistenz durch den K. selbst gefährdet wird. Um Fragen dieser Art haben sich in den vergangen Jahrzehnen in der Neuen Institutionenökonomik, der kontextualen Ökonomik und in der Wirtschaftssoziologie rege Debatten entfaltet. Auch wird so ersichtlich, dass es neben den klassischen Staatsaufgaben wie der Sicherung von Privateigentum (Eigentum), der Aufrechterhaltung des Rechtssystems oder der Landesverteidigung noch weitere Bereiche geben kann, in denen wirtschaftliche Interventionen seitens des Staates die Funktionalität von kapitalistischen Systemen befördern, z. B. in Form von Etablierung und Durchsetzung von sozialen Schuztmaßnahmen notwendig sind. Überdies finden sich bspw. in W. Röpke und Alexander Rüstow Ansätze, die den Staat auch in der Pflicht sehen, etwaige ethische und umweltbezogene Missstände kapitalistischer Wirtschaftspraxis abzumildern und so das notwendige soziale und ökologische Kapital für zukünftige Wirtschaftstätigkeit zu erhalten.

Der junge J. A. Schumpeter hatte eine optimistischere Vision des K. und dessen Zukunft. Zwar sei das System krisenanfällig und durch stetigen Wandel gekennzeichnet, doch der Wettbewerb zwischen Unternehmern um Kapitalgüter und um die Gunst von Konsumenten führe letztlich dazu, dass nutzbringende Innovationen auch gegen anfängliche Widerstände durchgesetzt werden können – daraus resultiert eine immerfort währende „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter 2005: 113). Die Gewinner in diesem Wettstreit zwischen Unternehmern könnten sich, so J. A. Schumpeter, ihrer Monopolgewinne aber nie lange erfreuen, da stets Nachahmer auf den Plan gerufen werden. Unternehmer, die langfristig bestehen wollen, müssten notgedrungen ständig nach weiteren Innovationen suchen. Das kapitalistische Wirtschaftsleben könne somit nicht als statisches Gleichgewicht gekennzeichnet werden, sondern als fortwährende wechselhafte Suche nach besseren Lösungen für bestehende Probleme jenseits bekannter Pfade. Diese Ruhelosigkeit, die sowohl von Produzenten als auch Konsumenten ständige Anpassung erfordert, ist der Preis, der für ein innovatives Wirtschaftssystem zu zahlen ist. Der K. erfülle dieses Erfordernis nicht etwa deshalb am besten, weil er Privateigentum an Produktionsmitteln erlaubt, sondern das Entscheidende sei die Übertragung von Entscheidungsbefugnis an und die Risikoübernahme durch die Unternehmerfunktion.

Friedrich August von Hayek wiederum legt ein evolutionäres Konzept vor, welches evolutive Logik auf die institutionelle Ordnung von Gesellschaften anwendet und an dessen (temporären) Endpunkt sich der K. als klar überlegenes und erfolgreiches System durchgesetzt haben wird. Bes.s Augenmerk legt F. A. von Hayek hierbei auf Mechanismen, die in der modernen Institutionsökonomik als informelle Institutionen bezeichnet werden. F. A. von Hayek betrachtet hier insb. religiös motivierte soziale Normen, die sich langfristig nicht etwa deshalb durchsetzen, weil sie logisch begründbar und nachvollziehbar waren. Vielmehr spiele hierbei der reproduktive Erfolg jener Gruppen, die bestimmte Werte annahmen – ausgedrückt in zahlenmäßiger Vermehrung und wirtschaftlichem Erfolg – die entscheidende Rolle. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die sie flankierenden Institutionen der Gegenwart sind laut F. A. von Hayek ein nicht-intendiertes Resultat des evolutionären Erfolges gewisser in ihr gelebter Werte und Normen („spontane Ordnung“ [von Hayek 2003: 68]). F. A. von Hayek sieht diesen automatischen Verbesserungsmechanismus auch in zeitgenössischen Gesellschaften am Werk – vorausgesetzt, der Anpassungsmechanismus werde nicht durch zu viele (meist von staatlicher Seite implementierte) „gesetzte Ordnungen“ (von Hayek 2003: 40) gestört. Im Wettkampf von Wirtschaftssystemen werde sich letzten Endes jenes durchsetzen, welches die materiellen (und immateriellen) Bedürfnisse von Menschen am besten befriedigt. Diese Denkart, wonach Eingriffe in die natürliche Weisheit eines sich ansonsten selbsttätig verbessernden Systems stets unerwünschte Resultate nach sich ziehen, ist ein wiederkehrendes Motiv in liberalen Theorien über K. (Liberalismus). So bauen F. A. von Hayeks Ideen diesbezüglich in nicht geringem Maße auf Adam Ferguson auf, der Gesellschaftsordnung als „das Resultat menschlichen Handelns, aber nicht menschlicher Planung“ (Ferguson 1782: 205) ansah. Adam Smiths berühmte, wie häufig missverstandene „invisible hand“ fällt letztlich auch in diese Kategorie.

