Südasien
1. Geographie, Sprachen und Religionen
Zur Region S. gehören Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, die Indische Union, die Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka. Historisch und religiös ist das zu Südostasien gehörende Myanmar mit S. verbunden. Im Zentrum S.s liegt Indien, welches Land- oder Seegrenzen mit allen anderen Staaten der Region besitzt – mit Ausnahme Afghanistans – und eine zentrale politische, wirtschaftliche und geostrategische Rolle in der Region einnimmt. Binnenstaaten S.s sind Afghanistan, Bhutan und Nepal. Die Geographie S.s ist vielfältig und reicht u. a. von den Höhen des Himalaya, den verschiedenen Flussebenen wie denen des Brahmaputra, Ganges oder Indus, der Steppe in Pakistan und Nordindien, dem semiariden Hochland von Dekkan bis zu tropischen und subtropischen Küstenräumen im südlichen Indien, auf Sri Lanka und den Malediven.
Dieser geographischen Vielfalt entspricht die Vielfalt der Sprachen, Ethnien, Bevölkerungen, Religionen und Kulturen in S. Die Sprachen im Norden S.s gehören überwiegend zu den indoeuropäischen Sprachen, wohingegen die dravidischen Sprachen eine im Süden Indiens und Norden Sri Lankas verbreitete Sprachfamilie sind. 2016 lebten in S. auf einer Fläche, die 3,5 % der Landmasse der Welt bedeckt, 1,766 Mrd. Menschen, wobei die Bevölkerungsdichte der Region höher ist als in jeder anderen Region der Länder des Globalen Südens. Leben in Bhutan 20 Einwohner pro Quadratkilometer, so sind es 455 in Indien und 1 719 auf den Malediven. Die Bevölkerung S.s verteilt sich 2018 laut Weltbank wie folgt: Indien 1,352 Mrd.; Pakistan 212,2 Mio.; Bangladesch 161 Mio.; Afghanistan 37,17 Mio.; Nepal 28,08 Mio.; Sri Lanka 21,67 Mio.; Bhutan 754 390; Malediven 515 700.
In S. sind alle Weltreligionen mit Mio. von Gläubigen vertreten: Hinduismus, Islam, Sikhismus, Christentum, Buddhismus, Judaismus, Jainismus und Zoroastrismus (Mazdaismus/ Parsismus). Der Hinduismus findet sich v. a. in Indien, Nepal und mit einer Minderheit in Bangladesch wieder, der Islam in Afghanistan, Bangladesch, Pakistan, Indien und den Malediven und der Buddhismus in Bhutan, Myanmar und Nepal. In Afghanistan, Bangladesch, Pakistan und auf den Malediven ist der Islam Staatsreligion, in Sri Lanka und Bhutan ist es der Buddhismus. Die im Vergleich zu anderen Weltregionen geringe Verbreitung des Christentums in S. ist nicht zuletzt auf die fehlende Unterstützung christlicher Missionare durch die Britische Ostindien-Kompanie (East India Company, 1757–1858) bzw. in der Zeit Indiens als britischer Kronkolonie (1858–1947) zurückzuführen, in deren Fokus eindeutig Handelsinteressen standen. Vereinzelte Gebiete in Südindien und Sri Lanka sowie einige wenige Stammesgebiete wurden erfolgreich missioniert und sind heute die Orte, an denen das Christentum schwerpunktmäßig existiert.
In S. gibt es eine Myriade an höchst unterschiedlichen kulturellen Bräuchen, Riten, Trachten, Speisen oder kunsthandwerklichen Traditionen. Entscheidende Faktoren für Existenz und Aufrechterhaltung der südasiatischen Kulturen und Traditionen waren nicht zuletzt die Allgegenwart der Religionen S.s und die bes. Rolle der autonomen Fürstenstaaten und Stammesgebiete, die auch während der Zeit des Kolonialismus weiterexistierten, und nicht zuletzt die Bedeutung der Sprachen bzw. Schriften und literarischen Traditionen, die trotz der Verbreitung und Relevanz der englischen Sprache in S. nicht verdrängt wurden.
Eine große Heterogenität in kultureller, ethnischer, sprachlicher und religiöser Beziehung innerhalb der Staaten S.s ist ein zentrales verbindendes Kennzeichen der gesamten Region. So weisen Afghanistan, Pakistan und Myanmar zwar religiöse Homogenität auf, jedoch steht dieser eine große sprachliche und ethnische Heterogenität gegenüber. Demgegenüber gibt es im buddhistischen Sri Lanka trotzdem eine große Minderheit hinduistischer Tamilen. Bangladesch ist v. a. Heimat der muslimischen Bengalen, die aber ebenfalls im indischen Bundesstaat West-Bengalen leben, der jedoch mehrheitlich von Hindus bewohnt wird. Neben dieser Heterogenität tritt als zweites verbindendes Kennzeichen die Dominanz Indiens in S. Neben seiner zentralen geographischen Lage und schieren Bevölkerungsgröße dominiert Indien die Region v. a. wirtschaftlich, politisch, geostrategisch und militärisch.
