Umsatzsteuer

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  1. I. Umsatzsteuerrecht
  2. II. Wirtschaftswissenschaftliche Perspektive

I. Umsatzsteuerrecht

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1. Geschichtliche Entwicklung

Vor der Entstehung der modernen U. am Ende des Ersten Weltkriegs waren seit Mittelalter und früher Neuzeit zahlreiche Verbrauchsteuern auf Waren (Akzisen) bekannt. Im Juli 1918 wurde nach Vorarbeiten von Johannes Popitz das Reichsumsatzsteuergesetz erlassen. Dieses erstreckte die Steuerpflicht über Warenlieferungen hinaus auf sonstige Leistungen, also Dienstleistungen, mit Ausnahme der freien Berufe und sah einen Regelsteuersatz von fünf Tausendstel des vereinnahmten Entgelts vor. Die Reichs-U., die als unmittelbarer Vorläufer der heutigen U. bezeichnet werden kann, war – wie schon die Akzise – technisch eine an Akte des Rechtsverkehrs anknüpfende Verkehrsteuer, materiell aber eine auf die Belastung des Endverbrauchers ausgerichtete, indirekt erhobene Verbrauchsteuer. Anders als heute war sie eine Allphasen-Brutto-U., die auf jeder Produktions- und Handelsstufe auf den Bruttowert des Umsatzes bezogen war und damit kumulativ wirkte. Je höher der Steuersatz im Laufe der Zeit anstieg (1920: 1,5 %, 1932: 2 %, 1946: 3 %, 1951: 4 %), desto lauter wurden die Stimmen, die die wettbewerbsverfälschenden, Wirtschaftskonzentrationen befördernden Effekte der Allphasen-Brutto-U. bemängelten. Der Gesetzgeber reagierte zunächst mit der Einführung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft im Jahr 1934. Anfang der 1960er Jahre brachte der Gesetzgeber sodann den Entwurf eines neuen UStG nach dem Modell des Mehrwertsteuersystems mit Vorsteuerabzug in den Bundestag ein (Allphasen-Netto-U.). 1966 stellte das BVerfG die Wettbewerbswidrigkeit des hergebrachten U.-Rechts fest (BVerfGE 21,12). Zeitgleich mit der Verabschiedung zweier Richtlinien des Rates der EWG zur Einführung eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems mit Vorsteuerabzug im April 1967 beschloss der Bundestag darauf das neue Recht, das zum 1.1.1968 in Kraft trat. Der Regelsteuersatz betrug zunächst 10 %. Anders als im Bereich der direkten Steuern kam es in der Folge zu weiteren substanzhaltigen Harmonisierungsschritten durch die EG. Große inhaltliche Bedeutung hatte insb. die 6. Mehrwertsteuerrichtlinie vom Mai 1977 (77/388/EWG), die vereinheitlichende Regelungen zu den steuerbaren Umsätzen, zur Bemessungsgrundlage und zu zulässigen Steuerbefreiungen vorsah und die in Deutschland – verspätet – mit Wirkung ab 1.1.1980 umgesetzt wurde. 2006 wurde diese Richtlinie durch die heute zentrale Mehrwertsteuersystemrichtlinie (2006/112/EG) ersetzt.

2. Regelungssystematik, Maßstäbe und Steuerrechtfertigung

2.1 Steuertatbestand

§ 1 UStG benennt die steuerbaren Umsätze (Lieferungen und sonstige Leistungen, ausgeführt in § 3 UStG), § 2 UStG den steuerpflichtigen Unternehmer. § 4 UStG sieht eine Reihe sachlicher Steuerbefreiungen vor. Die auf dem Entgelt beruhende Bemessungsgrundlage ergibt sich aus § 10 UStG. Nach § 12 UStG liegt der Regelsteuersatz derzeit bei 19 %, der ermäßigte Steuersatz bei 7 % (seit 1993 verlangt das europäische Recht einen Regelsteuersatz von mindestens 15 % und erlaubt maximal zwei ermäßigte Sätze von mindestens 5 %). Der Vorsteuervergütungsanspruch für die U. auf Eingangsleistungen des Unternehmers ist in § 15 UStG geregelt. In allen Fällen setzt die Besteuerung einen inländischen Leistungsort voraus (s. im Wesentlichen § 3 Abs. 5a ff., § 3a UStG). Steuerbar ist auch die privat veranlasste Entnahme einer Leistung aus der unternehmerischen Sphäre (§ 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG). Nach § 18 UStG hat der Unternehmer regelmäßig U.-Voranmeldungen und eine jährliche U.-Erklärung abzugeben. Ausnahmen gelten für Kleinunternehmer (§ 19 UStG).

