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Diese ordnungspolitische Kernidee des Josephus bestimmt den polis-politischen Denkansatz, der die unter der seleukidischen Herrschaft vollzogenen Konstituierung des judaischen Ethnos als Polis zur Voraussetzung hatte. Mit der Konstituierung als Polis trat Jerusalem „schließlich voll in die Tradition griechischer Freiheits- und Autonomievorstellungen ein, deren ostentativer Anerkennung übliche hellenistische Herrschaftspraxis war“ (Bernhardt 2017: 139) und die „Selbsthellenisierung durch die Übernahme der politisch-gesellschaftlichen Institutionen der griechischen Welt“ (Bringmann 2005: 104) mit sich brachte. Unter dieser Voraussetzung konnte Josephus die mosaische Ordnungsstiftung, die auf der Gesetzgebung Gottes auf dem Sinai beruht (Antiquitates 1,18–22), im römisch-hellenistischen Ordnungsdiskurs zur Geltung bringen. Josephus preist die judaische <I>politeia</I> „as the finest in the world – in the kind of explicit comparison with other nations that Polybios and Cicero also undertake“ (Mason 2000: XXIV). Dieses beste Paradigma einer politisch-sakralen Vergemeinschaftung könnte man, wie Josephus später folgern wird „als Theokratie bezeichnen&nbsp;[…], wenn dieser starke Ausdruck erlaubt ist“ (Apionem 2,165). Diese Formulierung verweist auf den semantischen Sachverhalt, dass es sich um einen Neologismus handelt, denn urspr. hatte Josephus die Vorzüge des mosaischen Regimes ganz traditionell dessen aristokratischer Verfassung zugeschrieben.
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Diese ordnungspolitische Kernidee des Josephus bestimmt den polis-politischen Denkansatz, der die unter der seleukidischen Herrschaft vollzogenen Konstituierung des judaischen Ethnos als Polis zur Voraussetzung hatte. Mit der Konstituierung als Polis trat Jerusalem „schließlich voll in die Tradition griechischer Freiheits- und Autonomievorstellungen ein, deren ostentativer Anerkennung übliche hellenistische Herrschaftspraxis war“ (Bernhardt 2017: 139) und die „Selbsthellenisierung durch die Übernahme der politisch-gesellschaftlichen Institutionen der griechischen Welt“ (Bringmann 2005: 104) mit sich brachte. Unter dieser Voraussetzung konnte Josephus die mosaische Ordnungsstiftung, die auf der Gesetzgebung Gottes auf dem Sinai beruht (Antiquitates 1,18–22), im römisch-hellenistischen Ordnungsdiskurs zur Geltung bringen. Josephus preist die judaische <I>politeia</I> „as the finest in the world – in the kind of explicit comparison with other nations that Polybios and Cicero also undertake“ (Mason 2000: XXIV). Dieses beste Paradigma einer politisch-sakralen Vergemeinschaftung könnte man, wie Josephus später folgern wird „als Theokratie bezeichnen&nbsp;[…], wenn dieser starke Ausdruck erlaubt ist“ (Apionem 2,165). Diese Formulierung verweist auf den semantischen Sachverhalt, dass es sich um einen Neologismus handelt, denn ursprünglich hatte Josephus die Vorzüge des mosaischen Regimes ganz traditionell dessen aristokratischer Verfassung zugeschrieben.
 
