Energiepolitik: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. November 2022, 05:54 Uhr
I. Wirtschaftswissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Einführung
Nicht nur kulturgeschichtlich ist die gesteuerte, wenn auch zunächst individuelle Verwendung von Energieträgern für die menschliche Entwicklung von bes.r Bedeutung, hat sie doch initial den Übergang zu einer sesshaften Lebensweise erleichtert, später die Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) ganzer Volkswirtschaften erlaubt. Energiegenerierung und -verwendung können vielmehr sowohl als Indikator wie auch Treiber sozio-ökonomischer Entwicklungen verstanden werden: Der jeweilige Energiekonsum erlaubt Rückschlüsse auf Entwicklungsgrad und -potential einer Volkswirtschaft, die Energieinfrastruktur und der Zugang zu dieser ist eine maßgebliche Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum (Wirtschaftswachstum) und sozialen Ausgleich, Energiekonsum und -erzeugung haben Wechselwirkungen mit anderen sozialen, ökologischen und marktlichen Systemen, auch über nationale Grenzen hinaus.
Die nach heutigem technologischen Verständnis zur Verfügung stehenden Primärenergieträger umfassen die natürlich vorkommenden Energieträger wie etwa Stein- und Braunkohle, Erdöl und -gas, Uran und Wasserstoff, welche in regenerierbare Energieträger und nicht regenerierbare Energieträgern unterschieden werden können. Durch (gerichtete) Umwandlung entstehen aus diesen Sekundärenergieträger, welche auch überwiegend die Gruppe der Endenergieträger für die Nachfrager/Verbraucher stellen. Diese Unterscheidung kennzeichnet entspr. auch die Marktakteure auf Mehrebenen-Energiemärkten, welche auf der Angebotsseite Erzeuger von Primär- und Sekundärenergieträgern umfassen, auf der Nachfrageseite Sekundärenergieerzeuger und Endabnehmer wie private Haushalte und Unternehmen.
E. kann entspr. in allen modernen Volkswirtschaften als eines der Schlüsselpolitikfelder angesehen werden, stellt mehr noch inzwischen eine Querschnittsaufgabe dar, welche verschiedene andere Politikfelder berührt, insb. Umweltpolitik und Klimapolitik, Sozialpolitik, Wettbewerbspolitik und Industriepolitik, und darüber hinaus etwa sicherheits- und außenpolitische Aspekte (Sicherheitspolitik, Außenpolitik) aufweist. Der Begriff der E. als Teil der Wirtschaftspolitik umfasst im engeren Sinne Aktivitäten von Gebietskörperschaften aller Ebenen, Parteien oder inter- bzw. supranationaler Institutionen zur Regelung des Systems der Aufbringung, Umwandlung, Verteilung und Verwendung von Energie. Unterschieden werden müssen jedoch auch hier die prozessualen (politics) sowie inhaltlichen Aspekte (Policy) der E. Im weiteren Sinne, als Governance des Energiesektors verstanden, können alle institutionellen Rahmenbedingungen, Prozesse und Aktionen, welche auf die Herstellung gesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen über Struktur- und Prozessgestaltung in der Her- und Bereitstellung, Verteilung und sowie der Planung und Lenkung des Verbrauchs von Energie zielen unter E. subsumiert werden. Aus diesen Rahmenbedingungen folgt in modernen Demokratien i. d. R. ein System oftmals schrittweise vorgenommener Politikanpassungen (Inkrementalismus) in der E.
2. Charakteristika von Energiemärkten
Grundsätzlich lässt sich in der Energiewirtschaft in vielen Industriestaaten, darunter auch Deutschland sowie den meisten europäischen Staaten, eine starke Kontinuität des traditionellen Entwicklungspfades der Energiemärkte feststellen. Dies kondensiert in der Tatsache, dass technische und ökonomische Grundstrukturen, welche sich bereits zu Beginn des 20. Jh. herausgebildet haben, oftmals nach wie vor erkennbar sind. Trotz zahlreicher Krisen und Veränderungen der (nationalen wie internationalen) Energiemärkte haben die damit verbundenen Veränderungsimpulse lange Zeit kaum zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen geführt.
In der Energiewirtschaft sind regelmäßig Effekte zu beobachten, welche aus ökonomischer Sicht Ausnahmezustände bzw. Marktversagenstatbestände (Marktversagen) darstellen und somit einen staatlichen Eingriff, zumindest aber eine politische Flankierung marktlicher Aktionen rechtfertigen. Dies liegt nicht durchgehend in der ökonomischen – und daher grundsätzlich änderbaren – Natur des Marktes, sondern vielmehr auch in technologischen Besonderheiten. Dazu gehören insb. externe Effekte, welche insb. durch Emissionsausstoß (Schadstoffe, Schall oder Temperatur) in der Energieproduktion entstehen können und welche aufgrund ihrer Natur nicht räumlich starr sind und somit auch nationale Grenzen überwinden können. Auch sind im Energiesektor spezielle Marktrisiken durch leitungsgebundene Systeme (Energienetze) und monopolistische Bottlenecks zu konstatieren. Hohe irreversible Kosten treten insb. durch hohe Eingangsinvestititonen und Fixkosten in der Energiegewinnung auf, jedoch auch im Netzaufbau und -betrieb. Starrheiten wie etwa in der Elektrizitätswirtschaft, welche grundsätzlich eine Orientierung an Spitzenlasten mit sich bringt, und die nur sehr begrenzt mögliche und überdies kostenintensive Speicherung von elektrischer Energie sind weitere Charakteristika des Sektors. Dazu kommt eine asymmetrische Verteilung von Informationen zwischen den Marktseiten.
Staatliche Eingriffe werden regelmäßig über das Versagen des marktlichen Koordinationsmechanismus aufgrund dieser Charakteristika gerechtfertigt, wenn auch durchaus unterschiedliche Positionen zu Tiefe und Umfang staatlicher Eingriffe bestehen. Darüber hinaus sind – im Sinne einer funktionierenden Daseinsvorsorge – auch polit-ökonomische Besonderheiten des Sektors zu konstatieren. Dazu gehört eine mit meritorischen Argumenten zur gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt begründete staatliche Intervention auch in funktionierende (Teil-)Märkte des Energiesektors bis hin zu einer historischen Eigenbereitstellung des Staates. Auch die durchaus asymmetrische, darüber hinaus aber auch sehr intensive politische Einflussnahme von Interessengruppen ist in vielen Staaten zu beobachten.
In modernen Industriestaaten war das Politikfeld der E. über weite Teile des 20. Jh. geprägt von der angebotsseitigen Fokussierung auf die Nutzung fossiler Energieträger einerseits und von Kernenergie andererseits. Diese Dichotomie der Energieerzeugung spiegelt sich nicht zuletzt in den traditionellen Instrumenten und Prozessen der E. wieder. Nicht nur technologische Innovation, sondern auch die politischen, bürgerseitig initiierten Diskussionen über nachhaltige Entwicklung (Nachhaltigkeit) und Umweltschutz insb. seit den 1970er Jahren zeigen eine zunehmende Abkehr von dieser starken Fokussierung. Zunehmend wird im Kontext der Energieversorgung nicht nur die Frage ökonomischer, sondern auch ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit betont. Diese etwa im deutschen EnWG als Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit formulierten Ziele finden auch auf europäischer Ebene Niederschlag, wenn das von der Europäischen Kommission als Priorität lancierte Großprojekt Energiewende in den Dimensionen Versorgungssicherheit, integrierter Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Emissionsminderung sowie Forschung und Innovation konkretisiert wird.