2.2 Grenzüberschreitende Umsätze

Der grenzüberschreitende Warenverkehr ist vom Bestimmungslandprinzip geprägt (Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung, Erhebung von Einfuhr-U. bei Grenzübertritt). Im Europäischen Binnenmarkt wurden die Kontrollen an den Binnengrenzen und entspr. die Einfuhr-U. mit Wirkung ab 1993 abgeschafft. Stattdessen wurde der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs geschaffen. Im Ergebnis gilt in der EU damit das Bestimmungslandprinzip in modifizierter Form weiter. Der innereuropäische Handel setzt die Erteilung einer U.-Identifikationsnummer voraus.

2.3 Leistungsfähigkeitsprinzip und Globaläquivalenz

Die U. unterliegt dem verfassungsrechtlichen Maßstab der leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung, erfasst die individuelle Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers im anonymen Marktgeschehen aber nur sehr stark typisiert. Das BVerfG bleibt bei der Bejahung umsatzsteuerrechtlicher Grundrechtseingriffe zulasten des Unternehmers und auch des Verbrauchers allerdings sehr zurückhaltend, dies unter Verweis auf die volatilen Marktkräfte (Frage der Überwälzbarkeit). Nach dem Modell der Globaläquivalenz kann die U. dadurch gerechtfertigt werden, dass der Staat Infrastrukturen bereitstellt, die dem Endverbraucher den Konsum ermöglichen. Alternativ kann daran angeknüpft werden, dass der Staat am Ertrag zu partizipieren berechtigt ist, den er ermöglicht hat (Markteinkommenstheorie), und dass die Umsatzbesteuerung eine verlängerte Ertragsbesteuerung ist.

2.4 Bundesstaatliche Kompetenzen

Der Bund verfügt über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der U. (Art. 105 Abs. 2 S. 2 GG); diese Kompetenz ist nach Maßgabe europarechtlicher, im Wesentlichen auf Art. 113 AEUV beruhender Vorgaben auszuüben. Verwaltet wird die U. von den Ländern im Auftrag des Bundes (Art. 108 Abs. 2 und 3 GG). Das U.-Aufkommen fließt, nach Abzug eines Vorweganteils für die Gemeinden (Art. 106 Abs. 5a GG), Bund und Ländern nach einem variablen, den Deckungsbedürfnissen Rechnung tragenden Schlüssel zu (Art. 106 Abs. 3 S. 3 und 4 GG; vgl. zur horizontalen Verteilung unter den Ländern Art. 107 Abs. 1 S. 4 und Abs. 2 GG).

3. Herausforderungen und Perspektiven

3.1 Verhältnis zur Einkommensteuer

Aufgrund ihrer Ergiebigkeit, Unmerklichkeit und Praktikabilität ist die U. für den Staat unvermindert attraktiv. Zugleich ist aber zu bedenken, dass die U. den Endverbraucher nur anonym erfasst und deshalb, vorbehaltlich ihrerseits stark typisierender Befreiungen und Ermäßigungen (etwa für Lebensmittel), zulasten der einkommensschwächeren Steuerpflichtigen regressiv wirken kann. Die gerechtere Steuer bleibt deshalb die den Einzelnen in seiner beruflichen und auch persönlichen Situation individuell erfassende Einkommensteuer; dies gilt unabhängig davon, ob ihr Tarif progressiv oder proportional ausgestaltet ist. Jede weitere Verlagerung der Gesamtsteuerlast hin zur U. ist daher kritisch zu begleiten.