Es zeigt sich also, dass die wirtschaftswissenschaftliche Beschäftigung mit K. sehr uneinheitlich ist und kein Konsens in Bezug auf dessen weitere Entwicklung besteht. Während in der historischen Darstellung der Herausbildung und Genese des modernen K. mittlerweile weitestgehend Übereinkunft herrscht, bleibt dessen Zukunft in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Umbrüche prinzipiell offen. Mit Walter Eucken können wir festhalten, dass es aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wichtig ist, bei der Beschäftigung mit K. nicht in ideologisierte Debatten und einem Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. Man glaubt mit „Schilderungen von Taten des ‚Kapitalismus‘ modern zu sein und ist in Wahrheit in magisches Denken zurückgefallen“ (Eucken 1989: 63). Hierbei lege „jeder in den Kapitalismus Ordnungsvorstellungen herein, die ihm persönlich passen: Anarchie aller Produktion oder Wettbewerbswirtschaft oder Laissez-faire oder Beherrschung des wirtschaftlichen Lebens durch monopolistische Mächte oder Lenkung der Wirtschaft durch einen von anonymen Kräften beherrschten Wirtschaftsstaat“ (Eucken 1989: 64): Es darf bezweifelt werden, ob auf diese Weise ein adäquates Verständnis der tatsächlich im K. stattfindenden Prozesse erreicht werden kann. Wir empfehlen stattdessen eine nüchterne Analyse von Wirtschaftsprozessen und Bescheidenheit in Bezug auf deren Verallgemeinerung.

III. Philosophie

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1. Begriff – Herkunft, systematische Einordnung, Verwendung

Als „kapitalistisch“ werden Wirtschaftssysteme bezeichnet, in denen der Gebrauch von akkumuliertem Kapital bes. wirkmächtig zur Geltung kommt. Zwar ist die Verwendung von dinglichem Kapital und Humankapital in jeder Wirtschaftsepoche relevant, in den als kapitalistisch bezeichneten Wirtschaftssystemen führte Kapitalbildung jedoch zu einem zuvor kaum vorstellbaren Anwachsen der Produktivkräfte sowie zu einer tiefgreifenden Umgestaltung etablierter gesellschaftlicher Strukturen und infolgedessen zu sozialen Konflikten.

Der Begriff „Kapital“ leitet sich von dem lateinischen Terminus capitalis pars debiti (wörtlich „der Hauptteil des Geschuldeten“) her, womit im Hoch- und Spätmittelalter die Summe eines Darlehens ohne Zinsleistungen oder sonstige Nebenschulden verstanden wurde. Die ebenfalls dem Lateinischen entlehnte Wortendung „-ismus“ bezeichnet als Endung von Substantiven urspr. Lehrmeinungen oder Lehrrichtungen.

