Republikanismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 05:59 Uhr

R. ist sowohl die Bezeichnung einer Herrschaftsform und darüber vermittelt der Position derjenigen, die sie fordern, als auch der Name eines Stranges der politischen Theorie. Eine republikanische Herrschaftsform liegt vor, wenn die Staatsbürger die Existenz und Ausübung der Herrschaft autorisieren. Damit weist der R. insb. autokratische Herrschaft, wie absolutistische Monarchien (Absolutismus) oder Diktaturen, als Tyranneien zurück. In der politischen Theorie werden unter dem Titel des R. einerseits Ansätze zusammengefasst, die vom 15. bis zum Ende des 18. Jh. die Legitimität politischer Ordnungen an deren Gewährleistung allg.er Freiheit knüpfen und für die Amerikanische sowie die Französische Revolution wichtige Stichwortgeber sind. Andererseits dient dieser Titel seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. zur Selbstkennzeichnung von Positionen, die sich gegen den Liberalismus richten und stattdessen Selbstregierung, politische Institutionen oder Bürgertugenden ins Zentrum rücken. Dabei beanspruchen diese Positionen oft auch, an den R. der frühen Neuzeit anzuschließen und ihn somit als Traditionslinie fortzuführen.

1. Geschichte

Wichtiger Bezugspunkt des neuzeitlichen R. sind die athenische Demokratie und die römische Republik sowie antike Autoren wie Aristoteles, Cicero oder Livius, die die Vorzüge der Republik bzw. deren Entstehungs- und Vergehensbedingungen reflektieren. Gerade die römischen Autoren verteidigen auch bereits die Republik, worunter sie v. a. die Machtteilung zwischen Adel bzw. Senat und Konsuln verstehen und nur einige auch die Rolle der Plebejer bzw. der Volksversammlung herausstellen. Über die norditalienischen Stadtrepubliken treten im Mittelalter von einer größeren Bürgerschaft (Bürger, Bürgertum) getragene Herrschaftsformen auf, was auch zu ersten Ansätzen republikanischer Theorie führt, etwa bei Marsilius von Padua, der untersucht, unter welchen Bedingungen Republiken trotz widerstreitender Interessen ihrer Bewohner stabil sein können. John Greville Agard Pocock hat als eigentlichen Ausgangspunkt des R. jedoch das machiavellianische Moment am Ende der Republik in Florenz erwiesen. Es besteht im gezielten Blick Niccolò Machiavellis und anderer florentiner Autoren auf die Antike, um insb. vor dem Hintergrund der römischen Erfahrungen die Möglichkeiten zu untersuchen, eine politische Ordnung zu etablieren und zu bewahren, die ein Höchstmaß an Freiheit für die in ihr Lebenden gewährleistet. Die gesuchte Ordnung wird insgesamt als Republik verstanden, die allerdings unterschiedliche, d. h. monarchische, aristokratische und demokratische Verfassungselemente umfassen kann und gerade darüber Stabilität erwirbt. Als Kennzeichen der Republik und damit auch des R. als entspr.er politischer Forderung wird daher oft die Mischverfassung gesehen. Im 17. und 18. Jh. werden die Republik und die mit ihr verbundene Freiheitserwartung zum wesentlichen Bezugspunkt für Gegner des Absolutismus, des britischen Kolonialismus in Nordamerika, aber auch für Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa. Charakteristisch für den frühneuzeitlichen R. sind die Forderung, die Herrschaft von Menschen über Menschen durch die Rechts- und Verfassungsbindung der Herrschaftsausübung (rule of law) zu überwinden sowie Überlegungen zu Tugenden, die Bürger aufweisen müssen und die durch die Politik zu unterstützen sind, damit sichergestellt bleibt, dass ein Gemeinwesen sich am Gemeinwohl orientiert. Die historische Forschung zur Amerikanischen Revolution geht seit den 1960er Jahren davon aus, dass ein solcher R. viele Autoren des 18. Jh. adäquater kennzeichnet als die alternative Deutung als Vorläufer des Liberalismus mit seinem Fokus auf individuellen Freiheiten.