3.2 Missbrauch und seine Bekämpfung

Die U. leidet in erheblichem Umfang unter Missbrauchsmöglichkeiten, gerade auch im internationalen Geschäftsverkehr, in dem den beteiligten Staaten U. nach wie vor durch sogenannte U.-Karusselle verloren geht. Gesetzgeber und Verwaltung steuern dagegen, so durch die Ausdehnung des Reverse Charge-Verfahrens (Besteuerung des Erwerbers; § 13b UStG), durch das Erfordernis einer sogenannten Gelangensbestätigung (§ 17a UStDV) und durch die Sanktionierung der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung (§ 25f UStG).

Auch auf Europäischer Ebene werden Schritte zur Reform des EU-Mehrwertsteuersystems unternommen, um die Steuerausfälle zu verringern, das Recht zu vereinfachen und den administrativen Aufwand zu begrenzen. Bis 2022 soll zudem ein endgültiges System der Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt sein, das die bestimmungslandbezogene Besteuerung mit der Steuerabführung im Ansässigkeitsstaat des Unternehmers (über ein Online-Portal als „einzige Anlaufstelle“) verbindet.

3.3 Hybride Steuern?

Die aktuelle Herausforderung, grenzüberschreitend erbrachte digitale Dienstleistungen zu besteuern, führt – neben der Weiterentwicklung des Betriebsstättenbegriffs (digitale Betriebsstätte) – zu Regelungsvorschlägen, die eine auf dem Umsatz im Absatzmarkt basierende Bemessungsgrundlage mit der Vorstellung einer steuerlichen Teilhabe an den Unternehmenserträgen verbinden (etwa Europäische Kommission, COM[2018] 148 final). Es stellt sich die Frage, ob die (fiskalischen) Vorteile einer solchen Besteuerungsform die Probleme, die ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang des internationalen Steuerrechts mit sich bringt, aufwiegen. Für jede Steuer sollten die Fragen, wer und was aus welchem Grund besteuert wird, beantwortet werden können. Eine nach diesen Prüfkriterien angemessen zugeschnittene und auf die Ertragsbesteuerung abgestimmte U. wird auch in Zukunft elementarer Bestandteil des Steuersystems sein.

II. Wirtschaftswissenschaftliche Perspektive

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1. Definition und Bedeutung

Die U. stellt eine indirekte Steuer auf den gesamten Endverbrauch dar und ist somit auf die Besteuerung der privaten Einkommensverwendung gerichtet. Infolge ihrer ökonomischen Wirkung ist sie als allgemeine Verbrauchsteuer zu klassifizieren, da der theoretische Grundgedanke des Gesetzgebers die Überwälzung der Steuerlast der U. von Unternehmern auf den Letztabnehmer vorsieht, so dass dieser der Steuerdestinatar wird. Aus rechtstechnischer Perspektive ist die U. aufgrund ihrer Anknüpfung an Akte des Rechtsverkehrs als Verkehrsteuer einzuordnen.

Die U. ist mit einem Aufkommen von ca. 243 Mrd. Euro (einschließlich EUSt) in 2019 und einem Anteil von 30,5 % am gesamten Aufkommen aller steuererhebenden Ebenen eine der maßgeblichen Einnahmequellen der Bundesrepublik.

2. Wirkungsweise und Erhebung

Die Allphasen-Netto-U. mit Vorsteuerabzug ist nach geltendem Recht darauf ausgelegt, dass jeder steuerbare und steuerpflichtige Umsatz eines Unternehmers auf jeder Wirtschaftsstufe besteuert wird. Im Rahmen von mehrstufigen Leistungserstellungsprozessen soll der Vorsteuerabzug eine Steuerkumulierung sowie eine Belastung der Unternehmer durch die U. verhindern. Die Besteuerungsbasis ist der jeweilige Nettoumsatz. Die Erhebung der U. erfolgt bei den Unternehmern als Steuerschuldnern, wobei sich deren Zahllast aus dem Unterschiedsbetrag zwischen ausgangsseitig zu entrichtender U. und den Vorsteuerbeträgen aus Vorleistungen ergibt. Wirtschaftlicher Träger der U. ist der Endverbraucher, der die Steuer mit dem Kaufpreis für die erworbenen Güter und Dienstleistungen an die Unternehmer zahlt, jedoch nicht durch den Vorsteuerabzug entlastet wird. Aus der Fraktionierung der Steuererhebung pro Wirtschaftsstufe ergibt sich für den Fiskus ein früherer Zufluss der Steuereinnahmen und ein geringeres Ausfallrisiko als bei Einzelhandelssteuern.