2. Geschichte, Staaten und politische Systeme
S. als Ganzes weist keine gemeinsame Geschichte auf, wobei aufgrund seiner territorialen Ausdehnung häufig die Geschichte Indiens mit der S.s gleichgesetzt wurde. Eigene gesamtindische Reiche bildeten historisch die Ausnahme, Einwanderung bzw. Eroberungen fremder Herrscher und Volksgruppen die Regel. Nomadische Völker und Stammesverbände aus Zentral- und Südwestasien (Arier, Hephtaliten [auch bekannt als Weiße Hunnen], Ghoriden) fielen im Laufe der Geschichte in die Stromtäler südlich des Himalaya ein und eroberten und besiedelten verschiedene Regionen des Subkontinents. Zwar gab es auch in der Frühzeit Großreiche wie das der Mauryas (322–185 v. Chr.) oder Guptas (320–550 n. Chr.), welche sich bis nach Afghanistan erstreckten. Allerdings blieben diese auf bestimmte Regionen beschränkt und erreichten nie eine pan-südasiatische Ausdehnung, v. a. erstreckten sich die Herrschaftsgebiete nicht auf Südindien, Sri Lanka oder den nordöstlichen Teil Indiens. Das Sultanat von Delhi (in Nordindien von 1206–1526) oder die Herrscher des Mogulreichs (1526–1858) eroberten diese Teile während ihrer Herrschaftszeit ebenfalls nicht, sodass S. gekennzeichnet war durch die Existenz unterschiedlicher Regionalreiche.
Erst die Briten unterwarfen nach und nach den größten Teil S.s. Bhutan und Nepal blieben allerdings weitgehend autonom, nicht zuletzt aufgrund ihrer Position als Pufferstaaten zu China. Afghanistan stand nur wenige Jahrzehnte unter britischer Herrschaft. Insb. die zahlreichen indischen Fürstenstaaten (mehr als 550, mit einer Fläche, die ca. 40 % des gesamten Gebietes entsprach) und Stammesgebiete blieben weitgehend in ihrem inneren Herrschaftsbereich autonom. Die britische Herrschaft (auch British raj genannt) in ihrer maximalen Ausdehnung – inkl. des Hochlands von Dekkan – dauerte ca. 100 Jahre, wobei v. a. Metropolen wie Kolkata (ehemals Kalkutta), Mumbai (ehemals Bombay) und Delhi (ab 1911) starkem britischen Einfluss ausgesetzt waren. Französische und portugiesische Enklaven im Süden S.s (Pondicherry/ Puducherry oder Goa) bestanden zur gleichen Zeit, blieben aber in Umfang und Einfluss sehr beschränkt. Anders als in anderen Regionen der Welt gab es auch keine großflächige Besiedlung durch europäische Siedler.
Die neuere Geschichte S.s beginnt mit der Unabhängigkeit der Staaten der Region Ende der 1940er (einzig die Malediven blieben bis 1965 Kolonie). Der Kampf der Staaten um ihre Unabhängigkeit und die vollständige (Wieder-)Erlangung staatlicher Souveränität dauerte Jahrzehnte. Dieser Kampf ist für das heutige Selbstverständnis der Staaten, ihre nationalen Identitäten und normative Ausrichtung der jeweiligen Außenpolitiken prägend. Für Indien sind hier v. a. zu nennen Mahatma Gandhi und dessen Eintreten für gewaltlosen Widerstand, der lange Freiheitskampf, das Wirken von Jawaharlal Nehru, Indiens erstem Premierminister und die Kongresspartei (Indian National Congress), die Indien in die Unabhängigkeit führte. Stellvertretend für Pakistan sind zu nennen Staatsgründer Mohammad Ali Jinnah und die Pakistan-Resolution aus dem Jahr 1940, die auf der Grundlage der Zwei-Nationen-Theorie forderte, dass ein separater Staat für alle Muslime Britisch-Indiens entstehen solle. Zentrales Dilemma der an den Verhandlungen Beteiligten war, dass das von der Kongresspartei anvisierte unabhängige Indien den Muslimen keine weitreichende Autonomie zugestehen wollte, da sie die Einheit des unabhängigen Indiens sonst in Gefahr sah. Die Anführer der Muslim League verlangten v. a., dass muslimische Mehrheitsprovinzen nicht geteilt werden sollten – territoriale Forderungen, die den Vorstellungen der Kongresspartei über die zukünftige Gliederung Indiens diametral gegenüberstanden. Ergebnis der erfolglosen Verhandlungen waren die Teilung (partition) Britisch-Indiens in die zwei Staaten Indien und Pakistan, und der Streit um die Zugehörigkeit des überwiegend muslimisch bevölkerten Kaschmirs, das einem Hindu-Fürsten unterstand. Pakistan wurde gleichzeitig mit Indien im August 1947 unabhängig, bestand aber zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit aus zwei geographisch getrennten Landesteilen. Ost-Pakistan, welches die gleiche Geschichte, Sprache und Kultur mit dem indischen Unionsstaat West-Bengalen teilte, war während der britischen Herrschaft ein Gebiet, in dem es bereits damals starke Bestrebungen um die Unabhängigkeit von Britisch-Indien gegeben hatte. Dennoch hat der Islam als verbindendes Element und Staatsräson Pakistans nicht ausgereicht, die staatliche Einheit Pakistans aufrechtzuerhalten. So löste sich der östliche Landesteil im Jahr 1971, mit militärischer Unterstützung Indiens, von (West-)Pakistan ab, nicht zuletzt auch aufgrund wirtschaftlicher Benachteiligung. Bangladesch entstand als unabhängiger Staat, für den der Unabhängigkeitskrieg gegen (West-)Pakistan in den 1970er Jahren und die danach erlangte Souveränität ein bestimmendes Moment darstellte. Die Vertreibung der UdSSR aus Afghanistan im Jahr 1989 nach deren Einmarsch im Jahr 1979 war zwar ein prägendes Ereignis für das Land, führte aber aufgrund der großen ethnischen Heterogenität der Bevölkerung trotzdem nicht zur nationalen Einheit.
Indien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka haben nach ihrer Unabhängigkeit große Teile des britischen Rechts- und Verwaltungssystems übernommen. Formal gilt: Afghanistan ist ein Präsidialsystem mit einem Zweikammersystem. Bhutan ist eine konstitutionelle Monarchie. Indien und Nepal sind parlamentarische Demokratien (Parlament, Parlamentarismus) mit föderalem Aufbau (Föderalismus) und Zweikammersystem. Die Malediven sind eine Präsidialrepublik mit Einkammersystem. Die Islamische Republik Pakistan ist eine föderale, semipräsidentielle Demokratie mit Zweikammersystem. Sri Lanka ist eine unitaristische Präsidialrepublik. Bangladesch, Indien, Pakistan, Sri Lanka und die Malediven sind zudem alle Mitglieder des Commonwealth.
Die heute existierenden Staatsgrenzen in S. weisen als bes.s Charakteristikum auf, dass sie häufig homogene Gebiete – basierend auf gemeinsamer Geschichte und Kultur, ethnischer Herkunft, Sprachfamilie oder Religionszugehörigkeit – ignorieren, bisweilen regelrecht zerteilen. An Staatsgrenzen führte und führt dies zur Infragestellung dieser staatlich vorgegebenen Teilungen und zu (kriegerischen) Aufständen von Minderheiten. In praktisch allen Staaten S.s gibt es daher kleine oder große regionale Autonomiebewegungen, Unabhängigkeitsbewegungen oder Grenzkonflikte, die eine permanente Bedrohung der politischen Stabilität der Region darstellen, so etwa zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir, Pakistan und Afghanistan oder Myanmar und Bangladesch.
3. Innere und äußere Sicherheit
S. ist eine Region im permanenten politischen Ausnahmezustand. Summarisch lässt sich konstatieren, dass die bestehenden Konflikte v. a. durch innerstaatliche Aufstände (Naxaliten und Maoisten in Indien und Nepal), umstrittene Binnengrenzen (Indien-Pakistan; bis 2016 Indien-Bangladesch), umstrittene Außengrenzen (Indien-China) oder Minoritätenunterstützung von Staaten in ihren Nachbarländern gekennzeichnet sind (Grenze). Zahlreiche dieser letztgenannten Konflikte drehen sich um transnationale Minderheiten und religiöse Verfolgungen und Vertreibungen, bspw. von Muslimen aus Myanmar nach Bangladesch (Rohingya), von Tamilen in Sri Lanka oder von muslimischen Bengalen aus Assam in Nordostindien. Zudem gibt es v. a. im östlichen Teil Indiens zahlreiche Regionen mit Autonomiebestrebungen (Manipur, Nagaland), ebenso in Bangladesch (Chittagong Hill Tracts).