Systematisch bezeichnet der Begriff „Kapital“ neben dem Begriff „Arbeit“ eine der beiden menschlichen Produktivkräfte, aus denen sämtliche Erzeugnisse menschlicher Wirtschaftstätigkeit hervorgehen. Kapital wird dabei verstanden als Güter jeglicher Art, die ihrerseits als Produktionsmittel jenseits direkter menschlicher Arbeitskraft verwendet werden können. Von K. lässt sich somit dann sprechen, wenn ein Hauptziel wirtschaftlichen Handelns in der Erzeugung derartiger Güter besteht.

Der Begriff „K.“ tritt urspr. als politisches Schlagwort auf, zuerst 1850 in der Korrespondenz des Sozialisten Louis Blanc, 1851 dann bei Pierre-Joseph Proudhon. Beide verstehen unter dem Begriff noch keine Beschreibung eines Wirtschaftssystems, sondern die Aneignung von Kapital durch Personen oder Gruppen unter gleichzeitigem Ausschluss aller anderen. Derartige Eigentumsprivilegien würden es der Gruppe der „Kapitalisten“ ermöglichen, ohne eigene Arbeit ein dauerhaftes Einkommen auf Kosten der Besitzlosen zu generieren. An diese Punkte knüpft bes. Karl Marx an. Der Begriff „K.“ bleibt bis in die Gegenwart hinein politisch konnotiert und wird daher als wertneutraler Begriff, bspw. in den Wirtschaftswissenschaften, kaum verwendet. Hingegen wird „K.“ in den Geisteswissenschaften und der Soziologie bereits zu Beginn des 20. Jh. als ein Terminus zur Charakterisierung wirtschaftlicher und soziologischer Eigenheiten hoch- und spätindustrialisierter Gesellschaften und den in diesen vorherrschenden Geisteshaltungen gebraucht, etwa durch Werner Sombarts Abhandlung „Der moderne Kapitalismus“ (1902) oder durch Max Webers „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904 f.).

War der Begriff „K.“ urspr. ein negativ konnotierter politischer Kampfbegriff, der auf verschiedene Weise auf die Machtverhältnisse zwischen den Eigentümern und den Nichteigentümern der Produktionsmittel verweist, so verschiebt sich die Verwendung des Begriffes im letzten Viertel des 20. Jh. Bes. der Vergleich zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung sozialistischer und kapitalistischer Systeme und der unübersehbare Unterschied ihres durchschnittlichen Wohlstandsniveaus begünstigten einen inhaltlichen Bedeutungswandel und rückten den Begriff „K.“ in die Nähe von Begriffen wie „freie Marktwirtschaft“ oder „Privatwirtschaft“. Spätestens seit den Finanzkrisen (Finanzmarktkrise) des ersten Jahrzehnts des 21. Jh. wird „K.“ jedoch wieder vermehrt gebraucht, um auf als problematisch empfundene Umstände zu verweisen. Im Vordergrund steht nun aber weniger das Machtungleichgewicht zwischen Kapitalisten und Arbeitern, sondern das Bedenken bzgl. der Kontrollierbarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen durch politische Akteure, was den Begriff „K.“ in das Umfeld von Begriffen wie „Globalisierung“ oder „Liberalisierung“ rückt.

2. Definitionsversuche

Im wissenschaftlichen Bereich steht seit dem Ende der sozialistischen Systeme nicht mehr der Unterschied zwischen K. und Sozialismus im Vordergrund, sondern die Frage nach den unterschiedlichen Ausgestaltungen des K., sowohl in seiner geschichtlichen Entwicklung wie auch in seinen lokal unterschiedlichen Ausprägungen. In der Folge erscheint der Begriff „K.“ zunehmend mehrdeutig, sodass mitunter von divergierenden Kapitalismen und weniger von dem K. die Rede ist. Dennoch wurde und wird vielfach der Versuch unternommen, K. durch eine Reihe struktureller Definitionsmerkmale näher zu bestimmen und damit von anderen Wirtschaftsformen abzugrenzen. K. kann dann nicht im weitesten Sinne als Ausdruck eines zu jeder Zeit wirksamen Gewinnstrebens des Menschen angesehen werden, sondern muss anhand einer vorherrschenden wirtschaftlichen Praxis und bestehenden Institutionen dargelegt werden, womit K. dann als wirtschaftshistorischer Epochenbegriff verstanden wird.