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Die Vielfalt der [[Gesetz|Gesetze]] und Sitten unter den Völkern der Menschheit, so führt er aus, zeigt, dass die einen die Regierungsmacht <I>(politeuma)</I> einem Monarchen, die anderen den Oligarchen und andere wiederum dem Pöbel (Ochlokratie) überantworten. So steht es bei Polybios: Der Kreislauf der Regimetypen endet stets mit einer Verfallsform der <I>politeia</I>. Das musste Josephus auch für das aristokratische Regime der judäischen <I>politeia</I> eingestehen. Deswegen die Rekonzeptualisierung der mosaische Nomothesie: Diese gewinnt ihre Stabilität jenseits des zyklischen Wechsels der Regimetypen durch das theokratische Regime. „Es weist Gott die Herrschaft und Macht zu. Gott ist der eine, nicht geschaffen und ewig. Er zeigt uns seine Macht, obwohl sein Wesen unerkennbar ist“ (Apionem 2,167). Die weisesten der Griechen folgten Moses und bezeugen übereinstimmend die Lehre vom Wesen und der Majestät Gottes. Die T. beruht nicht wie Josephus urspr. ganz judäisch postulierte auf der unmittelbaren Offenbarung Gottes, sondern auf einer philosophischen [[Theologie]], die sich nicht wie Platon an einige wenige wendet, sondern die mosaische Theologie wie Philo auf einen <I>summus deus</I> hin auslegt. In diesem Sinn entfaltet Josephus seinen nomothetischen Ordnungsentwurf, der dem für die antike Welt eigentümlichen Prinzip der Einheit von politischer und kultischer Gemeinschaft im Allgemeinen und den ciceronischen Ideen der <I>civitas</I> im Besonderen folgt.
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Die Vielfalt der [[Gesetz|Gesetze]] und Sitten unter den Völkern der Menschheit, so führt er aus, zeigt, dass die einen die Regierungsmacht <I>(politeuma)</I> einem Monarchen, die anderen den Oligarchen und andere wiederum dem Pöbel (Ochlokratie) überantworten. So steht es bei Polybios: Der Kreislauf der Regimetypen endet stets mit einer Verfallsform der <I>politeia</I>. Das musste Josephus auch für das aristokratische Regime der judäischen <I>politeia</I> eingestehen. Deswegen die Rekonzeptualisierung der mosaische Nomothesie: Diese gewinnt ihre Stabilität jenseits des zyklischen Wechsels der Regimetypen durch das theokratische Regime. „Es weist Gott die Herrschaft und Macht zu. Gott ist der eine, nicht geschaffen und ewig. Er zeigt uns seine Macht, obwohl sein Wesen unerkennbar ist“ (Apionem 2,167). Die weisesten der Griechen folgten Moses und bezeugen übereinstimmend die Lehre vom Wesen und der Majestät Gottes. Die T. beruht nicht wie Josephus ursprünglich ganz judäisch postulierte auf der unmittelbaren Offenbarung Gottes, sondern auf einer philosophischen [[Theologie]], die sich nicht wie Platon an einige wenige wendet, sondern die mosaische Theologie wie Philo auf einen <I>summus deus</I> hin auslegt. In diesem Sinn entfaltet Josephus seinen nomothetischen Ordnungsentwurf, der dem für die antike Welt eigentümlichen Prinzip der Einheit von politischer und kultischer Gemeinschaft im Allgemeinen und den ciceronischen Ideen der <I>civitas</I> im Besonderen folgt.
 
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:12 Uhr

1. Begriff und Bedeutung bei Josephus Flavius

Der Begriff „T.“ ist antiken Ursprungs. Er wurde von dem judäisch-hellenistischen Historiker Josephus Flavius geprägt, der im jüdischen Aufstand gegen Rom 66/67 n. Chr. zur militärischen Führung Jerusalems gehörte, die Fronten wechselte und für die kaiserliche Seite Partei ergriff. Nach dem Krieg in Rom sesshaft geworden, meldete er sich mit einer umfangreichen biographisch und apologetisch unterfütterten Darstellung des römisch-jüdischen Krieges ca. 75–79 n. Chr. zu Wort. In zwei Abhandlungen („Ioudaike Archaiologia“ – „Antiquitates Judaika“, 93/94 n. Chr., und „Peri Archaothetos Ioudaion“ – „Contra Apionem“, 96 n. Chr.) nimmt Josephus die für die antike Ordnungsdebatte zentrale Frage nach dem Paradigma der besten bürgerschaftlichen Ordnung (politeia) auf.

Diese ordnungspolitische Kernidee des Josephus bestimmt den polis-politischen Denkansatz, der die unter der seleukidischen Herrschaft vollzogenen Konstituierung des judaischen Ethnos als Polis zur Voraussetzung hatte. Mit der Konstituierung als Polis trat Jerusalem „schließlich voll in die Tradition griechischer Freiheits- und Autonomievorstellungen ein, deren ostentativer Anerkennung übliche hellenistische Herrschaftspraxis war“ (Bernhardt 2017: 139) und die „Selbsthellenisierung durch die Übernahme der politisch-gesellschaftlichen Institutionen der griechischen Welt“ (Bringmann 2005: 104) mit sich brachte. Unter dieser Voraussetzung konnte Josephus die mosaische Ordnungsstiftung, die auf der Gesetzgebung Gottes auf dem Sinai beruht (Antiquitates 1,18–22), im römisch-hellenistischen Ordnungsdiskurs zur Geltung bringen. Josephus preist die judaische politeia „as the finest in the world – in the kind of explicit comparison with other nations that Polybios and Cicero also undertake“ (Mason 2000: XXIV). Dieses beste Paradigma einer politisch-sakralen Vergemeinschaftung könnte man, wie Josephus später folgern wird „als Theokratie bezeichnen […], wenn dieser starke Ausdruck erlaubt ist“ (Apionem 2,165). Diese Formulierung verweist auf den semantischen Sachverhalt, dass es sich um einen Neologismus handelt, denn ursprünglich hatte Josephus die Vorzüge des mosaischen Regimes ganz traditionell dessen aristokratischer Verfassung zugeschrieben.