Bestimmender außenpolitischer Faktor in S. ist allerdings das durch den seit 1947 ungelösten Konflikt um die Zugehörigkeit von Kaschmir höchst angespannte indisch-pakistanische Verhältnis, welches zu vier Kriegen zwischen den Ländern führte (1947/48, 1965, 1971 und 1999) und im Jahr 1998 darin gipfelte, dass beide Staaten in kurzem zeitlichen Abstand Atommächte wurden. Pakistan kontrolliert ein Drittel der überwiegend muslimischen Region Kaschmir und hat dieser einen außerhalb der Islamischen Republik liegenden verfassungsmäßigen Sonderstatus eingeräumt. Auch als Teil der Indischen Union hat Kaschmir laut Art. 370 der indischen Verfassung einen Sonderstatus, wobei der indische Anspruch auf die gesamte Region Kaschmirs mit dem Beitritt des ehemaligen Maharaja Hari Sing begründet wird. Folge dieser Rivalität war seit der Unabhängigkeit, dass beide Länder Verbündete außerhalb S.s gesucht haben. Durch den Beitritt zu multilateralen Organisationen wie die v. a. vom Westen initiierten Verteidigungssysteme der CENTO (auch bekannt als Bagdad-Pakt) oder der Southeast Asia Treaty Organisation (SEATO) und Bündnissen mit Ländern wie China, dem Iran oder arabischen Staaten suchte Pakistan Verbündete außerhalb der Region. Indien hingegen suchte die Nähe zur UdSSR und schloss im August 1971 den „Indo-Sowjetischen Vertrag über Frieden, Freundschaft und Kooperation“. Dieser stand im offenen Widerspruch zu der von Indien maßgeblich angeführten Blockfreien-Bewegung (Non-Aligned Movement), die sich einer Äquidistanz zu den beiden Supermächten USA und UdSSR während des Ost-West-Konfliktes verschrieben hatte.
Ein Wendepunkt in der Geschichte S.s war der Krieg zwischen Indien und China aufgrund ungelöster Grenzfragen. Dieser kurze Krieg im Jahr 1962, auf den Indien militärisch nicht vorbereit war und den es verlor, ist bis heute bestimmend für die außenpolitische Haltung Indiens. Bereits damals zeigte sich, dass die Großmächte USA und UdSSR sich an Streitigkeiten innerhalb S.s nicht offen beteiligen wollten. Diese Nichtbeteiligung bzw. Neutralität der USA erlaubte Indien im indisch-pakistanischen Krieg 1971 dann allerdings, den Rivalen Pakistan militärisch entscheidend zu schlagen und so zur Gründung Bangladeschs beizutragen. Aus indischer Perspektive lag einer der Gründe für seine Niederlage im Grenzkrieg mit China darin, dass große Teile der Streitkräfte für einen etwaigen gleichzeitigen Angriff Pakistans mobilisiert blieben. Aus pakistanischer Perspektive trug das indische Eingreifen in den Unabhängigkeitskrieg Ost-Pakistans (Bangladesch) die Hauptverantwortung für die militärische Niederlage.
Beim Grenzkonflikt zwischen Indien und China ging es auch um Teile von Kaschmir, die bis heute von Pakistan kontrolliert werden und um das heute im Nordwesten liegende und von China kontrollierte Gebiet Aksai Chin, welches China im Jahr 1963 von Pakistan erhalten hatte. In den Jahrzehnten seit dem Grenzkrieg zwischen Indien und China kam es immer wieder zu Spannungen. In den Jahren 1993 und 1996 wurden zwar bilaterale Abkommen zwischen den beiden Ländern geschlossen, welche diesen Konflikt und auch den Konflikt, den die Besetzung Tibets durch China (1950; 1959) hervorgerufen hatte, einfroren. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass eine der Parteien auf ihre Ansprüche verzichtete. Im Jahr 2018 kam es im Bereich Doklam, an der Grenze zum indischen Bundesstaat Sikkim, zu massiven Truppenaufmärschen beider Seiten, nachdem China dort mit Infrastrukturmaßnahmen begonnen hat. Der immer wieder aufflammende Konflikt zeigt, dass auch Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit Territorialfragen ungelöst sind.
Weltpolitisch zentrale Ereignisse wie die globale Ölkrise im Jahr 1973, die iranische Revolution 1978/79 und die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan 1979 führten dazu, dass die geostrategische Bedeutung Pakistans für viele Länder in der folgenden Dekade zunächst stark zunahm und das Land so international in den Fokus geriet. Nach einem zunächst ebenso starken Rückgang dieser Bedeutung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wurde Pakistan schlagartig nach den Terroranschlägen vom 11. 9. 2001 für die USA der bedeutendste Akteur in S. und unverzichtbar für Militäroperationen nach Afghanistan.