In den theoriegeschichtlichen Einordnungsversuchen sind bestimmte wiederkehrende Definitionsmerkmale vorgeschlagen worden, wie etwa das Eigentum an den Produktionsmitteln, die Anwendung einer Kapitalrechnung, die Orientierung der einzelnen wirtschaftlichen Akteure an einem Nutzen- bzw. Gewinnmaximierungskalkül (Nutzen), die Koordination der wirtschaftlichen Handlungspläne durch den über einen Markt vermittelt wirkenden Preismechanismus, Vorliegen von Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsakteuren, freie Lohnarbeit, eigenverantwortliches Handeln, die Übernahme von Risiken durch den Unternehmer oder das allg.e Vorherrschen eines „kapitalistischen Geistes“. Versucht man jedoch, K. nicht als einen Epochenbegriff, sondern als einen universal anwendbaren systematischen Begriff zu bestimmen so sind die vorgeschlagenen Definitionsmerkmale alleine entweder ungenügend oder zu eng gefasst.

3. Kapitalismuskritik – grundlegende Systematik, historische Varianten

Da die Produkte menschlicher Wirtschaftstätigkeit in Konsumgüter und Kapitalgüter zerfallen, können Kapitalgüter erst dann gebildet werden, wenn genügend Konsumgüter vorliegen, um die Subsistenz der wirtschaftlichen Akteure zu sichern. Eugen Böhm-Bawerk definiert dazu den Begriff der „Produktionsperiode“, die die benötigte Zeitspanne bezeichnet, in der neue Güter fertiggestellt werden können. Besteht ein dauerhafter Mangel an zur Subsistenz nötigen Gütern, so muss diese Produktionsperiode so kurz wie möglich gehalten werden. Erst ein gewisser Vorrat und damit ein grundlegendes Wohlstandsniveau erlaubt es, die Produktionsperiode zu verlängern und damit Zeit und Ressourcen in die Erzeugung von Kapitalgütern zu investieren.

An dieser Stelle setzt die klassische, bes. im Zuge der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) aufkommende K.-Kritik ein. Sollte es nur wenige Kapitaleigentümer geben und zudem viele Wirtschaftssubjekte, die keinen Anteil an den Produktionsmitteln haben, dann werden die Letzteren zuerst nur durch ihre Arbeitskraft für ihre Subsistenz sorgen können. Wird zudem ein relatives Überangebot an Arbeitskraft im Verhältnis zu den Produktionsmitteln angenommen, dann werden die Löhne in der Folge auf dem tiefstmöglichen Niveau verharren, nämlich genau auf der Höhe, die eine Erhaltung der Arbeitskraft, also die individuelle Subsistenz, ermöglicht. Da in einer solchen Ausgangslage die Arbeitskräfte außer Stande sind, ihrerseits Kapitalgüter zu erwerben, gelangen sie in wirtschaftliche Abhängigkeit von den Kapitaleigentümern. Die Kapitaleigentümer hingegen erhalten den zusätzlichen Gewinn aus der Verlängerung der Produktionsperiode.

Die historischen Erscheinungsformen der K.-Kritik sind vielfältig. Von den frühen sog.en Maschinenstürmern über die französischen Frühsozialisten wie Charles Fourier bis zu K. Marx und Friedrich Engels formiert sich ein System der K.-Kritik, das seine Wurzeln in ökonomischer Analyse, politischer Philosophie und Gesellschaftstheorie findet. Kernthese dieser K.-Kritiken ist stets das zur „Ausbeutung“ führende ökonomisch und gesellschaftlich bedingte Machtungleichgewicht zwischen Kapitalisten und Arbeitern. Als Lösungsmöglichkeit schlägt bes. der Marxismus ein weitgehendes Abschaffen von Privateigentum an den Produktionsmitteln vor. Autoren der Frankfurter Schule wie Max Horkheimer oder Herbert Marcuse (Kritische Theorie) knüpfen ihre gelegentlich als Neomarxismus bezeichnete K.-Kritik unter teils stark gewandelten Grundpositionen an das marxsche System an.