3. Ziele der Energiepolitik
Die aktuellen Ziele nationaler wie internationaler energiepolitischer Maßnahmen können grundsätzlich entlang der benannten Kategorien a) Wirtschaftlichkeit, b) ökologische Verträglichkeit und c) Versorgungssicherheit modelliert werden, wenn auch zwischen den Volkswirtschaften durchaus erhebliche Unterschiede festzustellen sind. Diese Ziele werden reflektiert nicht nur durch politische und administrative Strukturen, welche sich mit dem Politikfeld befassen, sondern auch vom Energierecht. Dieses beinhaltet die Gesamtheit der nationalen wie internationalen Rechtsnormen, welche die Energiewirtschaft regeln. Dazu gehören Rechtsregeln zu Aufbringung, Verteilung, Transport, Verbrauch und Einsparung von Energie wie etwa das Atomrecht, aber auch im weiteren Sinne sonstige benachbarte Bereiche wie Energiewirtschaftsrecht, Umweltrecht, Verbraucherrecht, allg.es Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht.
Zu a) zählt insb. die Senkung von Substitutionskosten. Hier können etwa die Reduktion von technisch-organisatorischen Barrieren oder aber Harmonisierungsvorteile oder die Nutzung von Skaleneffekten genannt werden, welche eine entspr.e Kostenreduktion induzieren können. Dies gilt für technische Standards ebenso wie für administrativ-organisatorische Gesichtspunkte. Ein weiterer relevanter Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Wettbewerbsförderung. Die Öffnung von Netzen für privatwirtschaftliche Unternehmen im Allgemeinen bzw. die Liberalisierung von Märkten wird als Schlüssel zu einer Kostensenkung bzw. Effizienzsteigerung angesehen. Ähnliches gilt für die Regulierung von natürlichen Monopolen bzw. der entspr.en existierenden monopolistischen Bottlenecks, die einer Reduktion von übernormalen Monopolgewinnen dienen soll. Gleichzeitig ist jedoch auch, insb. im Sinne des Schutzes sog.er spezifischer Investitionen (Investition), die Anbieterseite ggf. abzusichern.
Die unter b) (Umweltverträglichkeit) zu subsumierenden Ziele betreffen insb. die Internalisierung externer Effekte, welche nicht durch den Preismechanismus abgefangen werden. Schadstoffe und Emissionen sollen entspr. optimaler Mengen (Angebot- und Nachfrageseite) gestaltet werden. Auch eine grundsätzliche Kalkulation von Risiken (Risiko) durch den allg.en Ressourcenverbrauch ebenso wie durch Störfälle insb. im Bereich der Nuklearenergie sind mit diesem Ziel verbunden. Vertragsgestaltung für internationale Kooperation bei globalen öffentlichen Gütern kann ebenfalls diesem Ziel dienen, sofern sie geeignet erscheint, optimale Lösungen für grenzüberschreitende Konsequenzen von energiewirtschaftlichen Maßnahmen zu finden.
Die unter c) gefassten Ziele finden ihren Niederschlag allg. in der Förderung von gesamtwirtschaftlicher und sozialer Entwicklung durch Zugang zu Energieinfrastruktur. Im Detail werden hier etwa Fragen der Herstellung von Versorgungssicherheit für die Bevölkerung im Sinne der Vermeidung von Versorgungsknappheit bzw. ggf. einer (staatlichen) Bevorratung gestellt, sowie die Kostenübernahme einer sicheren Energieversorgung in den Blick genommen. Auch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Integration durch Sozialverträglichkeit mit Blick auf Energiepreise oder die Akzeptanz neuer Technologien können an dieser Stelle angeführt werden.
Grundsätzlich sind zwischen diesen verschiedenen Zielen durchaus Synergien möglich. So etwa kann eine effizientere Bereitstellung und Nutzung von Energieträgern durchaus zu sozial erwünschten Preiseffekten führen und somit gleichzeitig ökonomische wie soziale Nachhaltigkeitsziele stützen. Es sind jedoch sowohl in der theoretischen Herleitung, aber insb. auch der praktischen Umsetzung Zielkonflikte zwischen den Einzelzielen zu konstatieren. Dies gilt etwa zwischen ökologischen und ökonomischen Teilzielen. Welche Dimensionen in letzterem Fall politisch höher gewichtet werden ist u. a. abhängig vom jeweilig geltenden Rechtsregime, aber auch von aktuellen gesellschaftspolitischen Strömungen. Als Beispiel kann an dieser Stelle etwa der mittelfristige „Ausstieg“ aus der Nutzung der Kernenergie in etlichen Industriestaaten als Reaktion auf die Kernschmelze im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 genannt werden.
4. Konsens und Dissens
Über das zwischenzeitlich in vielen Staaten etablierte „nachhaltige“ Zieldreieck der E. – Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit/Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit – herrscht in Deutschland wie in Europa weitgehend Konsens zwischen den etablierten Parteien und sonstigen gesellschaftlichen Stakeholdern. In Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch liegt nach wie vor ein deutlicher Fokus auf der wirtschaftlich-wettbewerbliche Dimension von E., so dass die sozialen und ökologischen Aspekte oftmals nur untergeordnete Bedeutung haben.
Auch in Industrieländern ist jedoch das energiepolitische Instrumentarium im Detail umstritten: Abhängig von der jeweiligen politischen Position und Marktseite werden verschiedene Ansätze zur Zielerreichung präferiert. Die einzelnen energiepolitischen Instrumente der E. lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: ordnungsrechtliche Vorgaben über die allg.en Spielregeln einerseits und direkte und ggf. diskretionäre, d. h. vom Einzelfall abhängige Marktintervention andererseits. Dazu kommt die fiskalische Behandlung des Energiesektors bzw. der Einzelmärkte. Diese kann sowohl energiepolitische Ziele im engeren Sinne verfolgen als auch allg. auf die Generierung von Staatseinnahmen ausgerichtet sein und somit schwerpunktmäßig fiskalische Zwecke verfolgen.
Grundsätzlich gilt mit Blick auf den Instrumenteneinsatz, dass aufgrund der Komplexität des Sektors die Kalkulation gesamtwirtschaftliche Effekte energiepolitischer Maßnahmen von bes.r Bedeutung, jedoch auch mit bes.n Schwierigkeiten verbunden ist. Diese entstehen etwa durch intangible Kosten oder Nutzen einzelner Instrumente, welche in traditionellen Kosten-Nutzen-Analysen (Kosten-Nutzen-Analyse) nur schwerlich einbeziehbar sind. Auch sind zeitabhängige Nachfolgekosten und -nutzen ggf. nur schwerlich zu kalkulieren, etwa abhängig von der Verfügbarkeit technischer Innovation wie etwa sog.e Backstop-Technologien, welche Ressourcensubstitute für einzelne Energieträger darstellen. Grundsätzlich und damit verbunden stellt sich, insb. wenn es um den Einsatz relativ neuer Verfahren geht, die Frage nach geeigneten Indikatoren. Die oftmals in diesem Zusammenhang herangezogene Energieeffizienz ist etwa als Indikator zum Vergleich über Zeit und Raum nur bedingt geeignet, handelt es sich doch nicht um eine statische Größe, sondern vielmehr um ein komplexes Konstrukt aus technischen, sozio-ökonomischen, politischen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Auch ist die administrativ-organisatorische Unterfassung von energiepolitischen Instrumenten insb. in komplexen Mehrebenensystemen relevant.