Der geschichtsrevisionistische Ansatz des Josephus zielt zuerst auf das autochthone Geschichtsverständnis der Römer, die – dem griechischen Historiker Polybius folgend – die von den römischen Vätern geschaffene Mischverfassung und Sakralordnung als geschichtlich einzigartige Schöpfung eines in sich vollendeten Ordnungsparadigmas begriffen, das in der republikanischen Vision eines Cicero und Varro seinen symbolischen Ausdruck gefunden hat.

Insb. zielte er auf Cicero, der Kult und Riten der Judäer als „unvereinbar mit der Herrlichkeit des Imperiums, der Würde unseres Namens und den Institutionen unserer Väter“ bezeichnet (Cicero, Pro Lucio Flacco, 69). Die Widerlegung dieser normativen Logik der Unvereinbarkeit ist das zentrale Anliegen in der Rekonstruktion der übergeschichtlichen Normativität der T., die Josephus folgerichtig auf die herrschaftslegitimierende Funktion (Legitimation) des sakral-politischen Paradigmas der römischen res publica (Republik) hin interpretiert. So bezieht er in Exkursen zu den römischen Verfassungsfragen eindeutig Position zugunsten der republikanisch gesinnten aristokratischen Senatsopposition und gegen den Machtanspruch des kaiserlichen Prinzipats (Antiquitates 19,167–184).

Die Vielfalt der Gesetze und Sitten unter den Völkern der Menschheit, so führt er aus, zeigt, dass die einen die Regierungsmacht (politeuma) einem Monarchen, die anderen den Oligarchen und andere wiederum dem Pöbel (Ochlokratie) überantworten. So steht es bei Polybios: Der Kreislauf der Regimetypen endet stets mit einer Verfallsform der politeia. Das musste Josephus auch für das aristokratische Regime der judäischen politeia eingestehen. Deswegen die Rekonzeptualisierung der mosaische Nomothesie: Diese gewinnt ihre Stabilität jenseits des zyklischen Wechsels der Regimetypen durch das theokratische Regime. „Es weist Gott die Herrschaft und Macht zu. Gott ist der eine, nicht geschaffen und ewig. Er zeigt uns seine Macht, obwohl sein Wesen unerkennbar ist“ (Apionem 2,167). Die weisesten der Griechen folgten Moses und bezeugen übereinstimmend die Lehre vom Wesen und der Majestät Gottes. Die T. beruht nicht wie Josephus ursprünglich ganz judäisch postulierte auf der unmittelbaren Offenbarung Gottes, sondern auf einer philosophischen Theologie, die sich nicht wie Platon an einige wenige wendet, sondern die mosaische Theologie wie Philo auf einen summus deus hin auslegt. In diesem Sinn entfaltet Josephus seinen nomothetischen Ordnungsentwurf, der dem für die antike Welt eigentümlichen Prinzip der Einheit von politischer und kultischer Gemeinschaft im Allgemeinen und den ciceronischen Ideen der civitas im Besonderen folgt.

Wenn Josephus auf den politischen und sakralen Führungsanspruch der Priesterschaft verweist, dann rechtfertigt dies nicht Hubert Canciks negatives Urteil von der „priesterlichen Utopie“, ein – wie er postuliert – zutiefst unhellenisches und unrömisches Produkt (Cancik 1987: 66). Ganz im Gegenteil kann sich Josephus auf die ciceronische civitas berufen, wo es heißt: „Unsere Vorfahren haben manch treffliche Einrichtung geschaffen, die großartigste aber ist, dass den selben Personen die höchste Gewalt in den Kulten der unsterblichen Götter wie auch in der res publica zukommt, auf das die angesehensten und erlauchtesten Bürger durch gute Verwaltung der res publica und der Kulte die res publica bewahren“ (Cicero, De Domo Sua 1,1).

