Kodifikation

Version vom 16. Dezember 2022, 06:09 Uhr von Staatslexikon (Diskussion | Beiträge) (Kodifikation)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

K. kommt von codex (caudex), was soviel heißt wie behauener Baum; da die Alten auf wachsüberzogenem Holz schrieben, bedeutet codex später Buch, verengt Gesetzbuch. K. ist nach systematischen Gesichtspunkten zusammenfassende Gesetzgebung auf der Basis rechtsdogmatischer Durchdringung des Rechts für ein großes Sachgebiet.

Die großen K.en der Neuzeit hatten wissenschaftliche und politische Voraussetzungen, die seit der Mitte des 18. Jh. gegeben waren. Im Vernunftrecht der Aufklärung wurde das Recht nach streng systematischen Gesichtspunkten entwickelt und Gerechtigkeit durch systematische Verknüpfung und folgerichtige Ableitung der Rechtssätze als herstellbar angesehen. Diese bes. mit Christian Wolff verbundene Richtung der Rechtswissenschaft entwickelte eine große Reife als Gesetzgebungswissenschaft. Politische Voraussetzungen waren die staatliche Monopolisierung der Gesetzgebung, das Streben nach national-/territorialstaatlicher Rechtseinheit und nach gleichmäßiger Rechtsanwendung. Nach Vorläufern auf dem Gebiet der Strafgesetzgebung in Bayern (1751) und Österreich (1768) sind als reife Früchte des K.s-Gedankens anzusehen das PrALR (1794), der „Code civil“ (1804), der „Code de procedure civile“ (1807), der „Code penal“ (1810), das Österreichische „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch“ (1811) und das „Bayerische Strafgesetzbuch“ (1813).

Durch das Programm der Historischen Rechtsschule wurde in Deutschland die K.s-Idee zunächst zurückgedrängt (Kontroverse Anton Friedrich Justus Thibaut/Friedrich Carl von Savigny 1814), lebte aber in einer zweiten K.s-Welle wieder auf, die wissenschaftlich von der Historischen Rechtsschule zehrte und politisch-wirtschaftlich von dem Bedürfnis nach einem einheitlichen, Rechtssicherheit verbürgenden allgemeinen Recht auf nationaler Basis bestimmt war. Die K.en brauchten lange Zeit der Ausarbeitung und beruhten auf entwickelter Rechtsdogmatik (Dogmatik) mit klaren Rechtsbegriffen. Grundlage des Code civil ist die Arbeit der französischen Juristen seit dem 16. Jh. Die deutschen K.en sind nicht denkbar ohne die durch das Naturrecht geförderte systematische Rechtswissenschaft. Die Pandektistik ist in das deutsche BGB (1896/1900) übergegangen. Weiter zu nennen sind das deutsche StGB (1871), die deutschen Justizgesetze (1877) sowie in der Schweiz Obligationenrecht und Schweizerisches Zivilgesetzbuch (1907/11). Diese K.en sind als zivilisatorische Errungenschaften von kulturell anders geprägten Staaten v. a. in Ostasien (Asiatischer Rechtskreis) und in Südosteuropa übernommen worden, was dauerhaften engen Kontakt zur deutschen Rechtswissenschaft zur Folge hatte.

In der Gegenwart ist immer noch ein Bedürfnis nach K. festzustellen, was die entsprechenden Versuche im Arbeitsrecht und Sozialrecht (SGB) erkennen lassen. Die Bedingungen für das Zustandekommen über lange Zeit wirksamer großer K.en sind heute schlechter. Die Gesetzgebung ist weitgehend Krisenmanagement geworden. Tendenziell gegen K. wirken die Instrumentalisierung des Rechts, die Bedingungen des Gesetzgebungsverfahrens im „Parteienstaat“ und die starke Teilnahme des Parlaments und seiner Ausschüsse an der Ausarbeitung des Gesetzestextes. Die derzeitige Rechtskultur zehrt von den überkommenen K.en, solange die notwendigen Änderungen in deren Systeme eingepasst werden (können). Die den K.en innewohnenden Systeme spielen für die Rechtsanwendung bei der Interpretation und dem universitären Rechtsunterricht weiterhin eine große Rolle.

Zur Bestimmung der Zuständigkeit der Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung kann der K.s-Gedanke im Sinne eines abgeschlossenen Regelungssystems bei der Feststellung helfen, ob der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht – die Länder ausschließend – Gebrauch gemacht hat (zurückhaltend BVerfGE 56, 110 [119]).

Im Völkerrecht sind u. a. folgende K.en von Gewohnheitsrecht enstanden: Haager Landkriegsordnung (1907), Genfer Seerechtsabkommen (1958) und WVRK (1969) (vgl. hierzu Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta). Zu K. im katholischen Kirchenrecht s. CIC, Corpus Iuris Canonici sowie Kirchenrecht.