Zu erkennen ist grundsätzlich eine gewisse Trendwende im Instrumentarium. Während traditionell etwa Wettbewerbsausschluss als Marktordnungsinstrument durchaus verbreitet war, etwa durch Regelungen leitungsgebundener Energieversorgung für Strom und Gas, die energieerzeugenden Unternehmen die Einrichtung und den Schutz von Versorgungsgebieten garantierte, so ist zunehmend eine Fokussierung auf Anreize für Angebots- und Verbraucherseite sowie Marktlösungen, etwa durch Zertifikatslösungen, zu erkennen. Energiepolitische Instrumente variieren dabei sowohl zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ebenso wie innerhalb der Gruppe industrialisierter Staaten als auch über die Zeit. Insb. die in vielen Staaten zu Beginn des 21. Jh. eingeleitete Energiewende stellt sich als Herausforderung dar, da sie nicht nur neue energiepolitische Ziele postuliert, sondern damit einhergehend auch neue Instrumente erfordert. Diese werden jedoch insb. in der Transformationsphase in Teilen nur unzureichend aufeinander abgestimmt, dies gilt sowohl über die Ebenen hinweg als auch für konfligierende Einzelinstrumente. In diesem Zusammenhang kann mit Blick auf viele Staaten, darunter auch Deutschland, geradezu von einer „Instrumenteninvasion“ (Hansjürgens 2012: 6) gesprochen werden.
5. Regionale Integration und internationale Kooperation
Während in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik, etwa der Handelspolitik, teilweise seit Jahrzehnten ausgeprägte Internationalisierungstendenzen auszumachen sind, war die E. davon zwar nicht durchgehend ausgenommen, jedoch gekennzeichnet von regionaler Kooperation sowie angebot- oder nachfrageseitig ausgerichteter Zusammenarbeit zwischen Staaten. Ordnungsökonomisch (Ordnungsökonomik) begründbar ist Kooperation in diesem Bereich durch die Tatsache, dass sowohl der Abbau von Energieträgern als auch Energieerzeugung und -verbrauch selbst negative externe Effekte verursachen können, welche nicht an nationale Grenzen gebunden sind. Die Abwesenheit von negativen Folgen von Energieerzeugung und -verbrauch können in diesem Zusammenhang als globale, zumindest aber regionale öffentliche Güter verstanden werden – etwa Fragen der Luftreinhaltung, insb. aber mögliche klimawirksame Folgen von Emissionen: Während es grundsätzlich für einzelne Akteure rational ist, keine zusätzlichen Kosten für die Erhaltung dieses öffentlichen Gutes auf sich zu nehmen bzw. eine aus individueller Sicht optimale Nutzung anzustreben, so ist aus globaler bzw. regionaler Sicht ein derartiges Verhalten suboptimal. Entspr. sind bindende Regelungen eine Möglichkeit, derartige Effekte zu vermeiden und ggf. anfallende Kosten zu verteilen.
Für die Staaten Europas ist die zentrale Institution zur Regulierung auch energiepolitischer Fragen die EU, welche bereits in ihren Anfängen durch eine enge Zusammenarbeit in diesem Bereich gekennzeichnet war, namentlich durch die Schaffung der EURATOM sowie der EGKS. Diese beiden Gründungsinstitutionen der späteren EU umfassten zwar jeweils nur ausgewählte Bereiche der Energieversorgung und dienten nicht einer umfassenden Regelung, stellten aber wichtige Schritte zu einer weitergehend harmonisierten E. dar. Als eigentliche Geburtsstunde eines gemeinschaftlichen europäischen Energierechts kann die Tagung des Rates der Staats- und Regierungschefs im Mai 1973 angesehen werden, welche später durch zahlreiche weitere primär- und sekundärrechtliche Regelungen ergänzt und konkretisiert wurde.
Zu Meilensteinen der EU-weiten E. zählen etwa die Entschließung des Rates aus dem Jahr 1980 für die energiepolitischen Ziele, die Binnenmarkt-RL für Elektrizität aus dem Jahr 1996, die Europäische Energiecharta bzgl. der Beseitigung von technischen, administrativen und sonstigen Hemmnissen für den Handel im Energiebereich von 1991, die Etablierung der TEN auch im Energiesektor seit 2003, sowie die Schaffung einer umfassenden Europäischen Energieunion 2015.
Während der vergangenen Dekaden wurde neben der verstärkten regionalen Kooperation auch die internationale energiepolitische Zusammenarbeit stetig intensiviert. Somit sind heute neben den traditionellen Akteuren zunehmend internationale Institutionen mit energiepolitischen Fragestellungen befasst. Diese Institutionen haben durchaus eine sehr verschiedene Reichweite (Mitgliederzahl sowie Regelungstiefe und -verbindlichkeit), stellen jedoch inzwischen wichtige Akteure der internationalen E. dar.
Zu diesen gehört die IAEO, die bereits seit 1974 Fragen der nicht-militärischen Nutzung der Atomkraft international koordiniert. Auch die sog.e G7/G8 wie auch die G20, Foren der wichtigsten Industriestaaten bzw. Industrie- und Schwellenländer haben durch eigenständige Arbeitsgremien zur E. die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich verstetigt. Das IEF dient als Plattform für die Nachfrage- wie auch Angebotsseite von Primärenergieträgern aus Industriestaaten sowie den relevanten Transit- und Schwellenländern. Weitere internationale Foren wie etwa die IRECs, das REN21, das CEM, die IPEEC, oder die MENARECs stellen neue Ansätze insb. in der Kooperation zugunsten einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien da. Die Förderung innovativer Technologien sowie eine Einbindung energiepolitischer Probleme in regionale und internationale Politikkooperationen stellen Schwerpunkte der Aktivitäten dieser Plattformen dar.
6. Fazit und Perspektiven
Obschon das Politikfeld nach wie vor von gewissen strukturellen Starrheiten der entspr.en Märkte geprägt ist, zeichnen sich neue Dynamiken ab, welche die E. auf nationaler wie internationaler Ebene prägen. Dazu gehören insb. die zunehmende internationale Kooperation sowie die unter dem Schlagwort Energiewende stattfindende Ausrichtung der Energiewirtschaft hin zu einem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien.