In der zweiten Hälfte des 18. Jh. wird die Frage der Verbindung von R. und Demokratie wichtig. Obwohl sie die Vorstellung direkter Demokratie zurückweisen, fordern Autoren wie Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant nicht nur die bloße Rechtsbindung der Herrschaftsausübung. Notwendig ist auch eine Gewaltengliederung und dabei die Einbeziehung der Bürgerschaft insgesamt in Verfahren der Gesetzgebung, also der Setzung des Rechts, auf dessen Grundlage Herrschaft ausgeübt wird. Bei I. Kant fungiert R. zudem als Gegenbegriff zum Despotismus. Vor diesem Hintergrund hat sich die Unterscheidung zwischen einem athenischen und einem römischen R. ausgebildet, die die jeweilige Ausrichtung auf politische Teilhabe (Partizipation) einerseits und Rechts- und Verfassungsbindung andererseits sowie die verschiedenen R.-Verständnisse der französischen und der amerikanischen Revolutionäre wiedergeben soll. Als idealtypische vernachlässigt die Unterscheidung jedoch das Verbindende der Theorien.

2. Aktuelle Ansätze

Seit dem Beginn des 19. Jh. wird der Blick über die politische Freiheit hinaus erweitert und die Auseinandersetzung zwischen sozialistischen und liberalen Vorstellungen sozialer oder individueller Freiheit tritt in den Mittelpunkt. Parallel zum Verebben dieser Auseinandersetzung in der zweiten Hälfte des 20. Jh. treten politische Theorien auf, die für sich den Ausdruck „R.“ explizit reklamieren und sich gegen zentrale Argumente des natur- oder vernunftrechtlich bzw. moralisch verstandenen Liberalismus wenden, an dessen Grund fundamentale individuelle Rechte stehen. In diesem Feld lassen sich insb. vier Ansätze nach ihren Schwerpunkten unterscheiden: Neo-aristotelisch wird der R. als perfektionistische Theorie verstanden. Im gemeinsamen politischen Handeln realisieren Menschen ihr bes.s Vermögen, selbst die Welt zu gestalten, in der sie sich bewegen, sodass einerseits Momente anzustreben sind, in denen solches Handeln möglich und wahrscheinlich ist, während andererseits gegen vermeintliche Sachzwänge innerhalb politischer Ordnungen die Offenheit von Entscheidungen und die Macht betont werden, die sich im Gemeinschaftshandeln ergeben. Im Anschluss an kommunitaristische Kritiken (Kommunitarismus) des Liberalismus wird der civic republicanism als Theorie vorgeschlagen, die insb. darauf ausgerichtet ist, dass die Bürgertugenden ausgebildet und ausgeübt werden, die notwendig sind, damit das Gemeinwohl Gemeinwesen bestimmt. Eine Konzeption des gemeinsamen Guten bildet so die Grundlage für demokratische Selbstregierung und legt zugl. deren Ziele fest. Der kantianische R. betont den Zusammenhang zwischen öffentlichen Institutionen bzw. demokratischen Verfahren einerseits und individuellen Freiheiten andererseits. Vor diesem Hintergrund wird ein Ansatz entwickelt, der gemeinsames politisches Beraten und Entscheiden mit prozeduralen, rechtlichen und institutionellen Anforderungen verbindet, sodass trotz Primat der Politik sichergestellt wird, dass jeder Einzelne sich mit seinen Anliegen zur Geltung bringen kann. Der neo-römische R. versteht Freiheit als Nicht-Beherrschung (non-domination) und richtet daher seinen Blick v. a. auf den Status der Einzelnen in einer politischen Ordnung. Der Demokratie wird dabei eine wichtige Funktion für die Freiheitssicherung zugeschrieben, aber nicht primär über gemeinsames Entscheiden, sondern vielmehr über Kontestations- und Vetomöglichkeiten.

Ein gängiger Vorwurf gegen den historischen R. ist dessen vormoderne Idealisierung kleiner Gemeinwesen, in denen gemeinsames politisches Handeln möglich ist. Die Mehrzahl der jüngeren Ansätze verortet den R. in moderner Staatlichkeit, aber einige Ansätze zeigen auch, dass sich R. und Kosmopolitismus zu einer eigenen Vorstellung eines legitimen globalen Mehrebenensystems verbinden lassen.