Ein schwelender Konflikt besteht zwischen Afghanistan und Pakistan um die nicht klar abgrenzbare Region Pashtunistan, dessen verbindendes Kennzeichen die Sprache Pashtu ist und die geographisch den Bereich westlich des Indus miteinschließt, also das Gebiet Baluchistan. Die im Jahr 2010 umbenannte pakistanische Provinz Khyber Pakhtunkhwa (seit 1901 Nordwestliche Grenzprovinz) ist eine von vier Provinzen Pakistans, in der Pashtunen leben. Afghanistan als ethnisch und linguistisch höchst heterogener Staat nimmt diesen Teil Pakistans für sich in Anspruch.
Die Wasserzuteilung von großen Flüssen, die mehrere Länder durchqueren, ist ein weiteres bedeutendes innersüdasiatisches Problem. Ein positives Beispiel für Lösungen territorialer Konflikte aufgrund umstrittener Wasserzugänge stellt hier der Indus-Wasservertrag von 1960 dar, ausgehandelt zwischen Indien und Pakistan mit Unterstützung der Weltbank. Relevant für die Wasserversorgung großer Bevölkerungsteile, wurde in dem Vertrag festgelegt, dass Indien die östlichen drei Flüsse Beas, Satluj und Ravi vollständig nutzen darf. Das dort entspringende Wasser, das vor der indischen Grenze liegt, wird auf indisches Staatsgebiet geleitet. Auf der anderen Seite hat u. a. die Weltbank Pakistan finanziell darin unterstützt, ein urspr. bereits von den Briten angelegtes Wasserverbundsystem massiv auszubauen. Konsequenz ist, dass spezielle Kanäle die Unterläufe der drei Flüsse aus anderen Flüssen mit Wasserzuflüssen verstärken. Derartige Probleme bestehen auch zwischen anderen Ländern S.s und zeigen eindrucksvoll, wie die Geografie die Versorgungssicherheit der betroffenen Länder beeinflusst und Kooperation zwischen ihnen erzwingen kann.
Als externer Faktor hat v. a. die wirtschaftliche und geostrategische Rolle Chinas in S. im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. Als Teil der Belt and Road Initiative hat China zahlreiche milliardenschwere Infrastrukturprojekte in Pakistan (Hafen von Gwadar als Teil des chinesisch-pakistanischen Transportkorridors [China-Pakistan Economic Corridor]) oder Sri Lanka (Hafen von Hambantota) finanziert und mit allen Staaten S.s den bilateralen Handel verstärkt und seine Entwicklungshilfe drastisch erhöht. Die indische Außenpolitik, die das Verhalten Chinas in der Region als geopolitische und wirtschaftliche Bedrohung bewertet, hat noch keine klare außen- oder wirtschaftspolitische Strategie entwickelt, um auf die neue Rolle Chinas in S. adäquat zu reagieren.
4. Wirtschaft und regionale Kooperation
Das Pro-Kopf-Einkommen der Länder S.s variiert stark: Es beträgt laut Weltbank (Stand: 2018) in Afghanistan 520 US-Dollar, in Bangladesch 1 698 US-Dollar, in Bhutan 3 243 US-Dollar, in Indien 2 010 US-Dollar, auf den Malediven 10 330 US-Dollar, in Nepal 1 033 US-Dollar, in Pakistan 1 482 US-Dollar und in Sri Lanka 4 102 US-Dollar. Afghanistan, Bangladesch, Bhutan und Nepal gehören nach Berechnung der UN zur Gruppe der Least Developed Countries (LDC).
Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung wird v. a. durch die Landwirtschaft – hier mit Ausnahme von Sri Lanka v. a. im Bereich der Getreideproduktion – geprägt. Der BIP-Anteil der Landwirtschaft beträgt 2018 bspw. in Sri Lanka 7,9 %, in Indien 14,6 % und in Nepal 25,3 %. Die Bedeutung der Landwirtschaft schlägt sich v. a. in der Beschäftigungsquote der arbeitenden Bevölkerung nieder (Indien: 47 %; Pakistan: 50 %; Nepal: 83 %; Bhutan 65 %). Indien, Bangladesch und Nepal sind im Reisanbau führend, Pakistan im Weizenanbau. Daneben sind Tee (Bangladesch, Indien, Sri Lanka) und Jute (Bangladesch, Indien) zentral. Über die Höhe der Ernteerträge entscheidet in großen Maßen die Intensität des Monsuns. Künstliche Bewässerung in Pakistan, Indien, Bangladesch und Sri Lanka hat die in der Vergangenheit existierende Abhängigkeit allerdings stark reduziert. Gleichzeitig leidet das Ackerland unter Desertifikation, Erosion und Versalzung.