Angesichts der Komplexität des Politikfeldes sind eindeutige Trends nur schwerlich abzuschätzen, jedoch zeigt sich, dass die Anpassung traditioneller energiepolitischer Instrumente auch und insb. mit Blick auf das Projekt der Energiewende notwendig erscheint. Der unter diesem Schlagwort zusammengefasste verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien in der Energieversorgung bedarf nicht nur technologischer Innovation, sondern zunächst eines „Übergangsmanagements“ auf institutioneller Ebene, welches auch die Generierung und Regulierung von Märkten berührt. Grundsätzlich ist dies für die Staaten der EU nur auf Unionsebene denkbar. Hiermit stellt sich die Frage nach der Einbindung von Partialinteressen einzelner Nationen in ein umfassendes Energiekonzept auf Gemeinschaftsebene. Problematisch stellen sich hier neben nationalen politisch-historischen Entwicklungspfaden der Energiewirtschaft auch die unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedsstaaten, etwa betreffend der Nutzung von Kernenergie zur Energieversorgung, dar.
Somit wird deutlich, dass neben den Herausforderungen der Instrumentenwahl in der E. nach wie vor Herausforderungen auf der der Instrumentenebene vorgelagerten Zielebene bestehen. Dies wird die intra-europäische Zusammenarbeit und Harmonisierung des Politikfeldes, insb. aber Kooperationen zwischen entwickelten und weniger entwickelten Staaten betreffen, wo erhebliche Unterschiede in der Gewichtung der verschiedenen Zieldimensionen festzustellen sind.
Angesichts der aktuell nach wie vor hohen Abhängigkeit zahlreicher Volkswirtschaften von fossilen Energieträgern, welche nicht autark befriedigt werden kann, sind auch sicherheitspolitische Fragen relevant. „Versorgungssicherheit“ kann hier auch verstanden werden als gewährleisteter Zugang zu internationalen Energiemärkten, stabile Zulieferung von Energieträgern aus Krisenregionen oder die Unabhängigkeit der Energieversorgung von politischen oder militärischen Konflikten (Internationale Konflikte) der Marktpartner untereinander. Diese Dimension der E. gewinnt an Bedeutung angesichts einer global ansteigenden Energienachfrage gerade aus Schwellenländern und Emerging Markets, welche oftmals durch schwache Institutionen und Demokratiedefizite gekennzeichnet sind. Somit können Anstrengungen hin zu einer globalen Energiewende durchaus auch als (nationale) Bestrebungen hin zu mehr Unabhängigkeit von diesen politischen Restriktionen der E. verstanden werden.
Ein weiteres, insb. im Zuge der Energiewende auftretendes Phänomen besteht im Nexus zentrale vs. dezentrale Energieversorgung. Diese zumindest teilweise konkurrierenden Ansätze werden in Teilen durch technische Restriktionen bestimmt, sind relevant aber insb. mit Blick auf die Frage, ob und wie sich die Systeme in den liberalisierten Europäischen Binnenmarkt integrieren lassen, etwa angesichts von Vorgaben bzgl. des diskriminierungsfreien Netzzugangs und der Trennung von Netzbetrieb und Erzeugung. Ähnliche Probleme gelten auch für das Management und die Integration erneuerbarer Energieträger – hier sind es, etwa bei Offshore-Windanlagen, häufig große Distanzen, die zwischen den Orten der Energieproduktion und der Energienachfrage überbrückt werden müssen.
Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass im Zuge aktueller technischer Innovationen, aber auch eines angepassten administrativ-rechtlichen Rahmens nationale E. zunehmend durch internationale Initiativen zur E. ergänzt wird. Dies gilt insb. für die europäischen Staaten. Dennoch kann aufgrund der Diversität nationaler Entwicklungspfade und Ressourcenausstattung, aber auch von Interessen sowie der durchaus ideologisch-politisch geprägten Diskurse zum Thema Energie davon ausgegangen werden, dass nationale Besonderheiten in der E. auch mittelfristig bestehen bleiben werden.
Literatur
Europäische Kommission (Hg.): Framework Strategy for a Resilient Energy Union with a Forward-Looking Climate Change Policy, 2015 • B. Hansjürgens: Instrumentenmix der Klima- und Energiepolitik, in: Wirtschaftsdienst 92/13 (2012), 5–11 • A. C. Fisher/M. H. Rothkopf: Market failure and energy policy, in: Energy Policy 17/4 (1989), 397–406.
Empfohlene Zitierweise
R. Schomaker: Energiepolitik, I. Wirtschaftswissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Energiepolitik (abgerufen: 25.11.2024)
II. Politikwissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Definition und Ziele
E. umfasst alle Maßnahmen mit dem Ziel, Angebot und Nachfrage von primären Energieträgern wie Öl, Gas, Kohle, Uran oder erneuerbaren Energien sowie die Art und Weise der Energieversorgung zu steuern bzw. zu beeinflussen. Die Motivation von E. ist zum einen materiell: Wohlstand, Wirtschaftswachstum und die industriellen Entwicklung eines Staates oder einer Region. Zum anderen ist E. an öffentlicher Wohlfahrt orientiert, mit dem Ziel der sicheren Versorgung der Bevölkerung und des öffentlichen und privaten Sektors mit Energieträgern und -dienstleistungen. Zuletzt ist E. normativ motiviert, v. a. mit dem Ziel eines nachhaltigen Energiesystems, also der umwelt- und klimaschonenden Produktion und Konsumption von Energie. E. wird daher im Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit definiert. Hierin liegen zugl. starke Zielkonflikte begründet. Da der Transformationspfad von einer Entwicklungs- zu einer modernen Industriegesellschaft und Dienstleistungsgesellschaft typischerweise mit direktem Anstieg des Energieverbrauches einhergeht, ist der wirtschaftliche Aufstieg eines Landes mit einem höheren Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen verbunden. Die emissionsneutrale Lösung, eine Substitution von fossilen (und zudem heimisch vorhandenen) Energieträgern wie Stein- oder Braunkohle mit erneuerbaren Energieträgern oder der gesellschaftlich oft umstritten Nuklearenergie, ist jedoch aufgrund der zumeist höheren Kosten politisch stark umstritten. Gerade schnell wachsende Schwellenländer wie Indien oder China priorisieren daher Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit über Umweltverträglichkeit.
2. Energie als Querschnittspolitikfeld
Energie ist ein Querschnittspolitikfeld, das u. a. folgende Politikfelder berührt: Klima- und Umwelt-, Wirtschafts- und Industriepolitik, Verkehrspolitik, Bauen und Stadtplanung sowie Sicherheitspolitik. Staatliche Aufgaben im Bereich E. sind daher typischerweise mehreren Ministerien zugeordnet. Steuerungswirkung auf das Gesamt-Energiesystem entfaltet sich über ein komplexes Zusammenspiel von Maßnahmen aller berührten Politikfelder.
