Verbraucherschutz

  1. I. Juristisch
  2. II. Wirtschaftswissenschaftlich

I. Juristisch

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1. Begriffsbestimmung

1.1 Definition Verbraucherschutz

V. erfasst alle Rechtsnormen, die den Schutz des Endverbrauchers bezwecken. Solche Regelungen finden sich im Bürgerlichen Recht, im öffentlichen Recht, im Strafrecht sowie im Lauterkeits- und Kartellrecht. Dazu kommen verbraucherschützende Regelungen im Bereich des IPR sowie des internationalen Zuständigkeitenrechts.

1.2 Zweck des Verbraucherschutzes

Das Verbraucherrecht geht von einem Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen Verbraucher und Unternehmer aus. Dieses Machtgefälle ergibt sich einerseits aus der im Regelfall schlechteren finanziellen Ausstattung des Verbrauchers, andererseits aus der Tatsache, dass Unternehmer anders als Verbraucher repeat players und dadurch letzteren an Fachkenntnis überlegen sind. Das Verbraucherrecht soll zu einer Materialisierung der Vertragsfreiheit des Verbrauchers führen. Gleichzeitig stehen Maßnahmen im Bereich des V.es zwangsläufig mit dem Prinzip der Privatautonomie in Konflikt. Ein weiteres Problem des V.es ist dessen starke Generalisierung: Die Regeln des V.es kommen auch dann zur Anwendung, wenn das Kräfteverhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer im Einzelfall verkehrt ist.

2. Verbraucherpolitische Ansätze

Im Wesentlichen werden drei verbraucherpolitische Leitbilder vertreten.

a) Der liberale Ansatz, der im 19. Jh. verbreitet war, geht davon aus, dass Verbraucher unter den Voraussetzungen von Vertragsfreiheit und marktwirtschaftlichem Wettbewerb keine staatlichen Eingriffe zu ihrem Schutze benötigen.

b) Nach dem Informationsmodell muss gesetzlich sichergestellt werden, dass der Verbraucher alle für seine rationale Entscheidung notwendigen Informationen erhält. Das geht häufig mit der Gewährung eines Widerrufsrechts einher, das es dem Verbraucher ermöglicht, sich nach einer cooling off period von meist 14 Tagen wieder von einem unerwünschten Vertrag zu lösen.

c) Das Schutzmodell sieht reine Aufklärung des Verbrauchers als nicht ausreichend an, um dessen strukturelle Unterlegenheit gegenüber dem Unternehmer auszugleichen, sondern hält weiterreichende Eingriffe in die Vertragsfreiheit in Form von zwingendem Gesetzesrecht für erforderlich.

Das deutsche Recht basiert entspr. den Vorgaben des EU-Rechts (Europarecht) heute auf einer Kombination aus dem Informations- und dem Schutzmodell. Während das Schutzmodell aufgrund der damit verbundenen Eingriffe in die Privatautonomie in der Kritik steht, wird am Informationsmodell bemängelt, dass es zu einem information overload führt. Schließlich zeigen Erkenntnisse der behavioural law and economics, dass gewisse Fehlentscheidungen des Verbrauchers nicht durch die Gewährung von Informationen gelöst werden können.