In der Industrie verfügt v. a. Indien sowohl über eine entwickelte Schwerindustrie als auch große Vorkommen an Kohle, Eisen und diversen Erzen. Dennoch arbeiten nur 24 % der Erwerbspersonen in Indien in diesem Bereich, davon mehr als die Hälfe in Kleinstbetrieben. V. a. der zersplitterte Energiesektor, trotz starker Diversifizierungen in den letzten Jahrzehnten (bspw. Wasserkraft, Solarenergie, Windenergie), und die teils katastrophale pansüdasiatische Infrastruktur bilden die größten Hürden in der wirtschaftlichen Entwicklung S.s. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten überall neue Straßen gebaut (bspw. verbindet das gigantische Straßenprojekt Golden Quadrilateral in Indien die Städte Neu-Delhi, Kolkata, Mumbai und Chennai miteinander) und neue Flughäfen in Betrieb genommen, doch steht derartigen infrastrukturellen Meilensteinen ein drastisch erhöhtes Verkehrsaufkommen gegenüber. Dieses wird verursacht durch ein stärkeres Wirtschaftswachstum sowie eine stetig wachsende urbane Mittelschicht. Deren erhöhte Mobilität und der Erwerb von immer mehr Autos machen die erzielten infrastrukturellen Fortschritte zunichte. V. a. ist das für den Personen- und Güterverkehr zentrale Schienennetz, trotz seiner gigantischen Ausdehnung, marode und veraltet. Initiativen Indiens, z. B. mit Hilfe japanischer Schnellzug-Technologie die indische Eisenbahn im Westen des Landes zu modernisieren, sind geplant, aber werden u. a. durch den schleppenden Aufkauf von zusätzlichem Land, welches von tausenden Kleinbauern erworben werden muss, stark verzögert.
Der Außenhandel S.s ist gekennzeichnet von Importen im Bereich Erdöl, Raffinerieprodukte und Nahrungsmittel und Exporten im Bereich Plantagenprodukte und Textilien. Haupthandelspartner sind die EU, USA, Japan und China. Die Handelsbilanzen sind allerdings chronisch defizitär. So lag das Außenhandelsdefizit Nepals bei 2,35 Mrd. US-Dollar und die Auslandsschulden bei 5,4 Mrd. US-Dollar; für Pakistan lag das Außenhandelsdefizit im Jahr 2018 bei 19 Mrd. US-Dollar und die Auslandsschulden bei 90 Mrd. US-Dollar. Auch als Folge der zahlreichen zwischenstaatlichen Konflikte versuchen die Staaten sich mit ihrer Wirtschaftspolitik jenseits von S. zu orientieren. So kooperiert Pakistan mit den islamischen Staaten Südwestasiens und in der ECO mit dem Iran und der Türkei, mit den ölreichen Staaten Zentralasiens und seit einigen Jahren verstärkt mit China. Sri Lanka bemühte sich im Jahr 1967 vergeblich, Mitglied in der ASEAN zu werden und hat sich in jüngster Zeit wirtschaftlich ebenfalls in Richtung China orientiert.