2.1 Wirtschafts- und Industriepolitik
Energie ist zentral für die wirtschaftliche Entwicklung, Wohlfahrt und das Funktionieren von modernen Gesellschaften. Die Industrie hat einen Anteil von 29 % am globalen Energieverbrauch. Wirtschafts- und industriepolitische Aspekte der E. umfassen daher u. a. die Nutzbarmachung landesspezifischer Ausstattungen mit Energieressourcen, die Unterstützung von energieintensiven Industriezweigen wie der chemischen Industrie oder der dezidierten Förderung alternativer und zukunftsorientierter Wirtschaftssektoren wie erneuerbaren Technologien. Staaten mit großen fossilen Energievorkommen, wie z. B. Norwegen oder die Golfmonarchien, müssen zudem die Nachfragesicherheit für den oft dominanten Energiesektor im Blick behalten. Sie diversifizieren daher entlang der Energie-Wertschöpfungskette oder unterstützen langfristige Exportverträge für Öl oder Gas als Teil ihrer Außenwirtschaftspolitik. Zudem begreifen sie die Verhinderung von negativen volkswirtschaftlichen Effekten des Ressourcenreichtums wie der „Holländischen Krankheit“ – dem Verschwinden von Exportindustrien aufgrund einer durch Außenhandelsüberschüsse induzierten Aufwertung der Landeswährung – als Kernaufgabe von Wirtschaftspolitik. Dies umfasst die Diversifizierung der energie-fokussierten Wirtschaftsstruktur und eine behutsame Verwendung von Einnahmen aus dem Energieexport bspw. über staatliche Rentenfonds.
2.2 Klima- und Umweltpolitik
Die Produktion und Konsumption von Energie hat häufig negative Auswirkungen auf Umwelt und Bevölkerung. Aufgabe der E. ist daher der Schutz vor Belastungen z. B. durch giftige Stickoxide oder Feinstaubemissionen im Verkehr oder die sichere Zwischen- und Endlagerung gefährlicher radioaktiver Abfälle aus der Nuklearstromproduktion. Der Energiesektor ist zudem verantwortlich für etwa 1/3 der weltweiten Treibhausgasemissionen. E. muss daher mit Blick auf den drohenden Klimawandel die Weltwirtschaft langfristig „dekarbonisieren“, um die Erderwärmung auf das als erträglich akzeptierte Maß von 2 Grad Celsius zu begrenzen. Dies erfordert die Umgestaltung der Energiesysteme sowie die Einbettung nationaler Politiken in internationale Klimaregime wie die UNFCCC.
2.3 Bauen, Städteplanung und Verkehr
Dem Gebäudebereich kommt mit einem Anteil von etwa 32 % der weltweit verbrauchten Energie eine wichtige energiepolitische Bedeutung zu. Eine Verringerung von Wärmeverlusten durch Dämmung und eine Erhöhung der Energieeffizienz dient daher nicht nur dem Ziel der Nachhaltigkeit, sondern reduziert zugl. Kosten und potentiell den Anteil der zu importierenden Primärenergieträger. Sein Anteil von 27 % am globalen Energieverbrauch macht den Verkehrssektor ebenfalls zu einem zentralen Feld. Die Herausforderung besteht zum einen in der Steuerung des Verkehrsaufkommens über Straßenbau und öffentliche Verkehrsinfrastruktur und der Begrenzung des stark steigenden Lufttransports von Gütern. Zum anderen müssen v. a. innerstädtische Bereiche unter energiepolitischen Gesichtspunkten attraktiv gestaltet sein – eine Aufgabe, die Aspekte von öffentlicher Sicherheit, Architektur und Freizeitwert berührt.
2.4 Sicherheitspolitik
E. erhält eine starke sicherheitspolitische Dimension durch die militärische Nutzung der Nukleartechnik. Die Nichtverbreitung von waffenfähiger Nukleartechnologie ist Gegenstand des Atomwaffensperrvertrages von 1968. Des Weiteren wurde der Zugang zu Öl oder Gas sowie deren sicherer Transit immer wieder Thema der Außenpolitik. Beispiele sind der Ölboykott der arabischen Exporteure von 1973 gegen Israel unterstützende westliche Staaten, der Golfkrieg von 1991 im Zuge der Invasion Kuwaits durch Irak oder auch die russisch-ukrainischen Gaskonflikte von 2006 und 2009, die u. a. als Russlands Reaktion auf die Annäherung der Ukraine an den Westen gedeutet werden. Zudem ist die Offenhaltung und Kontrolle der für den Tankerverkehr strategisch wichtigen Meerengen und Kanäle wie des Suezkanals oder der Straßen von Malakka und Hormuz sicherheitspolitisch relevant. Darüber hinaus wird im steigenden Maße der Zugang zu Energiereserven in Drittländern Gegenstand der Außenpolitik. China bspw. flankiert diplomatisch und finanziell das Engagement seiner staatlichen Ölfirmen in energiereichen Staaten wie dem Sudan, was nicht zuletzt aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in diesem Land zu Kritik führte. Zuletzt sind Energieexporte eine wichtige Einnahmequelle für bewaffnete innerstaatliche Auseinandersetzungen, wie das Beispiel des durch Ölverkauf teilfinanzierten IS zeigt.
3. Akteure und Institutionen
Institutionen in der E. sind auf allen Governance-Ebenen zu finden: national, supranational, regional und international. Sie umfassen staatliche ebenso wie nichtstaatliche Akteure.
3.1 National
Akteure auf nationaler Ebene sind primär Institutionen, welche Rechtsnormen im Energiebereich etablieren oder überprüfen, also Parlamente, Regierung und Bundesgerichte. Die Umsetzung obliegt relevanten Ministerien wie Wirtschaft, Industrie, Umwelt oder Verkehr sowie Regulierern wie der BNetzA. In föderalen Systemen kommt zudem der subnationalen Ebene große Bedeutung zu. Ein Beispiel sind die amerikanischen states, die weitreichende Kompetenzen bei der Regulierung von Energieproduktion und -konsumption auf sich vereinen. Auch deutsche Bundesländer divergieren deutlich in ihrer energiepolitischen Schwerpunktsetzung und spielen zudem eine Schlüsselrolle in der Umsetzung nationaler Politikziele. Darüber hinaus kommen Interessensvereinigungen wie dem Mineralölverband, dem Verband Energieintensiver Industrien oder national bzw. transnational operierenden Umweltgruppen wie dem Bund Naturschutz Deutschland oder Greenpeace eine wichtige Bedeutung in der Interessensaggregation zu.
3.2 Europa
Art. 194 des Lissabon-Vertrages gibt der EU die Zuständigkeit über den europäischen Energiemarkt. Auf supranationaler Ebene sind daher die Europäische Kommission (insb. DG Wettbewerb und DG Klimaschutz und Energie) und die ACER weitere zentrale Akteure. Interessenvereinigungen wie Eurogas vertreten auf EU-Ebene die Anliegen der Energiewirtschaft, NGOs wie Friends of the Earth Europe oder CEE Bankwatch Network dagegen Anliegen der Nachhaltigkeit. EU-Richtlinien und Direktiven müssen in nationales Recht umgesetzt werden, während die Wahl des Energiemixes den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt. Die enge Verzahnung von nationalen und EU-Kompetenzen und Regelungsebenen stellt in der europäischen E. eine große Herausforderung dar. Im Sinne einer kohärenteren Politikgestaltung wird daher seit 2014 die europäische Energie-Union vorangetrieben.