3. Ökonomische Beurteilung

3.1 Umsatzsteuer als Kostenfaktor

Der Unternehmer ist als Steuereinsammler für die Einhaltung und Überprüfung von zahlreichen formalen Anforderungen zuständig, die einen erheblichen administrativen Aufwand verursachen. Mit dem Wegfall der Binnengrenzen im europäischen Markt im Jahr 1993 hat der Staat die Grenzkontrollen faktisch in die Unternehmen verlagert. Der grenzüberschreitende Handel bewirkt im Vergleich zum reinen Inlandshandel um 11 % höhere Compliancekosten (Compliance). Die U. wird vielfach als quasi durchlaufender Posten für die Unternehmer angesehen. Die vom Gesetzgeber intendierte Neutralität der U. wird jedoch schon beim Verstoß gegen formale Anforderungen nicht erreicht. Im Falle einer Versagung des Vorsteuerabzugs bei fehlerhaften Eingangsrechnungen oder einer Verweigerung der Steuerbefreiung bei Exportgeschäften bei Verstoß gegen die Nachweispflichten wird die U. für die Unternehmer zu einem echten Kostenfaktor, was im Hinblick auf das eigentliche Besteuerungsziel der U. systemwidrig erscheint. In diesem Sinne ist der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung einem Übermaß an formalen Anforderungspflichten bereits mehrfach entgegengetreten.

3.2 Regressive Wirkung

Die relative Belastung des Periodeneinkommens durch die U. fällt bei steigendem Einkommen geringer aus, da die Konsumquote mit wachsendem Einkommen sinkt. Diese regressive Belastungswirkung soll aus sozial- und kulturpolitischen Gründen durch verschiedene Steuervergünstigungen abgemildert werden. So unterliegen Teile des täglichen Grundbedarfs wie z. B. Lebensmittel und kulturelle Ereignisse dem ermäßigten Steuersatz von derzeit 7 % oder sind – wie die Wohnungsvermietung an Privatpersonen – steuerbefreit. Bei den sogenannten unechten Steuerbefreiungen wird dem leistenden Unternehmer jedoch der Vorsteuerabzug verwehrt, so dass die U. aus dem Vorumsatz als Kostenfaktor an den Endverbraucher weitergereicht wird. Dementsprechend kann ein ermäßigter Steuersatz zu niedrigeren Endverbraucherpreisen führen als eine U.-Befreiung. Der durch eine Steuersatzdifferenzierung bewirkte Eingriff in die relative Struktur der Güterpreise ist jedoch mit allokativen Nachteilen (Allokation) verbunden und erhöht nach der sogenannten Optimalsteuertheorie die Zusatzlast der Besteuerung.

3.3 Steuerinzidenz

Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Überwälzung der U. von den Unternehmern auf den Endverbraucher ist in der Praxis von den Bedingungen der Märkte abhängig. Grundsätzlich gilt der Lastenverteilungsregel zufolge: Je unelastischer die Reaktion einer Marktseite im Vergleich zu einer anderen, desto größer ist ihr zu tragender Steueranteil. Demgemäß würde eine vollständige Überwälzung nur dann eintreten, wenn entweder die Preiselastizität der Nachfrage Null, oder die Preiselastizität des Angebots unendlich ist. In der Finanzwissenschaft besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Überwälzung der U. im Regelfall nicht vollständig gelingt. Das um die U. erhöhte Preisniveau begegnet einer verringerten Nachfrage, so dass die abgesetzte Gütermenge abnimmt, wodurch es aufseiten der Unternehmer zu einer Gewinnminderung kommt. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht entspricht die Belastungswirkung der Allphasen-Netto-U. mit Vorsteuerabzug einer proportionalen Einkommensteuer auf Arbeitseinkommen, Bodeneinkommen und Reingewinne, während Kapitaleinkommen nicht belastet werden.