3. Europäische Grundlagen des Verbraucherschutzes

Die EWG, deren erstes verbraucherpolitisches Programm von 1975 stammt, erließ Mitte der 1980er Jahre ihre ersten verbraucherrechtlichen Richtlinien, namentlich die Haustürwiderrufs-RL (1985/577/EWG), die Produkthaftungs-RL (1985/374/EWG) und die Verbraucherkredit-RL (2008/48/EG) sowie im Bereich des Lauterkeitsrechts die RL über irreführende Werbung (1984/450/EWG, nunmehr 2006/114/EG). In den 1980er/1990er Jahren wurde die Rechtsetzung im V. zunehmend europarechtlich geprägt. Nach Schaffung einer Binnenmarkt-Kompetenz der EWG mit Mehrheitsentscheidungen durch die EEA von 1986 entstanden weitere verbraucherschützende Richtlinien, so z. B. die RL über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (1993/13/EWG) und die Pauschalreise-RL (1990/314/EWG, nunmehr 2015/2302/EU). Durch den Vertrag von Maastricht wurde 1993 unabhängig vom Europäischen Binnenmarkt eine Gemeinschaftskompetenz für den V. geschaffen. Für die 1990er Jahre sind u. a. folgende Richtlinien im Bereich des V.es hervorzuheben: die Fernabsatz-RL (1997/7/EG), die RL über vergleichende Werbung (2006/114/EG), die Preisangaben-RL (1998/6/EG), die Unterlassungsklagen-RL (2009/22/EG) sowie die Verbrauchsgüterkauf-RL (1999/44/EG). Letztere wurde zuletzt durch die Warenkauf-RL (2019/771/EU) und die Digitale-Inhalte-RL (2019/770/EU) abgelöst.

Während das europäische Gemeinschaftsrecht zunächst eine Mindestharmonisierung des Verbraucherrechts verfolgt hatte, strebt es seit der ersten Dekade des 21. Jh. eine Vollharmonisierung an, d. h. den Mitgliedstaaten ist bei der Umsetzung der Richtlinie auch nicht ein Abweichen vom Schutzstandard nach oben erlaubt. Ausdruck dessen ist u. a. die Verbraucherrechte-RL (2011/83/EU), in der die Haustürgeschäfte-RL und die Fernabsatz-RL aufgegangen sind, sowie die RL über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL, 2005/29/EG). Die Form der Verordnung wird im V. hingegen nur selten gewählt. Beispiele für eine Verordnung sind die Fluggastrechte-VO (2004/261) und die anderen Passagierrechte-Verordnungen sowie zuletzt die DSGVO (2016/679), der auch verbraucherschützende Wirkung zukommt.

2016/17 führte die Europäische Kommission einen „Fitness Check“ durch, bei dem die bestehenden Richtlinien auf ihre Praxistauglichkeit hin untersucht wurden. Dabei wurden v. a. ein Übermaß an Informationspflichten, das Fehlen eines individuellen Anspruchs des Verbrauchers beim Verstoß gegen die UGP-RL sowie generell ein Mangel an Effizienz bei der Rechtsdurchsetzung beklagt. In der Tat bestehen mit Ausnahmen der Verbandsklagen-RL sowie der ADR-RL (2013/11/EU) und der ODR-VO (524/2013/EU) kaum europäische Vorgaben zur Förderung der Rechtsdurchsetzung.

2018 legte die EU-Kommission mit dem sogenannten New Deal for Consumers ein Maßnahmenpaket zum weiteren Ausbau des V.es vor. Dieses beinhaltet einerseits die sogenannte Modernisierungs-RL (2019/2161/EU), mit der vier bereits bestehende Richtlinien (Klausel-RL, UGP-RL, Verbraucherrechte-RL und Preisauszeichnungs-RL) modernisiert werden. Am wichtigsten für die Weiterentwicklung des V.es ist dabei die Einführung eines individuellen Rechts des Verbrauchers bei Verletzung der UGP-RL sowie die Einführung von Bußgeldern bei der Verletzung der genannten Richtlinien.

Zudem führte der New Deal zur Verabschiedung der RL 202/1828/EU über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der RL 2009/22/EG. Diese Richtlinie soll helfen, das rationale Desinteresse des Verbrauchers zu überwinden, da ein Verband und nicht der einzelne Verbraucher mit der Prozessführung beauftragt ist und sie im Erfolgsfall zu einer unmittelbaren Entschädigung des Verbrauchers führt, anders als die 2018 in Deutschland verabschiedete Musterfeststellungsklage.