3.3 Regional
Weitere europäische Institutionen mit energiepolitischer Relevanz sind die Energy Community, eine Organisation mit dem Ziel der Integration südosteuropäischer Staaten und der Ukraine in das EU-Regelwerk sowie der ECT, der Investitionen in und Handel mit den Staaten der ehemaligen UdSSR regelt. In Nordamerika deckt die NAFTA den Handel mit Energie ab, während Petrocaribe, ein von Venezuela unterstütztes Abkommen, Energie zur Unterstützung der politischen Zusammenarbeit in der Karibik nutzt. In Asien existiert eine Vielzahl von Abkommen, u. a. die ASEAN Energy Cooperation (ASEAN) sowie die SCO, die Russland, China und zentralasiatische Staaten umfasst. Keine dieser regionalen Institutionen erreicht jedoch den (energiepolitischen) Integrationsgrad der EU. Kompetenzen verbleiben daher primär auf nationaler Ebene.
3.4 International
International relevant sind im Bereich Öl und Gas die OPEC, ein Kartell von gegenwärtig (2016) 13 ölreichen Staaten; die IEA, eine von der OECD getragene Organisation überwiegend importabhängiger westlicher Staaten; das IEF, welches als gemeinsame Plattform für Produzenten und Konsumenten dient sowie das GECF, das auf eine engere Organisation der Angebotsseite bei Erdgas abzielt. Das UNFCCC, die COP, der IPCC, die Klimainvestitions-Fonds der Weltbank sowie die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien decken dagegen die Nachhaltigkeitsseite ab. Zudem sind Foren wie dieG7/G8 oder die G20 wichtige Akteure. Umwelt-NGOs übernehmen oftmals die Aufgabe, neben ihrer advokatischen Arbeit internationale Verhandlungen kritisch zu begleiten und stellen dabei wichtige Expertise im globalen Politikprozess zur Verfügung. Zudem haben sich internationale Netzwerke wie die Renewable Energy and Energy Efficiency Partnership als Hybrid zwischen politischem Akteur und Investor etabliert. Die Vielzahl der internationalen Akteure spiegelt das Problem der sog.en globalen öffentlichen Güter wider, also ordnungspolitische Steuerung ohne übergeordnete staatliche Sanktionsmöglichkeit.
4. Paradigmen der Energiepolitik
E. ist der Frage unterworfen, mit welchen ordnungspolitischen Maßnahmen sich die zentralen Ziele von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit erreichen lassen. Das Paradigma eines staatszentrierten Modells sucht über Staatsunternehmen die flächendeckende Versorgung mit Energieträgern und -dienstleistungen bereitzustellen. Der Staat übernimmt hierbei die Rolle des Eigentümers und Grundversorgers gegen festgesetzte Abgaben. Dieses Paradigma war bis in die 1980er Jahre dominant in den OECD-Ländern (mit Ausnahme der USA). Es findet sich im Modell der deutschen Stadtwerke noch heute wieder. Demgegenüber favorisiert das liberale Paradigma Privatunternehmen, den Markt und die Preissteuerung als zentrale Elemente von E. Dem Staat kommt dabei die Rolle des Regulierers zu, der Marktversagen wie Monopole verhindern muss. Die E. der EU, die seit den 1990er Jahren auf die Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes für Strom und Gas abzielt, basiert ebenso wie die marktwirtschaftlich organisierte Energiewirtschaft der USA auf dem liberalen Paradigma. Starke staatsorientierte Modelle finden sich dagegen weiterhin in Schwellenländern wie Indien, China oder Brasilien. Paradigmen in der E. sind jedoch nicht starr, sondern werden, wie die Leitmodelle von Wirtschaftspolitik generell, an sich verändernde Umstände angepasst. Zudem existieren marktwirtschaftliche Elemente oft in Koexistenz mit starker staatlicher Intervention. International wirken sich Paradigmen v. a. über multilaterale Organisationen aus. Die als Washington Consensus bekannt gewordene programmatische Ausrichtung der Weltbank bspw. führte in den 1980er und 1990er Jahren zu weitreichenden Privatisierungsprogrammen in Entwicklungsländern, auch in der Energiewirtschaft.
5. Steuerungsmechanismen
Zur Erreichung energiepolitischer Ziele hat der Staat prinzipiell dieselben Instrumente wie in anderen Politikfeldern zur Verfügung: Steuern (Steuer), Abgaben, Regulierung, Subvention und Information. Diese entfalten jeweils unterschiedliche Steuerungswirkung (Steuerung). Über die Mineralölsteuer bspw. kann der Verbrauch von Benzin langfristig reduziert bzw. die Nachfrage nach energieeffizienteren Automobilen gesteuert werden. Subventionen wie der deutsche „Kohlepfennig“ dagegen fördern das Angebot. Darüber hinaus eignet sich der Energiesektor aufgrund seiner Bedeutung für die Volkswirtschaft für grundlegende Ordnungspolitik. Eine ökologische Steuerreform bspw. würde über eine weitgehende Umschichtung der Steuerlast von Einkommen, Löhnen und Firmengewinnen auf Energiekonsumption eine tiefgreifende Veränderung der wirtschaftlichen Struktur bewirken. Regulierung wie Dämmvorschriften für Gebäude, selektives Verbot von energieintensiven Glühlampen oder Verbrauchsvorschriften für Kraftfahrzeuge wirkt dagegen punktuell und sektorspezifisch. Darüber hinaus kommt sog.er „weicher Regulierung“ wie Energielabels auf Haushaltsgeräten oder dem Energiepass für Gebäude eine wachsende Bedeutung zu, da sie das Informationsniveau des Verbrauchers stärkt und sein Verhalten beeinflusst. Die Wahl des Steuerungsmechanismus ist dabei oftmals eine Funktion des jeweilig zugrunde liegenden Paradigmas. Emissionshandelssysteme (Emissionshandel) zur Reduktion von Treibhausgasen bspw. entsprechen dem liberalen Ansatz, während das staatszentrierte Modell eher auf starke Regulierung setzt. Wie das Beispiel der deutschen Energiewende zeigt, ist bei energiepolitischen „Großprojekten“ allerdings immer ein Mix von Instrumenten notwendig: Regulierung (staatlich verordneter Atomausstieg), finanzielle Förderung und subventionsähnliche Anreize (Einspeisetarife für erneuerbare Energien, Förderung der energetischen Gebäudesanierung), Infrastrukturfinanzierung (Hochleitungstrassen) und nicht zuletzt Information, um die langfristige Unterstützung der Bevölkerung zu sichern.
Literatur
IEA: OECD World Energy Outlook, 2015 • IPCC: Climate Change 2014 Synthesis Report. Summary for Policy Makers, 2015 • UNFCCC: Adoption of the Paris Agreement, 2015 • A. Goldthau: From the state to the market and back, in: Global Policy 3/2 (2012), 198–210 • T. Dietz/E. Ostrom/P. Stern: The struggle to govern the commons, in: Science 302/5652 (2003), 1907–1912 • I. Kaul u. a.: Providing Global Public Goods, 2003.