Das mosaische Projekt des Josephus ist nur durch sein philosophisches Werk bezeugt – seine Hoffnung auf eine judäisch-römische Synthese war vergeblich. Dem rabbinischen Judentum war die politische Intention des Josephus fremd, ebenso wie den zeitgenössischen Judeo-Christen, die er nicht zur Kenntnis nahm. Begriff und Theorie der T. haben keine Spuren in der emergenten sakral-politischen Ordnung des postkonstantinischen Reiches hinterlassen.

2. Begriffsgeschichte ab der Neuzeit

Die Rückkehr des Josephus und seiner Idee der T. in den europäischen Diskurs des 17. Jh. verdankt sich der postreformatorischen Krise der europäischen Gesellschaft, in der sich die Frage der Grundprinzipien der politischen und religiösen Prinzipien gesellschaftlicher Vergemeinschaftung neu stellte. Die politische Formenwelt im 17. Jh. bezog sich natürlich im Wesentlichen auf die Bibel, stets aber auch auf Josephus und seine semantische Formel von der hebräischen T.

Bernhard Lang und insb. Wolfgang Hübener rekonstruieren die wechselvolle Geschichte dieses Symbolkomplexes über drei Jahrhunderte hinweg, mit dem Ergebnis, dass die Deutungskonventionen sich wandeln und folgerichtig kein epochenübergreifender Begriff der T. fixiert werden kann. So empfiehlt sich eine kritisch differenzierende exemplarische Betrachtung, die auf wesentliche gesellschaftliche Konfigurationen abhebt und die jeweilige Deutungsgeschichte des theokratischen Ideenkomplexes typologisch definiert.

a) Josephus beschreibt eine Politik, welche die beste bürgerschaftlich verfasste Gemeinschaft zum Gegenstand hat, und der unter den Bedingungen der vielschichtigen Bürgerkriegssituation (Bürgerkrieg) des ausgehenden 16. und des 17. Jh. in der antimonarchischen und weitgehend heterodox christlichen Ideenwelt eines kommunitarischen Republikanismus der Revolutionsparteien eine sinnstiftende Funktion zukam.

In der Auseinandersetzung um die postrevolutionäre Ordnung des ständischen Republikanismus in den Generalstaaten der Niederlande führt z. B. der Jurist Petrus Conaeus den Provinzialständen von Holland das von Moses eingerichtete vollkommene Gemeinwesen der Hebräer vor Augen und definiert das Regime mit Josephus als T. Im vorrevolutionären und insb. im revolutionären England bestimmten die heterodoxen christlichen Parteiungen die Debatte, deren weitgehend millenarisch-apokalyptische Ausrichtung sich eher kritisch, aber nicht unbedingt ablehnend auf die hebräische Politik bezogen. Doch bes. 1 Sam 1,8 ff. befeuerte den Antimonarchismus und legitimierte letzthin biblisch-theologisch die Hinrichtung des Königs Charles I. John Milton, der Sprecher der Revolution berief sich ausdrücklich auf Josephus T., die Gott allein die Oberherrschsaft zusprach. Nur in wenigen Fällen wurde der Begriff der T. auf die neue Gemeinschaft der Heiligen unter Gott übertragen. So bezeichnete John Cotton, der führende Theologe von Massachusetts Bay, 1633 das biblische Gemeinwesen der city upon the hill als eine T. unter der Souveränität Gottes. In England war es die radikal-apokalyptische postmillenarische Formation der Fifth-Monarchy-Men, die (der Daniel-Apokalypse folgend) in den Worten John Rogers mit Waffengewalt die sündhafte Ordnung des Antichristen zerstören und ein theocratic government der Heiligen in Vorbereitung der tausendjährigen Herrschaft Christi errichten wollten. Noch 1660 kam es zu einem letzten bewaffneten Aufstand. Gleichsam als Kommentar zu den Geltungsansprüchen (Geltung) des millenarisch gestimmten Radikalismus postuliert Richard Baxter 1659 in der Endphase des Cromwellschen Protektorats in irenischer Absicht ein theokratisches Regime, in dem die von Gott verliehene Macht vom Herrscher unter der Zustimmung des Volkes ausgeübt wird. Somit erteilt er allen chiliastischen Vorstellungen zugunsten eines anglikanischen Monarchismus eine Absage.