4. Materiell-rechtliche Normen des Verbraucherschutzes

4.1 Definition Verbraucher

Für weite Teile des deutschen Zivilrechts definiert § 13 BGB den Verbraucher, § 14 BGB den Unternehmer. Nur wenn Unternehmer und Verbraucher aufeinandertreffen, ist der persönliche Anwendungsbereich der V.-Vorschriften erfüllt. Verbraucher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.

Nicht erfasst von der Definition des § 13 BGB sind Gründungsgeschäfte des Verbrauchers, es sei denn, es handelt sich um einen Verbraucherkreditvertrag bis zu einer Höhe von 75 000 Euro (§ 513 BGB). Dies entspricht den europäischen Vorgaben, ist jedoch in manchen Mitgliedstaaten anders geregelt (vgl. § 1 Abs. 3 österreichisches Konsumentenschutzgesetz). Diskutiert wird immer wieder die Ausdehnung des Schutzes auf KMU, die sich im Verhältnis zu Konzernen oft in einem ähnlichen Macht- und Abhängigkeitsgefälle befinden wie Verbraucher im Verhältnis zu Unternehmen. Ausfluss dieser Überlegungen ist etwa die VO 2019/1150/EU über Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten.

4.2 Weitere zentrale Normen

Wichtige materiell-rechtliche Normen des V.es im Zivilrecht finden sich im BGB, u. a. in den Vorschriften zu AGB in Verbraucherverträgen (§ 310 Abs. 3), zu Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr gegenüber Verbrauchern (§ 312j), zum Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (§§ 355 ff.), zum Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff.), zum Verbraucherdarlehensvertrag (§§ 491 ff.) sowie zum Pauschalreisevertragsrecht (§§ 651a ff.). Der deutsche Gesetzgeber hat sich also für eine dezentrale Regelung der verbraucherrechtlich intendierten Vorschriften entschieden und gegen die Schaffung eines eigenen Verbrauchergesetzbuches. Letzteren Weg hat der Gesetzgeber etwa in Italien und Österreich gewählt.

Strafnormen zum Schutz des Verbrauchers finden sich bspw. in § 16 UWG (strafbare Werbung) sowie Ordnungswidrigkeitentatbestände (Ordnungswidrigkeit) in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UWG (unzumutbare Belästigung durch unerwünschte Telefonwerbung).

Im öffentlichen Recht dienen dem V. u. a. das VIG, das LFGB sowie das AMG.

5. Ausblick

Unbeschadet der Bedeutung des V.es an sich darf auch dessen Auswirkung auf das europäische sowie das deutsche Privatrecht (Europäisches Privatrecht; Privatrecht) nicht unterschätzt werden: So machen die V.-Richtlinien einen Großteil der Rechtsakte der EU im Bereich des Zivilrechts aus und bilden den Nukleus des europäischen Vertragsrechts. Zugleich wurden verbraucherschützende Richtlinien von manchen Mitgliedstaaten, wie auch Deutschland (z. B. Verbrauchsgüterkauf-RL), überschießend umgesetzt, was sich harmonisierend auf das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten auswirkt.

II. Wirtschaftswissenschaftlich

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Unter V. werden alle Maßnahmen und Entscheidungen verstanden, die das Ziel haben, den Interessen der Verbraucher gegenüber Anbietern zur Durchsetzung zu verhelfen. Deshalb stehen den Verbrauchern im Rahmen des V.es verschiedene Rechtsnormen zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung. Die Konsumfreiheit stellt einen der konstituierenden Pfeiler unserer Wirtschaftsordnung dar. Der Bewahrung dieses Gutes liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Konsum eine Angelegenheit eines jeden Einzelnen oder der Familie sei. In dieser Überzeugung verträgt die Freiheitssphäre des Individuums kaum Beschränkungen. Gleichzeitig wird aber mit dieser Annahme die Fähigkeit und die Bereitschaft jedes Verbrauchers unterstellt, seinen eigenen Lebensbereich autonom zu gestalten und ihn gegen alle Anfechtungen von außen zu verteidigen.