Die anarchistischen K.-Kritiken betonen noch deutlicher als der Marxismus das Problem der Machtverhältnisse durch ökonomische Gegebenheiten, je nach Strömung werden aber unterschiedliche Lösungsvorschläge angeboten, die sich über das gesamte politische Spektrum verteilen. So weist etwa Pjotr A. Kropotkin in seinem kommunistischen Anarchismus (Anarchie, Anarchismus) die marxistische Wertlehre zurück und sieht die Problemursache weniger in wirtschaftlichen Gegebenheiten, sondern in der konkreten politischen Verfasstheit der Gesellschaften, bes. in der staatlichen Eigentumsgarantie. Der individualistische Anarchismus kritisiert den K. hingegen als eine Wirtschaftsform, die dadurch geprägt ist, dass der freie Markt durch politische Interventionen, Privilegien, staatliche Förderung bestimmter Unternehmen oder Korruption ausgehebelt und dadurch Machtverhältnisse begründet würden.

Die christliche K.-Kritik, insb. in der katholischen Soziallehre im Anschluss an Oswald von Nell-Breuning, bemüht sich um eine Perspektive, die ökonomische Verhältnisse nicht von sonstigem menschlichen Zusammenleben isoliert. Die Sozialethik soll dem K. Grenzen setzen, wobei neben theologischen Grundlagen die Prinzipien von Gemeinwohl, Solidarität, Subsidiarität und Personalität herangezogen werden.

IV. Sozialethik

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1. Geschichte

Im Gegensatz zum englischen capitalism, das eher als wertneutraler Begriff einer Wirtschaftsordnung zu bezeichnen ist, die auf Privateigentum (Eigentum) und Wettbewerb beruht, hat K. im Deutschen eine negative Begriffsbedeutung. In der christlichen Tradition war eine negative Haltung vor der Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) gegenüber dem spätmittelalterlichen Handels-K. und der entstehenden Finanzwirtschaft angelegt. Maßgeblich war dafür das Zinsverbot des AT, die Reichtumskritik Jesu v. a. im Lukas-Evangelium sowie die Kritik der Kirchenväter an unsozialer Bereicherung und fehlender Solidarität. Die Wiederentdeckung der Schriften des Aristoteles mit der negativen Wertung des reinen Erwerbsstrebens, rezipiert durch Thomas von Aquin, verstärkten diese Tendenzen. In einer Gesellschaft, in der Tauschprozesse als Null-Summen-Spiel galten, erschien die Verfolgung von Eigeninteressen nur auf Kosten anderer möglich. In der Phase der Entdeckungen und europäischen Eroberungen im 16. Jh. entwickelte die spanische Spätscholastik (Scholastik) Ansätze zu einer positiveren Bewertung von Märkten und Handel.

2. Christlich-sozialethische Bewegung

Die Soziallehre der Kirche (Katholische Soziallehre) entstand im 19. Jh. in Auseinandersetzung mit dem Industrie-K. sowie später seinem Gegner, dem Sozialismus. Einflussreich war die K.-Kritik durch Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der inhumane Arbeitsbedingungen, niedrige Entlohnung etc. auf die Macht der Kapitalbesitzer zurückführte. Ebenso wurde die Konzentration von Einkommen und Vermögen beklagt. Weiterhin waren die Arbeiter einer schrankenlosen Konkurrenz, den Wechselfällen der Konjunktur und des permanenten Strukturwandels ausgesetzt. Daher wurden die liberalen Ordnungsvorstellungen der Marktwirtschaft einer „Win-win-Konstellation“ (Wohlstand für alle) durch die Verfolgung von Eigeninteressen der Marktteilnehmer als normativ problematisch und empirisch fragwürdig kritisiert. Vielmehr wurden diese als ersatzreligiöse innerweltliche Fortschrittsutopien (Utopie) gedeutet, die vom christlichen Glauben her abgelehnt werden müssten.