Der bedeutendste politische Theoretiker der Revolutionszeit jedoch war James Harrington. Er präsentierte ein geschichtswirksames Paradigma republikanischer Ordnung, das gleichsam parteiübergreifend die herrschenden Feudalregime (Feudalismus) durch ein konstitutionell verfasstes Regime bürgerschaftlicher Selbstregierung ersetzen sollte. Das Commenwealth of Oceana gründete auf den Prinzipien der antiken Klugheit, deren Ursprung auf die politisch gedeutete Offenbarung Gottes im alten Israel zurückgeführt wird und in der Folge die klassische Politik der Griechen und Römer bestimmte. J. Harrington ist der einzige Autor seiner Zeit, der das mosaische Modell ausführlich als popular regime unter der Oberhoheit Gottes beschreibt und sich weitgehend auf Josephus stützt. Allerdings vermeidet er den Begriff der T., war er doch puritanisch besetzt. John Locke unterstellt den Hebräern eine absolute T., die mit seiner Idee eines sozinianisch-theistisch fundierten Gemeinwesens und der Privatisierung der Kirchen unvereinbar war.

b) Mit der Restauration der englischen Monarchie und des Gentry-Parlamentarismus unter dem Schirm der anglikanischen Nationalkirche (Anglikanische Kirche, Church of England [verbunden mit der konsequenten Ausgrenzung der heterodoxen Dissenter]) folgt auch England den konfessionsstaatlichen nationalen Monarchien des Kontinents, die bestimmt werden durch den Dualismus von Machtstaat und institutionalisierter kirchlicher Orthodoxie. Im postwestfälischen Nationalstaat bilden sich die zentralen Leitbegriffe der politisch-sozialen Sprache der politischen Modernität: Die Dualität von Staat/Politik und Religion (Kirche und Staat). Unter der Prämisse dieser normativen Begrifflichkeit ist die für die T. des Josephus und die Antike insgesamt geltende Identität von kultischer und politischer Vergemeinschaftung problematisch geworden. Die T. hat ihre historische Einzigartigkeit verloren.

c) Einerseits dominiert die Entpolitisierung bzw. Neutralisierung des Josephschen T.-Konzepts. Zum anderen aber wird der Begriff der T. in Gestalt eines deutungsoffenen Kollektivsingulars semantisch frei verfügbar. So fungiert der moderne Begriff der T. erstens seit dem 18. Jh. als Kampfbegriff der Kirchen- und Religionskritiker (Religionskritik). Er argumentiert antijüdisch im Deismus und radikal im kontinentalen Kontext der antikirchlichen und antireligiösen Agitation: Voltaire, Paul-Henri Thiry d’Holbach, Jean-Jacques Rousseau und Enzyklopädisten sind hier zu nennen. In dieser Tradition stehen auch die nachrevolutionären geschichtsphilosophischen Ideen Auguste Comtes (Geschichte, Geschichtsphilosophie) und die revolutionär-messianischen Visionen einer jakobinisch gestimmten innerweltlichen theokratischen Utopie (Claude-Henri de Rouvroy, Comte de Saint-Simon, Barthélemy Prosper Enfantin).

Zweitens fungiert der T.-Begriff als universalhistorische Kategorie zum einen als historische Frühform politischer Vergesellschaftung (Giambattista Vico), zum anderen und wirkmächtiger als Annahme eines theokratischen Stadiums in der Menschheitsgeschichte nach Voltaire, worunter dieser das alte Japan, das Indien der Brahmanen, Tibet, das Reich der Inka, das Rom des Numa Pompilius und last but not least das römische Papsttum verstehen wollte. Diese historische Generalisierung der T. mit unterschiedlicher Akzentuierung von Inhalt und Gestalt theokratischer Herrschaftsformen (Herrschaft) wurde schon im 19. Jh. von der deutschen Staatslehre (Hermann Haller, Johann Caspar Bluntschli, Carl Theodor Welcker, Georg Waitz, Robert von Mohl, Eduard Meyer) rezipiert und von Max Weber in seine historisch-soziologische Komparatistik aufgenommen und internationalisiert. Diese moderne Gesellschaftswissenschaft, Religionssoziologie und Ethnologie reflektieren das theokratische Moment im „Zusammenspiel von Religion und staatlicher Herrschaft im Bereich der der großen westlichen und östlichen Weltreligionen und Weltreiche“ (Lang 1987: 23).