Vielfältige, als Dysfunktionen des marktwirtschaftlichen Systems apostrophierte Erscheinungen deuten darauf hin, dass die Verbraucher häufig nicht willens oder in der Lage sind, ihre Konsumfreiheit auch auszuüben (formale v materiale Freiheit). Den Betroffenen erwachsen daraus i. d. R. ideelle oder materielle Schäden, die es, sofern dieses Unvermögen nicht aus Desinteresse oder Indifferenz, sondern aus einer institutionellen Überforderung resultiert, zu verhindern oder zu lindern gilt.

Folglich ist mit Blick auf den V. zu prüfen, ob bzw. inwieweit es zu einer solchen systembedingten Benachteiligung der Verbraucher in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung kommen kann, und welche Gründe ggf. hierfür maßgebend sind.

V. wird zudem durch die Stärkung von Interessenvertretungen (V.-Zentrale, Verbrauchergruppen usw.) und die Bereitstellung von Verbraucherinformationen (produktbegleitende Informationen wie Gebrauchsanleitungen oder der Einsatz von Massenmedien wie die Zeitschrift „test“ der Stiftung Warentest) verfolgt, mit dem Ziel, die schwächere Position der Verbraucher gegenüber Anbietern zu stärken und Abweichungen vom vollkommenen Wettbewerb auszugleichen. So wurde die Stellung der Verbraucherorganisationen in den letzten Jahren gestärkt, nicht zuletzt im Bereich der Sozialversicherung, wo im Zuge der Reformen der sozialen Sicherungssysteme Leistungen aus dem Solidarsystem ausgenommen und in die Verantwortung der Versicherten gelegt wurden, die somit zu Verbrauchern wurden. Konkret wurden die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, der Deutsche Verbraucher Verein sowie die Stiftung Verbraucherinstitut 2001 mit dem Gedanken zusammengeführt, die Beratungsangebote für diese neu entstandenen, komplexen Märkte durch eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Verbrauchervertretung (Zivilgesellschaft) zu intensivieren. Um die schwächere Position einzelner Verbraucher in Zivilprozessen bei der Durchsetzung von Schadensersatzforderungen gegenüber Unternehmen auszugleichen, wurde 2018 das Instrument der Musterfeststellungsklage eingeführt.

V. ist aber nicht nur als Korrektiv für Marktversagen, sondern auch als lenkende und regulierende Intervention in das Marktgeschehen zu verstehen. So ist es nicht immer möglich, einzel- und gesamtwirtschaftliche Ziele in Übereinstimmung zu bringen. Man denke bspw. an die Versorgungslage in bevölkerungsschwachen Gebieten in Deutschland. Auch ist die Vorstellung nicht haltbar, dass eine Harmonisierung der Schutzbedürfnisse verschiedener Gruppen möglich sei. Rivalisierende Ansprüche, die entstehen, wenn Bedürfnisse sich als konfliktbehaftet erweisen, können nicht in irgendeiner Form nacheinander abgearbeitet werden. So stehen wir z. B. bei der Anschaffung eines Autos bzgl. der Schadstoffemissionen vor einer Abwägung zwischen erhöhten Kosten eines E-Autos und Nachteilen für den Umweltschutz.

Es reicht somit nicht aus, das Schutzbedürfnis der Verbraucher auf eine simple Anbieter-Nachfrager-Beziehung zu reduzieren oder als Frage der Wettbewerbssicherung zu begreifen. Wenn Probleme insb. im Bereich der Umweltpolitik angegangen werden sollen, so kommt man nicht umhin, diese Anliegen von Staat und Gesellschaft in einen größeren gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang einzuordnen. Dies erfordert die Abwägung der Schutzwürdigkeit verschiedener Güter mit den Ansprüchen verschiedener Gruppen. Genau die Auseinandersetzung mit diesen Bewertungsproblemen zeichnet eine zukunftsfähige marktwirtschaftliche Ordnung aus.