Innerhalb des Katholizismus war kontrovers, ob der K. lediglich sozial ausgestaltet werden oder durch eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überwunden werden müsse; hier wurden berufsständische Modelle (Berufsständische Ordnung) diskutiert. In der Praxis setzte sich die Linie der sozialen Ausgestaltung des K. durch Selbsthilfe und Gegenmachtbildung der Arbeiter in Vereinen, Gewerkschaften und Genossenschaften durch. Einschränkungen der Dominanz der Kapitalbesitzer erfolgten durch Arbeitsrecht (Kündigungsschutz), Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Sozialversicherungen.

Im deutschen Katholizismus war strittig, ob das deutsche Wirtschaftssystem als K. bezeichnet werden dürfte. Die Kontroverse bezog sich darauf, ob man mit der Übernahme des Terminus K. die gesamte marxistische (Marxismus) Theorie (einschließlich des Atheismus) rezipiere oder die marxistische Politökonomie zur Analyse und Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse heranziehen könne, und ob auf die Konstatierung von Klassengegensätzen notwendigerweise ein gewalttätiger Klassenkampf folgen müsse. Auch nach 1945 sprachen Sozialethiker vom „sozial temperierten Kapitalismus“ (Nell-Breuning 1990: 237) statt von sozialer Marktwirtschaft.

3. Kirchliche Sozialverkündigung

In der kirchlichen Sozialverkündigung ist der Begriff K. als finanzkapitalistischer Internationalismus („Quadragesimo anno“: Nr. 108, „Populorum progressio“: Nr. 26) aufgegriffen worden. Der K.-Begriff wird in OA (37) und in „Laborem exercens“ (Nrn. 7, 14) ebenso benutzt wie in „Sollicitudo rei socialis“ (N. 21), wo er die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen der Ersten und der Dritten Welt kennzeichnet. Nach Ende der sozialistischen Wirtschaftssysteme betont Papst Johannes Paul II. in „Centesimus annus“ (Nr. 42), eine marktwirtschaftliche Ordnung könne angenommen werden, wenn sie in eine feste Rechtsordnung eingebunden sei. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern benutzt Papst Franziskus bei seiner Kritik an ungerechten ökonomischen Verhältnissen den K.-Begriff nicht.

In der Theologie der Befreiung wurde zur Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Lateinamerika der Begriff K. genutzt und darüber hinaus die Abhängigkeit (Dependencia) der Schwellen- und Entwicklungsländer von Industrieländern kritisiert. In die Dokumente der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen in Medellín (1968), Puebla (1979) und Aparecida (2007) ist eine Kritik am „liberalen Kapitalismus“ (Lateinamerikanische Bischofskonferenz 1979: Nr. 92) als „strukturelle Sünde“ (Boff 1978: 129) eingeflossen.

4. Aktuelle Herausforderungen

K.-Kritik ist in drei Ebenen zu unterscheiden: In hochentwickelten Industrienationen richtet sie sich gegen unzulässige Einflussnahme von Kapitalbesitzern auf politische Entscheidungsprozesse, Zusammenballung und Konzentration ökonomischer Macht, Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung, Eingehen hoher Risiken bei technologischen Entwicklungen, Belastung der natürlichen Umwelt und Raubbau an natürlichen Ressourcen sowie Existenzunsicherheit breiter Bevölkerungsgruppen aufgrund von Strukturwandel (Digitalisierung) und ökonomischen Krisen. Im ökonomischen Bereich hat sich das Gewicht von der Real- zur Finanzwirtschaft verschoben. In kultureller Hinsicht bzw. ideologiekritisch stellt sich die Frage, inwieweit die ökonomische Logik über den Bereich der Wirtschaft hinaus in vielfältige Lebensbereiche vordringt und sie prägt („Kolonisierung der Lebenswelten“ [Habermas 1981: 522]). Der auf Wachstum angelegte K. bringt immer neue Konsumgüter hervor, deren Wert im Sinne einer ethisch reflektierten Bedürfnisstruktur zweifelhaft ist. Feministische K.-Kritik weist auf die Bedeutung unbezahlter (zumeist von Frauen geleisteter) Arbeit für das Funktionieren des K. hin.