Alles in allem steht der intraregionale Handel der Länder S.s nur für 5 % des Außenhandels, wobei die Abwesenheit von Komplementarität das Problem zusätzlich verschärft. Es überrascht nicht, dass mit bislang drei unterschiedlichen regionalen Initiativen bzw. Organisationen versucht wurde, diese unbefriedigende Situation innerhalb S.s, aber auch in Bezug zu Staaten jenseits der Region zu verbessern:
a) Im Jahr 1978 begannen – auf Initiative Bangladeschs – Bemühungen zwischen Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, Bhutan und den Malediven, eine Organisation zu gründen, die institutionalisierte regionale Zusammenarbeit in S. zum Ziel hat. Die Verhandlungen in Bezug auf Themengebiete und Umfang der Kooperation erwiesen sich als äußerst schwierig. Es dauerte bis zum Jahr 1985 bis es zur offiziellen Gründung der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) durch die Verabschiedung der SAARC-Charta kam. Afghanistan wurde im Jahr 2007 achtes Mitglied. Die Zusammenarbeit soll u. a. auf folgenden Gebieten intensiviert werden: Landwirtschaft und ländliche Entwicklung; Umwelt, Naturkatastrophen und Biotechnologie; Wirtschaft, Handel und Finanzen; soziale Angelegenheiten; Armutslinderung; Telekommunikation; Energie, Transport, Wissenschaft und Technologie; Erziehung, Sicherheit und Kultur; Tourismus. Bis 2018 gab es insgesamt 18 Gipfeltreffen; sieben offizielle Konventionen wurden verabschiedet und 13 Übereinkommen geschlossen. Das Sekretariat wurde in Kathmandu (Nepal) angesiedelt, mit nur etwa 50 Mitarbeitern, die für ein Gebiet verantwortlich sind, in dem 1,7 Mrd. Menschen leben, was 21 % der Weltbevölkerung entspricht. Neben diesen personellen Beschränkungen wurden der Organisation durch die SAARC-Charta starke administrative Beschränkungen, v. a. auf Druck Indiens, auferlegt. Die Fähigkeit der Assoziation, ihre Ziele zu erreichen, ist dadurch sehr eingeschränkt. In der Gründungscharta wurde u. a. festgeschrieben, dass in der Organisation „bilaterale und strittige Probleme“ (Art. X Nr. 2 SAARC-Charta) nicht diskutiert werden dürfen. In einer Region, in der es zahllose derartiger Probleme gibt, führt dies unweigerlich zu einer institutionellen Stasis. In ihrem Aufbau gleicht die SAARC einer Pyramide: An der Spitze stehen Gipfeltreffen, in der Mitte Treffen der Fachminister, und als Basis fungieren ständige Ausschüsse mit Staatssekretären, flankiert von der Arbeit des Sekretariats. Aus wissenschaftlicher und auch aus SAARC-Innenperspektive besteht Einigkeit, dass sich die SAARC seit ihrer Gründung als Forum für informelle Gespräche zwischen Mitgliedstaaten, allen voran Indien und Pakistan, bewährt hat und trotz des expliziten Verbots in der SAARC-Charta aktuelle Probleme zwischen den Ländern so hinter den Kulissen diskutiert werden konnten. Demgegenüber steht das Versagen der Organisation, eine South Asian Free Trade Area (SAFTA) einzuführen. Offiziell wurde diese zwar bereits im Jahr 2004 etabliert, aber neben administrativen und technischen Problemen ist v. a. das angespannte Verhältnis zwischen Indien und Pakistan Grund für den Stillstand. Eine regelmäßige Verschiebung der urspr. jährlich angesetzten und alphabetisch nach Mitgliedsland rotierenden Gipfeltreffen hat die SAARC zu einer der schwächsten Regionalorganisationen der Welt werden lassen, deren Budget mit ca. 5 Mio. US-Dollar zu gering ist, um effektive Wirkung zu entfalten. Daher kann auch nach 30 Jahren regionaler Kooperation nicht von einer SAARC-Identität oder einem pan-südasiatischen SAARC-Zugehörigkeitsgefühl gesprochen werden.
b) Neben der SAARC wurde die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (BIMSTEC) im Jahr 1997 gegründet. Die BIMSTEC-Mitgliedschaft ähnelt frappierend der von SAARC: Bangladesch, Bhutan, Indien, Sri Lanka und Nepal sind Mitglieder aus S., daneben gehören Thailand und Myanmar als Anrainerstaaten der Bucht von Bengalen der Organisation an. BIMSTEC geht zurück auf eine thailändische Initiative, wobei auch hier, ähnlich wie in der SAARC, zunächst Jahre intensiver diplomatischer Interaktionen zwischen den ersten offiziellen Gesprächen und der eigentlichen Gründung vergingen. 2004 fand dann das erste von bislang vier Gipfeltreffen statt (Stand: 2018). Erst im Jahre 2012 wurde ein Sekretariat in Dhaka (Bangladesch) eingerichtet, bis dahin lag die Koordination ausschließlich dezentral in den jeweiligen Außenministerien. Es gibt 14 sog.e prioritäre Kooperationssektoren: Transport und Kommunikation; Tourismus; Terrorismus- und grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung; Umwelt und Katastrophenmanagement; Energie; Öffentliche Gesundheit; Landwirtschaft; Handel und Investitionen; Technologie; Fischerei; Kontaktpflege; Armutslinderung; Klimawandel; kulturelle Kooperation. Eine seit 2004 geplante BIMSTEC Free Trade Area (Freihandel) wurde bislang nicht umgesetzt. Zwar wurde immer wieder der Konflikt zwischen Indien und Pakistan als größtes Hemmnis für genuin regionale Kooperation in der SAARC genannt, trotzdem hat die Abwesenheit Pakistans in BIMSTEC sich nicht als Kooperationskatalysator erwiesen. Auch BIMSTEC hat die in sie gesteckten Erwartungen, wirtschaftliche Kooperation deutlich zu stärken, bislang nicht erfüllen können.
c) Schließlich findet regionale Kooperation zahlreicher Staaten S.s auch im Indischen Ozean mit der IORA statt.