Empfohlene Zitierweise
A. Goldthau: Energiepolitik, II. Politikwissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Energiepolitik (abgerufen: 25.11.2024)
III. Energiewende
Abschnitt drucken1. Energieversorgung als ethisch-pol. Herausforderung der Ordnungsethik
Aufgrund der vielschichtigen Zusammenhänge der Energieversorgung mit Armutsüberwindung und Wohlstandsentwicklung sowie Klima- und Umweltschutz ist E. ein ethisches Thema ersten Ranges. Der Streit um die ethische Rechtfertigungsfähigkeit der atomaren Energienutzung war in Deutschland ein wichtiger Impulsgeber der Umweltbewegung und ist bis heute weltweit ein Leitkonflikt der Technikbewertung. Seit den 1990er Jahren hat die Klimaforschung dazu geführt, dass die fossile Energienutzung in den Fokus einer grundlegenden ethischen Kritik geriet, die das gesamte technisch-industriellen Wohlstandsmodell betrifft. Ethisch geht es dabei v. a. um Fragen intergenerationeller und globaler Gerechtigkeit sowie um den Stellenwert von Güterabwägungen und Zuständigkeiten in einer risikoethisch differenzierten Verantwortungstheorie (Verantwortung). Es genügt nicht, allein Haltung und Verhalten der Einzelnen in den Blick zu nehmen, sondern das Energiesystem im Ganzen, d. h. als soziotechnisches System, ist einer ethischen Bewertung zu unterziehen.
Als Zieldreieck einer nachhaltigen E. kann Umweltverträglichkeit mit bes.r Relevanz von Klimaschutz, Versorgungssicherheit mit dem Teilziel der Vermeidung politischer Abhängigkeiten und Wirtschaftlichkeit definiert werden. Zwischen diesen drei Gesichtspunkten besteht trotz aller Überschneidungen eine gegenwärtig kaum auflösbare Spannung, die zu unterschiedlichen Prioritäten führt. Eine konsistente Gewichtung, Zuordnung, Vernetzung und Abgrenzung der verschiedenen Gesichtspunkte und Handlungsfelder ist eine originär ethisch-politische Aufgabe, um den vielen Akteuren bei ihren jeweiligen Abwägungsprozessen für energietechnische Entscheidungen Richtungssicherheit zu geben.
Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung wird dadurch erschwert, dass ein isolierter Austausch einzelner Elemente der fossilen Energiestruktur durch erneuerbare Energien unzureichend ist. Denn diese brauchen andere Strukturen, um ihre Vorteile zu entfalten. Dies hat erhebliche Konsequenzen für die wirtschaftswissenschaftliche Modellbildung: Bisher werden Energie und Rohstoffe dort meist nur als Kostenproblem thematisiert. Sie gelten als prinzipiell verfügbar und werden auf eine Preisfrage reduziert oder als ökologisch-technisches Spezialistenproblem behandelt. Traditionell werden nur Arbeit und Kapital als strukturell bedeutsame Größen in den Blick genommen. Dies ist heute kein angemessenes Theoriemodell mehr. Die Entscheidung für eine bestimmte Ressourcenbasis ist für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung durch die Ausbildung von Pfadabhängigkeiten (Pfadabhängigkeit) strukturell ebenso determinierend wie die Verteilung von Arbeit und Kapital.
Die politische Dimension der Energieversorgung ergibt sich auch daraus, dass sich Anpassungen aus mehreren Gründen nicht hinreichend betriebswirtschaftlich über Marktsignale abbilden und steuern lassen: Innovationen (Innovation) brauchen oft sehr umfangreiche und langfristige Investitionen (Investition), die einzelne Unternehmen nur begrenzt tragen können. Zudem sind die Energiepreise aufgrund ihrer Abhängigkeit von politischen Entscheidungen und Machtkonflikten volatil, also sprunghaft, was Investitionen höchst riskant macht und ihre Sicherheit und Kontinuität erheblich beeinträchtigen kann. Versorgungssicherheit und Innovation im Energiesektor brauchen daher politische Rahmenvorgaben. Die Energiewende wird sich nicht allein aus der wirtschaftlichen Dynamik heraus durchsetzen.
Technologieführerschaft im Energiemarkt bedarf der Ermöglichung und Flankierung durch politische Willensbildung. Sie muss Unsicherheiten und „Durststrecken“ überwinden, kann aber langfristig zum Entscheidungsfaktor für Wettbewerbsvorteile und Exportchancen werden. Zugl. ist innovative Energietechnik ein Beitrag zur Sicherheitspolitik und Friedenspolitik, da sie die Abhängigkeit von Gas und Erdöl exportierenden Ländern verringert. Um Strategien von Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit im Energiebereich effektiv zu verknüpfen, genügt es nicht, auf den Fortschritt internationaler Abkommen zu warten. Die Dynamik eines Strukturwandels könnte von einer konsistenten E. der Nationalstaaten ausgehen. Sie ist aufgrund ihrer hohen Komplexität jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf ein Zusammenspiel von Politik, Unternehmen, Forschung und Verbrauchern angewiesen ist. Der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien erfordert langfristig vorausschauend angelegte komplexe Energie-, Emissions- und Kosten-Optimierungen und geschmeidige Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen an identifizierte nachhaltige Entwicklungspfade.
Geht man davon aus, dass der globale „Energiehunger“ bis 2050 gegenüber 2015 verdoppeln, wird und aus Gründen des Klimaschutzes der CO2-Ausstoß um mindestens 80 % reduziert werden sollte, ergibt sich ein Dekarbonisierungsbedarf der Energieversorgung um den Faktor zehn. Aus Gründen des Klimaschutzes muss diese Neuausrichtung gegen die Marktsignale niedriger Preise für fossile Energie, die eine Folge von Tiefseebohrungen, Fracking sowie der Konkurrenz der Anbieter um die globalen Märkte sind, durchgesetzt werden. Damit schwindet die Illusion, dass sich weltweiter Klimaschutz als Nebenprodukt der Verknappung fossiler Energien allein aus der wirtschaftlichen Dynamik ergeben könnte.
2. Risikomündigkeit in Zeiten der Energiewende
Die Energiewende ist riskant. Sie hat nur Chancen, wenn Staaten und Unternehmen bereit sind, unter den Bedingungen von Unsicherheit Investitionen (Investition) in einen Strukturwandel zu wagen. Eine ethische Reflexion der Energieversorgung gestaltet sich deshalb in einem ganz wörtlichen Sinn als Güter- und Übelabwägung. Deren Voraussetzung ist eine Analyse, mit welcher Art von Risiko wir es in welchen Zusammenhängen zu tun haben und welche Kriterien, Strategien und Institutionen ihnen angemessen Rechnung tragen. Auf der Basis einer systematischen Unterscheidung von Risikotypen ergeben sich differenzierte Formen des Umgangs mit ihnen, die sich in risikoorientierte, vorsorgeorientierte und diskursive Strategien gliedern lassen.