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern kann die Kapitalanhäufung in einer schmalen Schicht extrem Reicher dadurch erfolgen, dass Demokratie und Rechtsstaat fehlen oder sehr defizitär sind, so dass Korruption weit verbreitet ist. Wirksame Kontrollinstrumente wie unabhängige Medien, eine lebendige Zivilgesellschaft und schlagkräftige Gewerkschaften sind nicht vorhanden. Bei einer Kooperation von Inhabern der politischen und der ökonomischen Macht (in- wie ausländischen Kapitalbesitzern) können diese ihre Interessen zu Lasten der Mehrheit der Konsumenten und breiter Massen der Arbeitnehmer sowie der natürlichen Ressourcen durchsetzen. Eine wirksame Besteuerung, die Bereitstellung öffentlicher Güter (Bildung) und eine Sozialpolitik sind nicht gegeben. Kapital wird teilweise von den Besitzenden ins Ausland geschafft, so dass die notwendigen Investitionen für die ökonomische Entwicklung fehlen.

Im Kontext der Globalisierung werden die Bedingungen auf den globalen Märkten als K. im negativen Sinne bezeichnet, weil eine politisch gesetzte und durchsetzungsfähige Rahmenordnung fehlt, die v. a. die Macht der transnationalen Konzerne begrenzt und deren Verhalten in Richtung eines gemeinwohlorientierten Wirtschaftens (Gemeinwohl) lenkt. Konzerne entziehen sich durch geschickte Gewinnverlagerung der Steuerpflicht. Sie spielen Staaten gegeneinander aus, wenn es um Investitionsbedingungen (Umwelt- und Sozialstandards) geht. Die internationalen Finanzmärkte sind krisenanfällig und können zu erheblichen Problemen auch in Ländern führen, die nicht ursächlich für die Krise sind, wenn z. B. kurzfristig Kapital abgezogen wird. Weiterhin wird Spekulation sowohl an Finanzmärkten wie an Rohstoff- und Agrarmärkten kritisiert, insoweit die Spekulation die Volatilität der Märkte erhöht. Der globale Handel selbst wie das Wirtschaftswachstum führen zu einer Überforderung der natürlichen Umwelt. Über Warenhandel, Tourismus, Medien etc. werden westliche Kulturmuster (individualistische Lebensformen) vorangetrieben, die einheimische Kulturen und Traditionen verändern.

5. Bewertung

Bis 1800 lebten von den 1 Mrd. Menschen ca. 90 % in absoluter Armut, 2017 ist die Weltbevölkerung auf 7,4 Mrd. Menschen gestiegen, von denen 87 % nicht mehr in absoluter Armut leben müssen. Dies ist zweifellos auf Kernelemente des K., wie private Kapitalbildung, Wettbewerb, Stimulierung des technischen Fortschritts, wie damit verbundene Werthaltungen (Individualismus, Eigennutzstreben, Rechenhaftigkeit) zurückzuführen. Die verschiedenen aktuellen wie historischen Formen des K. zeigen, dass durch demokratische Rechtsstaaten mit steuerlicher Umverteilung, Wettbewerbs-, Sozial- und Umweltpolitik die Dynamik kapitalistischen Wirtschaftens gemeinwohlverträglich gestaltet werden kann. Die größten globalen Herausforderungen liegen darin, wie durch weltweit gesetzte politische Rahmenordnungen Armutsüberwindung und Reduzierung der erheblichen Einkommensunterschiede bei Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen realisiert werden können sowie die Macht dominierender Konzerne (neuerdings u. a. der Internetwirtschaft) wirksam kontrolliert werden kann.