Allen drei Organisationen ist gemein, dass zwischen den gewählten institutionellen Strukturen und den wirtschaftlichen Zielen eine große Asymmetrie herrscht. Die geringe personelle und finanzielle Ausstattung, neben dem Fehlen supranationaler Handlungsmöglichkeiten bspw. i. S. d. EU lassen echte Fortschritte im Bereich regionaler Wirtschaftskooperation daher nicht als realistische Möglichkeit erscheinen.
5. Herausforderungen und Perspektiven
Einer durchschnittlichen wirtschaftlichen Wachstumsrate von 6,7 % (Weltbank, Stand: 2018) für ganz S. stehen vielfältige und komplexe Probleme gegenüber. Im sozioökonomischen Bereich sind zu nennen: starke Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen; jährliches Bevölkerungswachstum von 1,2 %; Unterernährung von großen Teilen der Bevölkerung, v. a. Kindern; steigende HIV/ AIDS-Rate (AIDS); alljährliche v. a., aber nicht nur durch den Monsun verursachte Umweltkatastrophen; mangelnder oder nicht existenter Umweltschutz; unzureichende Trinkwasserqualität etc. Prognosen der Weltbank sehen S. insb. von den Folgen des Klimawandels überproportional betroffen. Wirtschaftlich leiden die Staaten an schwachen Währungen, Devisenknappheit, Leistungsbilanzdefiziten, einem hohem Verschuldungsgrad und dem Phänomen des jobless growth, also einem Wirtschaftswachstum ohne gleichzeitige Schaffung neuer Arbeitsplätze. Politisch sind Staaten wie Pakistan und Afghanistan fragil und werden vom Militär dominiert. Religionskonflikte in den meisten Staaten brechen immer wieder hervor. In Grenzregionen, aber auch im Landesinneren, werden regelmäßig terroristische Anschläge (Terrorismus) verübt. Staatsgrenzen stehen durch Migration und Minoritätenprobleme unter Druck.
Positiv zu bewerten ist hingegen, dass eine Bewusstseinsänderung in etlichen Bereichen zu konstatieren ist, die auf lange Sicht positive Veränderungen zeitigen kann. Dies gilt für die Rolle der Frauen ebenso wie für den Umweltschutz. Daneben spielt auch die Zivilgesellschaft in S. eine immer bedeutsamere Rolle. Auch wurden in der Vergangenheit Mio. Menschen Teil der südasiatischen Mittelschicht, wobei jedoch allein in Indien weiterhin 270 Mio. Menschen unterhalb der von den UN definierten Armutsgrenze (Armut) leben.
Für Deutschland ist S. im Bereich der Entwicklungspolitik eine wichtige Zielregion mit einem langfristigen Engagement in der ganzen Region, v. a. in Indien. Daneben ragt die große wirtschaftliche Bedeutung S.s heraus, mit einem gigantischen indischen Binnenmarkt und einer gut ausgebildeten und wohlhabenden Mittelschicht von mehr als 300 Mio. Menschen. Diese wirtschaftliche Bedeutung ist auch für den Handel zwischen S. und der EU relevant, wobei zwischen Indien und der EU im Jahr 2004 eine strategische Partnerschaft abgeschlossen wurde. Die Aussichten für regionale Kooperation in S. selbst sind negativ, nicht zuletzt durch die Vernachlässigung der multilateralen Institution der SAARC, der bilaterale Lösungen vorgezogen werden.
Für die deutsche und europäische Außenpolitik ist aber v. a. die neue Rolle Chinas in S. ein politischer und wirtschaftlicher Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Chinesische Investitionen in Mrd.-Höhe in Pakistan, Sri Lanka und den Malediven, die Teil der chinesischen Seidenstraßen-Initiative sind, erleichtern den Zugang zum südasiatischen Markt und zum indischen Ozean unter Umgehung Indiens, führen dabei aber zu großen Abhängigkeiten zahlreicher Länder S.s und gleichzeitig zu einer neuen Erwartungshaltung traditionellen Geberländern wie Deutschland gegenüber. Hier ein adäquates wirtschafts- und entwicklungspolitisches Instrumentarium zu entwickeln und zu implementieren, wird über die zukünftige Rolle Deutschlands und der EU in S. entscheiden.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
A. Michael: Südasien, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/S%C3%BCdasien (abgerufen: 25.11.2024)