Weder über die Analyse der Risikofaktoren und der Folgenzurechnung der atomaren Unfälle von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) noch über die Kriterien sicherer Lagerung verbrauchter atomarer Brennstäbe herrscht Einigkeit in der Forschung. Die Risiken fossiler und atomarer Energieversorgung lassen sich nicht unmittelbar vergleichen und gegeneinander verrechnen. Zusätzlich gesteigert wird die Differenz unterschiedlicher Bewertungen durch die symbolische Aufladung von Konflikten und Risikoeinschätzungen im öffentlichen Diskurs, wobei Atomenergie den einen als Symbol für Fortschritt und Macht, den anderen als Ausdruck für menschliche Hybris gilt. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Risiken der fossilen Energienutzung aufgrund des globalen Ausmaßes der schon heute faktisch wirksamen und absehbar dramatisch steigenden negativen ökosozialen Nebenwirkungen keineswegs geringer einzuschätzen sind. Angesichts der vermehrten Nutzung von Kohleenergie v. a. in China und Indien scheint daher vielen Experten auch der Einsatz von CCS-Technik (Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid) trotz ihrer ungeklärten Risiken und Nebenwirkungen unverzichtbar.
Risikoverantwortung in komplexen technischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen ist auf eine Analyse der Wirkungsketten, Steuerungsparameter und Hierarchieebenen in vernetzten Systemen sowie auf eine öffentliche Kommunikation über subjektiv unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen von Risiken angewiesen. Politisch erfordert Risikomündigkeit zum einen eine transparente und vorausschauende Organisation des Risikomanagements im Sinne der klaren Definition von Subjekt, Gegenstand, Kontrollinstanz und Kriterien der Verantwortung. Zum anderen sind insb. diskursive Strategien der Risikoverantwortung angezeigt, da der Umbau des Energiesystems neben den natur-, technik- und wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten mindestens ebenso die höchst fragile gesellschaftliche Akzeptanz betrifft.
3. Suffizienzstrategien als Teil der Energiewende
Eine konsistente Gewichtung, Zuordnung und Vernetzung der verschiedenen ökonomischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkte einer nachhaltigen Energieversorgung ist eine originär politische Aufgabe. Sie braucht einen stabilen gesellschaftlichen Konsens, um den vielen Akteuren bei ihren jeweiligen Abwägungsprozessen für energietechnische Entscheidungen Sicherheit zu geben. Dabei ist es hilfreich, zwischen drei möglichen Strategien zu unterscheiden: a) Effizienzsteigerung durch technische Innovationen (Innovation) und Strukturwandel; b) Substitution fossiler Energien durch erneuerbare Energiequellen; c) Veränderung der Konsummuster und Wertpräferenzen insb. in der globalen Ober- und Mittelschicht zugunsten von ressourcenleichten Wohlstandsmodellen.
Nur wenn insgesamt weniger Energie verbraucht wird, kann der Anteil fossiler Energien am Energiemix in absehbarer Zeit sinken. Deshalb muss der Energieeinsparung ein struktureller Vorrang vor Klimaschutzmaßnahmen auf Seiten der Erzeugung zuerkannt werden. Hinreichende Änderungen sind dabei nur dann erreichbar, wenn alle drei Strategien gleichzeitig in Angriff genommen und Synergien konsequent genutzt werden. Die Effizienz bei der Energieverwendung wurde bisher erst wenig als Geschäftsfeld für anbietende Unternehmen oder als Kostenvorteil für Verbraucher erkannt. Gründe für die Vernachlässigung sind u. a. die große Anzahl von Akteuren und die unübersichtliche Vielzahl von Maßnahmen, die je für sich betrachtet wenig erbringen. Dies verführt zu „kleinteiligen“ Lösungen, die politisch und wirtschaftlich nicht ernst genommen werden. Die Entdeckung rentabler Lösungen im Effizienzbereich braucht eine Kombination technischer, unternehmerischer und sozialer Innovationen sowie veränderter Nutzergewohnheiten. Die Verschiedenartigkeit dieser gleichzeitig geforderten Arten von Intelligenz und Strukturwandel prägt die Topologie der moralischen Herausforderung, die sich mit der Energiewende verbindet.
Die Chancen für eine Entkoppelung wirtschaftlicher Entwicklung vom wachsenden Energieverbrauch sind – technisch gesehen – gut. Dennoch gibt es bisher kaum nennenswerte Fortschritte, weil die Entlastungen weitgehend durch eine kontinuierliche Steigerung des Umsatzes sowie des Anspruchsniveaus kompensiert werden. Deshalb müssen die Effizienz- und Substitutionsbemühungen durch eine Suffizienzstrategie begleitet werden, um den Energieverbrauch im Ganzen zu senken. Aus diesem Grund ist die Bereitschaft der Menschen in den hochentwickelten Wirtschaften, durch ihre Nachfrage und damit durch ihre persönlichen Lebensstile, Konsummuster und Wertorientierungen an der Durchsetzung energiepolitischer Verantwortung mitzuwirken, heute ein entscheidendes Handlungsfeld der Energiewende.
4. Energiepolitik als Gesellschaftspolitik: transformation by design statt transformation by desaster
Da die gegenwärtigen Lebensstandards und deren inhärente Steigerungsdynamik mit erheblichen ökologischen Nebenwirkungen verbunden sind, mündet die Energiedebatte in einem Diskurs über die Kurskorrektur des westlichen Wohlstandsmodells. Dabei wird dem Wechsel zu einer postfossilen und postnuklearen Energie- und Ressourcenbasis ein Stellenwert für die Zukunftssicherung der Weltgesellschaft zugeschrieben, der in seiner Tiefen-, Breiten- und Fernwirkung mit dem der industriellen Revolution vergleichbar ist, weshalb in Anlehnung an Karl Polanyis Analysen der gesellschaftlichen Umbrüche im Kontext der Industrialisierung des frühen 19. Jh. (Industrialisierung, Industrielle Revolution) der gegenwärtige Wandel auch als „Große Transformation“ (WBGU 2011: 1 ff.) bezeichnet wird.
Einen solchen Wandel kann man nicht verordnen, er ist nicht planbar. Er kann aber auf vielfältige Weise unterstützt werden. Wer diesen Wandel aktiv gestalten will, muss Akteurskonstellationen, Handlungsmuster und Governancestrukturen (Governance), die eine Transformation ermöglichen oder blockieren, analysieren. Es geht um Fragen nach den Ressourcen für Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit und zwar sowohl auf personaler als auch auf institutioneller Ebene. Da das relevante Wissen i. d. R. dezentral und häufig unübersichtlich bei zahlreichen Akteuren und Teilsystemen verstreut ist, bedarf es neuer Formen von Kooperation, die es zu erlernen und zu vermitteln gilt. Hier kann v. a. die städtische Kommunalpolitik ökosoziale Innovationen befördern. Weltweit sind heute die urbanen Ballungsräume die bevorzugten Experimentierfelder und sozialen Labore für kulturelle Neuerungen im ökosozialen Bereich.
Ein solcher gesamtgesellschaftlicher Prozess des Umbaus der Energieversorgung ist eine entscheidende Bewährungsprobe für prospektive Verantwortung, um transformation by design statt transformation by desaster (Sommer/Welzer 2014) zu ermöglichen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie in eine umfassende Transformation des Wohlstandsmodells eingebunden wird.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
M. Vogt: Energiepolitik, III. Energiewende, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Energiepolitik (abgerufen: 25.11.2024)